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40 Jahre für den Club

Martin Thein interviewt den Kultfan Heino Hassler

Heino, wie alt warst du eigentlich, als du damals das erste Mal mit Fußballfans in Berührung kamst?

Tja, lange ist es her (lacht). Es war so 1968/69, als ich damals im Alter von 13 Jahren die richtig harten Jungs der FCN-Fans kennengelernt habe. Es war der Beginn der sogenannten Kuttenszene. Also jeder Fußballfan, der sich als Fan irgendeines Vereins darstellen wollte, hat damals eine Kutte getragen. Die „Kutte“ war im Prinzip eine Jeansjacke, bei der man die Ärmel abgeschnitten hatte. Meistens dann noch ausgefranst und irgendwelche Embleme von seinem Verein draufgenäht hat.

War das ein bestimmter Typus von Fan? Welche gesellschaftlichen Gruppen haben sich bei den Kutten eingefunden?

Ich muss vorwegnehmen, dass der Fußballfan der damaligen Zeit bestimmt nicht der gesellschaftlichen Oberschicht angehörte. Teilweise war es verpönt, sich als Fußballfan zu outen.

Nun zu deiner Frage: Im Prinzip zog es primär eher den handwerklichen oder eher „einfach strukturierten“ jungen Mann in die Kurve. Eben jene jungen Männer, die ihren Verein mit Gesängen und Liedern lautstark unterstützt haben. Oft auch sehr stark alkoholisiert. Ich kann mich an Spiele erinnern, bei denen mehr Fans volltrunken vor dem Stadion oder auch im Stadion (damals kam ja jeder in jedem Zustand rein) lagen und geschlafen haben, statt das Spiel zu verfolgen.

Heute werden die übrig geblieben Kuttenfans ja eher belächelt! Man nimmt sie als Wesen aus einer anderen Zeit wahr …

Ja, heute! Damals waren die Kutten in der Fanszene sehr angesehen, richtige Typen und Granaten (lacht). Man wusste, das war eine Einheit, die gehören zusammen. Den Begriff „Fanklub“ gab es noch nicht. Die Kutten haben sich meistens in einem Lokal getroffen und sind von dort aus gemeinsam zum Stadion gegangen. Da wusste jeder, dass Vorsicht geboten war. Immer war mächtig Alkohol im Spiel, eine Grundaggression war natürlich auch da. Die waren auch gegenüber den eigenen Leuten nicht unbedingt immer ganz zahm und zimperlich. Aber wenn sie die gegnerischen Fans trafen, dann herrschte natürlich Ausnahmezustand, die körperliche Auseinandersetzung war schon vorprogrammiert. Ganz im Gegensatz zu den heutigen Kutten.


Städtisches Stadion Nürnberg, der Block 4.

Bist du in dieser Zeit auch Angehöriger des berühmt-berüchtigten Nürnberger Szene-Fanklubs „Seerose“ geworden?

Ja, in der Seerose fing alles an. Ich gehöre dem Fanklub noch heute an!

Waren die Mitglieder der Seerose eher Kuttenfans?

Also der Anfang der ersten Seerosen-Leute geht bis 1966/67 zurück. Da gab es auch wiederum noch keine Kutten, das heißt, das waren eher Fans, die beim Stadionbesuch Trikot trugen, wie man es heute auch noch praktiziert. Diese meist älteren Mitglieder der Seerose haben sich dann keine Kutte mehr übergezogen, meinten, sie wären schon zu alt für diese neue Entwicklung. Ein Privileg der Jugend sozusagen (lacht).

Aber die Jüngeren trugen in der Zeit fast alle Kutten. Es war praktisch so, dass man nicht, wie später leider üblich, 5.000 schwachsinnige Aufnäher draufgenäht hat. Warum? Weil es damals einfach nicht so viele davon gab. Es waren meistens die offiziellen Logos vom Verein und dann vielleicht im besten Fall noch so ein ringverzierter Flügel oder so was. Also nichts von anderen Vereinen, denn Fan-Freundschaften gab es noch gar nicht.

Wie lange dauerte die Kutten-Dominanz an?

