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Wegen Schneefalls abgesagt

Lukas stand am Fenster und drückte sich an der Scheibe die Nase platt. Seit Stunden schneite es nun schon und kein Ende war in Sicht. Große, dicke Flocken schwebten sacht zur Erde und deckten das Blumenbeet, das Klettergerüst mit den Schaukeln und der Rutsche und auch den restlichen Garten mit einer weißen Decke zu. Die Krokusse waren längst versunken und auch die Märzenbecher, die erst seit paar Tagen ihre Köpfchen aus der Erde gestreckt hatten, waren bereits eingeschneit. Es wirkte wirklich hübsch, musste Lukas zugeben, doch es war einfach der falsche Augenblick für Schnee, denn morgen war Ostersonntag.

Susi tapste ins Wohnzimmer und stellte sich zu ihm. „Was schaust du?“, fragte sie ihn, denn sie reichte noch nicht zum Fenster hinauf.

Lukas war schon sieben und ging bereits in die erste Klasse Volksschule. Er war mächtig stolz auf seine Rolle als großer Bruder und er nahm sie sehr ernst. Er hatte sich vorgenommen, seine kleine Schwester immer zu beschützen, sie vor Kummer zu bewahren und sie niemals zu belügen. Gerade bei zuletzt Genanntem tat er sich nun schwer. Wie sollte er Susi schonend beibringen, dass Ostern morgen ausfallen würde, denn der Osterhase würde unmöglich Susis Schnuller finden?

Vor einigen Wochen hatte Lukas begonnen, ihr Geschichten zu erzählen, der Hase spielte darin eine wesentliche Rolle. Er hatte sie frei erfunden, denn so richtig wusste er auch nicht, ob er noch daran glauben sollte oder nicht. Sein Klassenkamerad Hannes hatte ihn damit aufgezogen, als er erfahren hatte, dass sich Lukas auf das Fest und die Geschenke freute, die der Osterhase bringen sollte. Mit ernster Miene erklärte sein Freund dann vor allen anderen Mitschülern, dass es dieses Fabelwesen ebenso wenige geben würde wie den Nikolaus, das Christkind oder die Zahnfee. Alle hatten gelacht und Lukas hatte sich furchtbar schlecht dabei gefühlt. Zusammengesunken saß er an seinem Platz, grübelte darüber nach, was er soeben gehört hatte, und wollte es einfach nicht wahrhaben.

Er war noch nicht so weit, er wollte noch nicht erwachsen werden und den Glauben an die Märchen seiner Kindheit verlieren. Eisern hielt er daran fest, und um sich selbst davon zu überzeugen, dass sie stimmten, hatte er begonnen, Susi diese Geschichten zu erzählen.

Besonders mochte seine Schwester die Erzählung über die Babyhäschen, die Kinder des Osterhasen.

„Jedes Jahr im Frühling, wenn alles nach einem langen Winterschlaf wieder zu sprießen beginnt, sich der Sonne entgegenstreckt und zu neuem Leben erwacht, dann werden auch die kleinen Wildtiere geboren“, berichtete Lukas und skizzierte die Welt mit seinen Worten, bunt und prächtig, in Susis Fantasie.

„Aufgeregt hoppeln sie dann über das Feld, erkunden neugierig ihre Umgebung wie die Wälder und Wiesen, schnuppern an den ersten Blumen, die bereits blühen, und verköstigen die Früchte der Natur. Besonders lieben sie den frischen Klee und Karotten.“

Susi saß mit offenem Mund daneben, ihre Augen strahlten, als sie ihrem Bruder zuhörte. Ob dies alles der Wirklichkeit entsprach, wusste Lukas nicht genau, doch seine Mutter sagte immer zu ihm, er sollte viel Gemüse, besonders Karotten essen, damit er keine Brille bräuchte. Wenn er dann schmollend die Unterlippe vorschob und das Essen von einer Seite am Teller auf die andere schob, hakte sie immer nach: „Hast du denn den Osterhasen schon mit Brille gesehen?“

Und Lukas erwiderte dann automatisch, denn er kannte ihre Beweisführung bereits auswendig: „Nein, denn er isst brav sein Grünzeug und hat deshalb so gute Augen.“

Susi verschonte er damit, denn er hatte ein anderes Ziel vor Augen. Er fand, dass sie mit drei Jahren inzwischen zu alt für den Schnuller war. Behutsam erfand er diese kleinen, aber harmlosen Notlügen, um sie zu überzeugen, dass die Babyhäschen den Lutschi dringender als sie benötigten.

