Читать книгу Ein Nussknacker zum verlieben - Martina Brunnert - Страница 5
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ОглавлениеAls Maren aufwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wo sie war. In ihrem Kopf spielten mehrere Schlagzeuge ein Battle gegeneinander. Es pochte in den Schläfen und in ihrem Hinterkopf. Ihre Zunge klebte ihr am Gaumen fest. In ihrer Magengegend hatte sie ein unwohles Gefühl.
Eine Flasche Champagner und vier Sahnetörtchen sind wohl keine gute Kombi, dachte Maren gerade, als sie Geräusche hörte, die eindeutig von der Eingangstür stammten. Irgendjemand machte sich an ihr zu schaffen.
Thomas!, schoss es Maren durch den Kopf. Mist, sie war ja auch so blöd gewesen und hatte ihm seine Schlüssel hinterher geschmissen. Gerade jetzt, wo sie in ihrem Elend so manövrierunfähig war, wollte sie nicht, dass Thomas sie so sah. Diesen Triumph gönnte sie ihm nicht. Der letzte Rest von ihrem Stolz brachte sie dazu, aufzustehen, um dem Unvermeidlichen entgegenzutreten. Maren schnappte sich die leere Champagnerflasche. Sie schaffte es, voller Würde bis in den Flur zu humpeln, da schwang die Tür auf. Die Flasche hielt sie wie einen Baseballschläger in die Höhe.
Thomas stand nicht im Türrahmen. Er war tatsächlich nicht zurückgekommen. Teils sichtlich erfreut, teils maßlos enttäuscht, sah sie in die Gesichter ihrer Eltern.
„Maren!“, rief ihre Mutter.
„Mama? Papa? Was macht ihr denn hier?“
„Geht es dir gut? Was ist passiert? Wo ist Thomas? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht! Du rufst normalerweise nicht morgens um halb drei bei uns an und weinst“, entgegnete Frau Förster.
„Oh“, sagte Maren betroffen. „Ich wollte euch nicht beunruhigen. Nur … es ist … Ich brauche jemand zum Reden, weil …“
Weiter kam Maren nicht, denn da hatte ihre Mutter sie schon in den Arm genommen und die Tränen übernahmen wieder die Kontrolle über sie.
„Ach, Kind, nun sind wir ja da, und kannst uns erzählen, was passiert ist“, sagte Frau Förster mit tröstender Stimme und schob ihre Tochter behutsam in Richtung Wohnzimmer.
„Ich mach dann mal Kaffee, ich glaube, den können wir jetzt alle gut gebrauchen“, sagte Papa Förster, ehe er in der Küche verschwand und den Kampf mit dem modernen Kaffeeautomaten aufnahm.
„So eine Gemeinheit hätte ich ihm nicht zugetraut!“, schniefte Maren in den Armen ihrer Mutter, nachdem sie ihr furchtbares Erlebnis vom Vortag erzählt hatte. „Ausgerechnet am letzten Arbeitstag vor unserem Sommerurlaub tut er mir das an. Wer weiß, wie lange das schon geht mit dieser … dieser … blöden Kuh. Heute wollten wir in dieses romantische Hotel in die Provence reisen. Ich hatte mir das so schön vorgestellt im Domaine de Bournereau. Und ich Idiotin habe gehofft, er würde mir dort endlich einen Heiratsantrag machen.“ Es tat Maren gut, sich endlich alles von der Seele zu reden. Schon früher hatte sie mit ihren Eltern über alles reden können. Sie hatten immer eine Lösung parat, auch wenn es nicht immer die beste war. Dennoch waren sie stets um das Wohl ihrer Tochter bemüht.
„Ach, Kind“, seufzte Marens Mutter und strich ihr mitfühlend über den Rücken.
„Wenn ich diesen Thomas in die Finger bekomme, dann kann der aber was erleben“, brummte Herr Förster. „So eine Kanaille. Kann nicht mal einen Nagel in die Wand hauen und dann so was. Ich hätte mir ja schon denken können, dass der was auf dem Kerbholz hat.“
„Kurt, lass gut sein. Es bringt Maren auch nicht weiter, wenn du Thomas schlecht machst“, lenkte Frau Förster in die Schimpftirade ihres Mannes ein. Wenn es um seine Familie ging, insbesondere um sein ‚kleines Mädchen‘, konnte ihn nichts stoppen. „Lass uns jetzt lieber überlegen, wie es weitergeht.“
„Es ist trotzdem gut, dass du ihn gestern gleich rausgeschmissen hast, diesen Halunken“, wetterte Marens Vater weiter. „Sonst hätte ich ihn heute rausbefördert. Oder …“
„Kurt!“, sagte jetzt Frau Förster energischer zu ihrem Mann. Was Herrn Förster augenblicklich verstummen ließ. In den letzten dreißig Jahren hatte er gelernt, wann er am besten den Mund halten musste, um es sich nicht mit seiner Frau zu verderben.