Ungefähr bis Ende der 1970er Jahre. Um 1978/1979 ging es dann langsam mit den sogenannten Poppern los. Popper waren Jugendliche, meist aus gutem Hause, die sich den Nacken penibel ausrasierten und eine exakt zurechtgefönte Ponyfrisur hatten. Sie hatten damit quasi auch ihre eigene Uniform. Auch trugen sie bei 30 Grad und blauem Himmel einen Regenschirm. Vorbild und Erkennungszeichen dieser Szene war der Film „A Clockwork Orange“ von Stanley Kubrick. Da gab es ja eine Jugendgang namens „Droogs“. Diese Jungs wollten im Prinzip alle nachahmen. Und die Schirme dienten im Stadion dann auch dazu, dass man die Leute schön verprügeln konnte. Das hat lange Zeit gar keiner richtig gecheckt. Damals konnte jeder fast alles ins Stadion mitnehmen, das war überhaupt kein Problem.

Die Club-Fanszene in den 1970er Jahren: „Der Block 4 war quasi unser Wohnzimmer“

Heute dominieren die Ultragruppen als Stimmungsmacher in den Kurven. Gab es bei euch damals auch schon ein organisiertes Anfeuern oder eine sonstige organisatorische Aufstellung?

Im Prinzip waren wir damals als Gruppe auch eine feste Organisation. Man kann uns deshalb schon als legitime Vorfahren der Ultras bezeichnen. Wir waren auch die Herren in der Kurve (Block 4). Was uns fehlte, war die technische Ausstattung wie Megafon etc. Damals ging es dann los mit den ersten Fahnen. Die wurden mit der Zeit dann immer größer und größer. Das Problem war nur, dass diese noch aus richtigem Baumwollstoff bestanden. Es interessierte niemanden, ob der entzündbar war oder sonst irgendwas. Es war Baumwollstoff, und wenn es mal geregnet hat, ist der ganz schön schwer geworden. Dann kamen die ersten Ideen, auf leichtere Stoffe und Materialien umzustellen. Die Fahnen wurden fortan geschraubt, es gab Mittelstücke, damit man sie zusammenlegen konnte. Ich kann mich noch gut an die Kurvenfahne der Fans des 1. FC Kaiserslautern erinnern, das war eine Riesenfahne, auf der sich schön aneinandergereiht die einzelnen Nationalflaggen der damaligen Spieler wiederfanden.

Eure Heimat war im Club-Stadion damals der legendäre Block 4 …

Der Block 4 war quasi unser Wohnzimmer (lacht). Wir haben es damals aber geschafft, die Stimmung weit über den Block 4 hinaus zu tragen. Der Block 4 war im Prinzip größer als heute der Block 9/11er im Frankenstadion. Dort standen fast 4.000 Leute, das hat schon ganz gut geklappt.

Wie viele dieser Kutten haben den Club auch auswärts begleitet?

Auswärtsfahrten waren früher auch eine Kostenfrage. Es war nicht ganz so billig und einfach wie heute. Autos hatten damals die wenigsten, also musste man meist auf Angebote der Bahn zurückgreifen. Es gab das sogenannte Wochenend-Rückfahr-Ticket, damit konnte man vergünstigt fahren. Oder auch die genannten Gruppenfahrten, für uns eher Großgruppenfahrten. Dafür brauchte man mindestens 15 Personen, und bei 50 konnten zwei Leute umsonst mitfahren. Dadurch, dass alles geteilt wurde, war das dann auch sehr günstig. Hinzu kam, dass wir damals in der Regionalliga Süd spielten, da waren die Fahrten nicht ganz so weit. Außerdem hatten wir auch unsere Methoden, um den Schaffner auszutricksen.

Am Spieltag trafen wir uns immer spontan am Bahnhof, etwa drei bis vier Stunden vor Anpfiff, dann wurde durchgezählt, wer alles mitfahren will, und anschließend wurden die Tickets am Schalter gekauft. Von der Seerose waren immer 50 bis 60 Fans dabei. Und wenn es mal Spiele in der Nähe waren wie Bayreuth, München oder Hof, wurden es auch schon mehr, vielleicht ein paar Tausend. Aber so in der Regel waren wir auswärts etwa 60 bis 100 Personen.

