Читать книгу Alzheimer - vorbeugen und behandeln - Mary T. Newport - Страница 8
ОглавлениеEinführung
Man nimmt an, dass mehr als 5 Millionen Amerikaner an Alzheimer leiden. Die Anzahl der Menschen mit dieser Krankheit verdoppelt sich bei den über 65-Jährigen grob gerechnet alle 5 Jahre, sodass Menschen, die älter als 85 Jahre werden, ein Erkrankungsrisiko von nahezu 50 Prozent haben. Da die Generation der „Babyboomer“ nun Mitte 60 und älter ist, wird allein für die USA bis 2050 eine Verdreifachung der Betroffenen auf schwindelerregende 15 Millionen prognostiziert; weltweit sollen es dann mehr als 100 Millionen sein – wenn nicht ein medizinischer Durchbruch Wege zur Verhütung oder Behandlung der Krankheit aufzeigt.
Nach Angaben der amerikanischen Alzheimer-Gesellschaft steht diese Krankheit an sechster Stelle der Todesursachen in den Vereinigten Staaten (bei den Menschen über 65 sogar an fünfter Stelle). Die Statistiker sagen uns, dass die Todesfälle durch Schlaganfälle, Herzkrankheiten und bestimmte Krebsarten zwischen 2000 und 2006 abnahmen, während die Todesfälle durch Alzheimer um 47 Prozent anstiegen. Darüber hinaus sterben mindestens 30 Prozent der Alzheimerkranken aus anderen Gründen, sodass die tatsächliche Anzahl der an dieser Krankheit leidenden Menschen möglicherweise stark unterschätzt wird.
Die jährlichen Belastungen durch die Pflegekosten für Menschen mit Alzheimer werden in den USA gegenwärtig auf 148 Milliarden Dollar geschätzt. Darüber hinaus pflegen laut Schätzung der amerikanischen Alzheimer-Gesellschaft 9,9 Millionen Menschen Patienten mit Alzheimer und anderen Demenzformen unentgeltlich; das entspricht einem Gegenwert von etwa 94 Milliarden Dollar (die bezahlte Kräfte dafür bekommen würden). 87 Prozent der Pflegenden sind Verwandte der Demenzkranken; so viele Menschen müssen also zuschauen, wie ihre Angehörigen langsam „verfallen“; wie sie zunächst nur Kleinigkeiten vergessen und schließlich nicht mehr in der Lage sind, die einfachsten Dinge zu tun. Am schlimmsten aber ist es, wenn sie die Menschen, die sich um sie kümmern und sie lieben, nicht mehr erkennen – nicht das Kind, das sie einmal geboren haben, und nicht den Ehepartner, mit dem sie seit vielen Jahren verheiratet sind.
Die Alzheimerkrankheit ist eine fortschreitende Erkrankung des Gehirns, die als irreversibel, als unumkehrbar gilt, ein rätselhafter Prozess, der Gehirnzellen veranlasst, ihre Vernetzung untereinander zu lösen und abzusterben. Trotz intensiver weltweiter Forschung seit Anfang der 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts kennt man die Ursache(n) der Krankheit auch im Jahre 2011 noch nicht.
Der erste Fall wurde von dem deutschen Psychiater und Neuropathologen Alois Alzheimer (1864–1915) im Jahre 1906 in einer Vorlesung beschrieben und 1911 in allen Einzelheiten veröffentlicht. Seine Patientin war eine 51-jährige Dame, Auguste Deter, die Symptome einer Gedächtnisstörung, von Aphasie (Sprachverlust), Desorientiertheit und „psychosozialer Inkompetenz“ zeigte. Nachdem ihre Krankheit sich allmählich verschlechtert hatte, starb sie mit 55 Jahren. Bei der anschließenden Obduktion ihres Gehirns stellte Dr. Alzheimer fest, dass die Zellen der für die höheren Gehirnfunktionen zuständigen Großhirnrinde zu fast einem Drittel abgestorben waren und sich dort stattdessen große Mengen von „amyloiden Plaques“ und Neofibrillen befanden, wie man heute sagt; diese wurden zu Kennzeichen der Krankheit, die heute seinen Namen trägt. Er nannte sie – aufgrund des noch recht geringen Alters der verstorbenen Patientin – „präsenile Demenz“.
