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Der junge König in der Fronde

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„Gelernt“ hatte der König vom Tag des Todes seines Vaters an durch die unmittelbare Einbeziehung in die Staatsgeschäfte oder doch in die Zeremonien, für die er, als formaler Souverän, unentbehrlich war, ja eigentlich im Mittelpunkt stand: Die größte Bedeutung besaßen sicher die verschiedenen lits de justice. Zwar war es nicht der minderjährige Herrscher, der seinen Willen kundtat, sondern die Regentin oder aber der Kanzler. Doch die Gegenwart schon des Vierjährigen war zwingend erforderlich. Und auch bei kleineren Staatsakten war der König als zeremoniell entscheidende Gestalt zugegen, etwa bei Botschafterempfängen, der Entgegennahme von Akkreditierungen. Darüber hinaus wurde Ludwig von Regentin und Kardinalpremier früh auch in die gewöhnlichen Regierungsgeschäfte einbezogen und etwa an den Ratssitzungen beteiligt. Selbst das Aktenstudium lernte er so schon vor der Volljährigkeit kennen.

Neben diesen Regelmäßigkeiten allerdings stand Ludwigs nachhaltiges Erleben von Unregelmäßigkeit, ja von Unruhe und Umsturz. So wie der französische Hof erfuhr auch der zehnjährige König 1649 von Prozess und Hinrichtung, denen ein anderer Monarch unterworfen worden war: Karl I. von England, der Gemahl von Ludwigs Tante, die infolge des englischen Bürgerkriegs daher auch schon geraume Zeit zuvor in Frankreich Zuflucht gesucht hatte. Das unerhörte Ereignis machte dort umso mehr Eindruck, als auch das französische Königtum gerade eine schwerwiegende Krise durchmachte: nämlich den letzten französischen Bürgerkrieg, die Fronde. Die Erfahrung sollte den König nachhaltig prägen, und das aus gutem Grund.21

Die Fronde hatte im Wesentlichen zwei Wurzeln, die miteinander im Zusammenhang standen: Zum einen waren dies die fortdauernden, sich noch verstärkenden Kriegslasten. 1648 war zwar der eine, der „deutsche Krieg“ beendet worden. Der Krieg gegen Spanien aber dauerte an, Steuern und Abgaben hatten sich im Lauf der Regierung Ludwigs XIII. mehr als verfünffacht, sie lasteten schwer auf dem Land und nicht zuletzt auf den Städten, d.h. den Stadtbürgern.22 Weder hatte 1642/43 der Tod Richelieus und des Königs daran etwas geändert noch der große Sieg von Rocroi. Und 1648 schien wiederum der Westfälische Frieden – mit Kaiser und Reich – nichts zum Besseren zu wenden. Daneben stand dann das Legitimitätsproblem der Regierenden: Die Regentin, die aus Spanien stammte, und ihr Premierminister, der Italiener war und nicht einmal von prominenter Geburt, konnten den Zweifeln an Kriegskurs und Kriegslasten nur mit einer begrenzten Autorität begegnen. Da nutzte es auch wenig, den minderjährigen König in den Vordergrund zu stellen und wiederholte lits de justice abzuhalten, um von den parlements die Registrierung, also die formale Anerkennung königlicher Finanzgesetze zu verlangen.

Vor allem das parlament de Paris wurde zum ersten wichtigen Forum der Unzufriedenheit und zum politischen Akteur: Es erhob Forderungen nicht nur zur Rücknahme von Steuern und Abgaben, sondern auch zur Stärkung der Freiheit des Einzelnen gegenüber staatlicher Gewalt. Nicht länger als einen Tag sollte ein Untertan der Krone festgehalten werden können, ohne einem Richter vorgeführt zu werden – eine direkte Folge etlicher anklageloser Verhaftungen, die die parlements und die hinter ihnen stehende Öffentlichkeit hatten einschüchtern sollen. Die Maßnahme wurde in 1679 unter dem Begriff der Habeas-corpus-Akte tatsächlich Gesetz, allerdings in England. Taktische Rückzüge der Krone entspannten die Lage nicht, die Stimmung in Paris erinnerte offenbar an das Jahr 1588, als in der Hauptstadt der religiöse Bürgerkrieg zu offenem Aufruhr gegen die Politik König Heinrichs III. geführt hatte: Die Regentin, der junge König und der Hof verließen die Hauptstadt.23

