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cc) Menschenwürde
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Geradezu wie ein Fanal wirkte der an die Spitze des Grundrechtsabschnittes und damit (von der Präambel abgesehen) des gesamten Grundgesetzes gerückte Satz von der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Hier ist die unmittelbare Reaktion auf „die unsäglichen Entwürdigungen der Menschen durch die totalitären Gewalten des 20. Jahrhunderts“[70] mit Händen zu greifen. Den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates standen die entsprechenden Praktiken des NS-Regimes noch deutlich vor Augen.[71] Für eine solche Norm gab es kein Vorbild und keine Überlieferung. In den klassischen Menschenrechtserklärungen Amerikas oder Frankreichs kommt die Menschenwürde ebenso wenig vor wie in den Menschenrechtsdokumenten des 19. Jahrhunderts. Erst im 20. Jahrhundert finden sich einige Bruchstücke allerdings durchaus beschränkten oder höchst ambivalenten Charakters in Verfassungen der Zwischenkriegszeit.[72] Für die Durchsetzung der Menschenwürde als einer Rechtsnorm übernahm die UN-Charta von 1945 insofern eine gewisse Vorreiterrolle, als in deren Präambel von „dignity and worth of the human person“ die Rede ist. Später bezeichnete dann die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in ihrem ersten Artikel alle Menschen als „frei und gleich an Würde und Rechten“ geboren. Auch einige vorkonstitutionelle Landesverfassungen (Bayern, Bremen und Hessen) rekurrierten bereits auf die Würde. Aber das Bekenntnis zur Menschenwürde als normativ verbindliche und ranghöchste Norm an der Spitze einer Staatsverfassung war neu und blieb es für lange Zeit.[73]
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Auch wenn man die spätere Bedeutungssteigerung der Menschenwürdegarantie (dazu unter Rn. 143ff.) wohl kaum voraussehen konnte, war man sich im Parlamentarischen Rat des hohen Ranges der Norm und ihrer Ausnahmestellung doch wohlbewusst. So sprach etwa Carlo Schmid von einer „Generalklausel für den gesamten Grundrechtskatalog“[74]. Mit dem Grundgesetz insgesamt wie mit dem Grundrechtsteil gliederte sich Deutschland in die nordatlantisch-westeuropäische Verfassungstradition wieder ein; mit Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) fügte es dieser Tradition ein neues Element hinzu.