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ОглавлениеA. Die Beckenhöhle als Nest
Das Becken im Körperschema
Unter Körperschema versteht man die Wahrnehmung, die ein jeder von seinem Körper hat. Es entwickelt sich schrittweise von Kindestagen an, aus dem Zusammenspiel Kinästhetischer, greifbarer und sichtbarer Eindrücke.
Die Gegenwart des Kindes während der Schwangerschaft bringt es mit sich, bestimmte Bereiche des Körpers näher zu erkunden. Als Schwangere ist man empfänglich für die inneren Abläufe kinästhetischer Natur. In den neun Monaten der Schwangerschaft und bei der Entbindung nimmt das Becken einen wichtigen Platz im Körperschema ein. Es fungiert als Nest und Empfang, es umschließt das Leben und es ist ein Übergang für das Kind: Es ist ein »heiliger« Ort, allein deshalb, weil das Leben so kostbar ist. Es ist kein Zufall, dass das Kreuzbein hinten im Becken im Lateinischen »(os) sacrum« genannt wird. Das Wort »sacrum« bedeutet zu Deutsch »heilig«.
Eine Schwangerschaft hat etwas von einem echten Initiationsritus: Das Becken, das häufig wenig Raum im Körperschema einnimmt, rückt zunehmend ins Bewusstsein, bis es die geheiligte Rolle übernimmt, die es spielt, wenn es mit dem Leben gefüllt ist und wenn es bei der Geburt zum Übergang für das Kind wird. Indem das Becken das Kind aufnimmt und dann neun Monate trägt, wird es buchstäblich zum Nabel der Welt, eine gottgleiche Rolle.
Das geht manchmal nicht ohne kleinere Schmerzen in der Symphyse (Schambein), dem Iliosakralgelenk (Kreuz-Darmbein-Gelenk) oder den Bändern ab, die Gebärmutter, Harnblase und andere Organe stützen.
Das Becken, das in der Schwangerschaft schwer trägt, beeinflusst durch seine Bewegungen, seine Haltungsänderung, seine große Beweglichkeit oder im Gegenteil durch seine Schwere, seinen Zusammenhalt, seine Nachgiebigkeit den ganzen Körper.
Nehmen Sie aber diesen Teil Ihres Körpers genauer wahr, erfahren Sie ihn besser, können Sie auch die »passenden« Bewegungen und Körperhaltungen ausfindig machen, die Ihrem Körper in der Schwangerschaft angenehm sind und Halt geben.
Sie können ihm auch erlauben, sich zu öffnen und das Kind hineinund hindurchgleiten zu lassen, und zwar mithilfe der Initiation an den zwei Türen:
◉ der Eingangstür (obere Öffnung des Beckens)
◉ der Ausgangstür (untere Öffnung des Beckens)
Anatomie und Körperwahrnehmung im Yoga
Beim Yoga dient die Anatomie vor allem der Unterstützung Ihrer Körperempfindungen. Anatomische Kenntnisse interessieren uns nur so weit, wie sie uns dabei helfen, unseren Körper von innen heraus wahrzunehmen. Versuchen Sie, Ihr Becken im Körperinneren zu visualisieren, es sich vorzustellen.
Sie sitzen auf einem Stuhl, aber wo in Ihrem Körper haben Sie wirklich Platz genommen? Antworten Sie nicht zu schnell »in meinem Becken«, denn das geschieht nicht automatisch:
◉ Da sind diejenigen unter uns, die in ihrem Kopf sitzen, denn sie sind die meiste Zeit über bei ihren Gedanken.
◉ Da sind diejenigen, die in ihrer Brust sitzen, denn sie sind oft bei ihren Gefühlen.
◉ Und schließlich gibt es die Glücklichen, die fest in ihrem Becken sitzen, die Einzigen, die wirklich stabil sind, und aufgrund dieser Stabilität vertrauen sie dem Leben.
Sie werden nun die Anatomie und Ihre ganz persönliche, häufig unbewusste Art entdecken, Ihren Körper und seine verschiedenen Bereiche zu bewohnen.
Damit auch Ihr Kind Platz in seinem Becken nehmen kann, stützen Sie seine Basis mit den Händen, wenn Sie es hochnehmen. Vorsicht: Ein Baby, das man unter den Armen hochhebt, das also die Leere unter sich spürt, wird nicht die grundlegende Sicherheit erfahren, die es braucht. Diese einfache Geste kann für das Kind bedeutsame Folgen haben: einen Mangel an Stabilität und Vertrauen in seinem späteren Leben.
Das Becken als Wegkreuzung im Körper
Das Gleichgewicht der Kräfte
Stellen Sie sich aufrecht hin, die Füße parallel und in Beckenbreite, um stabil zu stehen. Machen Sie sich nun Ihren Körper bewusst:
◉ Spüren Sie Ihr Becken und seine Beweglichkeit, indem Sie es ein wenig vor- und zurückkippen. Die Wirbelsäule ist aufgerichtet. Arme und Schultern sind entspannt. Der Nacken ist gestreckt. Richten Sie Ihren Kopf so aus, dass der Blick horizontal nach vorn geht.