Waren auch Gewaltbereite dabei?

Ja, klar. Da waren schon richtig krasse Jungs dabei. Die haben, wenn es geknallt hat, keine großen Unterschiede gemacht. Wenn wir bei Auswärtsfahrten aus dem Bahnhof kamen, wurde sich erst einmal umgeschaut, ob jemand von der gegnerischen Mannschaft da war. Wenn man einen gesehen hat, gab es oft gleich eins auf die Mütze.

Wie, einfach drauf, egal, wer das war?

Ja, so war das damals. Heute kesselt man die Fans ein, trennt sie schon bei der Anreise peinlichst genau voneinander, das gab es damals noch nicht. Am Bahnhof wusste man nicht, ob das Gegenüber gewaltbereit war oder einem sogar eine Falle stellte. Wie übrigens so oft. Dann ging es halt zur Sache, Schal ziehen, Trikot klauen und so, das war völlig normal.

Also alle kräftig alkoholisiert und gewaltbereit! Ein gefährlicher Cocktail, oder?

Ja, sicher war das so. Alkohol steigert die Emotionen und reduziert auch Hemmungen. Wir sind zum Teil mit ganzen Fässern voll Bier zu den Auswärtsspielen gefahren. Dementsprechend ging es anschließend auch zur Sache. Ich muss mich hier an eine Situation in München erinnern, dort gab es einmal eine komplette „Entglasung“ des „Wienerwalds“ in der Nähe vom Olympiastadion. Die hatten in München damals die „schwarzen Sheriffs“, eine Art Sicherheitsdienst mit Stahleinlagen in den Handschuhen. Das waren extrem gewaltbereite Schläger, die ganz offiziell bei der Stadt als Ordner für die Sicherheit in der U-Bahn engagiert waren. Die haben uns in dem Lokal gleich blöd angemacht, weil unter ihnen auch 1860-Fans dabei waren. Dann wollten sie einen Nürnberger festnehmen, was schließlich der Startschuss für eine Massenschlägerei war, wie man sie sich heute nicht mehr vorstellen könnte.

Der Fanklub „Seerose“: Die Geburt eines Mythos

Wie waren deine sozialen Kontakte zu anderen Mitgliedern des Fanklubs „Seerose“?

Es war im Prinzip so, dass wir uns regelmäßig in der „Seerose“ getroffen haben. Das heißt, für uns war das ein Wohnzimmer. Also für ganz viele Leute, 30 Tage im Monat waren die in der „Seerose“.

Jeden Tag? Erzähl doch mal etwas über euren damaligen Treffpunkt!

Jeden Tag. Das Lokal gibt es schon längst nicht mehr. Bereits als wir es zu unserem Klubhaus bestimmten, wussten wir, dass es irgendwann abgerissen werden würde. Dass es uns dann noch 15 Jahre erhalten blieb, war uns natürlich nur recht. Aber in das Lokal hat natürlich keine Brauerei und kein Wirt mehr Geld investiert. Demzufolge war es alles sehr günstig, der Wirt war Grieche, unser Panos. Es war alles sehr locker, er hat nicht drauf bestanden, dass dort jemand etwas konsumieren muss. Die meisten von uns hatten ja wenig Geld. Wenn also einer gekommen ist und kein Geld hatte, dann hat er halt nichts bestellt. Es war eine Mischung aus Kneipe und Jugendclub. Es gab einen Billardtisch, Flipper, Kicker, Musikbox, also ganz klassisch, wie es in der Zeit halt so war. Die Fans, die dort regelmäßig verkehrten, waren alle Club-Fans, und es entstanden daraus immer mehr Freundschaften. Manchmal kleinere Cliquen, manchmal größere. Die einen verstanden sich besser, die anderen weniger.

Musstest du dich als einer, der zu den jüngeren Seeroslern gehörte, in der Gruppe irgendwie hochdienen?