In der Folge gesellte sich zur Revolte der Richter diejenige der Prinzen, d.h. der hohen Adeligen und vor allem jener von königlichem Geblüt. Sie teilten die Forderungen der parlements nur begrenzt, wollten aber die Stunde nutzen, um ihre bis dahin marginalisierte Machtposition auf Kosten der Krone wieder zu stärken. Und als Mittel dazu galt es vor allem, den Kardinal Mazarin zu vertreiben, den verhassten Ersten Minister. Den wichtigsten Part hierbei hatte das Haupt der jüngeren Nebenlinie der Bourbonen, der Prinz Condé, der sich gegen die Spanier einen Namen als Feldherr gemacht hatte.24

Mazarin war von Richelieu als Nachfolger „aufgebaut“ und von Ludwig XIII. benannt worden. Dieser hatte ihn auch zum Paten des dauphin bestellt, und zwar durchaus nicht als bloßen Stellvertreter des Papstes.25 Beide, König und Kardinalpremier, hatten Mazarin als vorzüglichen Diplomaten erkannt, der ihre politische Konzeption einer starken Krongewalt teilte und der sie nach ihnen verteidigen würde. Anna von Österreich hielt an ihm fest, da sie in ihrer neuen Rolle als Regentin auch diese Konzeption übernahm, da sie ihn persönlich schätzte – Spekulationen, ob oder ggf. wann beide ein Liebespaar geworden sein sollten, sind freilich müßig –, nicht zuletzt aber, da sie wusste, dass er als Ausländer, von geringer Geburt, ohne jedes französische Netzwerk, einzig und allein von ihrem Vertrauen abhing. Dies war freilich auch seine Schwäche.

Die französischen Eliten waren es in gewisser Weise gewohnt, von einem Gespann aus Monarch und Minister regiert zu werden. Allerdings waren sie es nicht unbedingt gutwillig gewohnt. Schon Richelieu hatte als „zweiter Mann im Staat“ alle Pfeile auf sich gezogen, war zum Gegenstand etlicher Verschwörungen geworden.26 Und die Stellung eines solchen Favoriten war stets prekär: Er agierte als ausführender Arm seines Herrn – oder seiner Herrin – und wurde essenziel von dessen Vertrauen ins Amt befördert und dort gehalten. Politische Härten schrieb man auf sein Konto, und oft gingen sie auch tatsächlich auf ihn zurück. Er war, war er Minister, für die unangenehmeren Entscheidungen zuständig und für deren Durchsetzung bzw. Vertretung: sowohl innenpolitischer „Schild“ des Königs als auch, notfalls, Sündenbock. Königliche Gnadenerweise – die Gegenleistung – erhoben ihn dafür über die meisten Konkurrenten. Richelieu hatte, anders als in früheren Konstellationen, sowohl das Vertrauen des Herrschers monopolisiert als auch, weitgehend, dessen Gnadenerweise. Eine einzigartige Stellung, in der Mazarin ihm nachfolgte. Beliebtheit konnte daraus in beiden Fällen nicht resultieren. Anders als der Kardinal aus respektablem französischen Provinzadel galt der aus Italien jedoch der französischen Elite schlicht als nicht satisfaktionsfähig. Richelieu war von seinen zahlreichen Feinden gefürchtet worden, Mazarin wurde verachtet, zumindest bis zum Ende der Fronde.


Der Mentor: Kardinal Jules Mazarin, erster Minister Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV. von 1642 bis 1661. Gemälde nach Philippe de Champaigne.

