Читать книгу Der weibliche Weg - Martine Texier - Страница 8
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Das Leben wird von Etappen markiert, von »Übergängen«. Die Geburt ist der erste, der Tod der letzte. Seit einigen Jahren setzt man sich verstärkt mit dem Thema Sterbebegleitung auseinander, um den großen Aufbruch, den der Tod darstellt, menschlicher zu gestalten. Und so, wie es in der Medizin zur verbissenen Behandlung bis zum letzten Atemzug kam (und manchmal noch kommt), so finden auch Geburten heutzutage leider unter immer stärkerer medizinischer Betreuung statt.
Die Berichte von Menschen, die Nahtoderfahrungen gemacht haben, lassen Hypothesen über den Ablauf des Sterbens zu. In vielen Berichten ist vom Durchqueren eines langen Tunnels die Rede, an dessen Ende ein unbeschreibliches Licht wartet, verbunden mit einem Gefühl bis dahin ungeahnter Liebe. Der Tod scheint der Übergang vom Körper aus Fleisch und Blut hin zum Licht und zur bedingungslosen Liebe zu sein.
Die Geburt ist der gleiche Vorgang, nur in umgekehrter Richtung. Das Baby kommt also aus diesem Licht, aus dieser kosmischen Dimension, und nimmt in einem Körper Gestalt an. Bei der Geburt begibt sich das Unendliche, das »Weiträumige«, in die Grenzen eines Körpers. Das Durchqueren des mütterlichen Beckens steht symbolisch für das Durchqueren des Tunnels. Das legen auch zwei anatomische Fachbegriffe nahe, die es nicht zufällig gibt:
◉ das Kreuzbein oder Sakralgelenk, lateinisch »Sacrum«, lenkt die Aufmerksamkeit auf die sakrale, also heilige Dimension von Geburt und Leben.
◉ der Damm oder das Perineum (von griechisch »Perineos«): Bildet der Körper, genauer gesagt das Becken, nicht einen schützenden Damm um unser Innerstes?
Von dieser Erfahrung der ersten Durchquerung hängen alle weiteren Etappen unseres Lebens ab: Eintritt in die Kindheit, die Jugend, das Erwachsensein, das Alter und alle Formen von Krisen, bis hin zur letzten Etappe, dem Sterben.
Wir haben erkannt, wie nötig es ist, Menschen am Lebensende zu begleiten. Dann sollten wir es auch einrichten, im Rahmen der Vorbereitung auf die Geburt das Kind beim Übergang aus der Dimension des Unendlichen und des Lichts in einen Körper zu begleiten. Damit begleitet man auch die Mutter, die sich dem Weiträumigen öffnet, um das Geschenk zu empfangen, das ein Kind darstellt.
Der Ablauf der Initiation
Eine Geburt zu erleben, kommt wahrlich einem Initiationsritus gleich. Ich habe zwei sehr unterschiedliche Beispiele ausgewählt, um das zu veranschaulichen, das erste aus einem ganz profanen Kontext, das andere aus einem spirituellen. So kann jeder einen Zugang finden.
1. Eine Bergbesteigung
Die Geburt eines Kindes lässt sich mit einer Bergbesteigung vergleichen, bis hinauf zum Gipfel. Dazu gehören die große Anstrengung, Augenblicke der Entmutigung, der Eindruck des Erhabenseins und das Gefühl, über sich selbst hinauszuwachsen.
Die Mutter konnte sich vorab vielleicht gar nicht vorstellen, wie heftig diese Anstrengung sein würde. Dennoch ist es schwierig, die passenden Worte für diesen »Gipfeltaumel« zu finden, für den freien Rundblick und den Blick des Säuglings, der so tief geht, dass er uns im Grunde unserer Seele berührt.
Leider ist man sich in der modernen Medizin der inneren Verwandlung nicht bewusst, die das Ergebnis einer solchen Gipfelbesteigung ist. Was also geschieht? Am Fuß des Berges wird man Ihnen erklären, dass der Weg sehr schwer und sehr lang ist. Man wird Sie fragen, ob Sie ganz sicher sind, bis zum Schluss durchzuhalten … oder leiden zu wollen. Dann schlägt man Ihnen vor, den Hubschrauber zu benutzen (»die PDA = Periduralanästhesie ist so angenehm«) und Sie auf dem Gipfel abzusetzen.
Ich stelle nur eine Frage: Ist das Gefühl auf dem Gipfel das gleiche? Bei der Vorbereitung auf die Geburt mithilfe von Yoga geht es eben um die verschiedenen Etappen des inneren Wandels bei Mutter und Eltern und um den Moment der Initiation auf dem Gipfel.
2. Ein Labyrinth
Eine Geburt hat auch etwas davon, das Abschreiten eines Labyrinths als Initiation zu erleben. Viele Labyrinthe von früher wurden leider zerstört. Es gibt sie noch am Eingang einiger Kathedralen wie in Chartres oder Amiens. Früher schritt ein Pilger das Labyrinth einer Kathedrale als Teil seiner Pilgerfahrt ab.
Man hat herausgefunden, dass die Kathedralen an Kraftorten mit starker tellurischer Strömung stehen. Im Inneren der Kathedrale gibt es beachtliche Abweichungen in der Stärke der tellurischen Ströme. Sie werden mit einer speziellen Vorrichtung gemessen: dem Bovis- oder Biometer.
Folgt man den Mäandern im Labyrinth, nimmt die tellurische Strömung stetig zu. Beim letzten Schritt fällt sie radikal ab, um dann im Zentrum des Labyrinths atemberaubende Höhen zu erreichen. Die Schwingungsintensität des Pilgers stieg stetig an. Kurz vor dem Zentrum brach sie zusammen. Im Mittelpunkt angekommen erreichte sie dann Höchstwerte. Das löste beim Pilger einen radikalen Bewusstseinswandel aus.
