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B. Einleitung

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Wer als älterer oder alter Mensch zum Gottesdienst kommt, bringt eine Menge unterschiedlicher Erfahrungen mit, vor allen Dingen auch Erinnerungen an Vergangenes und Entgangenes. Wer als älterer oder alter Mensch nach einem Gottesdienstbesuch in seinen Alltag zurückkehrt, nimmt diese Erfahrungen und Erinnerungen zwar wieder mit, hat aber vielleicht durch ‚Gottes Dienst an sich‘ einen etwas anderen Blick für sie gewonnen oder auch neue Erfahrungen gemacht beziehungsweise neue (positive) Erinnerungen (womöglich die Erinnerung an die von Gott verheißene Zukunft) gespeichert. Wer zum Beispiel davon hört, dass Gott menschliche Dinge behutsam in sein Licht rückt und dann mit liebevollen Augen auf sie schaut, bekommt die Chance, mit ihm gemeinsam lebensförderlich veränderte Sichtweisen zu entwickeln; Altbekanntes kann so noch einmal entdeckt und ‚anverwandelt‘ werden, und weniger Vertrautes oder sogar Unbekanntes rückt eventuell etwas näher und erscheint auf diese Weise nicht mehr ganz so fremd. Und wer erfährt, dass Gott für alle Menschen, also auch für in die Jahre Gekommene, hier und heute und vor allen Dingen an der Todesgrenze neues Leben schafft, wird unter Umständen dazu befähigt, über den Horizont zu schauen und dabei die Begrenzungen der eigenen Lebensumstände gedanklich, aber auch emotional-befreiend zu überschreiten. – Gottesdienste im Altenheim, also Gottesdienste für und mit älteren und/oder alten Menschen erlangen vor diesem Hintergrund ein präventiv-unterstützendes oder sogar therapeutisches Profil. Sie laden dazu ein, die eigene (Alters-)Existenz mit allem, was daran schön und beschwerlich ist, gelten zu lassen und sie zu bejahen, weil darauf gesetzt werden kann, dass Gott (als ‚Geber und Hüter allen Lebens‘) Ja zu ihr sagt. Wo diese Einladung angenommen wird, können sich Geschwächte gestärkt und mit Beschränkungen Konfrontierte mit bislang kaum oder gar nicht vorhandenen Möglichkeiten ausgestattet fühlen. Sie sehen sich dann dazu in die Lage versetzt, menschliche Wirklichkeit (auch ihre eigene Wirklichkeit!) in der Beziehung zu Gott (neu) zu ‚ent-decken‘ und dabei sich selbst, aber auch andere in ihrem engeren und weiteren Lebensumfeld als wirkliche Menschen in Gottes Gegenwart zu ‚erleben‘. So gesehen kann jeder (Altenheim-)Gottesdienst als eine außergewöhnliche ‚Bildungsveranstaltung mit spiritueller Note‘ verstanden werden. Er führt bestenfalls zum Kontakt mit sich selbst, mit anderen und mit Gott und hilft bei der (Wieder-)Aneignung verloren gegangener oder bislang gar nicht berücksichtigter Lebensimpulse (‚Brückenfunktion‘);4 seine Wirkung ist demzufolge als Horizont erweiternde ‚Vervollständigung‘ oder auch ‚Verlebendigung‘ zu beschreiben. – Letzteres gilt auch (meines Erachtens sogar in besonderer Weise) im Blick auf Gottesdienste, deren Ausgangspunkt und Thema zunächst einmal nachdenklich stimmen und in Frage stellen;5 auch sie sollen und können zum Leben ‚in voller Genüge‘ beitragen und Lebendigkeit fördern helfen.6

Aufgrund der spezifischen Ausgangslage der gottesdienstlichen Gemeinde im Altenheim (alle Gemeindeglieder sind älter oder alt, manche auch behindert und/oder krank und viele müssen mit gesundheitlichen oder auch anderen Beeinträchtigungen leben) ist es besonders wichtig, im Gottesdienst(ablauf) auf ‚Mehrdimensionalität‘ zu achten. Es sollten möglichst viele Sinne angesprochen werden und unterschiedliche Wahrnehmungskanäle Berücksichtigung finden, denn auf diese Weise steigt die Chance, Ausfälle in bestimmten Sinnesbereichen – seien sie vorübergehend oder auch andauernd – auszugleichen und zu den einzelnen Gottesdienstteilnehmer/innen wirklich Kontakt herzustellen. Wer schlecht hört, sollte Farben, Formen und Bilder für die Augen geboten bekommen, wer schlecht oder gar nicht (mehr) sieht, akustische Anreize durch das gesprochene Wort sowie Klänge, Töne und Musik; und wer geschädigte Ohren und Augen hat, wird sich in aller Regel darüber freuen, etwas berühren, fühlen und/oder riechen zu können. Durch ein möglichst hohes und breit gefächertes Anregungspotenzial steigt nun einmal der ‚Erlebniswert‘ eines Gottesdienstes und damit auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine gottesdienstliche Feier als lebensrelevante ‚Bereicherung‘ erfasst wird und trotz vorhandener Gedächtnisschwierigkeiten erinnerlich bleibt. – Um vor allen Dingen Letzteres zu gewährleisten, empfiehlt es sich, für jeden einzelnen Gottesdienst ein zentrales Motiv auszuwählen, mit dessen Hilfe auf eine thematisch bestimmte ‚Sinn-Mitte‘ (ein ‚Generalthema‘) hingewiesen werden kann; dort, wo dieses – unter Umständen variiert – wiederkehrend eingebracht wird, entstehen positiv wirkende ‚Erinnerungs-Redundanzen‘, die so etwas wie einen ‚Roten Faden‘ oder eine ‚Leit-‚ beziehungsweise ‚Orientierungs-Linie‘ entstehen lassen.