Die Fronde brachte die Monarchie ins Wanken. Auf einem der Höhepunkte, im Februar 1651, hatte man Vertreter der Pariser Bürgermilizen ins Schlafzimmer des Königs einlassen müssen, damit sie sich überzeugten, dass der Monarch noch unter ihnen sei bzw. in ihrer Hand … Mazarin war gezwungen, zeitweilig nicht nur das Amt, sondern das Land zu verlassen. Hunderte, Tausende Spottschriften gaben den Minister der Lächerlichkeit preis. Und die Regentin machte etliche weitreichende, freilich stets nur taktische und vorübergehende Zugeständnisse.27 Dass die Bewegung trotz alledem letztlich wieder zusammenbrach, dass Frankreich sich nicht dem Modell der ständischen Monarchie zuwandte, in dem die Macht der Krone sehr viel weitergehend ausbalanciert worden wäre, als dies so der Fall war, hatte verschiedene Gründe: Eine Rolle spielten sicher militärische Entscheidungen, eine andere die strukturellen Uneinigkeiten zwischen Prinzen, parlements und öffentlichem Protest bzw. namentlich die Rivalität unter den Prinzen selbst. Der Onkel des Königs, Gaston von Orléans, seine Cousins, die Prinzen Condé und Conti, die Herzöge von Beaufort oder von Longueville oder auch die großen Magnaten nicht-königlichen Geblüts hatten eben sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wem die Zentralposition im Machtgefüge des Landes zukommen sollte – und, vor allem, wem nicht! Auf der anderen Seite stand eine vergleichsweise ge- und entschlossene Politik der Regentin, Mazarins und deren größte Trümpfe: die Autorität und Legitimität des Königs, dessen Ausstrahlung und nicht zuletzt dessen Gnadenerweise schließlich größer oder mehr wert waren, als die von rebellierenden Prinzen. Ihm und also auch seiner Regierung wandten sich, je länger die Auseinandersetzung währte, die moderateren Kräfte im Land und gerade das städtische Bürgertum wieder zu, nicht allein, aber eben auch in Paris.

Die Fronde und entfernt auch die englische Revolution hielten für den jungen Ludwig XIV. verschiedene Lektionen bereit. Nicht nur das Eindringen der Aufrührer in sein Schlafzimmer vergaß er nicht. Auch dass Condé, auf der Höhe seines militärischen Ruhmes, dem noch minderjährigen Monarchen den üblichen Gruß und Respekt verweigerte, sollte sein Verhältnis zu diesem Cousin dauerhaft prägen und belasten, so, wie auch das zu den übrigen Vertretern der Nebenlinien. All dieses, die je nach Situation bedrängenden, erpresserischen, zum Teil als beleidigend gewerteten Forderungen der parlements oder der Prinzen, bildete einen Erfahrungshintergrund, der zu weitgehenden Konsequenzen führte: Von keiner dieser Seiten und auch von keiner anderen würde Ludwig jemals mehr Bedrohung oder gar Einschränkung der königlichen Gewalt dulden. Niemals würde er in die Nähe der Bedrängnis Karls von England geraten. Denn neben diesen überwundenen Bedrohungen stand natürlich die Erfahrung des Sieges, ja sogar des Triumphes. Ludwig hatte erlebt, dass und wie die Autorität des Monarchen wirkte – wie er selbst wirken konnte: Schon der Wille der aufrührerischen Pariser, sich der Person des Königs zu versichern, hatte ihm seine enorme Bedeutung vor Augen geführt. Im Oktober 1652 öffnete Paris dem König und dessen Truppen dann wieder die Tore und empfing den Souverän mit Begeisterung. Und er hatte erfahren, was Konsequenz ausmachte, die unbeirrbare Vertretung einer, seiner Position. Ein feierlicher Einzug von König und Regentin sowie ein ostentativ prunkvolles, demonstrativ im Louvre abgehaltenes lit de justice besiegelten schließlich die Unterwerfung der Richter und der Prinzen unter des Königs Majestät.28 Condé und einige andere freilich, die nach dem Scheitern der Fronde in die Spanischen Niederlande gegangen und dort in spanische Dienste getreten waren, sollten erst Jahre später nach Frankreich zurückkehren können: nach dem Pyrenäenfrieden von 1659.

Ludwig XIV.

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