Die Parallelen zum Ablauf einer Geburt liegen auf der Hand. Durch den Rhythmus der Wehen über mehrere Stunden hinweg durchlebt die werdende Mutter eine innere Verwandlung. Und wie beim Abschreiten des Labyrinths gibt es Wendungen, die sie näher ans Ziel bringen. Sie meint, es bald geschafft zu haben. Dann kommen Kehren, die wieder wegführen. Sie ist entmutigt und möchte aufgeben! Und häufig erlebt sie dann kurz vor dem Austreten des Kindes einen Moment absoluter Entmutigung. Manchmal geht er mit Todesängsten einher. In der Regel ist das der Moment, in dem sie um Unterstützung bittet. Jetzt braucht sie ermutigende Worte und jemanden an ihrer Seite für die letzte Anstrengung und die finale Verwandlung. Das entspricht dem radikalen Abfall der tellurischen Strömung im Labyrinth. Wenn sie jetzt loslassen kann, kann sie eine neue Bewusstseinsebene erreichen. Durch dieses vollständige Sich-Hingeben kann sie das Bewusstsein für ihre körperlichen Grenzen verlieren (daher auch die Todesangst) und mit der Unendlichkeit verschmelzen. Sie hat Zugang zu einer Dimension der »Größe«. Die Todesangst ist in Wahrheit die Angst, »herauszutreten« aus ihrem gewöhnlichen Bewusstsein. Eines ist sicher: Nach diesem Initiationsritus ist die Frau ein anderer Mensch. Die Erinnerung an diese kosmische Dimension wird für immer auf dem Grund ihrer Zellen festgehalten. Von jetzt an wird ihr Blick auf das Leben ein anderer sein.
Ist man sich bewusst, was diese Dimension für die Frau bedeutet, für die Eltern und, wie wir später sehen werden, auch für das Kind, stellt sich die Frage nach der Begleitung des Initiationsritus. Dabei geht es nicht so sehr um das Machen, sondern um das Sein.
Die moderne Medizin ist weit davon entfernt, Menschen auszubilden, die fähig sind, diese Begleitung in ihrem ganzen Ausmaß zu ermöglichen, menschlich und spirituell und nicht nur technisch.
Intensität, Anstrengung, das Über-sich-Hinauswachsen
Eine Geburt kostet viel Kraft und Energie. Man kann vorab noch so viel davon sprechen, alle Mütter sind überrascht, dass sie über solche Kräfte verfügen. Diese Kräfte sind so mächtig, dass sie einem Angst machen können. Aber sie ermöglichen auch die Verwandlung. Ich glaube, diese Erfahrung ist einzigartig im Leben einer Frau und eines Paares.
Diese Vervielfachung der Energie hat eine wichtige Funktion. Die beiden vorangegangenen Beispiele zeigen das deutlich, die Bergbesteigung und das Labyrinth. Die ganze Zeit über kommt es zu einem stetigen Energieanstieg. So kommt die werdende Mutter, vielleicht auch das Paar, weiter, als sie es sich je vorgestellt hätte. Sie hat das Gefühl, dass diese Erfahrung jede Vorstellung davon in den Schatten stellt. Jetzt bleibt nur noch eines: loslassen, loslassen und noch einmal loslassen.
Dieses Loslassen führt zu einem neuen Bewusstseinszustand. Die Erfahrung des Sich-Öffnens ist die direkte Folge des Erlebten: die Intensität, die Anstrengung, das Über-sich-Hinauswachsen.
Diese Intensität spielt auch bei der Öffnung des weiblichen Körpers eine Rolle. Auch hier gibt es eigentlich keine Worte, um diese Öffnung angemessen zu beschreiben. Die Wehen, die den Gebärmutterhals immer weiter verkürzen, das Kind, das sich immer weiter ins Becken der Mutter schiebt, das ist ein unvorstellbares, unglaubliches Gefühl.
Dominique
»Eine Geburt ohne PDA, das hat mir das Gefühl des perfekten Übergangs zwischen dem ›Vorher‹ und dem ›Nachher‹ gegeben. Die Zeit wird nicht einfach angehalten zwischen dem zugegeben schmerzhaften Moment, in dem das Kind noch drin ist (runder Bauch) und dem Augenblick, in dem es dann ziemlich plötzlich da ist (leerer Bauch).
Ich habe das Baby so intensiv ins Leben begleitet, den Weg Schritt für Schritt mit ihm zurückgelegt, dass ich das Ganze gar nicht als Bruch erlebt habe: In den Tagen und Wochen danach hat mich die präzise Erinnerung an diesen Übergang vor jedem Baby Blues geschützt.«
Agnès
»Ich habe die Hebamme sagen hören: ›Ein Junge!‹ Denis weinte neben mir. Ich empfand keinerlei Aufregung, keinerlei Müdigkeit, einige Minuten lang war alles wie ein weißes Blatt. Das Kind auf meinem Bauch schien den gleichen inneren Zustand zu haben wie ich: das Gefühl, es vollbracht zu haben, am Ziel zu sein … ›ein Stück angehaltener Zeit‹ vor dem Wiedersehen, vor dem Treffen mit dem neuen Leben zu dritt.«
Eliane
»Ich habe bei fast allen Wehen gestanden. Die ganze Zeit habe ich mit dem Baby gesprochen, wir haben die Arbeit zusammen gemacht. Ich habe die Fortschritte gespürt. Im Moment des Austritts habe ich mein Kind gerufen, ich habe gesagt:
›Hélène, jetzt ist es Zeit, du musst rauskommen‹ Das war sehr schön. Ich hatte Schmerzen, starke Schmerzen. Aber ich habe versucht, nicht daran zu denken, denn mir war es am wichtigsten, den Moment zu erleben, aktiv zu sein, da zu sein, zu spüren, wie mein Baby kommt, seinen Kopf dreht, sich den Weg bahnt. Ich habe gespürt, wie der Kopf sich vorarbeitet. Das war fantastisch! Mein Leben Lang werde ich wundervolle Erinnerungen an diese Geburt haben.«
Bald ist der Körper der Frau ganz Öffnung, und diese Öffnung steht im Einklang mit allen Ebenen ihres Seins, die ebenfalls weit offen sind. Das führt zu einem gewaltigen »kosmischen Orgasmus«, der schwer in Worte zu fassen ist: körperliche Öffnung, energetische Öffnung, geistige Öffnung, spirituelle Öffnung. Der Einklang auf diesen vier Ebenen schlägt eine Bresche, ein Teil des Vorhangs reißt auf, und plötzlich hat die Frau Zugang zum bisher Verborgenen, zum Feinstofflichen, Unsichtbaren.