In diesem Zusammenhang kommt den von mir so genannten ‚Mitbringseln‘ und ‚Mitgebseln‘ besondere Bedeutung zu. Sie zeigen das jeweils bestimmende Motiv, lassen bereits vor beziehungsweise zu Beginn eines Gottesdienstes erkennen, worum es inhaltlich gehen wird, und rufen nach Abschluss eines Gottesdienstes immer wieder neu ins Gedächtnis, um was es inhaltlich gegangen ist. Dazu ein paar veranschaulichende Erinnerungen:

In der Regel habe ich bereits am Montag (also ein paar Tage vor dem nächsten Gottesdienst am Freitag7) damit begonnen, ein ‚Mitbringsel‘ vorzustellen oder auch herzustellen. Ich trug zum Beispiel einen markanten Gegenstand (einen Spiegel, ein weiches Stofftier, ein dickes Seil oder Ähnliches) – ein wenig verborgen, aber doch wahrnehmbar – über den Flur oder setzte mich mit Bastelmaterial (Buntpapier, Stiften, Schere, Klebstoff und so weiter) zu den Bewohner/inne/n im Eingangsbereich und fing an, damit herumzuwerkeln. Meistens wurden meine Mal- und Bastel-Aktionen mit großer Aufmerksamkeit sowie Wissbegierde verfolgt, und schon bald ergaben sich erste Nachfragen: „Was machen Sie denn da?“ „Was wird denn das wohl?“ Und dann begann ein überaus beliebtes ‚Spiel‘ mit festen ‚Regeln‘: Ich verweigerte lachend die Auskunft, verwies aber auf die überall aushängenden Gottesdienstplakate: „Das Geheimnis wird erst am Freitag im Gottesdienst gelüftet“, hieß es dann. „Dort wird es wieder eine Überraschung für alle geben.“

Am Tag des Gottesdienstes erschien ich dann kurz vor Beginn der gottesdienstlichen Feier mit meinem ‚Mitbringsel‘ und meinen ‚Mitgebseln‘. Letztere wurden (griffbereit für ihre spätere Verteilung) im Gottesdienstraum in der Nähe des Altarsabgelegt. Ersteres kam gleich zu Beginn des Gottesdienstes zum Einsatz, wenn ich es beim Einzug hereingetragen und während des Orgelvorspiels beziehungsweise gleich danach ‚präsentiert‘ habe. Da meine ‚Mitbringsel‘ meistens ziemlich groß waren – Gebasteltes hatte im Regelfall das Format DIN A2 oder DIN A1 –, konnten fast alle Gottesdienstteilnehmer/innen problemlos erkennen, um welchen Gegenstand oder welche Gegenstandsdarstellung es sich dabei handelte. War das im Einzelfall mal nicht gegeben, wurde das ‚Mitbringsel‘ aus nächster Nähe gezeigt, zum Anfassen weitergereicht oder auch – im Ausnahmefall – mit wenigen Worten beschrieben. Anschließend erhielt es einen Platz an exponierter Stelle (beispielsweise auf der vorn im Altarraum stehenden Elektro-Orgel oder einem neben dem als Kanzelersatz fungierenden Stehpult aufgestellten Stuhl). Dort blieb es zumeist während des gesamten Gottesdienstes deutlich sichtbar stehen beziehungsweise liegen; manchmal wurde es aber auch erneut (beispielsweise während der Predigt) hochgehalten und gezeigt. Am Schluss des Gottesdienstes nahm ich mein ‚Mitbringsel‘ immer mit zum Ausgang, und so konnte es dann während der Schlussverabschiedung noch einmal von allen wahrgenommen werden. Auch nach dem Gottesdienst wurde das eine oder andere Mitgebrachte noch für längere Zeit an einer (auch für Rollstuhlfahrer/innen) gut einsehbaren Stelle im Haus ausgestellt oder bei bestimmten Anlässen (zum Beispiel einer Morgenrunde, einem Besuch in den Wohngruppen oder einem Einzelbesuch) zum Einsatz gebracht. ‚Mitgebsel‘ sind Mini-Ausgaben oder kleinformatige Variationen der großen, gleich zu Beginn eines Gottesdienstes bedeutsamen ‚Mitbringsel‘. Sie nehmen noch einmal das den gesamten Gottesdienst bestimmende ‚Motiv‘ (Thema) auf und bündeln die zentralen Predigtaussagen. Ihre Verteilung erfolgte in meinen Altenheimgottesdiensten immer im Anschluss an das Orgelnachspiel am Ausgang des Gottesdienstraumes und löste im Allgemeinen sehr viel Freude aus. Alle wollten unbedingt etwas ‚mitnehmen‘ und warteten gespannt auf das ihnen zugedachte ‚Geschenk‘. Einige Altenheimbewohner/innen fragten sogar regelmäßig nach zusätzlichen ‚Mitgebseln‘, um sie in ihren Wohnbereichen an diejenigen weiterzugeben, die nicht am Gottesdienst teilgenommen hatten. Andere beabsichtigten, ihre Angehörigen oder Bekannte zu bedenken. Durch Letzteres wurden die zunächst nur intern bedeutsamen ‚Gottesdienst-Mitgebsel‘ öffentlich und erzielten Vernetzung; sie transportierten wesentliche Inhalte gottesdienstlicher Feiern nach ‚außen‘ (in die Welt) und wirkten so kommunikationsanbahnend beziehungsweise -fördernd. Dies war zum Beispiel auch dort der Fall, wo ‚Mitgebsel‘ gesammelt und an Türen und Fensterrahmen oder auf Tischen platziert wurden, um sie immer wieder selbst anschauen oder auch von anderen bewundern lassen zu können. Wo das geschah, wurde nicht nur etwas von den Ereignissen im Haus, sondern auch von der eigenen (spirituellen) (Er-)Lebens-Welt mitgeteilt. Das Elementar-Konkrete und Gestalthafte der unterschiedlichen ‚Mitgebsel‘ war dabei besonders wichtig; es erleichterte den Zugang zur rein verbal für viele nur noch bedingt erfassbaren Botschaft von der heilsamen Nähe Gottes und machte sie ‚anschaulich‘ und damit auch ‚alltagstauglich‘.

