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Grundstein
Den Grundstein für mein heutiges, chaotisches Leben haben bestimmt meine Eltern in vollkommener Unwissenheit gelegt. Als einziger Sohn (geboren 1935) bin ich mit zwei Schwestern in einer höchst angesehenen Fabrikantenfamilie aufgewachsen.
Meine Jugend war das Paradies auf Erden; alles, was ich mir jemals gewünscht habe, ist eingetroffen, alle Probleme und kleinere Schwierigkeiten wurden unverzüglich aus dem Wege geräumt. Niemals wurde ich für ein Versagen zur Verantwortung gezogen. Mein Vater war – im Gegensatz zu mir – grundehrlich; seine obersten Gesetze waren moralische und ethische Grundsätze. Trotz einer großen Villa auf einem ansehnlichen Grundstück mit Park und einem kleinen Wald, wo meine Schwestern und ich unsere schöne Jugendzeit verbringen durften, blieb mein Vater immer äußerst bescheiden, obwohl er andererseits auch eine Respektsperson war, die sich außerdem bei allen Freunden, Bekannten und Nachbarn großer Beliebtheit erfreute. Leider hat mein Vater immer versucht, mich zu schützen, um das Ansehen seiner Familie nicht in Gefahr zu bringen. Für keinen meiner Jugendstreiche habe ich jemals Prügel bezogen oder sonstige Bestrafungen erhalten, bis auf ein einziges Mal, als ich aus Bequemlichkeit meine Jugendfreundin beauftragt hatte, für meinen Vater, der leidenschaftlicher Fischer war, in unserem Garten Würmer zu suchen; die dafür erhaltene Ohrfeige schmerzt mich noch heute.
Außerdem durfte ich auf unserem Privatgrund keine Autos mehr bewegen, obwohl ich im Alter von zehn Jahren in Begleitung meines Vaters auf den Feldwegen entlang seines dreißig Kilometer langen Forellenbaches das Autofahren gelernt hatte. Dieser Unterricht hatte nämlich auch dazu geführt, dass ich bei entsprechenden Gelegenheiten und in Abwesenheit meiner Eltern eines der Autos, die in unserer Fabrik jederzeit fahrbereit herumstanden, benutzte, um in atemberaubender Geschwindigkeit Ausflüge durch unsere Wohngegend und in die nähere Umgebung zu unternehmen. Dabei bin ich mehrmals dem Dorfpolizisten begegnet, der auf seinem Motorrad von einer Lokalität zur nächsten unterwegs war, um seinen enormen Durst zu löschen.
Auch mein Vater, der ein geselliger Mensch war und deshalb mehrmals in der Woche in unserem Dorf seinem geliebten Kartenspiel frönte, begegnete bei diesen Gelegenheiten dem Polizisten. Zwar hatte ihm dieser jedes Mal über meine verbotenen Ausflüge berichtet, doch er hatte nie den Mut, Strafanzeige gegen mich oder meine Familie zu stellen; schon allein deshalb nicht, weil mein Vater seine nicht unerheblichen Weinzechen bei seinem Besuch im Gasthaus meistens bezahlte. So hatte der Polizist allen Grund, sich mit der Situation abzufinden.
Dieses sorglose Leben ohne Verantwortung und Konsequenzen hat meinen Charakter entsprechend geprägt. Ich bin an und für sich ein intelligentes und schlaues Wesen, das immer auf seinen Vorteil bedacht ist. Umgekehrt habe ich aber nicht gelernt, für begangene Fehler selbst die Verantwortung zu übernehmen, denn die Konsequenzen meiner Fehler haben immer meine Eltern getragen. Als damals mein Schullehrer, der übrigens ein Freund der Familie war, wollte, dass ich die dritte Grundschulklasse wiederholte, hatte meine Familie für dieses Anliegen meines Lehrers kein Verständnis; selbstverständlich besuchte ich daraufhin die vierte Klasse der Grundschule. Daraus sind allerdings große schulische Probleme erwachsen. Doch da meine Familie nicht akzeptieren konnte, dass ihr Sohn eine Grundschulklasse wiederholte, wurde ich in einem Privatinternat, das viel von einem Vier-Sterne-Hotel hatte, untergebracht. In dieser Schule absolvierte ich zwei Schuljahre ohne Wiederholung einer Klasse und trat anschließend wieder in die sechste Klasse der Grundschule meiner Heimatgemeinde ein. Natürlich stellte sich bereits nach kurzer Zeit heraus, dass meine Qualifikation für die Oberschule nicht ausreichte, also wurde ich erneut in einem privaten Internat untergebracht. Auf diese Weise konnte ich zur großen Freude meiner Eltern sowohl die Grund- als auch die Oberschule ohne Schande und ohne Wiederholung einer Klasse hinter mich bringen.
Nach der Schule musste ich, obwohl ich mein ausschließliches Interesse für Automobil- und Flugzeugtechnik bekundet hatte, im Lebensmittelunternehmen meines Vaters eine praktische Lehre mit einer zusätzlichen kaufmännischen Ausbildung absolvieren. In jenen Jahren meiner Ausbildung verbrachte ich aber jede freie Minute in der Autogarage eines Freundes meiner Eltern oder, infolge meiner Begeisterung für die Fliegerei, auf diversen Flugplätzen.