Diese Erfahrung hat natürlich einen Sinn und eine Funktion.
Hier sind wir am entscheidenden Punkt der Geburt: dem radikalen Abfall der Energie, bevor sie senkrecht ansteigt, wie beim Abschreiten des Labyrinths. Wozu? Die Frau wird in die Dimension der »Größe« geschleudert. Das erlaubt ihr, in Kontakt mit der Welt des Lichts zu treten, aus dem ihr Kind kommt, in Übereinstimmung mit der Tiefe dieses kleinen Wesens, mit seiner Essenz.
Auch viele Väter erleben diese Übereinstimmung mit ihrem Kind und ihrer Gefährtin, eine Verschmelzung zu dritt, die außerhalb der Zeit und des Raumes stattfindet: Moment der Ewigkeit und der Unendlichkeit …
Aufruf ans Leben
Kommen wir noch einmal zu dem Moment kurz vor dem Austritt des Babys zurück: zur spirituellen Dimension der Geburt. Ich möchte Ihnen die Bedeutung dieses Augenblicks für die Eltern und für ihr Kind nahebringen.
1. Es gibt diese Verbundenheit zwischen der Mutter, dem Vater und ihrem Kind in einer eigenen Dimension. Was in diesem Augenblick passiert, kann weitreichende Folgen für das weitere Leben des Kindes haben.
In diese Erfahrung außerhalb von Raum und Zeit kann vonseiten der Eltern ein »Aufruf ans Leben« dringen, der ihrem Kind gilt. Hinter einem solchen Aufruf ans Leben steht im Moment dieser Verbundenheit das sehnliche Verlangen der Eltern, dass ihr Kind leben möge. Hinter diesem Sehnen steht die Lebenskraft, die sie ihrem Kind für die Zukunft mitgeben.
Vater und Mutter wollen so ihrem Kind einen Impuls geben: die Grundlage für seinen Wunsch zu leben. Diesen Wunsch erkennt man bei der Geburt an der Intensität des ersten Blicks aus den Babyaugen. Die Intensität, die in diesem Blick zum Ausdruck kommt, obwohl das Baby doch so klein ist, erschüttert viele Eltern. Sie gleicht der »gebündelten Lebenskraft«, zu der auch die Eltern dank ihrer Öffnung Zugang haben.
Laetitia
»Es war Mitternacht, als die Wehen einsetzten. Ich war zu Hause. Dann habe ich beschlossen, erst mai meinen Koffer fertig zu packen. Und ich glaube, die Tatsache, ein Zimmer nach dem anderen anzusteuern, in der Wohnung herumzulaufen, ein bisschen aufzuräumen, hat mir sehr gut getan (ich war mir jeder meiner Bewegungen bewusst …). Weil ich die ganze zeit auf war, konnte ich die richtige Position einnehmen, damit das Baby nach unten rutscht.«
2. Stellen Sie sich nur dieses Lichtwesen vor, das aus der kosmischen Dimension kommt und in die engen Grenzen eines kleinen Körpers aus Fleisch und Blut eintaucht. Das Durchqueren des Tunnels, der Weg durch das Becken der Mutter, hat einen Zweck. So kann sich das Kind in seinem Körper einrichten, sich seine körperlichen Grenzen bewusst machen, ausdrücklich Gestalt anzunehmen. Die dauernde Anwesenheit der Mutter ermöglicht es dem Kind, diesen Weg nicht einsam und allein gehen zu müssen. Man kann sich vorstellen, dass es einen Unterschied für das Kind macht, ob es diesen Weg allein zurücklegt oder in Begleitung seiner Mutter und seines Vaters. Noch wichtiger ist jedoch der Grad an Bewusstseinserweiterung aufseiten der Mutter, der Eltern, im Moment dieses Übergangs.
Ich glaube, je offener die Mutter sich in diesen Momenten zeigt, desto größer wird das Potenzial des Kindes aus der Dimension als Lichtwesen und der Dimension der Unendlichkeit sein, Potenziale, die es dann in seinem Leben auf dieser Welt ausstrahlen kann.
Wir befinden uns an einem Wendepunkt. »Das einundzwanzigste Jahrhundert wird spirituell sein oder es wird nicht sein« lautet ein Zitat, das André Malraux zugeschrieben wird. Könnten doch die Mutter, die Eltern, die spirituelle Dimension der Geburt erleben!
Die Veränderung wird kommen, denke ich, sobald die Frauen nicht mehr damit einverstanden sind, in einer unterwürfigen Position zu gebären, auf dem Rücken, die Beine in der Luft. Sie werden erst Zugang zu dieser heiligen Rolle finden, wenn sie ihre Kinder in der senkrechten Dimension gebären. Unsere patriarchische Gesellschaft hat Angst vor der Macht der Frauen und ihrer heiligen Rolle der Mutterschaft. Diese Position ist also alles andere als unbedeutend.
Ich hoffe, dass die Frauen sich bald aufrichten, um ihre wahre Dimension im Moment der Geburt zu erleben: Die senkrechte Dimension eines »geerdeten« Menschen, der fest mit der Erde verbunden ist, aber offen ist für die feinstofflicheren Dimensionen.
Christine
»Wir kommen alle drei in den Kreißsaal. Der Muttermund ist bei acht Zentimeter. Da erleben wir eine solche Symbiose, dass die Hebamme sich gar nicht traut, uns zu stören. Instinktiv gehe ich bei jeder Wehe in die Hocke …«
Die Geburt: ein natürlicher Vorgang
Ich kümmere mich seit über dreißig Jahren um Paare, die sich auf die Ankunft eines Kindes vorbereiten. Inzwischen blicke ich sorgenvoll auf die Entwicklung hin zu einer Überbetreuung Schwangerer und Gebärender durch die Medizin.