Dazu abschließend eine Szene, die sich im Nachgang zu einem Gottesdienst zum Thema ‚(Trost-)Pflaster für die Seele‘ (hier Gottesdienst C.2) im Zimmer eines alten Herrn abspielte:

Als ich nach kurzem Klopfen und einem freundlichen ‚Herein!‘ in das Zimmer trat, sah ich, dass der Bewohner, den ich besuchen wollte, gerade mit einem Altenpfleger am Waschbecken stand und mit einem Wundverband am Arm versorgt wurde. Bevor ich sagen konnte ‚Da komme ich wohl am besten später noch einmal zu Ihnen‘, hörte ich den Satz: ‚Das passt ja richtig gut. Gestern ein Pflaster für die Seele, heute ein Pflaster für den Arm – und dann noch ein lieber Gast. Da ist wirklich für alles gesorgt!‘ Während der Bewohner mit dieser Äußerung seiner trotz Armblessur vorhandenen Freude Ausdruck verlieh, schaute er auf den Spiegel über dem Waschbecken, an dem er und sein Pfleger standen. Gut sichtbar klebte dort das ‚Mitgebsel‘ unseres letzten Gottesdienstes: Ein hellbraunes Heftpflaster auf grünem Grund mit der Unterschrift: ‚So spricht Gott: „Ich will das Verwundete verbinden und das Schwache stärken“ (vgl. Hes 34,16).‘ Am Ende meines Besuches wurde ich mit einem Lächeln und einem erneuten Blick Richtung Spiegel und Gottesdienst-‚Mitgebsel‘ verabschiedet: ‚Danke, dass Sie mir gerade noch ein Pflaster verpasst haben. Das kann ich gut gebrauchen.‘8

Dem Umstand, dass Gottesdienstteilnehmer/innen im Altenheim mit einer spezifischen, nicht immer einfachen Ausgangslage zurechtkommen müssen, ist nicht nur methodisch-strukturell über die Berücksichtigung von ‚Mehrdimensionalität‘ und ‚Motivorientierung‘ (‚Sinn-Mitte‘, ‚Generalthema‘, ‚Roter Faden‘), sondern auch strukturell-inhaltlich zu entsprechen. Ältere und alt gewordene Menschen benötigen nun einmal dringlicher als andere einen fest gefügten Rahmen, der ‚Erwartungssicherheit‘ aufkommen lässt und ‚Beheimatungsgefühle‘ entwickeln hilft. So ein ‚Stütz-Rahmen‘ kann dann entstehen, wenn folgende Faktoren berücksichtigt werden: Der Gottesdienst sollte nach Möglichkeit immer am gleichen Tag und zur gleichen Uhrzeit stattfinden. Bei seiner Planung ist daran zu denken, dass ein zusätzlicher Nachmittagstermin für die meisten Altenheimbewohner/innen angenehmer ist als ein Extratermin am Vormittag, da Aufstehen, Körperpflege und Frühstück in der Frühe bereits viele Kräfte absorbieren, das Mittagessen um 12.00 Uhr eine in gewisser Hinsicht ‚bedrängende‘ Zeitschranke darstellt und die Aufmerksamkeit nach einem erholsamen Mittagsschlaf und einer Tasse Kaffee oder Tee gegen 15.30 Uhr am höchsten sein dürfte. – Wichtig ist auch, dass der Gottesdienst möglichst an solchen Wochentagen stattfindet, an denen keine anderen Veranstaltungen angeboten werden und tatsächlich genügend Hauptamtliche und Ehrenamtliche zur Verfügung stehen, um Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der gottesdienstlichen Feier hinlänglich sicherzustellen.

Besonders wichtig für einen möglichst problemlosen Gottesdienst(mit)vollzug ist eine klar gegliederte Liturgie mit bekannten Liedern und Texten, in jedem Gottesdienst wiederkehrenden Abläufen sowie geprägten und deshalb einprägsamen (Rede-)Wendungen. – Die nachfolgend abgedruckten Gottesdienstmodelle sind alle dieser Tatsache entsprechend gestaltet; sie zielen darauf ab, Vertrautheit zu erhalten beziehungsweise (wieder) herzustellen und so Entlastung zu ermöglichen.

So wird zum Beispiel nach erfolgtem Einzug unter Orgelmusik und der oben beschriebenen Vorstellung des jeweiligen ‚Mitbringsels‘ nach Möglichkeit immer eine ‚Doppelbegrüßung‘ durchgeführt: Zunächst heißt ein leitender Mitarbeiter oder eine leitende Mitarbeiterin des Hauses die Gottesdienstbesucher/innen willkommen, danach folgt der liturgische Gruß der Pfarrerin. Ersteres ist eine Art positives ‚Vor-Zeichen‘ zum Gottesdienst, das Wertschätzung der gottesdienstlichen Feier und allen an ihr Beteiligten gegenüber zum Ausdruck bringt; Zweiteres eröffnet den eigentlichen Gottesdienst (‚Gottes Dienst an uns‘) und macht deutlich, in wessen Namen und zu welchem Zweck die Gemeinde versammelt ist.

Durch kurze Vorsprüche und verbindende Überleitungen zu einzelnen liturgischen Stücken und biblischen Texten werden im Verlauf des gesamten Gottesdienstes immer wieder Akzente gesetzt und auch Verständnishilfen angeboten. Dabei sind an der ein oder anderen Stelle außergewöhnliche ‚liturgische Rituale‘ entstanden. So wartete beispielsweise die gesamte Altenheimgemeinde auf den regelmäßig vor der Psalmlesung erfolgenden Hinweis darauf, dass der fromme Beter, der in ihr zu Wort kommt, eventuell auch eine fromme Beterin gewesen sein kann. Sobald die Formulierung ‚Sie wissen schon, was ich an dieser Stelle immer wieder sage …‘zu hören war, wurde zustimmend genickt. Etliche der Gottesdienstteilnehmer/innen sprachen das Ende meines Satzes leise oder auch laut mit (‚Vielleicht war es ja auch eine fromme Beterin!?‘) und konzentrierten sich anschließend –intensiver als es sonst vielleicht der Fall gewesen wäre – auf das, ‚was er oder sie vor mehr als zweitausend Jahren formuliert hat‘.