Ja, das war so üblich. Ich bin bereits relativ früh, mit 13 Jahren, zum ersten Auswärtsspiel des Club mitgefahren. Das war dann schon so, dass ich von den Älteren, die aber gerade mal vier, fünf Jahre älter waren, in den Hintern getreten wurde (lacht). Du musstest im Zug schon mal den Kellner machen und den Älteren ein Bier holen. Und das dann auch bitte ohne großes Murren. Die Alten kannten nach einem Jahr noch nicht mal meinen Namen. Man musste sich in der Gruppe bewähren. Ich ging ja noch zur Schule, hatte fast kein Geld und die Älteren aus der „Seerose“ haben uns dann oft mal was ausgegeben. Dann fielen Sprüche wie: „Komm, Junge, trink mal ein Bier, das zahlen wir!“ Das war ein sehr angenehmes und freundschaftlich-kollegiales Verhältnis. Wir waren halt alle Clubberer. Im Laufe der Jahre wurde ich dann immer bekannter, und ich bin dabei geblieben, über all die Jahre.

Und damals ist dieser Mythos Seerose entstanden?

Also wir reden jetzt von einem Zeitraum, der 1968/69 nach der letzten Meisterschaft für den FCN begann und bis 1979/80 ging. Also mehr als zehn Jahre. Da war der Fanklub „Seerose“ die dominierende Kraft in der Nürnberger Fanszene. Es war DER Fanklub. Die anderen Fans haben sich uns in der Kurve dann schon irgendwie untergeordnet. Sicherlich gab es auch noch kleinere Fanklubs auf dem Land, die natürlich nicht immer in die „Seerose“ kommen konnten. Zum Beispiel haben sich 1978 die „Altmeister“ aus Hersbruck gegründet. Wir sind öfter mal zu denen rausgefahren, das war nie ein Konkurrenzdenken, sondern ein Miteinander.

Die 1980er Jahre: Die Hooligans rücken ins Rampenlicht

Aber irgendwann kamen doch dann auch wieder Jüngere, die auch ihr eigenes Ding machen wollten, oder?

Ja, das ist der Lauf der Dinge. Die junge Garde, die dann nachkam, war locker fünf bis sieben Jahre jünger als wir, auch ein völlig anderer Typus. Die kamen zunächst zu uns in die „Seerose“ und haben gesagt, sie möchten auch auswärts mitfahren. Das sind sie dann, und sie waren eine willkommene Verstärkung. Wir Seerosler merkten recht schnell, dass die sehr gut waren.

Also auch gewaltbereiter?

Ja. Eindeutig gewaltbereit, richtig gewaltbereit.

Das waren also die Anfangszeiten der „Red Devils“, die ersten Hooligans in der Nürnberger Fanszene?

So könnte man sagen. Aber es gab auch häufig Ärger zwischen alt und jung. Die Jüngeren machten irgendwann ihr eigenes Ding und nannten sich fortan „Red Devils“. Da ich einer der jüngeren von der „Seerose“ war, fühlte ich mich im Prinzip fast mehr zu denen hingezogen als zu den eigenen Leuten von der „Seerose“. Und ich hatte auch eine Freundin, die bei den „Red Devils“ war. Deshalb war ich eigentlich fast mehr bei denen als bei meinen Leuten. Das waren junge Leute, die hatten einfach mehr meinen Musikgeschmack, die haben ihre Freizeit genau wie ich verbracht. Und sie waren körperlich einfach noch mal eine Nummer fitter.

Ich kann mich noch genau an ein Ereignis erinnern. Es war der Jahreswechsel 1979/1980. Der Fanklub „Seerose“ lud jedes Jahr zu einer legendären Weihnachtsfeier ein. Wir hatten damals bei der Tombola einen Hauptgewinn, in dem Jahr irgendeinen Ghettoblaster. Einer von unseren Jungs hat den gewonnen, hat den ins Auto gelegt und kam zwei Stunden später ganz aufgelöst zurück und sagte, man habe ihm die Fensterscheibe eingeschlagen und den Ghettoblaster geklaut. Die breite Masse war natürlich sofort der Meinung, dass dies nur welche von den Jüngeren, neu Dazugekommenen gewesen sein konnten. So was mache doch keiner von uns. Man muss wissen, dass die Jüngeren von ihnen schon in richtig schräge und obskure Geschäfte verwickelt waren. Da waren Drogenhändler dabei, die ersten Leute waren auch schon im Jugendknast etc. Das war eine ganz andere Nummer als unsere Jungs von der alten „Seerose“.