Obgleich ich jeden Bestandteil eines Autos kannte und umfangreiche Kenntnisse der Flugzeugtechnik besaß, schloss ich zur großen Freude meiner Eltern meine Ausbildung mit Erfolg ab und erhielt auch sofort danach das mir versprochene MG Sportauto. Da ich nun nicht mehr täglich in unserem Fabrikationsbetrieb arbeiten musste, durfte ich, nach einer längeren Einführungszeit durch unsere Verkaufsabteilung, selbstständig unsere Kunden besuchen. Trotz meiner großen Verkaufserfolge wurden mir die mir in Aussicht gestellten Kommissionen nicht ausbezahlt, mit der Begründung, dass unsere Fabrik in einigen Jahren an mich übertragen werde. Obwohl ich genügend Taschengeld für ein gutes Leben hatte und auch alles andere bezahlt wurde, schwand danach mein Ehrgeiz, ein erfolgreicher Verkäufer zu sein, spürbar.
Da ich mich niemals für das Unternehmen meines Vaters begeistern konnte, hatte ich mich entschlossen, ohne das Wissen meiner Eltern das Fliegen zu lernen. Wie ich dieses Vorhaben jemals finanzieren sollte, war mir dabei vollkommen gleichgültig. Tatsächlich hat mein Vater später die entsprechenden Rechnungen, die ich natürlich nicht bezahlen konnte, mit einer unvorstellbaren Wut beglichen. In kurzer Zeit konnte ich die erste Stufe meiner Pilotenausbildung mit Erfolg erlangen. Als mein Vater mir dann auch noch in aller Deutlichkeit mitteilte, dass mein zukünftiger Arbeitsplatz in seinem Unternehmen zu sein habe und dass er nicht mehr gewillt sei, für meine Fliegerei auch nur einen Franken zu bezahlen, entschloss ich mich, niemals in seinem Unternehmen zu arbeiten.
Heute muss ich gestehen, während ich meine Biografie schreibe, dass dies die größte Sinnwidrigkeit in meinem noch jungen Leben war. Hätte ich vor vierzig Jahren dem innigsten Wunsch meiner Eltern entsprochen, wäre mein Leben nicht in diesen chaotischen Zustand verlaufen. Mein Entscheid, dem Unternehmen meines Vaters für alle Zeiten den Rücken zu kehren ist der Irrtum meines bisherigen Lebens, denn es ist unmöglich, in einem einzigen Leben wieder ein gleichwertiges Unternehmen aufzubauen. Wenn ich damals die Geduld aufgebracht, noch einige Jahre zu arbeiten, wären bestimmt alle meine Wünsche auf andere Weise erfüllt worden und meine damaligen Vorhaben hätten sich zu einem späteren Zeitpunkt realisieren lassen. So lebte ich nach diesen Vorkommnissen nach wie vor in meinem schönen und vertrauten Zuhause. Und obwohl damals die Unkosten für mein Auto und weitere Auslagen von meinen Eltern bezahlt wurden und unsere langjährige Hausangestellte Berta gelegentlich kleinere Geldbeträge aus unserer Haushaltskasse für mich abzweigte, wollte ich in der kurzen Zeit bis zum Beginn der langen Militärzeit außerhalb des Unternehmens meines Vaters noch etwas Geld dazuverdienen. In meiner Heimatgemeinde hatte ich eine kurzfristige Anstellung in einer Auto-Werkstatt mit einem Stundenlohn von zwei Franken erhalten. Diese Arbeit habe ich sechs Wochen lang zur vollen Zufriedenheit meines Arbeitgebers ausgeführt und anschließend einen längeren Militärdienst absolviert.
Infolge meiner Pilotenlizenz habe ich nach Beendigung meiner Militärzeit zu meiner großen Überraschung eine Anstellung im Verkauf einer amerikanischen Firma, die Sportflugzeuge, Flugzeugbestandteile und Elektronik vertrieb erhalten. Die nächsten zwei Jahre waren für mich die vollkommene Erfüllung. Da jedoch die Marktchancen zu gering waren und der angestrebte Verkaufserfolg hinter den Erwartungen zurückblieb, wurde diese Niederlassung aufgelöst. Mein Vater hatte in der Zwischenzeit eingesehen, dass sein Sohn niemals zurückkommen würde, um das elterliche Unternehmen mit Erfolg weiterzuführen. Dann ergab sich die Möglichkeit, sein Aktienpaket an seinen Bruder und Geschäftspartner zu verkaufen. Zu jener Zeit war ich einfach nur glücklich, dass das Thema meiner Nachfolge in seiner Firma für alle Zeiten erledigt war. Hätte er jedoch damals gewusst, dass sein Sohn in den folgenden zwanzig Jahren sein komplettes Vermögen vernichten würde – die daraus resultierenden Sorgen trugen auch zu seinem frühzeitigen Tod bei – hätte er sein Unternehmen bestimmt niemals verkauft. Meine Mutter, die nach seinem Tod unvermögend weiterleben musste und durch dieses Schicksal schwer gezeichnet war, wurde bis an ihr Lebensende durch meine beiden Schwestern, die glücklich und erfolgreich verheiratet waren, in jeder Hinsicht unterstützt.