Die gottesdienstlichen Bibellesungen werden stets durch das gleiche anschauliche und fokussierende Gebet9 sowie ein oder zwei zusätzliche, die Hauptaussage des nachfolgenden Textes bündelnde Sätze, eingeleitet. Sie gehören (ebenso wie die erste Begrüßung vor Beginn des eigentlichen Gottesdienstes) in den Aufgabenbereich eines leitenden Mitarbeiter beziehungsweise einer leitenden Mitarbeiterin des Hauses, und das lässt erkennen, dass im Gottesdienst viele verschiedene Dienste zusammenkommen und unterschiedliche Menschen füreinander aktiv werden. Der hinführende Satz ‚Herr H./Frau G. wird für uns lesen‘ ist also keineswegs nur eine bloße Floskel, sondern wichtiger Ausdruck von Gemeinschaft und Engagement

Die Abkündigungen (insbesondere die Verlesung der Namen aller seit dem letzten Gottesdienst Verstorbenen) werden im Altenheimkontext üblicherweise sehr aufmerksam verfolgt. Da sie sich auf positiv und/oder negativ bewertete ‚Lebensbewegungen‘ beziehen, wecken sie vielfältige Emotionen und benötigen schon aus diesem Grund etwas mehr Raum. Letzterer kann unter anderem durch ein biblisches Schlussvotum (am Ender der Abkündigungen) eröffnet werden. Es sollte entweder die von Gott zugesagte Zukunft der namentlich benannten Toten beleuchten oder so ausgerichtet sein, dass es trauernd Hinterbleibende zu trösten vermag.

Die wenigen gesungenen Passagen der Liturgie (Gloria Patri und Gloria), das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser waren meiner Altenheimgemeinde (noch) vertraut und konnten dementsprechend ohne abgedruckte Textgrundlage miteinander intoniert beziehungsweise gesprochen werden; deshalb mussten sie nicht auf dem für jeden Gottesdienst neu angefertigten Liedblatt erscheinen. In ein paar Jahren könnte diese Ausgangslage allerdings schon deutlich verändert sein; dem müsste dann durch entsprechende Maßnahmen (wie zum Beispiel die Umgestaltung und Erweiterung des Liedblattes) begegnet werden.

Zum Schluss des Gottesdienstes wurde von mir im Regelfall ein Irischer Reisesegen10 gesprochen, in dem sich typische Alltagssituationen widerspiegeln; manchmal habe ich auch den Aaronitischen Segen (siehe Num 6,24-26), den viele Gottesdienstteilnehmer/innen bereits aus der Liturgie der von ihnen früher besuchten Gemeindegottesdienste kannten, verwendet. Beide Segensformulierungen waren (sowohl in inklusiver als auch in exklusiver Form) in meiner Altenheimgemeinde gleichermaßen geschätzt und gehören deshalb zum festen Grundbestand der im Folgenden abgedruckten, auf Orientierung und Halt-Vermittlung ausgerichteten Liturgien.

Auch die nachfolgend dokumentierten, bewusst kurz gehaltenen Predigten11 sind formal und inhaltlich so angelegt, dass ‚Erwartungssicherheit‘ entsteht, ‚Beheimatungsgefühle‘ entwickelt werden können und sich ‚Identifikationsmöglichkeiten‘ ergeben. In ihnen kommen an vielen Stellen Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen aus dem aktuellen oder früheren Umfeld der am Gottesdienst Teilnehmenden vor. Geschichten von damals kommentieren beziehungsweise veranschaulichen aktuelles Geschehen der Gegenwart, und Geschichten von heute knüpfen – Vergangenheit verlebendigend – an Zurückliegendem an. Es wird viel erzählt, eindrücklich geschildert und immer wieder auf wörtliche Rede zurückgegriffen. Häufig geht es dabei um typische Alltagssituationen mit besonders prägendem Charakter und hohem Wiedererkennungswert (‚Ur-[sprungs-]Situationen‘).12 Wo auf sie eingegangen wird, können die Gemeindeglieder immer wieder (neu) wahrnehmen: ‚Das kenne ich. Hier geht es um mich/uns und mein/unser Leben. Hier wird etwas verhandelt, was mich/uns betrifft und für mich/uns wichtig ist.‘ Auf diese Weise kann Interesse geweckt sowie aufrechterhalten werden und ‚Beziehungspflege‘ erfolgen. In Bezug auf Letztere ist es nicht unerheblich, dass die Gottesdienstteilnehmer/innen auch außerhalb des gottesdienstlichen Geschehens regelmäßig Kontakt mit ‚ihrer‘ Pfarrerin hatten. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte viel weniger auf gemeinsam Durchlebtes und Durchlittenes zurückgegriffen und eingegangen werden können. Da aber fast täglich Begegnungssituationen vorhanden waren, gab es einen großen Schatz geteilter Erfahrungen, der miteinander verbunden und in Beziehung gesetzt hat und zum Teil auch heute noch vorhanden ist. Aus diesem Grund wird in den nachfolgenden Predigten an vielen Stellen von ‚wir‘ gesprochen oder von Szenen ‚bei uns hier im Jacobi-Haus‘. Dies entspricht der gemeindlichen Ausgangslage intensiven Miteinanders, die eben auch dadurch bestimmt ist, dass Gemeindeglieder und Pfarrerin (Liturgin) eine ganze Menge voneinander wissen und sich über vieles vertrauensvoll austauschen können und mögen.13

Zum Schluss meiner einleitenden Vorbemerkungen möchte ich nun noch ein paar kurze Ausführungen zu den von mir im vorliegenden Gottesdienstband berücksichtigten ‚Motiven‘ und ‚Ur-(sprungs-)Situationen‘ anfügen; sie sollen einen Überblick über die verwendeten Themen und Inhalte bieten und dazu beitragen, Leser und Leserinnen meiner Liturgien sowie Predigten bei der Gestaltung und Feier eigener gemeindegemäßer Altenheimgottesdienste zu unterstützen:

 C.1 Regenbogen (Zeichen der Liebe)

Es gibt viele unterschiedliche Zeichen der Liebe: ein in Baumrinde geritztes Herz, ein Medaillon mit Foto oder Haarlocke, zwei Ringe, die zueinander gehören. Sie alle bringen Wärme und Farbe ins Leben, und die Erinnerung daran kann bis ins hohe Alter hinein Glücksgefühle vermitteln. – Für den Regenbogen gilt Gleiches: Auch er löst Freude aus, wärmt das Herz und macht graues Alltagseinerlei bunt – zum einen aufgrund seiner besonderen Ästhetik und Schönheit, zum anderen, weil er (religiös gedeutet) als Inbegriff der Nähe Gottes verstanden werden kann und so gesehen (nach biblischer Überlieferung von Gott selbst als Zeichen seiner unverbrüchlichen Menschen-Liebe leuchtend-sichtbar an den Himmel gesetzt) immer wieder neu darauf hinweist, dass der Bund zwischen Gott, dem Schöpfer, und seinen Geschöpfen fest besteht.