◉ Kehren Sie in Ihr Becken zurück: Fühlen Sie, dass es genau in der Mitte Ihres Körpers liegt, wie eine Wegkreuzung zwischen oben und unten? Versuchen Sie zu spüren, warum das Becken in Ihrer Mitte diese Formen hat: die Form des Kreuzbeins hinten, die Form der seitlichen Beckenschaufeln, die Form des Schambeins vorn.
◉ Werden Sie sich Ihres Knochenbaus bewusst. Erleben Sie ihn wie die Ausformung von Kraftlinien. Vergessen Sie nicht: Die Funktion erschafft das Organ. Das Becken ist trichterförmig im Körper angelegt, weil es die Kraftlinien zusammenführt, die aus der Brust kommen und sich in verschiedene Richtungen spalten. So stellt das Becken ein perfektes Gleichgewicht her.
Schließen Sie die Augen und spüren Sie Ihr Körpergewicht: Es sammelt sich um die Brustwirbelsäule und den Brustkorb herum und dann im Unterleib um die Lendenwirbelsäule. Dieses Gewicht teilt sich im Becken anschließend in zwei Kräfte:
◉ eine Kraft im hinteren Teil, die das Kreuzbein ausformt und bis in die Spitze des Steißbeins reicht, dem Relikt, das an den Schwanz des Tieres erinnert, das wir einst waren,
◉ eine Kraft, die nach vorn unten zum Schambein führt und über die Beckenschaufeln links und rechts geht.
Ein lebendiges und bewegliches Becken ermöglicht es, die Kräfte auszubalancieren, die von vorn, von hinten, von oben und von unten kommen. Auf körperlicher Ebene spielt es eine ausgleichende Rolle. Damit trägt es zum Erhalt und zur Statik der aufrechten Haltung bei. Die Beweglichkeit des Beckens und seine Unabhängigkeit vom Rest des Körpers werden durch zahlreiche Yoga-Haltungen und -Übungen gefördert.
Wenn Sie im Stehen einmal gespürt haben, wie Ihr Körpergewicht auf dem Becken ruht, und wenn Sie es zwischen hinten und vorn austariert haben:
◉ Stemmen Sie sich mit beiden Füßen gegen den Boden, um die Kraft zu spüren, die durch Ihre Beine bis zu den Hüftgelenken und zum Becken aufsteigt.
◉ Versuchen Sie, diese beiden Kräfte an der Wegkreuzung des Beckens auszutarieren: Variieren Sie die Intensität, mit der Sie die Füße gegen den Boden stemmen, kippen Sie sanft vor und zurück.
◉ Wenn Sie Ihr Gleichgewicht gefunden haben, genießen Sie das Hochgefühl, das aus der Aufhängung Ihres Beckens in der Bewegungslosigkeit kommt. Spüren Sie, wie sich die Anspannung in Ihrem Körper auflöst.
Das Becken als Wegkreuzung der Energieströme
Aufsteigende und absteigende Energie
In energetischer Hinsicht trifft man im sogenannten Energiekörper auf verschieden stark ausgeprägte Energien. Sie reichen von einem Bächlein bis zum Strom und schließen Flüsse und reißende Wildbäche mit ein. Das Becken stellt in deren Zusammenspiel eine grundlegende energetische Wegkreuzung dar.
Hauptsächlich ist es eine Wegkreuzung im Hinblick auf die beiden großen Energieströme, die entlang der Akupunkturmeridiane im Körper fließen:
◉ die kosmische Energie, die von oben in den Körper strömt (eine absteigende Energie),
◉ die tellurische Energie, die von unten in den Körper strömt (eine aufsteigende Energie).
Das Becken ermöglicht diesen Energien den Ausgleich, wenn der Weg für sie frei ist.
Ein Behältnis für die Lebensenergie
Das Becken ist auch ein Behältnis für die so kostbare Lebensenergie. In diesem Körperteil finden sich drei Energiezentren oder Chakren, die dreierlei Arten von Energie regulieren: Sie haben verschiedene Funktionen.
◉ auf Höhe des Damms findet sich das Zentrum der Verwurzelungsenergie (Wurzel-Chakra oder Muladhara-Chakra)
◉ das Zentrum der Lebensenergie (Sakral-Chakra oder Swadhisthana-Chakra) befindet sich im Becken zwischen Schambein und Bauchnabel
◉ das dritte Zentrum befindet sich im Unterleib hinter dem Nabel (Nabel-Chakra oder Manipura-Chakra); es regelt die Handlungsenergie, die uns antreibt, die Kraft des Leibes, die in Kampfsportarten eingesetzt wird sowie bei körperlichen Arbeiten (der Holzfäller, der Holz hackt).
Ein Vorschlag für den Alltag: Wecken Sie Ihre Lebensenergie
Um die Lebensenergie in Ihrem Körper zu wecken, von der sich Ihr Kind ernährt, können Sie auf einem Stuhl sitzend das Becken mit Kippbewegungen mobilisieren, vor und zurück, oder durch kreisende Bewegungen, in beiden Richtungen. Spüren Sie dann das Leben, die Wärme, die infolge der Übungen aktiviert wird und Ausdruck dieser Energie ist.