Читать книгу Wünsch dich ins Wunder-Weihnachtsland Band 4 - Martina Meier - Страница 8
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Unerfüllbare Weihnachtswünsche
In der Nacht hatte es geschneit, viele kleine Flocken, die auf den kahlen Bäumen und den Dächern liegen geblieben waren und die Straßen in ein Wintermärchen verwandelt hatten. Aber dafür hatte Mark keine Augen, vielmehr schaute er sehnsüchtig auf das Treiben seiner Freunde, die bereits um diese frühe Morgenstunde mit ihren Schlitten unterwegs waren oder sich Schneeballschlachten lieferten. Voriges Jahr hatte er zu ihnen gehört, nun aber saß er durch diesen dummen Autounfall seit gut einem halben Jahr im Rollstuhl.
Wie oft hatte er sich gefragt, warum er nur so schwachsinnig gewesen und hinter dem doofen Ball hergelaufen war, obwohl er gewusst hatte, dass es sich um eine stark befahrene Straße mit unübersichtlicher Kurve handelte. Natürlich hatte der Fahrer auch Schuld, wurde denn nicht stets gewarnt: „Hinter einem Ball kommt immer ein Kind?“ Doch das nützte jetzt auch nichts mehr. Mark war an den Rollstuhl gefesselt. Allerdings hatten die Ärzte versichert, dass es an und für sich keinen Grund geben würde, dass er nicht laufen könnte. Es müsste sich wohl um etwas Psychisches handeln. Egal, wie man es nannte, er saß im Rollstuhl und konnte sich nicht mehr bewegen.
„Guten Morgen, mein Schatz, du bist ja schon auf und ganz ohne Hilfe! Wie geht es dir denn heute?“, fragte eine besorgte Stimme hinter ihm. Es war Anne, seine Mutter, die auch kein leichtes Leben hatte, nachdem sein Vater sich von ihnen getrennt hatte.
„Mama, schau mal meine Freunde, die toben im Schnee rum und ich sitze hier am Fenster, gefesselt an den blöden Rollstuhl, anstatt mit ihnen rumzuspringen.“
„Mark, du darfst nicht so verbittert sein. Das kommt alles wieder, hat doch der Arzt versichert. Lass uns frühstücken und danach gehen wir auch nach draußen.“
„Ich habe keinen Hunger“, maulte Mark, folgte aber seiner Mutter ins Esszimmer und ließ es sich sogar recht gut schmecken, worüber diese sehr glücklich war.
Natürlich konnte sie seine Verzweiflung verstehen. Ihr selbst war es auch nicht viel besser gegangen, nachdem Oliver sie verlassen hatte. Sofort nach Marks Unfall, ehe überhaupt die genaue Diagnose feststand, hatte er von heute auf morgen die Tür hinter sich zugemacht und sie mit dem kranken Kind alleine gelassen.
„Ich kann das Elend nicht mit ansehen!“ war seine fadenscheinige Entschuldigung gewesen. Er hatte ihr alles überlassen.
Sie gab sich einen Ruck, sie durfte Mark nicht zeigen, wie es um sie stand, sie musste ihm Mut machen, ihre Probleme hatten hintanzustehen.
„Mama, können wir gleich zum großen Kaufhaus fahren? Da steht so ein netter Weihnachtsmann und dem will ich meinen Wunschzettel überreichen, obwohl ich nicht glaube, dass er meine Wünsche erfüllen kann.“
„Gute Idee, ich räume nur schnell auf, während du deinen Wunschzettel schreibst und dann geht es los!“, erwiderte seine Mutter lächelnd.
Kurze Zeit später waren sie unterwegs. Der Schnee knirschte unter Annes Füßen, als sie durch die weihnachtlich geschmückte Straße fuhren. Bald schon waren sie beim großen Kaufhaus und sahen sofort den Weihnachtsmann, umringt von vielen Kindern, die ihm alle ihre langen Wunschzettel überreichten.
Als er Mark erblickte, kam er sofort auf ihn zu und fragte: „Na, kleiner Mann, hast du auch so viele Wünsche wie die anderen?“
„Nein“, entgegneter Mark. „Ich habe nur zwei Wünsche, aber ich glaube nicht, dass man sie mir erfüllen kann.“
„Was, nur zwei Wünsche und die sollen nicht erfüllbar sein? Das wäre doch gelacht, gib mal her, lass mich mal sehen, was du dir so Außergewöhnliches wünschst.“
Er nahm den Zettel, las ihn, las ihn nochmals, dann zupfte er sich an seinem Bart und wiegte nachdenklich den Kopf. „Das sieht allerdings auf den ersten Blick wirklich so aus, als wenn es unmöglich wäre, aber, das glaube ich einfach nicht. Dass du wieder laufen kannst, ist natürlich ganz wichtig und das kommt bestimmt von selbst wieder. Aber was ist mit deinem Papa?“
„Er hat Mama und mich verlassen, als ich nach dem Unfall noch im Krankenhaus lag.“
„Nun, das war wirklich nicht nett von ihm, aber willst du ihn denn trotzdem wiederhaben?“
„Ja, ich habe ihn doch so lieb und meine Mama auch und ich wünsche mir ganz, ganz fest, dass er zu uns zurückkommt.“
Der Weihnachtsmann machte ein recht sorgenvolles Gesicht, erkundigte sich aber noch, wo Mark wohnte und wie sein Papa hieß. Dann versprach er, dass Mark auf alle Fälle von ihm hören würde.
