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Herr Billabong

„Halt, junger Mann!“ Erik spürte, wie sich von hinten eine Hand fest in seine Schulter krallte und ihn zurückhielt. „Stehen geblieben!“, donnerte die fremde Männerstimme.

Schon brauste ein Fahrzeug hupend mit tausend Sachen an dem seltsamen Paar vorbei und verspritzte graubraunes Regenwasser.

„Das ist ja gerade noch mal gut gegangen“, atmete der Mann erleichtert auf.

„Erik, um Himmels willen, Erik, was machst du denn da?“ Von hinten hetzte Eriks alleinerziehende Mutter Stefanie herbei, die mit Einkaufstaschen schwer beladen war. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, du möchtest an der Straße auf mich warten“, schimpfte sie keuchend und gleichzeitig besorgt. „Bevor du eine Straße überquerst, musst du immer stoppen, schaue erst nach links, dann nach rechts, und wenn kein Auto kommt, dann kannst du gehen“, erklärte sie nun mit etwas ruhigerer Stimme. „Wie kann ich Ihnen nur danken?“, fragte sie den Herrn, der Erik vor Schlimmerem bewahrt hatte.

„Ach, keine Ursache“, erwiderte der Mann. „Das ist doch selbstverständlich“, fügte er hinzu.

„Dass wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereiten, tut mir sehr leid! Ihre Schuhe, Ihre Hose und Ihr Mantel sind ja von dem schmutzigen Pfützenwasser total verunreinigt. Darf ich Sie wenigstens zu einem Kaffee einladen?“, fragte Stefanie dankbar mit schuldbewusster Miene.

„Nein, vielen Dank, aber das ist wirklich nicht nötig.“ Der Mann zog lächelnd und wortlos den Hut, bevor er die Straßenseite wechselte.

„Gerne würde ich Ihnen eine kleine Aufmerksamkeit zukommen lassen, wo kann ich Sie erreichen?“, rief Eriks Mutter dem Fremden nach.

Als dieser den anderen Gehsteig erreichte, drehte er sich noch einmal kurz um und rief: „Ich wohne dahinten in der großen Villa, ganz oben.“ Dann setzte der Mann seinen Weg eilig fort. Offenbar wohnte der Unbekannte in dem vornehmsten Haus der Straße, in der auch Eriks Mutter eine Altbauwohnung gemietet hatte. „Das tust du nie wieder, Erik, versprich mir das bitte“, flehte Stefanie mit autoritärem Unterton.

„Nein, das mache ich nie wieder“, antwortete der Junge verschämt.

„So, und jetzt rasch nach Hause!“ Als die beiden die Wohnungstür öffneten, erwartete sie gespannt Isabel, Eriks ältere Schwester, die neugierig den Grund für seine schmutzigen Sachen erfahren wollte. Ein wenig Schadenfreude konnte die Fünfzehnjährige nicht unterdrücken, als sie hörte, was ihrem Bruder soeben widerfahren war, wenngleich auch die Freude darüber, dass nichts Ernsteres geschehen war, überwog.

Nachmittags schlich sich der kleine Wirbelwind trotz der „kalten Dusche“ noch mal aus der Wohnung, um wissbegierig nachzuschauen, wo der fremde Mann denn genau ganz oben wohnte. Erik lief also die Straße hinunter und lugte verstohlen auf das Klingelschild des mehrstöckigen Prachtbaus – dort las er ganz oben das Wort Billabong.

„So heißt der Mann also“, murmelte Erik vor sich hin.

Da er Neuigkeiten selten lange für sich behalten konnte, platzte es sofort aus ihm heraus, als er wieder zu Hause eingetroffen war. „Wisst ihr, wie er heißt?“, fragte er Mutter und Schwester.

„Wer?“, gaben die beiden einstimmig zurück.

„Na, der Mann von vorhin“, erläuterte der Junge und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Billabong!“

„Wie, er heißt Billabong? Das soll ein Name sein?“, spottete Isabel. „Da schaue ich gleich mal bei Google nach.“ Schon verschwand sie vorübergehend in ihrem Zimmer.

„Klingt irgendwie nach Ausland, aber so sah er mit seinen blonden Haaren und den blauen Augen gar nicht aus“, wunderte sich Stefanie.

„Billabong heißt in der Sprache der Aborigines Wasserloch, konnte ich herausfinden. Vielleicht stammt er aus Australien oder so“, überlegte Isabel.

„Mama, was ist ein Aborigine?“, wollte Erik wissen.

„Aborigines sind die Ureinwohner Australiens – ähnlich wie die Indianer Nordamerikas. Sie leben dicht an der Natur“, erklärte Stefanie.