Gut, die späteren und heute noch aktiven „Red Devils“ streiten das bis zum heutigen Tag kategorisch ab. Das glaube ich ihnen auch, denn in der Gegend haben damals noch ganz andere Leute gewohnt. Aber sie nahmen das zum Anlass, ihr eigenes Ding zu machen. Sie fühlten sich von uns verraten und ungerecht behandelt. Typisches Generationsproblem, besonders und gerade auch bei Subkulturen. Sie spalteten sich von uns ab und machten dann ihren eigenen Fanklub auf, die „Red Devils“. Sie waren die erste und auch jahrelang dominierende Hooligan-Gruppe beim FCN.

Letztendlich bist du zu einer Ikone der „Seerose“ geworden. Was hat dich bis heute dort gehalten?

Die Jungs von den „Red Devils“ haben mich natürlich auch gefragt, ob ich zu ihnen übertreten möchte. Es gab übrigens auch zwei Seerosler, die das gemacht haben. Ich aber habe mir gesagt: Nein, ich bin von der „Seerose“ und das bleibe ich auch. Das ist kein Thema für mich! Vielleicht war es auch so, weil ich damals doch schon ein bisschen älter war und mir die ganze Nummer eine Idee zu gewaltbereit war. Es gab ja kein Spiel, bei dem es nicht richtig geknallt hat.

Seid ihr zusammen mit den „Red Devils“ zu den Auswärtsspielen gefahren?

Ja, wir sind meistens alle zusammen gefahren. Es gab nie eine Konkurrenz, da waren wir gemeinsam in der Sache: „Nur der FCN“. Es kam auch nicht vor, dass die einen in dem und die anderen in dem Waggon waren, das war komplett gemischt. Auswärts waren wir immer zusammen, ein unzertrennbarer und sich gegenseitig schützender Verbund. Das musste auch so sein, denn es gab ja auch Angriffe von anderen Fans auf uns. Aber ab Mitte der 1980er Jahre waren die „Red Devils“ schon die führende Kraft. Das ist der Lauf der Dinge.

Duelle nach Art „Dritter Halbzeit“

Fallen dir noch Beispiele für besondere Auseinandersetzungen ein?

Köln fällt mir hier spontan ein. Ich erinnere mich noch genau, als wenn es gestern wäre. Aus dem Zug raus, raus aus dem Bahnhof, gleich links die 40 Jahre für den Club 51 Rolltreppe hoch Richtung Domplatte. Und dann standen sie schon vor uns, die Kölner Hooligans. Die sind allerdings gleich reihenweise gefallen. Die Kölner hatten zwar quantitativ sehr viele, aber qualitativ war das nichts. Die ersten Erfolge waren schon gigantisch. In den 1980er Jahren begann auch die Freundschaft mit den Schalkern. Zusammen mit denen waren wir ein unglaublicher Mob, der in Westdeutschland seinesgleichen suchte.

Gab es zwischen den Kölnern und den Nürnbergern bestimmte Verabredungen?

Du musstest nicht viel verabreden. Es war ja klar, wann wir am Bahnhof in Köln ankommen. Und da haben sie schon auf uns gewartet. So war das eigentlich fast überall. Damals hat es ja nahezu kein Spiel ohne Auseinandersetzungen gegeben. Die Polizei hat dann immer mehr aufgerüstet und hat auch versucht, die Fans frühzeitig zu trennen. Das ist ihnen natürlich nicht immer gelungen. Zu der Zeit gab es auch noch Jagdszenen mitten im Stadion. Keine Kameras, dafür sehr viel Platz, da die Stadien fast nie ausverkauft waren.

Das klingt ziemlich nostalgisch und gewaltverherrlichend …

Was heißt gewaltverherrlichend? Ich erzähle die Geschichten nur, wie sie sich damals ereignet haben.

Hast du denn nie darüber nachgedacht, dass da einige Sachen aus dem Ruder gelaufen sind?