„Meinst du“, fragte er seine Mutter, „dass er mich wirklich nicht vergisst und bei uns vorbeikommt?“
„Warum nicht, er wollte doch wissen, wo du wohnst. Aber bedenke, vielleicht hat er auch keine Zeit, da er so viele Kinder beschenken muss“, räumte seine Mutter vorsichtshalber ein, damit die Enttäuschung nicht zu groß wäre, wenn der Weihnachtsmann nicht Wort halten würde.
Die nächsten Tage saß Mark nur noch am Fenster und hielt Ausschau nach dem Weihnachtsmann. Aber weit und breit war nichts von ihm zu sehen und er wurde immer trauriger und in sich kehrt. Anne war der Verzweiflung nahe, denn sie wusste nicht mehr, wie sie ihr Kind aufmuntern sollte.
Inzwischen hatte sie einen schönen Weihnachtsbaum gekauft, im Wohnzimmer aufgestellt und auch glanzvoll geschmückt. Doch Mark betrachtete ihn gar nicht. Liebevoll eingepackte Gaben lagen ebenfalls darunter. Mark hatte sich zwar nichts gewünscht, außer eben seinen Vater wiederzuhaben und gesund zu werden. Diese beiden Wünsche konnte sie ihm wohl nicht erfüllen, hatte aber ein paar Geschenke besorgt, von denen sie überzeugt war, dass sie ihm gefallen würden.
Dann kam der Heilige Abend und Anne dachte mit Schrecken daran, wie er wohl für sie beide verlaufen würde. Die Kerzen brannten am Baum und tauchten das Zimmer in ein gemütliches Licht. Gerade wollte sie Mark zur Bescherung holen, als es stürmisch klingelte.
„Sollte das vielleicht der Weihnachtsmann sein?“, überlegte sie auf dem Weg zur Tür. Dann erstarrte sie. Tatsächlich, es war der Weihnachtsmann und wen hatte er im Schlepptau? Nicht wie üblich seinen Knecht Ruprecht, sondern ihren Mann. „Oliver, du?“, stammelte sie.
Da öffnete sich aber auch schon die Tür vom Kinderzimmer und Mark kam angelaufen und flog in die offenen Arme seines Vaters.
„Papa, Papa, da bist du ja endlich wieder. Und ich kann wieder laufen. Mama, Mama, jetzt können wir richtig Weihnachten feiern. Danke lieber, guter Weihnachtsmann. Du hattest recht, es gibt keine unerfüllbaren Wünsche.“
Seine Mutter konnte gar nichts sagen.
Oliver trat auf sie zu und bat sie um Verzeihung: „Ich habe euch im Stich gelassen, was unverzeihlich war und ist, gerade als ihr mich am nötigsten gebraucht habt. Mein schlechtes Gewissen plagte mich zwar, aber ich habe nicht gewagt, mich zu melden. Dann aber las ich im Internet den Aufruf eines Weihnachtsmannes, der verzweifelt den Vater eines kleinen Jungen suchte. Wenn dieser sich nicht melden würde, müssten er und seine Mutter bestimmt ganz traurige Weihnachten verleben. Beide hätten ihn noch lieb und wollten nur, dass er zu ihnen zurückkäme. Ja, und da bin ich nun.“
Anne sagte gar nichts. Sie konnte und wollte ihrem Mann nicht sofort verzeihen, aber wegen Mark musste es zu einer Versöhnung kommen, obwohl er sie sehr gekränkt hatte. Die Hauptsache aber war, dass ihr Kind wieder gehen konnte, so hatte der Arzt mit seiner Diagnose richtig gelegen, es war tatsächlich ein psychisches und kein gesundheitliches Problem gewesen. Zunächst sollte es aber für alle ein schönes Weihnachtsfest werden und danach könnte sie sich mit Oliver in Ruhe aussprechen.
Renate Hemsen wurde am 18. Februar 1940 in Köln geboren. Neben Lesen gehörte auch Schreiben schon immer zu ihren Hobbys, und als sie im Jahre 2000 in den wohlverdienten Ruhestand ging, da konnte sie sich voll und ganz dem Schreiben widmen – besonders im Sommer, wenn sie dies bei ihrer Freundin im Garten im Siebengebirge unter der großen Kastanie tun kann. Sie ist in diversen Anthologien vertreten und hat auch einige Gedichte veröffentlicht.