 C.2 Wunden; (Trost-)Pflaster

Körperlich oder seelisch verwundet und deshalb hilfs- und trostbedürftig war wohl jeder Mensch schon einmal. Wir alle wissen: Jede/r, der/die leidet, benötigt Beistand und Unterstützung. Aber besonders in der Kindheit und im Alter sind wir darauf angewiesen, gut versorgt zu sein. Wenn die eigenen Möglichkeiten begrenzt sind beziehungsweise immer begrenzter werden, ist es beruhigend, Menschen an der Seite zu haben, die helfen und trösten können und es auch tun. Auch die zugesagte Nähe Gottes kann wie ein heilendes (Trost-)Pflaster, das Wunden schützt, empfunden werden.

 C.3 Durst; (Lebens-)Wasser

Wer schon einmal richtig Durst gehabt hat, weiß, wie sehr er quält. Flüssigkeitsmangel (speziell Wassermangel) ist lebensbedrohlich und kann zum Tode führen; nur wo ausreichend Flüssigkeit (Wasser) vorhanden ist, gibt es Entwicklung und Wachstum. Diese Tatsachen aus unserem Erfahrungsalltag gelten auch im übertragenen Sinne: Wer gar kein ‚Lebenswasser‘ in Form von Liebe und Zuwendung zur Verfügung hat, ‚stirbt ab‘ und ‚verdorrt‘. Wer hinlänglich mit ‚Lebenswasser‘ ausgestattet ist, kann überleben. Und wer reichlich ‚Lebenswasser‘ (von Menschen und von Gott) erhält, hat die Chance, sich bis ins hohe Alter hinein zu entwickeln und zu wachsen.

 C.4 (Haus-)Tiere als Geschöpfe Gottes

Tiere, vor allen Dingen Haustiere, stellen für viele Menschen wichtige Gegenüber dar; sie werden auch von älter und alt Gewordenen als verlässliche Partner/innen (Freund/inn/e/n) betrachtet und dementsprechend gern gehabt (geliebt). Aber natürlich gibt es ebenso das Phänomen, dass Tiere (von Jüngeren und Älteren) ignoriert, abgelehnt oder sogar gequält werden. Letzterem steht die biblische Aussage entgegen, dass Tiere ein Teil der guten Schöpfung Gottes sind und als solcher achtsam und wertschätzend behandelt werden sollten.

 C.5 Sonnenuhr; Licht; Schatten

Sonnenuhren geben mit Hilfe von Schatten die Zeit an; sie funktionieren allerdings nur, wenn genügend Licht vorhanden ist. Dieser Umstand kann auf menschliches Leben allgemein übertragen werden: Dort, wo Schatten in Form von Negativ-Erfahrungen auftauchen, lässt sich unter Umständen auch Licht beziehungsweise eine Lichtquelle (Positiv-Erfahrung) entdecken. Letzteres kann zum Beispiel der Fall sein, wenn jemandem in einer schwierigen Situation – etwa älteren und alten Menschen im Altenheim – beigestanden und geholfen wird. Besonders die in der Bibel überlieferte Zusage der Nähe Gottes in allen Lebenslagen hat die Qualität eines erhellenden Lichtstrahls und ist in der Lage, aus belasteten Menschen ‚Kinder des Lichts‘ werden zu lassen.

 C.6 Raupen; Schmetterlinge; Verwandlung

Den meisten Menschen (gerade älteren und alten, die sich ihrer Todesgrenze immer mehr nähern) erscheint das Thema ‚Sterben, Tod und Vergänglichkeit‘ furchtauslösend und unangenehm; sie verdrängen es demgemäß und befassen sich nicht damit. Hilfreich kann es in diesem Zusammenhang sein, auf das faszinierende Gegensatzpaar von Raupe und Schmetterling zurückzugreifen und es als Analogie zu Leben und Tod zu verstehen: Wenn die Raupe sich verpuppt, vergeht sie zwar, aber es entsteht zeitgleich durch ‚Verwandlung‘ etwas Wunderbares und Neues: der Schmetterling. Bei Menschen, die sterben, ist nach biblischem Zeugnis Ähnliches möglich, wenn Gott, der Geber und Bewahrer allen Lebens, eingreift. Sie sterben und ihr (erstes) Leben findet sein Ende, aber dieses Ende ist zugleich der Anfang von etwas Wunderbarem und Neuem: dem zweiten (ewigen) Leben, das nicht mehr von Vergänglichkeit bedroht ist.

 C.7 Spiegel; Dunkelheit; Licht

Viele Menschen reagieren auf andauernde (beispielsweise jahreszeitlich bedingte) Dunkelheit negativ. Sie fühlen sich von ihr belastet, möchten, dass sie vorübergeht, und sehnen sich dementsprechend nach Licht – der Grundlage für Leben und Lebendigkeit. Wenn körperliche und/oder psychische Beeinträchtigungen zunehmen, was im Alter häufig der Fall ist, gilt dies in besonderer Weise. Nicht zuletzt deshalb ist es wichtig, älter und alt Gewordenen anhand konkreter Beispiele zu zeigen, dass und wie dunkle Lebensphasen überwunden werden können – sei es durch einen überdimensional großen Hohl-Spiegel (wie in dem italienischen Dorf Viganella), der Lichtstrahlen bündelt und speichert, oder durch Bezugnahme auf die Bibel als ‚Spiegel-Medium‘ der Nähe und Liebe Gottes, in der immer wieder davon erzählt wird, dass Gott Licht gibt und selbst Licht ist, um Leben und Lebendigkeit zu schaffen und zu erhalten.