Klar habe ich das. Was glaubst du, warum ich mich seit 25 Jahren beim sozialpädagogischen Fanprojekt Nürnberg engagiere. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was die Jungs im Alter von 13 bis 15 Jahren bewegt, was sie antreibt, durch Deutschland zu fahren und ihre Abenteuerlust beim Fußball auszuleben. Fußball, Gruppendynamik, Reisen und Gewalt, das geht manchmal miteinander einher.

Als ich älter wurde, habe ich mir mal gedacht, dass ich meine Erfahrungen, vor allem auch die schlechten, an die jungen Leute weitergeben sollte. Deshalb engagiere ich mich auch schon seit mehr als 25 Jahren in der Jugend- und Sozialarbeit, fahre deshalb auch zu fast jedem Auswärtsspiel.

Du sprichst hier nur über die Nürnberger Verhältnisse. Ist der Prozess der Etablierung einer eigenen Hooligan-Szene in anderen Städten ähnlich verlaufen?

Ja, das kann man so sagen. In den meisten größeren Städten gab es zu dieser Zeit eine Hooligan-Gruppe. Es gab damals praktisch kein Bundesligaspiel ohne Hooligan-Ausschreitungen. Das wurde nur medial nicht so ausgeschlachtet wie heute.

Wie ging das dann eigentlich mit der „Seerose“ weiter?

Die Mitglieder der „Seerose“ haben sich nach wie vor weiter getroffen. Das Lokal gab es nach dem Abriss nicht mehr. Wir sind dann ein paar Meter weiter gezogen, haben uns dort regelmäßig vor dem Spiel getroffen. Fast alle sind weiterhin auch auswärts gefahren, der Zusammenhalt war da. Mit der Zeit und dem Alter haben wir dann nicht mehr die ganz großen gemeinsamen Aktionen gemacht. Auch mit dem Kickern und Flippern jeden Abend bis in die Puppen war es vorbei. Wir haben uns samstags am Spieltag getroffen.

Sicherlich haben auch einige von euch Familien gegründet. Sind dadurch nicht viele der „Seerose“ ferngeblieben?

Doch, schon einige. Es gab in den 1990er Jahren tatsächlich eine Phase, in der viele eine Familie gegründet haben. Sie bekamen Kinder und hatten nicht mehr die Zeit, überall mitzureisen. Auch das Geld wurde knapper. So zog sich auch der eine oder andere zurück, das muss man ganz klar sagen. Die sind zwar immer noch ins Stadion gegangen, aber waren dann irgendwo in einem anderen Block, allein mit ihrer Familie. Erst so 1997/98, als wir in die 3. Liga abgestiegen sind, da waren viele plötzlich wieder da.

Fanszene im Hier und Jetzt

Was empfindest du, wenn du nach diesen Erlebnissen an die augenblicklich sehr intensiv geführte Gewaltdebatte denkst?

Das ist eigentlich ein Witz. Es ist lächerlich und auch ein Stück weit verlogen. Mir wird oft vorgeworfen, dass ich das Ganze verharmlose, aber ich frage dann, was ich verharmlosen soll. Ich weiß, wie es früher war, und wenn ich das mit heute vergleiche, dann ist das für mich eben harmlos. Wir hatten damals die schrecklichsten, diffamierendsten Gesänge, da hat sich niemand drum gekümmert. Und stell dir mal vor, wir konnten in den 1970er und 1980er Jahren das komplette Feuerwerkssortiment mit ins Stadion bringen. Das war kein Problem. Da gab es Stifte, die aussahen wie Kugelschreiber. Vorne konnte man wahlweise einen Vogelschreck (das nannte man damals so, weil es dafür eigentlich gedacht war) – also Böller – oder eine Feuerwerksrakete draufsetzen und dann in die Luft schießen. Wir haben im Fürther Ronhof den ersten Spielabbruch im deutschen Fußball provoziert. Als dem Schiedsrichter eine Leuchtrakete genau vor die Füße flog, hat er das Spiel der zweiten Liga (Saison 1972/73) abgebrochen. Unfassbar, wenn ich heute darüber nachdenke. Aber so war das damals halt.