„Weißt du denn, was der kleine Hoppel macht, wenn er sich sein Pfötchen stößt?“, hatte er sie gefragt und sie hatte heftig den Kopf geschüttelt, während sie aufmerksam lauschte.

„Er nimmt es in sein kleines Mäulchen und nuckelt daran, so wie Menschenkinder es tun, wenn sie sich verletzen.“

„Ganz schön haarig“, lachte Susi, doch sie erkannte recht schnell, worauf ihr Bruder hinauswollte.

„Würde es Hoppel helfen, wenn er meinen Nini haben könnte?“, erkundigte sie sich nach einiger Weile mit ernstem Tonfall.

Seit sie sprechen konnte, hieß ihr geliebter Schnuller so, denn sie konnte das Wort damals noch nicht richtig aussprechen. Mittlerweile war es in ihrem täglichen Sprachgebrauch verankert und auch ihre Eltern nannten ihn so.

„Gewiss“, nickte Lukas und ergänzte, „wir könnten ihn dem Osterhasen mitgeben und er bringt ihn zu den Häschen.“

Diese Idee hatte sich bei Susi nun zu einem innigen Wunsch entwickelt, täglich fragte sie, wann denn nun endlich Ostern sei.

Und nun stand Lukas am Fenster und musste ihr schweren Herzens erklären, dass es morgen kein Fest geben würde, Hoppel nicht den Schnuller bekam und sie als Dankeschön vom Osterhasen keine Belohnung erhielt – wegen Schneefalls abgesagt.

Susi kletterte auf die Bank und sah nach draußen. „Oh nein“, rief sie zu nah an Lukas Ohr, sodass er glaubte, sein Trommelfell müsste platzen.

„Was machen wir denn jetzt?“ Verzweifelt fiel sie ihm um den Hals und schluchzte. So sehr hatte sich seine Schwester schon darauf gefreut, dem kleinen Häschen eine Freude zu machen, und insgeheim hatte sie gehofft, auch den Osterhasen dabei persönlich zu treffen.

In ihrer Fantasie war er ein hübscher brauner Hase mit keck dreinblickenden Augen und einem süßen rosa Stupsnäschen. Sein kleines Schwänzchen war flauschig weiß und erinnerte an einen Wattebausch. Traurig blickte sie nochmals nach draußen.

Da hatte Lukas einen Einfall. „Komm mit, hilf mir, einen Weg durch den Garten zu schaufeln. Der Osterhase kann dann ungehindert zu uns und er wird auch den Schnuller finden.“

Eifrig zogen sie sich an, liefen nach draußen und machten sich an die Arbeit. Abends, bevor es dunkel wurde, stellte Susi ein kleines Körbchen in die freigeräumte Wiese. Sie hatte es mit rosa Bändern geschmückt, einige Karotten hineingelegt und oben auf ihren geliebten Nini.

Am nächsten Morgen, als Lukas und Susi erwachten, war ihr erster Weg sofort ins Freie. Doch was sahen sie denn da: Winzige Pfotenabdrücke waren im Schnee zu sehen, die mussten dem Osterhasen gehören, denn das Körbchen war verschwunden. Stattdessen saß an dieser Stelle eine hübsche Puppe mit rosa Feenflügeln und einem pinken Kleidchen.

Überglücklich drückte Susi das Spielzeug an sich und sagte dann zu Lukas: „Schade, dass wir den Osterhasen nicht gesehen haben, aber ich bin sicher, Hoppel wird genauso viel Freude haben wie ich mit dem Geschenk.“

S. M. Syrch: 1982 geboren in Wien, aufgewachsen in Niederösterreich, Studium der Betriebswirtschaftslehre, Technisches Sicherheitsmanagement und Umweltmanagement in Wien. Mitglied im Verband Österreichischer Textautoren. 2021 erscheint der Debütroman „Mini-Me auf Kreuzfahrt“. Seither mehrere Veröffentlichungen in Sachzeitschriften und Anthologien. Derzeit arbeitet sie an ihrem zweiten Roman. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Kindern in Niederösterreich.

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