„Maren, wir sind ja auch quasi auf der Durchreise. Sozusagen, auf dem Weg in unseren Urlaub“, wandte sich Frau Förster wieder an ihre Tochter. „Wir haben nur einen kleinen Umweg gemacht, um zu sehen, was mit dir los ist. Darum sind wir heute früh nach deinem Anruf gleich aufgestanden und sind zu dir gefahren.“
„Ach so“, murmelte Maren. „Hatte ich ganz vergessen …“ Solche Umstände hatte sie ihren Eltern nicht machen wollen. Sie hatte nur etwas Trost in ihrem Elend gebraucht. Betrübt fuhr sie fort: „Macht euch um mich keine Sorgen, ich bin schon ein großes Mädchen. Ihr habt euch euren Urlaub verdient. Fahrt also ruhig.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob wir dich jetzt allein lassen sollten“, entgegnete ihre Mutter.
„Das meine ich auch“, warf ihr Vater ein. „Du hast doch jetzt auch Urlaub, warum kommst du nicht einfach mit uns mit? Das wäre doch schön, so wie früher!“
„Papa, ich bin doch keine zwölf mehr“, maulte Maren, dennoch war sie neugierig geworden. „Wo fahrt ihr denn hin?“
„Wir fahren nach Südtirol. Und ich finde, dein Vater hat recht. Das ist die beste Lösung für uns alle, oder willst du die nächsten drei Wochen hier allein in deiner Wohnung bleiben, wo dich alles an Thomas und an gestern erinnert? Nein, du brauchst jetzt einen Tapetenwechsel, damit du etwas Abstand gewinnst.“
„Südtirol? Ach, du meine Güte! Mit Wandern und so? Also, ich weiß nicht.“ Maren fand diesen Vorschlag nicht besonders einladend. Aber ihre Mutter hatte recht. Alles hier in der Wohnung würde sie an die schöne Zeit mit Thomas und den furchtbaren gestrigen Nachmittag erinnern. Und wo sollte sie sonst hin? Allein in die Provence fahren? Nein, auf gar keinen Fall! Zum Glück hatte sie auf eine Reiserücktrittsversicherung bestanden.
Ach, was soll’s, dachte sich Maren, der Urlaub ist sowieso verdorben, dann kann ich auch mit meinen Eltern nach Südtirol fahren.
„Also gut“, sagte Maren zu ihren Eltern. „Ich muss aber noch packen und im Reisebüro anrufen. Ach, und da wäre noch etwas. Ich habe Angst, dass Thomas vorbeikommt und mir die Wohnung ausräumt. Immerhin hat er seine Schlüssel.“
„Das lass meine Sorgen sein“, erwiderte Marens Vater. „Kümmert ihr euch um die Koffer und um das Reisebüro.“
Nach dreieinhalb Stunden saßen sie alle endlich im fast überladenen, himmelblauen Mercedes Benz, Baujahr 1985 – dem ganzen Stolz von Vater Förster.
Trostlos kauerte Maren auf dem ledernen Rücksitz und schaute aus dem Fenster.
Wie tief bin ich gesunken?, dachte sich Maren. Trotzdem war sie dankbar, jetzt nicht allein in ihrer großen, schicken Wohnung zu sein.
Das Packen ihres Koffers war ihr nicht leicht von der Hand gegangen. Sie hatte möglichst viel Freizeitkleidung eingepackt. Dort, wo sie hinfuhr, benötigte Maren weniger schicke Kleidung. Statt ihrer High Heels hatte sie Turnschuhe, Flip-Flops und immerhin ein Paar schickere Sommersandalen mitgenommen. Nur ihr neues Kleid, das sie gestern in der Boutique gekauft hatte, um für den besonderen Moment bezaubernd auszusehen, hatte Maren samt Plastiktragetasche stiefmütterlich in dem Koffer verstaut.
Auch mit der Stornierung der Reise hatte alles reibungslos geklappt. Marens Nase war vom vielen Weinen so verstopft gewesen, dass die Angestellte vom Reisebüro die vorgetäuschte Sommergrippe ihr problemlos abgekauft hatte.
Nach einem kleinen Frühstück, das alle gut hatten gebrauchen können, hatte Marens Vater ihren Koffer zum Wagen in die Tiefgarage runtergebracht. Als sie mit dem Fahrstuhl nach unten gefahren war, hatte Maren gedacht: Es geht mit mir buchstäblich bergab. Was für eine Ironie des Lebens. Über diese Erkenntnis war eine dicke Träne aus dem großen Ozean ihrer blauen Augen gekullert.
Nun saß sie im Auto ihrer Eltern, mit verquollenen Augen und einer vom vielen Schniefen verstopften Nase, während sie den Messeschnellweg in Hannover in Richtung Autobahn fuhren.
Vorn saßen ihrer Eltern, und im Radio sang Helene Fischer auf NDR 3 inbrünstig ihr ‚Atemlos‘, das ihre Mutter summend mitbegleitete. Hoffentlich war das kein Fehler, dachte Maren, als sie auf die A37 Richtung A7 fuhren.