Читать книгу Alzheimer - vorbeugen und behandeln - Mary T. Newport - Страница 12

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KAPITEL 3


Auf der Suche nach klinischen Studien

Im März 2008 ließen wir Steve am Alzheimer-Institut von Tampa wieder einmal „begutachten“; außerdem hielt ich Ausschau nach neuen Studien, an denen er teilnehmen konnte. Damals gab es keine Studien mit Medikamenten, doch ich meldete ihn zu einer von den amerikanischen Gesundheitsbehörden finanzierten und am Alzheimer-Forschungsinstitut durchgeführten Studie an, die eine umfangreiche jährliche Untersuchung vorsah: mit ausgedehnten Gedächtnistests, Feststellung des Verhaltens im alltäglichen Leben, mit Evaluierung bezüglich Depression, körperlicher Untersuchung, Blutbild und Kernspintomografie. Man trat dort auch mit der Frage an uns heran, ob wir Steves Gehirn zu wissenschaftlichen Vergleichszwecken zur Verfügung stellen würden. Er war dazu noch nicht bereit, wollte jedoch darüber nachdenken.

Wir fuhren ziemlich bestürzt wieder nach Hause, denn es sah nach einer düsteren Zukunft aus und es bestand wenig Hoffnung, dass es für meinen Mann noch rechtzeitig ein wirksames Medikament geben würde. Die Ergebnisse der Kernspintomografie waren noch deprimierender ausgefallen; gegenüber der letzten, die ein paar Jahre vorher gemacht worden und normal gewesen war, zeigte sie einen erheblichen Schwund des Gehirns in den der Alzheimerkrankheit zugeordneten Arealen Hippocampus und Amygdala an: Auf der einen Seite waren sie mäßig, auf der anderen Seite schwer betroffen. Ebenfalls atrophiert war die Großhirnrinde (in der die höheren Gehirnfunktionen angesiedelt sind), und die Hirnkammern (die die Cerebrospinalflüssigkeit enthalten) waren vergrößert. Es war auch zu einem Schwund des normalerweise dort vorhandenen Hirngewebes gekommen. (Jedes Körperorgan kann atrophieren, wenn Zellen aufgrund mangelnder Blutversorgung, mangelnder Energieversorgung oder mangelnder Nutzung absterben.)

Es war klar, dass bei Steve „alles zu spät war“, wie wir unter uns Ärzten oft sagen. Er war immer weniger der Steve, den ich geheiratet hatte, und wurde immer mehr zu einer „Kreuzung“ aus einem gebrechlichen älteren Mann und einem Zweijährigen, jedoch ohne dessen Energie. Ich musste mir ständig Gedanken darüber machen, wo er war und was er gerade machte. Wenn er das Zimmer verließ und längere Zeit nicht wiederkam, suchte ich ihn und fand ihn meist, wie er seinen Schrank, die Garage oder die Schubladen seines Waschtischs nach etwas durchsuchte, aber nicht mehr wusste, was es war. Ein Gedicht von Lois Walsh beschreibt sehr schön die „Zweideutigkeit“, von der die Alzheimerkrankheit begleitet wird: Für ihn ist sie ein ungebetener Gast, der sich zunächst schlau wie ein Fuchs in sein Haus einschleicht und allmählich, aber bestimmt alles wegnimmt, die Persönlichkeit des betroffenen Menschen, der da und doch nicht da ist, dessen Selbst täglich ein Stück mehr verloren geht. Er schreibt über seine Schuldgefühle, dass es nicht ihn trifft, dass er loslässt und durchhält und versucht, mit dieser Zweideutigkeit zu leben.

Zwei neue Studien mit Medikamenten

Ein paar Monate später stieß ich auf die Ankündigung einer klinischen Studie mit Bapineuzumab (einem neuen Impfstoff), an der sich das Alzheimer-Institut beteiligte. Eine Internetrecherche ergab, dass Steve alle Voraussetzungen für die Teilnahme erfüllte.