Der Mensch versteht erst in Teilen das Wunder des Lebens, das Zeugung und Geburt eines Kindes darstellen. Leider will er aber alles kontrollieren. Unter dem Vorwand, die Sicherheit von Mutter und Kind gewährleisten zu wollen – eine Sorge, die ich durchaus teile, machen manche Ärzte aus Schwangerschaft und Geburt eine Krankheit. Die Anwesenheit eines Geburtshelfers (Obstetrikers) wird zu häufig durch die Zahl der medizinischen Eingriffe gerechtfertigt, wozu Geburtszange, Saugglocke, Dammschnitte, Einleiten der Geburt und Kaiserschnitt gehören.
Die Medizin setzt falsch an
Christine
»Die Hebamme weint: Es ist lange her, dass sie eine normale Entbindung erlebt hat, ohne PDA, Syntocinon-Spray oder Saugglocke! Sie ist so ergriffen, dass sie erst beim Verlassen des Kreißsaals merkt, dass sie auf dem Protokollbogen gar nichts eingetragen hat …
Bei der Visite am nächsten Morgen gesteht die Hebamme uns, noch immer ergriffen: ›Ich habe Panik gekriegt, als Sie meine Hand genommen haben. Ich habe gesehen, dass Sie auf mich zählen, um Ihnen zu helfen. Aber ich weiß gar nicht mehr, wie man so entbindet. Man bringt uns nicht bei, Frauen auf natürlichem Weg zu entbinden. Heutzutage ist alles fest in ärztlicher Hand!‹«
Ich habe mehrfach mitbekommen, dass Geburtshelfer sich freuten, wenn sie in einer Arbeitswoche bei schwierigen Geburten eingreifen konnten. Eine »uninteressante Woche« bedeutete dagegen, dass alle Geburten gut verlaufen waren!
Ich leugne ja gar nicht, dass technische Errungenschaften wichtig sind, aber werden sie auch immer zu Recht angewandt? Die Situation wird zweideutig bleiben, solange sich mit einem Dammschnitt Geld machen lässt. Man wird sich immer fragen können, ob er zum Wohle der Frau durchgeführt wurde oder weil er Geld bringt. Werden wir noch erleben, dass Ärzte sich für die Prävention einsetzen und Geld verdienen, weil es ihnen gelungen ist, einen Kaiserschnitt oder einen Dammschnitt zu vermeiden?
In einer Hebammenschule sagte eine Lehrerin immer, die Schule bilde die »Technikerinnen für Geburten« aus. Gebärende brauchen nicht nur Technikerinnen für Geburten, sondern auch Warmherzigkeit und ermutigende Worte. Geburtsbegleitung ist eine experimentelle Wissenschaft, die Heldentaten vollbringen kann, das weiß man heutzutage sehr wohl. Die Technik ist wichtig, die menschliche Seite aber auch. Das Schwierige ist, einen Mittelweg zwischen beiden zu finden, nicht eines auf Kosten des anderen vorzuziehen. Den Hebammen, die ich regelmäßig treffe, liegt es häufig am Herzen, Geburten zu betreuen und dabei das Elternpaar wie das Kind zu respektieren, aber ihre Arbeitsbedingungen sind viel unmenschlicher geworden. Ich verstehe, wenn den Hebammen unbehaglich ist, weil sie sich nicht anerkannt und gegenüber den Ärzten minderwertig fühlen. Um sich Anerkennung zu verschaffen, setzen manche auf die Technik, also auf die männliche Domäne, obwohl sie eigentlich Frauen bei der Entbindung und der Geburt ihres Babys beistehen wollen: das Weibliche miteinander teilen.
Es bleibt noch viel zu tun, damit es rund um die Geburt nicht zum Machtkampf zwischen Ärzten und Hebammen kommt. Ist es wirklich ein Zufall, dass die Geburtshilfe oder Obstetrik sehr männlich ist, während der Beruf der Hebamme ein größtenteils weiblich dominierter ist? Hinter diesem fundamentalen Problem zeichnet sich der Gegensatz, der hartnäckige Machtkampf zwischen Mann und Frau ab, zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen. Die liegende Position der Frau bei der Entbindung sagt viel aus über diesen Machtkampf. Diese Position ist eine aufgedrängte, denn sie ist für die Geburtshelfer sehr komfortabel, nicht aber für die Frau. Betrachten wir Claudies Geburtsbericht, der zwar schwer zu ertragen, aber leider durchaus typisch ist. Ihre Aussage erinnert mich an zahlreiche andere, die genauso lehrreich und unglaublich waren. Insbesondere der Artikel einer Hebamme aus einer Fachzeitschrift ist mir im Gedächtnis geblieben: »Dann kam Zorro«. Der Geburtshelfer kam gegen Ende der Entbindung hinzu, schubste die Hebamme zur Seite, die während der gesamten Geburt anwesend war, und machte einen unnötigen Dammschnitt, direkt bevor das Baby kam!!!
Claudie
»Als die Wehen sehr heftig wurden, kurz vor der Geburt, trat der Dienst habende Arzt ›auf den Plan‹. Er ging mir sofort gegen den Strich, weil er mich gezwungen hat, mich wieder hinzulegen, trotz meiner Proteste (und der meiner Hebamme). Die Hebamme hatte das Entbindungsbett extra für mich hochgestellt, damit ich so entbinden kann, wie ich will, nämlich so ziemlich im Sitzen. Der Arzt hat dann dauernd kritisiert, wie ich presse (!) und dass ich keine PDA hatte. Er drohte mir damit, den Anästhesisten zu holen, sollte mein Baby nicht kommen! Ich spürte, wie die Wut in mir hochstieg, und gleichzeitig kämpfte ich mit den ständigen Wehen. Mir ist sogar kurz durch den Kopf gegangen, vom Bett zu steigen, den Kreißsaal zu verlassen und dann so zu gebären, wie ich es wollte! Bis dahin war alles so gut gelaufen. Ich dachte, dass dieser Arzt alles kaputt macht, dass er mir die Geburt meines Kindes ›raubt‹. Also habe ich beschlossen, mich unterzuordnen, um meinem Baby zu ermöglichen, auf die Welt zu kommen. Hatte ich denn eine Wahl?