Heute würde man von einer Frühform der Alzheimerkrankheit sprechen, wie das Auftreten dieser Art von Demenz vor dem 65. Lebensjahr bezeichnet wird. Man schätzt, dass in den USA 200 000 Menschen, also etwa 3,8 Prozent der 5,3 Millionen Betroffenen, zu dieser Gruppe gehören. Alzheimer wurde auch schon bei 30- und 40-Jährigen beschrieben. Bei 65-Jährigen und Älteren spricht man von der „Spätform der Alzheimerkrankheit“. Dr. Alzheimers erste Patientin zeigte bei der Obduktion auch Anzeichen arteriosklerotischer Verhärtungen; das weist auf die Überschneidung mit anderen Erkrankungen hin, die oft gleichzeitig mit dieser Krankheit auftreten. Alzheimer ist mit 50 bis 80 Prozent der Fälle die häufigste Form der Demenz, an zweiter Stelle steht die vaskuläre Demenz. Bei vielen Menschen gibt es Anzeichen beider Formen.
Durch die neuesten Fortschritte auf dem Gebiet der bildgebenden Verfahren ist es möglich geworden, bereits 10 oder mehr Jahre vor Ausbruch offensichtlicher Krankheitssymptome unscheinbare Veränderungen im Gehirn festzustellen. Dadurch wird es Menschen, die ein bekanntes Krankheitsrisiko haben, ermöglicht, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen. Dazu gehören die folgenden:
• Mit dem Rauchen aufhören
• Den Blutdruck unter Kontrolle halten
• Für mehr Bewegung sorgen
• Die Schlafapnoe behandeln lassen (kurzes Aussetzen der Atmung im Schlaf)
• Sich gesünder ernähren
• Maßnahmen ergreifen, um die Auswirkungen der durch Insulin bedingten Schädigungen zu verhindern oder rückgängig zu machen.
Die genaue Ursache für Alzheimer ist zwar nicht bekannt; solche Veränderungen des Lebensstils können aber, vor allem dann, wenn sie frühzeitig vorgenommen werden, die Krankheit verhindern, ihren Beginn verzögern oder ihren Verlauf auf andere Weise mildern.
Nur einige wenige Medikamente sind für die Behandlung der Alzheimerkrankheit zugelassen und keines davon stoppt den Verlauf der Krankheit oder kehrt ihn um. Es hat sich gezeigt, dass sie die Verschlechterung verzögern können, jedoch nur durchschnittlich 6 bis 12 Monate lang und nur bei etwa der Hälfte der Menschen, die sie einnehmen. Gegenwärtig werden Hunderte von Medikamenten gegen Alzheimer entwickelt; das kostet viele Millionen Dollar und es dauert im Durchschnitt 13 Jahre, ein einziges Medikament von der Konzeption bis zur Marktreife zu entwickeln.
Wenn auch die genaue Ursache oder die Ursachen von Alzheimer nicht bekannt sind, so kennt man doch bereits viele Einzelheiten der Krankheit. Unser Gehirn, das uns ermöglicht zu atmen, uns zu bewegen und zu denken, und das unsere Individualität bestimmt, ist eine unglaublich komplexe „Maschine“ oder „Apparatur“ (– beide Bezeichnungen passen natürlich nur mit großen Einschränkungen). Es besteht aus einem riesigen Netzwerk von untereinander und mit anderen Zellarten im Körper verbundenen Zellen. In jeder Zelle, jeder Zellmembram und in den Zwischenzellräumen, wo die Zellen miteinander verbunden sind und ihre Kommunikation stattfindet, laufen Hunderte von chemischen Reaktionen ab. Diese Reaktionen befinden sich in einem empfindlichen Gleichgewicht: Ein Überschuss oder Mangel an einer bestimmten Substanz kann dieses Gleichgewicht so sehr stören, dass das ganze Organ davon beeinträchtigt wird. Insulin beispielsweise gehört zu den Substanzen, die sich sowohl bei Überschuss als auch bei Mangel sehr negativ auf die betroffenen Organe auswirken können.
Eines der hervorstechenden unter den bekannten Merkmalen der Alzheimerkrankheit ist das Problem des Insulinmangels und der Insulinresistenz im Gehirn. Erst 2005, also vor wenigen Jahren, prägte Dr. Suzanne De la Monte von der Brown University den Begriff „Typ 3 Diabetes“ zur Beschreibung der Alzheimerkrankheit. Der Hintergrund: Glukose ist der „Haupttreibstoff“ für unsere Zellen, auch für die Gehirnzellen, und Insulin wird benötigt, damit die Glukose in die Zellen gelangen kann. Wenn die Produktion von Insulin und seine Nutzung im Gehirn nicht mehr richtig funktionieren, kommt es zu Fehlfunktionen und zum Absterben von Zellen, da sich die Verbindungen zwischen ihnen lösen. Dies ist ein Prozess, der bereits 10 Jahre oder länger vor dem Auftreten von Symptomen einsetzt.
