Читать книгу Sei höflich zu deinem Hund! - Masih Samin - Страница 4
ОглавлениеSo kann man mich in Köln öfter antreffen: beieiner entspannten Runde mit meinen Hunden und vierbeinigen »Klienten«.
WER ICH BIN
Als ältestes von drei Kindern wurde ich 1987 in Kabul in Afghanistan geboren, und bevor mich mein Weg 1994 im Alter von sechs Jahren schließlich nach Deutschland führte, lebte ich mit meiner Familie in Pakistan und Russland.
Auf dieser Reise meiner Kindheit hinterließen Hunde einen besonderen Eindruck auf mich. Die bewegenden Erlebnisse mit afghanischen Straßenhunden und verschiedenen Hunden in Russland und Deutschland beeinflussten mein späteres Leben maßgeblich. Der Wunsch, einen eigenen Hund zu haben, sollte sich aber viel später erfüllen.
2007 beendete ich mein Fachabitur und schlug mich zunächst mit Gelegenheitsjobs durch. Dann war es so weit: Ich bekam einen eigenen Hund. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, wie sehr dies meinen weiteren Werdegang ebnen sollte. Fortan nutzte ich jede Gelegenheit, um Hunde auszuführen, und beschäftigte mich mit ihrem Verhalten. Zunächst waren es Hunde von Freunden und Nachbarn, bis andere Hundehalter auf mich aufmerksam wurden und mir ihre Tiere anvertrauten. Ich wurde zum Dogwalker. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich bereits ehrenamtlich für verschiedene Tierschutzorganisationen und bot mich als Pflegestelle für schwer erziehbare Hunde an. So kam ich in Kontakt mit außergewöhnlichen Hunden und deren Geschichten.
Doch ich wollte mehr über Hunde und deren Verhalten wissen, als mir meine Intuition und die Fachliteratur bot. 2012 begann ich daher am Institut für Tierheilkunde in Limburg das Studium über die Verhaltenspsychologie von Hunden. Die Ausbildung umfasste zwei Jahre, basierte auf den neuesten Erkenntnissen des Hundeverhaltens und berücksichtigte das Lern- und Ausdrucksverhalten sowie rassespezifische Grundlagen und Problemverhalten von Hunden.
Zu dieser Zeit bekam ich meinen wohl schwersten Fall: eine äußerst aggressive Kangalhündin, die ich Mädchen nannte. Die Arbeit mit meinem Mädchen und der Prozess ihrer Resozialisierung formte maßgeblich meine Philosophie im Umgang und in der Arbeit mit verhaltensauffälligen Hunden. Heute arbeite ich deutschlandweit als Hundeverhaltenstherapeut, gebe Seminare und helfe Menschen, ihren Hund und sein Verhalten besser zu verstehen.
(M)EIN LEBEN MIT HUNDEN
Wenn wir die Entscheidung treffen, unser Leben mit einem Hund zu teilen, bedeutet das erst einmal Veränderung. Wir müssen unseren Alltag umstrukturieren und stehen neuen Herausforderung gegenüber. Natürlich bedeutet ein Hund viel Freude, aber auch eine Menge Arbeit, vor allem weil er erfolgreich in den Alltag integriert werden möchte.
Heute, wo Hunde nicht mehr nur die Aufgabe haben, für den Menschen zu arbeiten und sie als Hütehund, Jagdhund oder auf andere Weise zu unterstützen, ist es umso wichtiger, eine gute Beziehung zu ihnen zu pflegen. Hunde sind mittlerweile echte Familienmitglieder. Ob zu Hause oder auf der Arbeit, unterwegs im Wald oder in der Stadt: Es ist unerlässlich, dass Hunde und Menschen sich aufeinander verlassen können. Doch wie kann man als Hundehalter die Bedürfnisse seines Hundes befriedigen, ohne seine eigenen zu vernachlässigen? Schließlich schafft man sich ja einen Hund an, um das Leben aufzuwerten, nicht, um es zu erschweren. Was kann man tun, damit alle zu ihrem Recht kommen und gemeinsam glücklich sind?
Zuhauf erlebe ich die Ratlosigkeit und Frustration der Hundehalter auf den Hundewiesen und Parkanlagen, wenn es dann doch nicht so läuft, wie sie es sich gewünscht haben. Man meint es gut, und dennoch gelingt es nicht. Was tun, wenn der eigene Hund einen Streit mit Artgenossen angefangen hat, so an der Leine zieht, dass er sich dabei fast selbst stranguliert, oder wegläuft und jeden Rückruf ignoriert?
In den eigenen vier Wänden kann es genauso schnell ungemütlich werden, etwa wenn Besuch vor der Tür steht und der Hund sich unangemessen verhält. Wenn man ein Kind erwartet, aber unsicher ist, wie der Hund darauf reagieren wird. Dann gibt es so viele Fragen – und noch viel mehr Meinungen …
Natürlich ist es wichtig, dem Verhalten auf die Spur zu kommen. Aber eines vergessen wir hierbei leicht: Dass der Hund sich auch auf uns einstellen muss. Einen glücklichen Hund bekommt man nur dann, wenn man ihn auch versteht. So kann man seine Bedürfnisse befriedigen, ohne die eigenen zu vernachlässigen. Im heutigen »Informationsdschungel« ist es jedoch äußerst schwierig, den richtigen Weg für sich zu finden. Und so mancher fragt sich, wie es eine Mutterhündin nur schafft, ihren Nachwuchs großzuziehen – ohne Google, Fachbücher oder Hundeschulen? Während wir Menschen schon häufig beim ersten Rückruf verzweifeln.