 C.8 Ohr(en) (Hören und Gehörtwerden)

Ohren sind ganz besondere Organe; sie können Kontakt herstellen und in Beziehung setzen, aber ebenso dazu beitragen, dass jemand verletzt und ausgegrenzt wird. Das merken vor allen Dingen ältere und alte Menschen, die mitunter ein besonders empfindliches Ohr haben oder darunter leiden, dass ihre Hörfähigkeit immer stärker abnimmt und womöglich irgendwann ganz erlischt. Sie benötigen neben medizinischer Hilfe und allgemein-menschlichem Verständnis auch Unterstützung beim Herausbilden eines ‚inneren Ohres‘, das sie dazu befähigt, Zuwendung und Nähe (sei es die Zuwendung und Nähe von Menschen oder von Gott) wahrzunehmen.

 C.9 Kerbholz (Schuld)

Kein Mensch kann von sich sagen, er/sie sei niemals etwas schuldig geblieben, niemals schuldig geworden. Jede/r hat irgendetwas ‚auf dem Kerbholz‘, also irgendeine ‚Zeche nicht bezahlt‘. Im Alter wird die so entstandene Schuld(en)last von vielen als kaum zu ertragendes Übel empfunden. Nichtsdestoweniger kommt es immer wieder vor, dass gerade alte Menschen mit zweierlei Maß messen und für sich selbst Vergebung einfordern, aber im Blick auf andere kein Pardon kennen. In dieser Situation ist es lebensförderlich, darauf hinzuweisen, dass Gott denen vergibt, die einsehen, etwas falsch gemacht oder versäumt zu haben, dass er aber auch erwartet, dass diejenigen, denen vergeben wird, anderen vergebend begegnen und sich nicht nachtragend verhalten.

 C.10 Träume; Leiter; Seifenblasen

Träume können wunderbar sein, aber auch bedrängend und Angst auslösend; unabhängig davon sind sie auf jeden Fall wichtig, denn sie tragen zum Wohlbefinden in psychischer und körperlicher Hinsicht bei. Dennoch werden Träume von vielen nach dem Motto ‚Träume sind Schäume‘ als bloße Nachtgespinste oder Phantastereien abgetan und nicht ernstgenommen. Auch bei älter und alt gewordenen Menschen fehlt dementsprechend häufig ein positiv-offener Umgang mit eigenen und/oder fremden Trauminhalten. In den biblischen Geschichten, in denen Träume vorkommen, sieht es diesbezüglich völlig anders aus – so zum Beispiel in der Erzählung von Jakob und der Himmelsleiter. In ihr gilt der geschilderte Traum tatsächlich als der Anfang einer neuen Wirklichkeit, die von (zunehmender) Gottesnähe geprägt ist; das wird verständlicherweise als lebensförderlich und deshalb erwähnenswert empfunden. Ein Blick auf diese ‚andere‘ Perspektive kann dazu ermutigen, Träume generell neu wahrzunehmen und auf der ‚Traumleiter des Lebens‘ ‚nach oben‘ führende Schritte zu wagen.

 C.11 Vögel (Amsel, Drossel, Fink und Star)

Viele Menschen (auch viele älter und alt gewordene) beobachten gern Vögel; sie schauen ihnen ausdauernd beim Fliegen und Körner-Picken zu und lauschen (falls noch möglich) fasziniert auf ihre Stimmen. Und wenn die Vögel im Garten nach der Winterpause wieder zu singen beginnen, dann ist allen klar, dass sich eine neue Jahreszeit, der Frühling, ankündigt – und mit ihm zahlreiche Entwicklungsmöglichkeiten und Lebenschancen. Dieser Umstand belebt und aktiviert; er bietet eine gute Grundlage für die Erinnerung daran, dass in biblischer Tradition auch Vögel als Teil der Schöpfung Gottes angesehen werden und ihr Gesang als Jubellied auf Gott, den Schöpfer (und damit Geber und Bewahrer allen Lebens), verstanden werden kann.

 C.12 Talente (Silber und Begabungen)

Mit Talenten – unabhängig davon, ob es sich um Silberstücke oder Begabungen handelt – kann sehr unterschiedlich umgegangen werden. Manche Menschen (durchaus auch solche in hohem Alter) nutzen sie und vermehren so ihren äußeren und/oder inneren Schatz; andere lassen sie brach liegen und verhindern so positive Entwicklung. In der biblischen Geschichte von den anvertrauten Talenten wird eindrücklich gezeigt, dass die erstere Verhaltensweise Gottes Willen entspricht und zur Bereicherung menschlichen Lebens beiträgt. Mit ihrer Hilfe kann zu ‚Talentsuche‘ und ‚Talentförderung‘ in eigenen, aber auch in fremden Lebenskontexten motiviert werden.

 C.13 Hahn(enschrei); Wetterhahn

Hähne sind als äußerst aufmerksame und wachsame Tiere bekannt; sie krähen nicht nur bei Sonnenaufgang, sondern auch dann, wenn sie gestört und aufgeschreckt werden. Wer in ländlicher Gegend aufgewachsen ist, kennt diesen Umstand aus eigener Erfahrung; Stadtmenschen haben in der Regel zumindest davon gehört. Auch die Wetterhähne auf Kirchtürmen sind vielen (insbesondere älter und alt Gewordenen) – zumindest optisch – vertraut; allerdings kann nicht vorausgesetzt werden, dass allen bekannt ist, was den krähenden Hahn und den Wetterhahn miteinander verbindet. Letzteres wird durch die biblische Erzählung von der Verleugnung Jesu durch Petrus verdeutlicht. Der in ihr beschriebene und später sprichwörtlich gewordene ‚dreimalige Hahnenschrei‘ erinnert daran, dass Menschen Fehler machen, und er ermahnt zur Wachsamkeit in Bezug auf Selbsteinschätzung und eigenes Verhalten.