Ich hatte diesem Arzt gegenüber lange ein Gefühl der Verbitterung. Später habe ich ihm übrigens auch gesagt, dass ich seine Haltung unmöglich fand.«
Wann erkennen wir endlich, wie gut die Geschlechter sich ergänzen?
Es steht zu hoffen, dass eine neue Generation von Geburtshelfern und Hebammen sinnvoll mit dem Platz und der Rolle des Einzelnen umgeht, um das Geburtsklima zu verbessern. Die werdenden Mütter, die Eltern sollten doch nicht die Kosten tragen müssen für den Kampf oder die Unterwerfung der einen oder anderen! Mancher Eingriff hilft und rettet Leben. Dafür sollten wir dem medizinischen Fortschritt dankbar sein. Aber sind denn all die Dammschnitte, Kaiserschnitte und Geburtseinleitungen wirklich gerechtfertigt?
Wir sind weit weg von der Dimension des Heiligen bei einer Geburt: Die Ankunft eines Kindes, das ist doch keine Blinddarmoperation!
Es gibt Ärzte und Hebammen, die sich trauen zu sagen, wie schwer es manchmal ist, eine Geburt einfach nur zu begleiten, nachdrücklich da zu sein, zu warten, vor sich selbst Rechenschaft abzulegen, die Stille hinzunehmen, dem Anderen zuzuhören, seine Wünsche zu respektieren und nicht die eigenen Ängste hineinzuprojizieren. Manche Entbindungsstationen entscheiden sich zum Glück dafür, die natürliche Seite der Geburt zu berücksichtigen. Warum nicht alle? Die wesentlichen Eigenschaften derer, die das Leben ins Leben begleiten, sind: demütig sein, einfühlsam sein, offen sein, und vor allem dem Leben vertrauen.
Jemanden bei einer Entbindung zu begleiten, bedeutet mehr Sein als Machen. Die Geburt eines Menschen ist etwas, das uns tief berührt, auch wenn es zu unserem Alltag gehört. Sie löst Reaktionen aus und stellt die Frage nach unserem Platz mitten im Universum. Das Erlebnis Geburt hat eine viel stärkere Wirkung, als wir annehmen. Von dieser Erfahrung hängt die Zukunft des Kindes, der Mutter, des Vaters und vieler folgender Generationen auf diesem Planeten ab.
Marie-Pierre
»Ich nehme mein Kind, wir lernen uns kennen, aber mir fehlt das Erleben der Geburt, das allmähliche Vorankommen. Da ist eine Leerstelle. Ich habe versucht, mir die Entbindung ins Gedächtnis zu rufen. Aber jedes Mal, wenn ich daran dachte, kamen mir die Tränen. Mir wurde das Herz schwer, und ich war unglaublich traurig. Ich hatte mich in die Hände der Ärzteschaft begeben, ohne sagen zu können, was ich wollte. Erst bei der zweiten Geburt habe ich mich wirklich als Mutter gefühlt, denn ich hatte die Kraft, Nein zur Betreuung durch einen Arzt zu sagen. Alles ist gut gegangen. Dieses Mal hat man mir die Geburt meines Kindes nicht gestohlen.«
Ist uns immer bewusst, dass jedes Kind, das bei seiner Geburt richtig begleitet und empfangen wird, später bessere Aussichten auf ein ausgeglichenes Leben hat?
Nadège
»Schlussendlich keine PDA (die ich vermeiden wollte) und kein Dammschnitt, nur ein kleiner Riss. Man hatte mir ein Baby mit 3500 g Gramm angekündigt. Letztendlich wog Jade dann 3190 Gramm und maß 51 Zentimeter.
Meine Schlussfolgerung: Ich bin sehr froh, den Yoga–Kurs gemacht zu haben. Ich hatte in den zwei Wochen vor der Geburt täglich die Übungen gemacht, und ich bin sicher, dass sie mir geholfen haben. Ich denke, die Vorbereitung ist entscheidend, weil im Ernstfall dann Automatismen die Oberhand gewinnen.«
Wir wissen alle, dass schlechte Erlebnisse bei der Geburt verhängnisvoll für eine Familie, ja für Generationen sein können. Man hatte Marie-Pierre eine PDA aufgezwungen, ohne wirkliche Notwendigkeit: Es sollte einfach schneller gehen.
Denken und handeln wir so, dass andere Frauen diese Erfahrung nicht auch machen, die für Mutter und Kind manchmal wirklich dramatisch sein kann.
Nur noch wenige Frauen nehmen heutzutage während der Schwangerschaft nicht irgendwelche Medikamente, Vitamine, Eisen, Magnesium, Krampflöser … Und nur noch wenige Frauen lassen sich nicht beeinflussen: Viele akzeptieren die PDA lange vor der Entbindung, lassen sich einen Termin für diese Entbindung aufdrängen, was ja bequemer ist als die unvorhersehbare Natur. Viele geben nach, wenn man ihnen vorschlägt, einen Wehentropf anzuhängen, auch wenn es gar keine Eile hat. Ist das wirklich immer notwendig?
Beeinflusst man die werdende Mutter nicht bereits, wenn man ihr gleich beim ersten Termin die Frage stellt: »Wollen Sie eine PDA?« und im Falle der Verneinung hinzufügt: »Sie möchten also lieber leiden!«?!
Warum ist es nur so schwer, Frauen, die es wollen, eine natürliche Geburt in Sicherheit zu ermöglichen?
Zur Welt kommen
Bei uns beginnt alles mit der Geburt und endet mit dem Tod. Das Leben ist ein Übergang: Big Bang, das Universum wird vor Milliarden von Jahren geboren, Galaxien, Sterne, die Erde, Kontinente, das Leben auf der Erde, die ersten Menschen, dann wir – und eines Tages folgt ihr Tod.