Wie erlebst du diesen schon seit Jahren anhaltenden Hype im Fußball? Jeder redet darüber, mal mit mehr, mal mit weniger Ahnung …

Dafür muss ich ein wenig ausholen. Als ich angefangen habe, zum Fußball zu gehen, war Fußball so unpopulär und unangesagt, das kann man sich heute gar nicht vorstellen. Fußball galt schlichtweg als primitiv. Das war wirklich so. Meine Klassenkameraden in der höheren Schule haben dann immer gesagt: „Was, zum Fußball gehst du? Das ist ja asozial!“

Denen war ja nur das öffentliche Bild bekannt, dass Fußballfans immer besoffen sind, sich prügeln und nur Krawall suchen. Fußball zu dieser Zeit war nur was für die ungebildete Unterschicht und Krawallmacher. Ich weiß zum Beispiel, wie Leute, die studiert haben oder angesehene Berufe hatten, mit hochgezogenem Kragen am Block 8 standen. Immer in der Hoffnung, dass sie niemand erkennen möge. Man hat sich regelrecht geschämt, Fußballfan zu sein.

Früher waren auch die Zuschauerzahlen im Vergleich zu heute lächerlich. Dortmund, Schalke, 1860 und Nürnberg waren einige der größten Publikumsmagneten, mit zum Teil schon 30.000 bis 40.000 Zuschauern und das sogar in der zweiten Liga. Es gab viele Städte, da waren in den Bundesligastadien 10.000 Zuschauer, wie beispielsweise im schönen Hamburg beim HSV. Ja, der HSV hat vor 12.000 oder 13.000 Zuschauern gespielt. Im Olympiastadion konnte man sich ganz normal an der Kasse zehn Minuten vor dem Spiel eine Karte kaufen. Dann kam auch noch der Bundesligaskandal 1971 hinzu, das war dann der Tiefpunkt, da haben viele Leute erst recht gesagt, dass sie gar nicht mehr zum Fußball gehen wollen, da das alles Beschiss sei.

Aber auf einmal ging es dann langsam nach oben, Fußball wurde immer attraktiver und populärer. Ende der 1970er Jahre hat man gemerkt, dass er einen größeren Stellenwert bekam. Das lag mit Sicherheit auch daran, dass Deutschland 1974 Weltmeister geworden ist. Es gab immer mehr Menschen, die sich öffentlich zum Fansein bekannt haben. Die haben offen gesagt, dass sie Fußballfans sind. Was zu dieser Zeit immer noch sehr mutig war.

Wie sich der Fußball ab 1980 entwickelt hat, ist für mich ein Wahnsinnsphänomen. Da spielen wohl verschiedene Faktoren mit rein. Zum einen natürlich, dass Fußball gesellschaftlich immer mehr akzeptiert wurde. Der Professor hatte sich fortan als Fan des Vereins XY geoutet, hatte womöglich sogar eine Dauerkarte. Das wäre in den 1970er Jahren undenkbar gewesen. Dann hat auch noch die Nationalmannschaft ihren Teil dazu beigetragen, speziell als sie 1990 die WM in Italien gewann.

Aber eins muss ich trotzdem loswerden: Dem Typen, der erst drei Jahre dabei ist und sagt: „Nur der FCN!“, kaufe ich das genauso ab wie den alten Jungs aus der „Seerose“. Im Prinzip sind wir gar nicht weit auseinander, und das wissen und spüren die Jungen, speziell auch die Ultras. Denen liegt viel daran, uns alte Leute zu integrieren. Die Ultras freuen sich sehr, wenn wir kommen. Und das ist für uns auch eine gewisse Anerkennung oder auch Respekt, der uns da entgegengebracht wird. Bei uns gab es damals schließlich auch Leute, die sich schon nach drei Jahren „FCN“ tätowieren ließen. Halt nur nicht so kunstvoll wie heute.

Was unterscheidet die Ultras Nürnberg im Jahr 2012 von dem Fanklub „Seerosen“ im Jahr 1972?