 C.14 Zunge

Die menschliche Zunge ist ein kleines Körperglied mit großer Wirkkraft – und zwar in negativer und positiver Hinsicht. Durch ihren Einsatz kann zum Beispiel verletzt und wehgetan, aber auch getröstet und geheilt werden: Mit der Zunge Artikuliertes ist manchmal lebensabträglich, manchmal lebensförderlich; es vermag zu demotivieren und aufzubauen. Diese Erkenntnis, die auch zum Erfahrungsschatz älter und alt gewordener Menschen gehört, kommt in vielen geflügelten Worten zum Tragen – beispielsweise in der Rede von der gespaltenen beziehungsweise doppelten Zunge und ihrem positiven Pendant, der Rede von der ‚linden‘ (Leid lindernden) Zunge, die Erfreuliches freisetzt und ermunternd wirkt. Beide Vorstellungselemente sind auch in der Bibel zu finden; sie werden in ihr entweder mahnend oder ermutigend eingesetzt, um deutlich zu machen, dass die von Gott gegebene Zunge ursprünglich als ‚Instrument des Gotteslobes‘ gedacht ist und dementsprechend ‚zum Segen’ eingesetzt werden sollte.

 C.15 Esel(eien)

Esel werden von vielen Menschen ambivalent wahrgenommen. Auf der einen Seite sind die braunäugigen Grautiere ausgesprochene Sympathieträger/innen, auf der anderen Seite stehen sie symbolisch für Sturheit und störrisches Wesen. Wer sich wie ein Esel benimmt, legt nicht gerade vorbildliches Verhalten an den Tag; sein/ihr Vorgehen ist eher hinderlich und stört gemeinschaftliches Tun. In der kurzen Geschichte von zwei zusammengebundenen Eseln, die zwischen zwei Heuballen beinahe verhungert wären, weil zunächst einmal jeder nur an sich dachte und kein planvolles Handeln im Miteinander zustande kam, wird genau dies deutlich gemacht. Egoismus (auch Altersegoismus!) führt zu nichts Gutem. Nur durch Zuwendung zum/zur anderen kann echte Gemeinschaft entstehen, in der auch Gottes Gebot von der Nächstenliebe angemessen umzusetzen beziehungsweise nachzuleben ist.

 C.16 Dreifache Schnur (Garn; Faden; Taue)

Eine einfache Schnur reißt ziemlich schnell; dreifache Schnüre sind wesentlich haltbarer. Diese auf Alltagserfahrung basierenden Aussagen sind leicht nachvollziehbar – und das auch für Menschen, die sich über mehrfach gezwirnte Fäden und gespleißte Taue bislang keine Gedanken gemacht haben. Außerdem können sie auch auf andere Lebensbereiche problemlos übertragen werden: Einzelne werden zum Beispiel schnell überhört oder übersehen; eine Gruppe von Dreien aber dringt akustisch und optisch meistens durch. Auch im spirituell-geistlichen Raum gibt es ‚Dreiheiten‘, die besonders stabil sind, so die Trias von Glaube, Liebe und Hoffnung, die in ein belebendes Kraftfeld einführt und so lebendig leben lässt.

 C.17 Schwert (Gerechtigkeit; Liebe)

Eine Mutter steht zu ihrem Kind und wird immer versuchen, Schaden von ihm fernzuhalten – selbst dann, wenn sie dafür auf ihr gutes Recht verzichten muss; bei einer Mutter gilt das Motto ‚Liebe vor Recht!‘. Dieser Grundsatz spiegelt sich in vielen Alltagssituationen, die auch älter und alt gewordenen Menschen aufgrund ihrer emotionalen Intensität gut erinnerlich sein dürften; er spiegelt sich auch in der biblischen Geschichte von Salomos Urteil, in der zwei Frauen behaupten, die Mutter eines Kindes zu sein. Salomo schlägt vor, das Kind mit einem Schwert ‚gerecht‘ in zwei Hälften zu teilen. Die wahre Mutter verzichtet auf ihren zuvor deklarierten Anspruch, um das Leben ihres Kindes zu retten; sie macht deutlich, dass Liebe mitunter auch mit Verzicht einhergeht und eine andere (höhere) Art von Gerechtigkeit möglich macht als ein scharf schneidendes Schwert.

 C.18 Frühling (Duft; Licht; Sonnenschein; Farbe)

Nach kalten, dunklen Wintertagen erleben viele Menschen, insbesondere in die Jahre gekommene, die bei Eis und Schnee oft nicht mehr vor die Tür gehen (können), den Beginn des Frühlings als etwas Befreiend-Motivierendes, das nach draußen lockt; sie spüren, dass sich überall um sie herum Neues ankündigt, nämlich neues Leben und neue Lebendigkeit: Die Temperaturen steigen. Endlich gibt es wieder reichlich Licht und Sonnenschein. Überall grünt und blüht es. Vermisste Düfte und Farben kehren zurück. Dieser Umstand kann als etwas Natürlich-Normales und Selbstverständliches wahrgenommen werden, aber auch – wie in der biblischen Überlieferung – als etwas Wunderbares, das Gott selbst jedes Jahr aufs Neue ermöglicht. Wer Letzteres tut, entdeckt im Frühling(sanfang) mehr als eine von vier Jahreszeiten; er/sie entdeckt in ihm von Gott geschenkte Zeit (‚Gottes Zeit‘) und damit Grund zu Dankbarkeit und Freude.

 C.19 Glückssymbole (Pilze; vierblättrige Kleeblätter; Hufeisen; Ferkel; Marienkäfer; Kinder)

Es gibt viele verschiedene Glückssymbole; nicht zuletzt Pilze, vierblättrige Kleeblätter, Hufeisen, Ferkel und Marienkäfer sind als solche bekannt und. Dennoch ist es gar nicht so leicht, mit einfachen Worten auszudrücken, was Glück bedeutet. Die Meisten wissen bloß zu sagen, dass es flüchtig ist und in der Regel nur kurze Zeit anhält. – In der Bibel wird Glück in deutlichem Gegensatz dazu als Ergebnis längerfristigen Beziehungsgeschehens gedeutet; es stellt sich dort ein, wo Gott einen Menschen zur rechten Zeit am rechten Ort sein lässt und dafür sorgt, dass dieser Mensch mit anderen und sich selbst im Einklang lebt. Der/die in diesem Sinne Glückliche kann/möchte nicht nur selber glücklich sein, sondern auch andere glücklich machen. Er/sie agiert mit großer Lebensfreude und erweist sich dabei als ‚Gottes-‚ und ‚Glückskind‘.