Dominique
»Drei Jahre zuvor hatte ich mein erstes Kind zur Welt gebracht, mit PDA. Der Drang zu pressen war nicht sehr ausgeprägt, daher sicher auch die Zangengeburt und ein ziemlich langer Dammschnitt. Mindestens drei Wochen lang konnte ich mich deshalb nicht normal hinsetzen! Während meiner zweiten Schwangerschaft ist darum der Wunsch gereift, eine andere Erfahrung zu machen, doch endlich etwas mehr herauszufinden über die ›Kunst des Gebärens‹. Mit diesem Wunsch kam der Wille, mich zur Handelnden bei der Geburt meines Kindes zu machen.«
Geburt und Tod als Bestandteile des Lebens
Ob Mann oder Frau, wir erleben es am eigenen Körper, der ein Echo des großen Ganzen ist, Echo des Universums und der Mutter Erde, die jedes Jahr der Natur mit dem Ablauf der Jahreszeiten das Leben schenkt.
Wir erleben die Geburt beziehungsweise Ankunft als Aufruf, den wir alle auf unterschiedlichen Ebenen erlebt haben. Zuerst einmal haben wir sie über den Körper unserer Mutter erlebt, zu Beginn unseres Lebens auf dieser Erde. Uns allen ist dieses Erlebnis gemein, das irgendwo in uns vergraben ist. Beim Durchlaufen verschiedener Etappen des Lebens kommen wir dann auf verschiedenen Daseinsebenen an: vom Körperlichen geht es zum Emotionalen, vom Psychischen zum Spirituellen. Traditionell spricht man von einer Neugeburt alle sieben Jahre.
Was eine Geburt ausmacht, können wir auch nachempfinden, wenn wir verbunden und in Harmonie sind mit einem Paar oder einer Mutter, die ein Kind erwartet, ob wir sie nun kennen oder nur auf der Straße ihren Weg kreuzen. Und alle Mütter erleben das sehr konkret am eigenen Leib.
Für die werdenden Väter gibt es eine ganze Palette an Möglichkeiten, um das Warten auf ihr Kind und seine Geburt zu erleben. Vom Vater, der die Mutter begleitet, indem auch er zunimmt, bis zum Vater, der sich erst im Augenblick der Geburt angesprochen fühlt, über die verschiedenen Grade an Osmose und Zuwendung während der Schwangerschaft. Viele Väter nehmen Anteil. Nicht zu vergessen all die Väter, die den Kopf verlieren, die sich verweigern, die Panik kriegen, die am liebsten weglaufen würden, ihren Platz nicht finden … Immer mehr Vätern ist bewusst, dass es nicht allein Frauensache ist, ein Kind zu erwarten: Sie erkennen, wie wichtig eine frühe Beziehung zu ihrem Kind sein kann, auch wenn es noch im Bauch der Mutter ist.
Welche Erfahrungen wir auch immer mit dem Thema Geburt haben, ob direkte oder indirekte, beglückende und harmonische oder schwierige und unglückliche: Jeder von uns, Vater, Mutter, Großvater, Großmutter, Freund, Freundin, zufälliger Passant, jeder kann diese Zeit der frohen Hoffnung in unserem Körper und unserem Sein begleiten, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen, indem wir uns etwas Größerem öffnen, der Liebe. Diese Erfahrung berührt uns alle in unserem tiefsten Inneren, in unserer Eigenschaft als Menschen, als Mann, als Frau.
Entdecken wir das gemeinsam in diesem Buch, ausgehend von dem, was unser Körper erlebt.
Präsenz
Wie präsent ist das Kind bei der Geburt?
Zahlreiche Eltern sind zutiefst berührt von der Intensität der ersten Blicke ihres Kindes nach der Geburt, von seiner nachdrücklichen Präsenz in diesem kleinen, nackten Körper.
Warum sind manche Neugeborenen von jetzt auf gleich so präsent, während andere in den ersten Stunden, Tagen oder sogar Monaten einen abwesenden Blick haben? Es geht hier nicht um Tränen, Schreie oder Gesten, sondern um das, was von seinem Blick ausgeht, von seinem Körper, seinem Wesen.
Mylène
»Yoga ist eine Lebenskunst, die Präsenz, Glück und Gelassenheit bringt.«
Zweifelsohne spielen mehrere Faktoren eine Rolle, die mit der Geschichte dieser Gestalt werdenden Seele verknüpft sein können. Aber auch die Eltern können tätig werden, indem sie auf ihre Weise den Wunsch nach Leben für ihr Kind zum Ausdruck bringen. Sie können das während der Schwangerschaft und vor allem in den entscheidenden Momenten von Zeugung und Geburt tun. Dieser sehnliche Wunsch kann vor allem bei der Geburt den Wunsch des Kindes begleiten, Gestalt anzunehmen.
Präsent sein
Die Intensität der Präsenz ist natürlich auch bei Erwachsenen unterschiedlich. Tagtäglich erleben wir, dass ein Mensch abwesend ist, obwohl er körperlich anwesend ist. Oder wir erleben die außergewöhnliche Präsenz eines anderen (zugegeben, das kommt viel seltener vor).
Joëlle
»Ich habe mich mithilfe von Yoga auf die Geburt meines ersten Kindes vorbereitet. Dank der Yoga-Stunden habe ich mich in der Schwangerschaft super gefühlt. Im Lauf der Wochen und Monate wurde mein Sohn immer präsenter. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, von jemandem bewohnt zu werden, wir waren jeden Augenblick zu zweit, vor allem in den zwei letzten Monaten. Nach seiner Geburt war mein Körper leer, ich war traurig, weil er weg war, die Fülle war vorüber. Ihn in den Armen zu halten, hat diese Leere nicht immer wettgemacht. Als ich meinen Beruf wieder aufnahm, erlebte ich den Wechsel zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Da ging es nicht immer harmonisch zu zwischen meinem Herzen und meinem Kopf.«
Versuchen Sie einmal, auf die Qualität Ihrer eigenen Präsenz und die der anderen zu achten. Achten Sie auf Unterschiede. Und ein anderes Mal, wenn Sie jemanden treffen, seien Sie einfach da, nachdrücklich. Das ist gar nicht so einfach.
Yoga ist eine Einladung, den Augenblick zu leben, um sich nicht von seinen Gedanken überwältigen zu lassen, die einen in die Vergangenheit holen oder weit in die Zukunft schweifen lassen. Es geht einfach darum, da zu sein, hier und jetzt.