Die Lösung ist ganz einfach: Sie lautet Kommunikation! Deshalb hat die Hündin es einfacher als wir Menschen, ihre Jungen zu erziehen. Schließlich sprechen sie dieselbe Sprache. Wir dagegen müssen erst lernen, die Sprache unserer Hunde zu verstehen und ihnen – im Umkehrschluss – unsere Welt und unsere Kultur ins »Hündische« zu übersetzen. Tun wir das nicht gewissenhaft genug, können sich rasch einige Probleme entwickeln. Eines nämlich ist ununstößlich: Fast jedes Problem lässt sich auf ein kommunikatives Missverständnis zurückführen.
Genau hier beginnt meine Arbeit: Ich betreue deutschlandweit Hundehalter, die die Beziehung zu ihrem Vierbeiner verbessern wollen. Ich unterrichte sie darin, das natürliche Verhalten ihrer Hunde zu verstehen und sich darauf einzustellen. Aber auch darin, ihre eigenen Handlungen infrage zu stellen. Der Hund »erzählt« mir dabei ebenfalls seine Sicht der Geschichte. Meine Aufgabe besteht also letztendlich darin, zwischen Mensch und Hund zu vermitteln.
Mein Mädchen, noch ganz jung! Mittlerweile sind wir ein perfekt eingespieltes Team.
MEINE PHILOSOPHIE
Der Hund ist seit jeher der ständige Begleiter des Menschen, und vermutlich ist daher der Wunsch nach einem eigenen Hund so tief in vielen von uns verwurzelt. Er soll freundlich und verspielt sein, soll uns respektieren und gut hören, groß oder klein sein … Wir haben viele Erwartungen an den »besten Freund des Menschen«. Aber was erwartet der Hund eigentlich von uns? Wir haben eine genaue Vorstellung, was einen guten Hund ausmacht. Aber was genau macht einen guten Menschen aus? Zumindest für unsere Vierbeiner.
Ich bin, wie Sie wahrscheinlich auch, ein Hundemensch durch und durch. Um meine Verbundenheit zu den Hunden mit Ihnen zu teilen, habe ich dieses Buch geschrieben. Denn eine von vielen wichtigen Lektionen im Laufe meiner Arbeit mit Hunden ist: Ich kann nichts von meinem Hund verlangen, solange ich es selbst nicht leisten kann. Ich kann nicht von meinem Hund erwarten, dass er sich draußen entspannt verhält, solange ich selbst im Angesicht eines anderen Hundes in Panik verfalle. Und ich kann nicht wirklich den Rückruf verlangen, wenn ich ihn dem Hund nicht beigebracht habe.
Sollte mein Hund an der Leine pöbeln, bin ich sicher kein Vorbild als Krisenmanager, wenn ich mich ebenfalls aggressiv verhalte, an der Leine rucke oder mich mit anderen Hundebesitzern anlege. Und schlägt mein Herz jedes Mal hoch, wenn es an der Tür klingelt, wäre es unfair, mich über das unsichere Gebell meines Tieres aufzuregen.
Unsere Vierbeiner machen so einiges mit uns durch. Dabei ließe sich vieles leichter erleben, wenn wir zunächst unser Verhalten reflektieren würden. Der beste Freund des Menschen braucht ebenfalls einen besten Freund, und wie jede Beziehung muss auch diese gepflegt werden.
»Der Mensch beeinflusst maßgeblich das Verhalten des Hundes, indem er sich selbst entwickelt.«
Es ist schon eine ganze Weile her, aber als mein Mädchen zu mir kam, erwies sie sich als recht widerspenstig. Sie war äußerst aggressiv und konnte ihre Emotionen gegenüber Artgenossen nicht kontrollieren.
Ich verzweifelte ein ums andere Mal an ihrem unbändigen Verhalten. Während der langen Arbeit mit ihr lernte ich viel über mich selbst. Vor allem aber bemerkte ich, dass mein Verhalten maßgeblich ihr Verhalten beeinflusste. Somit musste ich mich immer wieder an meine eigenen Leitsätze erinnern.
Mädchen war eine strenge Lehrerin und ließ mich für jede meiner Unsicherheiten zahlen. So erteilte sie mir eine wichtige Lektion, die ich nie vergessen werde: Jede Veränderung beginnt in dir selbst. Ich war gezwungen, mich besser zu reflektieren, um bewusster zu kommunizieren. Nur so konnte ich aus meinen Fehlern lernen. Und erst ab dann war Mädchen bereit, mir zu vertrauen.
Heute ist Mädchen meine treue Gefährtin und hilft mir so gut wie jeden Tag, anderen Hunden zu helfen. Die Erkenntnisse aus der Arbeit mit ihr ziehen sich wie ein roter Faden durch meine Arbeit mit allen Hunden und helfen mir immer wieder, wenn einer meiner »Patienten« mal besonders große Probleme hat. Ohne Mädchen wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Danke!