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bb) Grundrechtsinnovationen

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Die Konzipierung des Grundrechtsteils erbrachte aber nicht nur verstärkte prozessuale Sicherungen der Grundrechte, ihre Adressierung an den Gesetzgeber und die Ausdehnung auf juristische Personen, sondern auch veritable Neuschöpfungen. Den meisten sah man ihren „Antwortcharakter“ auf die Erfahrungen mit dem Unrechtsregime an. Auf diese Weise gelangte etwa das Wort „Rasse“ als spezielles Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG[62] in das Grundgesetz wie Pontius Pilatus ins Credo. Der Schutz vor Entzug und Verlust der Staatsangehörigkeit in Art. 16 Abs. 1 GG war ausweislich der Beratungen ebenfalls eine Reaktion auf die nationalsozialistische Ausbürgerungspraxis.[63] Gleiches wird verbreitet und zumeist ganz pauschal für das Asylgrundrecht angenommen,[64] bei dem man plausibel vermuten kann, dass dies ein allen Beteiligten präsenter Problemhintergrund war. Eine sorgsame Sichtung der Beratungsunterlagen ergibt allerdings den insofern überraschenden Befund, dass „in der Diskussion die Erinnerung an die Fluchtschicksale infolge nationalsozialistischer Verfolgung“ eine aus heutiger Sicht eher „untergeordnete Rolle spielte“ und sich aus den Materialien insbesondere nicht ersehen lässt, „daß während der Beratungen des Asylrechts ausdrücklich auf die Flüchtlingsschicksale der Juden Bezug genommen worden wäre.“[65]

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Die Verheerungen des Krieges im Allgemeinen und der Umstand, dass nahezu jede deutsche Familie Kriegsopfer zu beklagen hatte, spiegelten sich in einer Garantie, die es vor dem Zweiten Weltkrieg kaum irgendwo auf der Welt gab: dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Seine Einführung war im Parlamentarischen Rat durchaus nicht unumstritten.[66] Hervorhebung verdient angesichts der sonst eher geringen Anteilnahme der Öffentlichkeit an den Verfassungsdiskussionen, dass es hier letztlich die zahlreichen Anregungen und Eingaben aus der Bevölkerung waren, die zur Verankerung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung (bemerkenswerterweise lange vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht) führten.[67] Wenn etwa umgekehrt die Auswanderungsfreiheit, ein Grundrecht mit großer und spezifisch deutscher Tradition,[68] im Grundgesetz fehlte, hatte das einen eher praktisch-politischen Grund: man wollte in dem daniederliegenden Land nicht auch noch implizit dazu aufrufen, es zu verlassen.[69]

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