Fördern Sie, indem Sie Yoga machen, die Qualität Ihrer Präsenz. Spüren Sie Ihre Füße, den Kontakt mit dem Boden, füllen Sie Ihren Körper ganz aus, machen Sie sich in Ihrem Becken breit, atmen Sie ruhig, achten Sie nicht auf Ihr inneres Geschnatter, sondern, ganz Präsenz, auf Ihr Gegenüber. Bringen Sie diese Präsenz durch Wohlbefinden und Gelassenheit zum Strahlen. Sie werden erstaunt feststellen, wie sehr Ihre Haltung auf andere wirkt.
Die Präsenz der Eltern
Mit dieser Qualität der Präsenz sollten Sie als werdender Vater, als werdende Mutter, Ihrem Kind zur Seite stehen, in der Schwangerschaft und vor allem in den Stunden und Minuten vor dem entscheidenden Moment der Geburt.
Manche Eltern behaupten, sich mit dieser Art Präsenz schwerzutun, weil sie ihnen erst einmal zu abstrakt ist. Die Mütter tun sich meist leichter, weil sie den körperlichen Kontakt haben. Aber die Eltern verinnerlichen das Gefühl, sobald sie festgestellt haben, dass sie diese Präsenz bereits verschiedentlich mehr oder weniger bewusst erlebt haben.
Auf der Straße hat sich jeder schon einmal umgedreht, nachdem er einen Blick im Rücken gespürt hat. Was ist da geschehen? Wir können das noch nicht nachweisbar messen, aber es geht um gelebte Erfahrung.
Diese Präsenz kann das Kind im Bauch der Mutter spüren.
Die Psychoanalytikerin Françoise Dolto hat mit ihren Arbeiten gezeigt, dass ein Kind bereits in utero eine »Person« ist.
Die Qualität der elterlichen Präsenz, die Erwartungshaltung einer Familie, ist ein wahrhaftiger Aufruf an das Leben. Diesen Impuls können Sie dem Wunsch zu leben mitgeben, den Ihr Kind verspürt. Auch wenn das nicht der einzige Faktor ist, der eine Rolle spielt bei dem Wunsch des Menschen zu leben. (Aber seien Sie beruhigt: Ein Kind kann auch dann sehr vital sein, wenn seine Eltern der Meinung sind, sein Leben beginne erst mit der Geburt!)
Olivier
»Wir haben beschlossen, dass unser viertes Kind auch zu Hause zur Welt kommen sollte. Ungeduldig wartete ich auf den Tag X. Ich war sicher, dass an diesem Tag alles gut gehen würde. Den Großteil der Arbeit hat natürlich die werdende Mama erledigt, bis ich irgendwann spürte, dass meine Anwesenheit für einen letzten Kraftakt nötig war. Im Übrigen würde ich sagen, dass die Entscheidung für diese zweite Hausgeburt eine glückliche war: Das Bild von der Geburt im Wasser werde ich nie vergessen.
Eines noch: was für ein großes Vergnügen, dass wir noch am selben Abend alle zusammen sein und, ein Glas Champagner in der Hand, auf das freudige Ereignis anstoßen konnten!«
Die Präsenz des Kindes in Ihnen
Sie können Ihrem Kind in utero mit großer Intensität präsent sein. Umgekehrt können Sie sich sehr wohl der Präsenz Ihres Kindes bewusst sein, sogar des Augenblicks, in dem das Kind in Ihren Körper einzieht. Schauen wir uns zu diesem Thema eine längere Aussage der Psychoanalytikerin Françoise Dolto2 an:
Françoise Dolto
»Ich hatte bereits vor ihrer Geburt Kontakt zu meinen Kindern. Es gab zwei erstaunliche Momente: nach fünf und nach sieben Monaten. Vor allem beim ersten Kind, weil eine Frau beim ersten immer überrascht ist. Beim zweiten merkt man, dass man das schon einmal so empfunden hat …
Ich spazierte gerade durch den Jardin du Luxembourg, als ich plötzlich das Gefühl hatte, dass da noch etwas ist, ganz nah, etwas genau wie ich. Ich sage mir, ja, aber … Ich drehe mich nach rechts, nach links, aber da war niemand. Ich ging weiter, aber das Gefühl, dass da noch jemand ist, eine Präsenz, bleibt … Zu Hause erzählte ich meinem Mann davon und sagte: ›Vielleicht ist das ja das Baby, das da ist. Schon komisch, dass ich nicht sagen kann, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist.‹ So war das! Von dem Moment an hat mich dieses Gefühl nicht mehr verlassen. In mir war etwas präsent.
Und das habe ich dann bei meinen beiden anderen Schwangerschaften wieder erlebt, jedes Mal nach etwa fünf Monaten, jedes Mal ahnungslos, was das Geschlecht betrifft. Aber das Gefühl der Präsenz war eindeutig und angenehm.
