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Die Haftstrafe
Die Haftstrafe verbüßte ich in der freien Natur, in einem Gefängnis, das kein Gefängnis im herkömmlichen Sinne war, sondern ein der Vollzugsanstalt angegliederter Landwirtschaftsbetrieb. Meine Strafe musste ich von März bis Oktober verbüßen und die tägliche Arbeit in der Landwirtschaft und der Umgang mit den Tieren festigten meine Beziehung zur Natur. Ich konnte beobachten, wie das Leben im Frühling erwachte und im späten Herbst wieder einschlief; lernte, dass alles, was angepflanzt wurde, verantwortungsbewusst und mit viel Liebe und Sorgfalt gepflegt werden musste, damit eine erfolgreiche Ernte erfolgen konnte.
Damit vergleichbar ist das sinnvolle und erfüllte Leben eines menschlichen Wesens, doch leider ist die Gebrauchsanweisung für solch ein erfülltes Leben in keiner Bibliothek erhältlich, sondern kann nur im Leben selbst erlernt werden. Würde jeder Mensch sein Leben gestalten wie es die Natur vormacht, wäre das Paradies auf Erden garantiert und alle Verbrechen, Kriege und sonstiges Elend wären ausgeschlossen. Das Eindringen des Menschen in die Natur ist deshalb nicht ohne Folgen geblieben. Die Gier der Menschen nach Macht und Geld ist jedoch grenzenlos, auch wenn oder gerade weil fast alle Güter, die auf dieser Welt produziert werden, im Grunde sinnlos sind und nur der Vermehrung von Macht und Geld dienen. Würde das Geld nicht existieren, wäre eine Ausbeutung von Mensch und Natur durch den Menschen nicht möglich.
Die Zeit meiner Strafverbüßung öffnete mir, was die Menschen betrifft, zusätzlich die Augen, denn bei einem der monatlichen Besuche meiner Frau, der unter Aufsicht eines Pfarrers stattfand, hatte Anuschka einen geeigneten Moment abgewartet, um mir verbotenerweise zwei Packungen Zigaretten in meine Hosentasche zu stecken. Leider bemerkte dies der heilige Gottesvater und brach den Besuch ab. Anuschka musste daraufhin unter schwersten Strafandrohungen die Stätte ihres schwerwiegenden Verbrechens verlassen. In dieser Zeit machte ich die Erfahrung, dass alle Pfarrer auf dieser Welt nicht besser waren als andere Menschen; im Gegenteil, sie trugen auf ihrem hoch erhobenen Haupt einen trügerischen Heiligenschein und waren nur zu einer Gegenleistung bereit, wenn diese zu ihrem eigenen Vorteil war. Das Geschäft der Kirche beherrschen sie in absoluter Perfektion, denn sie lassen sich jedes gute und tröstende Wort honorieren. Ohne Skrupel und ohne Moral betreiben sie auf Kosten der Gläubigen ein perfektes und erfolgreiches Industrieunternehmen. Diese Domherren führen mit wenigen Ausnahmen ein genussvolles Leben und sind wie die Mastgänse vollgestopft mit den köstlichsten Speisen und edelsten Weine der allerbesten Klasse. Mit wenigen Ausnahmen sind diese Heuchler aus Bequemlichkeit und aus Angst vor dem täglichen Überlebenskampf nicht fähig, ein so genanntes normales Leben zu führen. Ihre Behauptung, ein Gottesdiener zu sein und auf alle schönen Lebensgenüsse zu verzichten, entspricht nicht der Wahrheit. Ihre Behauptung, nach dem Tode als Belohnung für ihre Aufopferung im Paradies leben zu können, ist eine Selbsttäuschung; ich bin überzeugt, dass die Mehrheit in der so genannten Hölle schmoren wird.