Unser Körper verfügt nur über einen geringen Glukosevorrat, und wenn wir mehr als einen Tag lang nichts essen, gibt es einen „Plan B“, der verhindert, dass wir gleich sterben. Das Gehirn und die meisten anderen Organe können bestimmte andere Energiequellen verwerten, wenn keine Glukose zur Verfügung steht. Ohne diese Fähigkeit wäre die Menschheit schon längst ausgestorben. Während des Hungerns bedienen wir uns unserer Fettspeicher und setzen Fettsäuren frei, von denen einige in „Ketonkörper“ umgewandelt werden. Sie können die Blut-Hirn-Schranke passieren und unsere Zellen mit alternativer Energie versorgen. Um diese Ketonkörper zu „produzieren“, müssen wir aber nicht unbedingt hungern. Eine andere Möglichkeit ist die Einhaltung einer konsequenten ketogenen Ernährungsweise mit viel Fett und relativ wenig Kohlehydraten und Proteinen. Eine weitere einfachere Möglichkeit ist es, Nahrungsmittel zu sich zu nehmen, die mittelkettige Fettsäuren enthalten. Letztere werden während des Verdauungsprozesses leicht vom Darm aufgenommen und in der Leber teilweise in Ketonkörper umgewandelt. Und noch besser: An den National Institutes of Health (USA) hat ein Arzt einen Ketonester entwickelt, der – wenn er einmal auf den Markt kommt – die Versorgung mit diesem wertvollen Energielieferanten vereinfachen wird.
All das bedeutet für jemanden, der unter Alzheimer oder anderen Krankheiten leidet, die mit Insulinmangel und Insulinresistenz einhergehen: Eine einfache Ernährungsbehandlung könnte dieses grundlegende Problem umgehen, die energiehungrigen Zellen mit Nahrung versorgen und dabei das Gehirn lebendig und funktionstüchtig erhalten.
Mein Mann Steve hat die Frühform der Alzheimerkrankheit. Wir leben seit fast 7 Jahren damit. Jede Hoffnung begann schon zu schwinden – da kam es zu einer Wende: Im Mai 2008 begann Steve (unter meiner Anleitung), mittelkettige Fettsäuren zu sich zu nehmen. Da sich unser Leben seitdem deutlich verbessert hat, habe ich mich mit vielen Menschen ausgetauscht, die mit Alzheimer und anderen neurodegenerativen Erkrankungen zu tun haben. Einer der erschütterndsten Kommentare, die ich in Bezug auf die Übermittlung der Diagnose „Alzheimer“ immer wieder gehört habe, war der, dass manche Ärzte den Betroffenen und ihrer Familie sagen, da könne man nichts machen, sie sollten „nach Hause gehen und es sich gut gehen lassen“. Zu viele Menschen nehmen diese Art von „Ratschlägen“ für bare Münze und glauben wirklich, dass sie nichts tun können. Also gehen sie nach Hause und meistern die hoffnungslos erscheinende Situation, so gut sie können.
Andererseits gibt es Menschen, die sich weigern, eine solche „Kapitulation“ zu akzeptieren – weil sie wissen, dass auch Ärzte nicht alles wissen. (Ich kann und darf das sagen, weil ich selbst Ärztin bin.) Zu diesen Menschen gehöre auch ich. Das Internet gibt uns die Möglichkeit, nach Antworten auf diese komplexe Krankheit zu suchen, und ich kenne viele Menschen (auch solche, die nicht wissenschaftlich vorgebildet sind), die fast täglich im Internet unterwegs sind, um so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen und ihren Angehörigen zu helfen.
Wenn es das Internet nicht gäbe, hätte ich dieses Buch nicht schreiben können. Es war schon eine große Herausforderung für mich als Ärztin auf der Frühgeborenenstation, einen Mann mit Alzheimer zu haben und dann im Internet zufällig auf eine Pressemitteilung zu stoßen, dank derer ich die Entdeckung machte, die unser Leben veränderte: Hier folgt nun also unsere Geschichte, die gleichzeitig eine Geschichte von den Ketonen ist …