 C.20 Üble Nachrede (Federn)

Federn fliegen leicht davon; und wenn sie sich erst einmal im Wind verteilt haben, sind sie kaum noch zurückzuholen. Ganz ähnlich ist es mit bösen Worten und übler Nachrede. Auch sie breiten sich in Windeseile aus und ‚wandern‘ wer weiß wohin. Und dann richten sie womöglich großen Schaden an, verletzen und tun weh. Eine Möglichkeit, solchen Negativentwicklungen vorzubeugen, besteht darin, die biblische Mahnung, die eigene Zunge zu hüten und im Zaum zu halten, ganz ernst zu nehmen. Wer das tut, befindet sich auf einem guten Weg, dem Weg dahin, Gottes Wort zu halten und Liebe zu üben – und zwar mit Gedanken, Taten und seiner/ihrer Zunge.

4 Der hier zu Grunde gelegte Bildungsbegriff entspricht dem von Wolfgang Klafki eingeführten; er basiert auf der Annahme, dass Bildung sich dort ereignet, wo wirkliche Menschen in Kontakt mit menschlicher Wirklichkeit treten und wechselseitige Austauschprozesse in Gang kommen.

5 Siehe dazu zum Beispiel die Gottesdienste C.6 (Sterben/Tod/Vergänglichkeit), C.9 (Schuld/en), C.13 (Fehler machen), C.17 (Streit/Gerechtigkeit) und C.20 (üble Nachrede) im vorliegenden Band!

6 Dass dieses Ziel tatsächlich zu erreichen ist, habe ich nach dem im vorliegenden Buch unter C.6 abgedruckten Gottesdienst zu den Themen Sterben, Tod und Vergänglichkeit besonders eindrücklich vor Augen geführt bekommen: Etliche der mobilen Gemeindeglieder fingen im Anschluss an die gottesdienstliche Feier spontan an zu tanzen; sie erklärten ihr Verhalten damit, dass sie sich wie Schmetterlinge fühlten und dementsprechend flattern müssten. In meiner Predigt hatte ich mich auf 1. Kor 15,51c (‚Wir werden alle verwandelt werden‘) bezogen und die Vorgänge im Umfeld von Sterben und Tod mit dem Gestaltwandel einer Raupe zum Schmetterling gleichgesetzt.

7 Im Jacobi-Haus Bünde fanden Gottesdienste im Normalfall am Freitag (also unter der Woche) und nicht am Sonntag statt. So konnte gewährleistet werden, dass viele Helfer und Helferinnen zugegen waren und dass keine Kollisionen mit anderen regelmäßigen Veranstaltungen, die meistens in der Zeit von Montag bis Donnerstag durchgeführt wurden, auftraten.

8 Die hier verwendete uneigentliche, fast ein wenig derb anmutende Symbol-Sprache kommt meiner Erfahrung nach etwas häufiger bei Männern als bei Frauen vor. Sie ist in der Regel ein Anzeichen für besonderen Humor oder aber für tiefe emotionale Beteiligung, die – zum Beispiel aufgrund vorhandener innerer Hemmschwellen – nicht direkt, sondern nur indirekt zum Tragen kommen soll (‚Ich bin berührt, aber es muss ja nicht allzu deutlich werden.‘).

9 ‚Lieber Himmlischer Vater, schenke uns nun deinen Heiligen Geist, der uns dein Wort in unsere Herzen schreibe, so dass wir’s annehmen und glauben und uns seiner in Ewigkeit freuen und trösten. Amen.‘

10 ‚Der Herr sei vor dir, um dir den richtigen Weg zu zeigen. Er sei neben dir, um dich zu trösten, wenn du traurig bist. Er sei hinter dir, um dich zu bewahren vor Menschen, die manchmal voller böser Absichten sein können. Er sei unter dir, um dich aufzufangen, wenn du fällst. Er sei über dir, um dir in allen Situationen ganz nahe zu sein. So segne dich der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.‘

11 Meine Altenheimpredigten sind im Laufe der Zeit immer kürzer geworden. Und ich denke, das ist gut so, denn es entspricht den Möglichkeiten und Grenzen älterer und alter Menschen. Unter bestimmten Umständen ist weniger einfach mehr.

12 ‚Ur-(sprungs-)Situationen‘ lassen sich besonders gut mit Hilfe von Sprichwörtern, Bonmots und geflügelten Worten beschreiben und in Erinnerung rufen. Es ist deshalb kein Zufall, dass in den Predigten des vorliegenden Gottesdienstbandes insgesamt mehr als zwanzig Redewendungen aus den genannten drei Gattungen vorkommen.

13 Zum intensiven Miteinander gehört auch ein achtsamer Umgang mit Sprache im umfassenden Sinne (verbal und nonverbal). Mir war und ist es zum Beispiel ein besonderes Anliegen, die unterschiedlichen Ausdrucksformen (m)einer Gemeinde wahrzunehmen und zu verstehen. Umgekehrt galt im Jacobi-Haus Bünde im Blick auf mich ganz offensichtlich das Gleiche. Einige der Altenheimbewohner/innen kommentierten beispielsweise gern die sprachlichen ‚Sonderlichkeiten‘ in meinen Liturgien und Predigten und zeigten so, dass sie sehr genau hinhörten und mitdachten. So hieß es mitunter: „Sie sagen immer ‚Gott liebt seine Menschen.‘ Das gefällt mir.“ Oder: „Ich habe wohl gehört, dass es bei Ihnen oft heißt ‚Jesus, der Christus‘. Das ist etwas ganz Besonderes für mich.“

Leuchtend wie Gottes Regenbogen

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