Nachdenklich nahm Erik am Küchentisch Platz. „Herr Billabong, ein Australier und noch dazu ein Aborigine?“

Leicht amüsiert mutmaßte Isabel: „Vielleicht ist er ein Aborigine, der sich die Haare blondiert hat.“

„Jedenfalls hat der Mann ziemlich heftig nach frischem Heu oder Stall gerochen, das ist mir aufgefallen“, grübelte Erik laut vor sich hin.

„Sicher, der Mann wird ein Aborigine mit blond gefärbten Haaren sein, der mit seinem edlen Anzug draußen schläft und deshalb nach Heu riecht“, frotzelte Isabel.

„Vielleicht waren seine Vorfahren Aborigines. Dadurch blieb ihm der Name erhalten. Morgen werde ich für Herrn Billabong eine Schachtel Pralinen besorgen, die wir ihm zum Dank vorbeibringen und nun marsch, ab in eure Zimmer“, ordnete die Mutter an.

Am nächsten Tag standen Stefanie und Erik mit einem riesigen Kasten köstlichster Pralinen an der mächtigen Eingangstür der Villa und drückten vergeblich auf die Taste mit dem Namen Billabong. Es öffnete niemand.

Ein paar Wochen später, es musste in etwa Anfang Dezember sein, entdeckte Erik Herrn Billabong auf der anderen Straßenseite und grölte sofort: „Hallo, Herr Wasserloch!“

„Schatz, lass das sein, was soll das wieder?“, wies Stefanie den Siebenjährigen zurecht. „Guten Tag, Herr Billabong“, grüßte sie höflich, doch Herr Billabong reagierte nur mit einem etwas verhaltenen Lächeln.

Weihnachten nahte und Erik wünschte sich einen Besuch im Stadtzoo, da dieser Heiligabend vormittags noch geöffnet hatte. Dort angekommen geschah es im Australienhaus, das Erik zielsicher angesteuert hatte, dass die kleine Familie dem Weihnachtsmann begegnete, der an ein paar wenige Kinder Geschenke aus einem großen Jutesack verteilte.

Viele Besucher waren nicht mehr zugegen, als Erik, Isabel und Stefanie auf den Weihnachtsmann zutraten.

Da flüsterte Erik seiner Mutter zu: „Ich glaube, das ist Herr Billabong. Der Weihnachtsmann riecht genauso nach Heu wie er.“

„Ach, Erik, du musst nicht überall und in allem Herrn Billabong sehen, begreife das endlich“, gab Stefanie zu bedenken.

So kam, was kommen musste: Als der Weihnachtsmann einen Elefanten aus Schokolade, ein Büchlein über Kängurus und eine Familienfreikarte für einen Zoobesuch aus seinem Jutesack an den Jungen weiterreichte, prustete Erik los: „Du bist nicht der Weihnachtsmann – du bist Herr Wasserloch!“

„Bitte entschuldigen Sie, mein Sohn scheint eine blühende Fantasie zu besitzen. Vielen Dank und frohe Weihnachten“, warb Stefanie um Verständnis.

Da lüftete der Weihnachtsmann seine weißhaarige Perücke, als gerade keine anderen Besucher mehr anwesend waren. Tatsächlich kamen darunter die blonden Haare von Herrn Billabong zum Vorschein. „Ich heiße gar nicht Billabong“, enthüllte der Mann.

„Natürlich heißt du Billabong, und du schläfst bei den Kängurus, deswegen stinkst du auch nach Heu und kommst aus Australien wie die Aborigines“, posaunte Erik aus.

„Ihr Sohn ist ein aufgeweckter Bursche! Ich schlafe zwar nicht bei den Kängurus, aber ich füttere sie gelegentlich mit frischem Heu. Gestatten, mein Name ist Breitkauz, Albert Breitkauz, und ich bin hier der Zoodirektor. Heute wollte ich mir die Freude nicht nehmen lassen und schlüpfte selbst in das Weihnachtsmannkostüm, aber so ein Sohn wie Ihrer scheint zu helle für meine Maskerade zu sein“, schmunzelte der Direktor.

Mutter und Schwester waren ein wenig sprachlos wegen Eriks Entlarvung.

Herr Breitkauz äußerte schließlich die Vermutung: „Billabong, so lautet wohl das Fabrikat des Klingelblocks.“

Nun mussten alle herzhaft lachen. Weihnachten wurde diesmal ein ganz besonders.

Maren Rehder lebt in Kiel und studierte Kunst, Kunstgeschichte, Evangelische Theologie, Pädagogik und Soziologie. Schon als Kind dachte sie sich gerne Geschichten aus.

Wünsch dich in Wunder-Weihnachtsland Band 11

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