Und im siebten Monat dann ganz eindeutig eine Art Ringen. Ich hatte ganz und gar problemlose Schwangerschaften, aber es gab ein psychisches Ringen, nach dem Motto: ›Ich habe es satt, was du machst … Ruh dich aus‹, etwas in der Art. Denn ›ich arbeite und arbeite,‹ ich bin sehr aktiv, aber das Baby wollte Ruhe haben. Ich hätte ja gern weitergemacht, aber ich spürte (und das ist kein leeres Wort), ich spürte: ›Du musst dich ausruhen.‹ Es war nicht mein Körper, der da sprach, denn mein Körper … ich habe wirklich Reserven! Aber es gab da jemanden, der nicht die gleichen Reserven wie ich hatte und der wollte, dass ich mich ausruhe. Ich habe mir gesagt, dass die drohende Frühgeburt im siebten Monat bestimmt mit meinem ›Nicht-Achten‹ auf die Bedürfnisse des Kindes zu tun hatte. Ich kann Ihnen sagen, dass das im Krieg war. Ich habe meine zwei Großen während des Krieges bekommen. Beim ersten bin ich immer Fahrrad gefahren, beim letzten Motorrad, bis zum Tag vor der Entbindung. Es war ein kleines Motorrad. Ich legte meinen Bauch auf dem Tank ab, und dann – nach mir die Sintflut! Das war keine körperliche Erschöpfung, das war eine allgemeine Erschöpfung. Ich habe es in mir gespürt. Ich war nicht erschöpft, nicht geistig und nicht körperlich. Es hat mir gut in den Kram gepasst, Motorrad zu fahren, weil ich beim ersten Kind Fahrrad gefahren war, und was hat sich da das Kind nach dem siebten Monat bewegt! Das war total auffällig bei der Steigung in der Rue St. Jacques. Ich strampelte, und in mir drin wurde gemeckert, und je mehr da herumgefuchtelt wurde, desto erschöpfter war ich. Also habe ich mit ihm gesprochen: ›Jetzt pass mal auf, bitte, wir schaffen es nicht … Halt still, fuchtle nicht herum, und dann schaffe ich es auch, sonst schaffe ich es nicht … Ich bin erschöpft, und du musst dich genau wie ich ausruhen.‹
Tja, und da hat es sofort aufgehört. Als ich dann vom Rad stieg und vor der Tür stand, habe ich gesagt: ›Jetzt kannst du weitermachen.‹ Und los ging‘s. Da tanzte jemand Rumba in mir. Aber er hatte auf mein Kommando aufgehört.«
Betrachten wir Louises Aussage, die in die gleiche Richtung geht:
Louise
»Bis eine Woche vor der Geburt meines zweiten Sohnes bin ich gereist und habe Yoga-Seminare besucht. Ich fühlte mich total fit, und um nichts in der Welt hätte ich auf das mehrstündige Üben jeden Tag verzichtet. Aber dann ist etwas wirklich Seltsames passiert. Mitten in einer Übungsstunde wurde ich von dem Drang zu schlafen buchstäblich niedergedrückt. Keine Chance, dagegen anzukommen. Ein seltsames Gefühl, denn ich selbst war überhaupt nicht müde und wollte gar nicht schlafen: Ich habe ganz deutlich gespürt, dass das Baby wollte, dass ich mich ausruhe. Ich habe nachgegeben. Das war eine eigenartige Erfahrung, wie eine Verdoppelung meiner Persönlichkeit oder vielmehr eine doppelte Präsenz mit gegensätzlichen Bedürfnissen. Das war auch ganz anders als das Schlafbedürfnis in den ersten Schwangerschaftsmonaten. Auch die Schlafqualität war eine ganz andere. Beim Schlafen war mir bewusst, dass ich schlief, als ob ich mir selbst dabei zusah. Es war eben nur ein Teil von mir, der schlief, der andere wartete schön brav, bis das Bedürfnis gestillt war.«
Präsenz und Inkarnation des Kindes
Christine
»Ich wollte schon lange ein Kind. Eines Tages sehe ich beim Meditieren eine Art Blitz, eine helle Flamme, neben mir. Da sind ganz viele Sterne, und es ist da, ich weiß es, ich fühle seine Gegenwart, wie man den Lufthauch spürt, wenn ein Vogel mit den Flügeln schlägt. Wunderbar, fantastisch! Ich bin noch gar nicht wirklich schwanger, aber es ist schon da, seine Seele ist mich besuchen gekommen. Jacqueline, eine Yoga-Freundin, hat es auch gespürt, bei der gleichen Meditation wie ich.
Einige Tage danach: Der Schwangerschaftstest ist positiv, aber ich ›wusste‹ es ja schon.«
Vergleichen wir diese Aussagen doch einmal mit dem, was traditionell unterrichtet wird, wenn es um die einzelnen Etappen bei der Inkarnation eines Menschen geht. Lucien Ferrer, ein großer Yogi vom Beginn des 20. Jahrhunderts, erzählt mit dem Vokabular seiner Zeit3 davon.
»Der Geist nimmt Kontakt zu einem Paar auf, das fähig ist, eine Stimmung zu erschaffen, die mit seiner identisch ist. Er wird zum Protagonisten der weiblichen Erregung, dem entscheidenden Faktor im Moment der Begattung. Beim geschlechtlichen Spasmus wird der Geist vom Strudel der Vibrationen mitgerissen, der das Resultat der Vereinigung von Spermium und Eizelle ist, denn Geist und Strudel haben die gleiche Frequenz der Vibrationen.
Nach diesem ersten Kontakt mit dem Ei löst sich der Geist wieder, bleibt aber in fluider Verbindung mit ihm. Diese momentane Trennung besiegelt das Ende der konzeptionellen Stimmungslage. Im Lauf der Schwangerschaft gibt es mehrere Erscheinungen des Geistes, mehrere Aufenthalte im Fötus. Er tritt also als evolutionärer Faktor im Ambiente der Schwangerschaft auf. Dieses Ambiente ist Gegenstand gezielter Aufmerksamkeit vonseiten der Magier, hauptsächlich in Schwarzafrika. Das gilt vor allem, wenn das Kind, das erwartet wird, dazu ausersehen ist, eine maßgebliche Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
Vom siebten Monat an geht der Geist fest in den Fötus über. Das erklärt auch, warum von diesem Zeitpunkt an ein lebensfähiges Wesen entbunden werden kann.«
Diese Art, sich auszudrücken, mag uns seltsam erscheinen, wenn wir nicht wie Françoise Dolto die Erfahrung gemacht haben, »wirklich zu zweit« zu sein, und das dauerhaft und von einem ganz bestimmten Zeitpunkt der Schwangerschaft an. Yoga als experimentelle Wissenschaft bedeutet überhaupt nicht, dass man an die Reinkarnation glaubt. Jeder stützt sich auf die eigenen Erfahrungen. Von Interesse ist nur die Parallele zwischen den Erlebnissen von Françoise Dolto im fünften und siebten Monat der Schwangerschaft und einer Theorie zu den verschiedenen Etappen der Inkarnation.
So entsteht der Kontakt zwischen Mutter und Kind manchmal sogar noch vor der eigentlichen Empfängnis.