Laura, eine der Forschungsassistentinnen, bei der wir uns zum Eignungstest einfanden, gestaltete den Prozess der Vorauswahl sehr angenehm und klärte uns über das neue Medikament auf, das in unterschiedlichen Abständen intravenös verabreicht werden würde. Eine vorherige Studie mit einem Impfstoff war abgebrochen worden, da bei einigen Probanden Entzündungen im Gehirn auftraten. Doch dieser war ein anderer, der auch Beta-Amyloide aus dem Gehirn entfernt, jedoch über einen anderen Mechanismus. Beta-Amyloid ist ein Protein, das normalerweise im Körper hergestellt wird, dessen Funktion man aber noch nicht ganz versteht. Wenn es sich im Übermaß im Gehirngewebe ansammelt, bildet es dichte Plaques, die ein Kennzeichen von Alzheimer sind. Sie scheinen toxisch auf die Gehirnzellen in der Umgebung zu wirken und die Kommunikation zwischen ihnen zu stören. Wir erfuhren auch, dass etwa 40 Prozent der Probanden ein Placebo erhalten würden, ein bei Medikamentenstudien typisches Vorgehen, das den Forschern erst ermöglicht, die Wirksamkeit und Sicherheit des Medikaments zu ermitteln. Mit der Einverständniserklärung für den Eignungstest kam Steve überhaupt nicht zurecht. Er sollte jede Seite abzeichnen und mit dem Datum versehen, wusste aber von Seite zu Seite nicht mehr, was er tun sollte, weder, wo er unterschreiben sollte, noch, welches Datum wir hatten. Man musste alles Schritt für Schritt mit ihm zusammen machen.

Nach einer Anamnese und der Durchsicht seiner Medikamentenliste wurde er zum Mini-Mental-Status-Test in einen anderen Raum gebracht. Das schockierende Ergebnis war, dass sein Wert gegenüber dem letzten Test zwei Monate zuvor weiter abgesunken war. Um an der Studie teilnehmen zu können, brauchte er mindestens 16 Punkte, denn man wollte das Medikament an Menschen mit leichtem bis mittlerem Alzheimer testen. Steve kam nur auf 12 Punkte und wurde abgelehnt, weil das auf ein fortgeschrittenes Stadium hinwies. Dies war für uns beide ein harter Schlag. Der Arzt riet uns, einen neuen Termin zu vereinbaren, bei dem er versuchen konnte, besser abzuschneiden, denn er schien nach allen anderen Kriterien für die Studie geeignet zu sein. Wir waren ziemlich am Boden zerstört und wieder bei null angelangt. Es sah so aus, als würde ich Steve bald ganz an die Krankheit verlieren.

Ein paar Tage später las ich von einer neuen Studie, die mit Semagacestat von der Firma Eli Lilly & Co. gemacht werden sollte. Wieder schien Steve dafür geeignet. Semagacestat ist ein orales Medikament, ein Gamma-Sekretase-Hemmer, der die Substanzen im Blut, die zu Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn werden, vermindern soll. Man wusste nicht, ob das Medikament das wirklich konnte, doch man hoffte, dass sich mit seiner Hilfe weniger Plaques ansammelten. Ein sehr spannender Gesichtspunkt dieser Studie war, dass diejenigen Probanden, die das Placebo erhalten hatten, nach einem Jahr auf das Medikament umgestellt werden sollten. Ich vereinbarte umgehend neue Termine für die Eignungstests der Impfstoff-Studie und der Studie mit dem Eli-Lilly-Medikament.

Einige Tage, bevor wir die im nächsten Kapitel beschriebene Entdeckung machten, kam Steve zum Frühstück in die Küche; er war benommen wie meistens und sprach kaum. Ich stellte eine Schüssel Müsli an seinen Platz, er setzte sich und sagte: „Oh, ich brauche einen Löffel.“ Er drehte sich zum Geschirrschrank um, öffnete die Schublade, suchte und suchte und nahm ein kleines Messer heraus. Dann wandte er sich seinem Müsli zu und sagte wieder: „Oh, ich brauche einen Löffel.“ Das wiederholte sich mehrmals, bis er schließlich einen Löffel hatte. Ich bot ihm meine Hilfe an, doch er sagte: „Nein, ich muss das machen.“ Es ist so viel leichter, diese Dinge für ihn zu erledigen, doch wann immer es möglich ist, versuche ich seine Wünsche zu respektieren und lasse es ihn selbst probieren, egal, wie lange es dauert und wie schmerzlich es ist, dabei zuzusehen. Diese spezielle „Zeitlupen“-Episode blieb mir im Gedächtnis, denn nur ein paar Tage später sollte sich unser Leben so verändern, dass solche Episoden der Vergangenheit angehörten.

Alzheimer - vorbeugen und behandeln

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