Eigentlich gar nicht so viel. Wir hatten keine Megafone und keine so straff und gut geführte Organisation wie die Ultras von heute. Das Interessante, was mich persönlich immer fasziniert hat, war auch, dass wir wirklich vom Müllmann bis zum Architekten alles dabeihatten. Das ist heute bei den Ultras genauso. Man akzeptiert und respektiert jedes Mitglied, weil jeder seine Stärken hat, die er in die Gruppe einbringt. Damals wie heute. Allerdings war es damals bei einigen, die eine wissenschaftliche Ausbildung hatten, so, dass es deren berufliches und privates Umfeld überhaupt nicht nachvollziehen konnte, wieso die zu solchen Leuten wie denen vom Fanklub „Seerose“ gingen. Ich durfte schon als kleiner Junge erleben, wie dieses gemeinsame Erlebnis Fußball uns richtig zusammengeschweißt und verbunden hat. Das war und ist für mich nach wie vor das Faszinierendste an diesem Sport. Egal ob arm oder reich, gebildet oder nicht, rechts oder links, die Liebe zu unserem Verein verbindet und das ist unter sozialen Gesichtspunkten unglaublich wertvoll und wichtig. Leider kapieren das viele Politiker bis heute nicht.

Viele kamen, viele gingen. Heino Hassler aber blieb …

Ja, so ist es. Der Club hat natürlich mein ganzes Leben geprägt. Ehrlich gesagt, gab es aber schon auch Phasen, in denen es auch mir schwer fiel, immer wieder und Samstag für Samstag dem Club treu zu bleiben. Ich hab über all die Jahre parallel einen anderen intakten Freundeskreis gehabt, der Fußball immer konsequent ablehnte. Das Ganze zu koordinieren, war manchmal schwierig für mich. Aber das, was du vorhin gesagt hast, dass Leute wegfallen, das kam immer wieder vor. Aber es waren trotzdem immer noch genug alte dabei. Und der harte Kern der Truppe, die Leute, mit denen ich damals bei der „Seerose“ zusammen angefangen habe, sind eigentlich immer noch dabei, und viele fahren auch heute noch mit 53, 54 Jahren zu Auswärtsspielen. Wir organisieren jetzt sogar wieder Busse, da sitzen dann fast 60 Leute drin, zum Teil auch schon mit ihren Kindern.

Wie ist deine Zukunftsprognose für die deutsche Fankultur?

Die sieht leider ganz düster aus. Das kann ich eigentlich gar nicht richtig begründen, das ist eher intuitiv, ein Gefühl. Ich glaube, dass die ganz große Zeit im Fußball vorbei ist, er wird in den kommenden zwei bis drei Jahren seinen Zenit überschritten haben. Ich persönlich glaube, das hat zum Teil unterschiedlichste Gründe, es gibt viele ältere Menschen, die sagen, ich habe einfach keinen Bock mehr, dass ich mich hier jetzt drei Tage beschäftigen muss, damit ich so eine Scheiß-Karte für ein Fußballspiel bekomme. Ich fahre seit 40 Jahren zum Fußball und muss jetzt hier betteln, um eine Karte für ein wichtiges Auswärtspiel zu erhalten. Zum Teil auch, weil andere damit Geschäfte machen (Vermarkter und auch Sponsoren). Die sind dann zu Recht enttäuscht und gehen dann gar nicht mehr hin. Die jüngeren Ultras werden langfristig aus den Stadien vertrieben oder freiwillig nicht mehr hingehen, weil die Stehplätze verschwinden und die Sicherheitsmaßnahmen sich immer weiter verschärfen (Nacktscanner, Ausziehen, keine Fahnen, kein Alkohol, zunehmende Kommerzialisierung usw.).

Das ist die eine Hälfte der echten Fans. Und dann gibt es noch die andere, sagen wir mal diese Event-Leute. Ich glaube, dass die auch zunehmend ein wenig satt sind. Die konsumieren den Fußball nur, sehen ihn als eine von vielen Freizeitaktivitäten. Der Fußball ist für sie beliebig austauschbar, wenn ein anderes, noch attraktiveres Erlebnis lockt. Fansein bedeutet auch, seinem Verein und dem Sport treu zu sein. In guten wie in bösen Tagen. Bisher haben die meisten nur gute Tage erlebt.

Danke dir für das Gespräch, Heino!

Fußball, deine Fans

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