Ich wurde als Kind streng katholisch erzogen und kann mich gut daran erinnern, dass mein Vater beim sonntäglichen Kirchgang bei der jeweiligen Opfersammlung und im Gegensatz zu den anderen Kirchgängern äußerst großzügig war. Jede Münze verursachte beim Einwerfen in die Opferbüchse ein dumpfes Geräusch, das zu meinem großen Entsetzen an besonderen Feiertagen ausblieb, da mein Vater dann noch großzügiger war und einen Geldschein in die Büchse steckte. Aus diesem und anderen Gründen hat uns damals unser Pfarrer regelmäßig zuhause besucht und das anschließende Nachtessen in Begleitung bester Weine hat immer mehrere Stunden gedauert. Abschließend hat sich unser Pfarrer mit einem zusätzlichen «Opferbatzen» für die Not leidende Menschheit und zusätzlichen Genussmitteln aus unserer Fabrik zu später Stunde mit Gottesdank und der Zusicherung, dass unsere Familie im Paradies einen guten Platz erhalten wird, verabschiedet.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit festhalten, dass ich an einen Gott glaube und dieser deshalb ein wichtiger Beitrag meines Lebens ist; in der Annahme, dass unser Pfarrer nicht gelogen hat, kann ich nach Beendigung meines irdischen Daseins die Ewigkeit im Paradies verbringen. Zu jener Zeit war das Leben für mich jedoch alles andere als das Paradies. Trotz des Risikos, meine restliche Strafe doch noch hinter Gittern verbringen zu müssen, schrieb ich meiner Frau Anuschka einen Brief und vereinbarte mit ihr einen Treffpunkt unter freiem Himmel. Dieser Brief wurde durch einen Mitgefangenen nach dessen Entlassung an meine Frau weitergeleitet. Da ich auf dem Landwirtschaftsbetrieb selbstständig und unbeaufsichtigt verschiedene Arbeiten zu erledigen hatte, ergaben sich diverse Möglichkeiten, meine Anuschka in einem angrenzenden Waldstück zu treffen. Meine Frau hat mich jedes Mal und zu jeder gewünschten Zeit unter größtem Risiko besucht, und so hatte ich für den Rest meiner Haftzeit genügend Zigaretten und verfügte auch über andere kleine Annehmlichkeiten, die das Leben unter den gegebenen Umständen erträglich machten Die Zeit nach meiner Entlassung, geprägt durch die Rückkehr zu meinen Eltern, deren Haus für die nächste Zeit auch unser Zuhause wurde, war eine Erniedrigung, die ich niemals vergessen werde. Mein Vater konnte diese Schande nie verwinden und ohne das Wohlwollen meiner Mutter, die meinem Vater ein Höchstmaß an Verständnis abverlangt hatte, wäre eine Rückkehr zu meinen Eltern unmöglich gewesen. Meine Ehefrau Anuschka, die in der Zwischenzeit wieder als Büroangestellte berufstätig war, konnte das Zusammenleben in dieser Atmosphäre nicht mehr ertragen und mietete nach kurzer Zeit eine kleinere Wohnung. Dieses neue Zuhause war ein weiterer Neubeginn und der neuerliche Aufbau einer Existenz. Ich war inzwischen sechsunddreißig Jahre alt, mittellos und hatte einen äußerst bedenklichen Leumund einsame Zukunft.
Um aus dieser aussichtslosen Situation herauszukommen, mussten übermenschliche Kräfte mobilisiert werden. Die Unterstützung, das Verständnis und die Liebe von Anuschka gaben mir die Kraft, meine Zukunft positiv und erfolgreich zu gestalten. Infolge meiner früheren Geschäftsbeziehungen im Ausland konnte ich einen Geschäftsfreund und Inhaber eines bedeutenden Unternehmens überzeugen, die schon länger bestehenden Pläne für eine Zweigniederlassung in der Schweiz zu realisieren. Ohne von meiner Vergangenheit zu wissen, stellte er mich als Geschäftsführer mit einem fürstlichen Gehalt und zusätzlichen Erfolgsprovisionen ein. Nichts auf dieser Welt konnte mich zerstören. Für die meisten anderen Menschen, die das gleiche Schicksal erlitten hatten, hätte dies das sichere Ende einer erfolgreichen Existenz bedeutet. Nicht so für mich. Mein Gewissen, dem jede Ethik und jede Moral fremd waren, erlaubte ein Leben, das im Grunde nur Geistesgestörte führen konnten.
Ein Leben, das auf der Vorspiegelung falscher Tatsachen beruht oder unter Verheimlichung früherer Machenschaften geführt wird, ist ein vollendeter Selbstbetrug und führt deshalb immer in die sichere Katastrophe. Mein unersättlicher Geltungsdrang und das über allem stehende Bedürfnis, um jeden Preis und auch ohne Rücksicht auf Regeln und Gesetze Erfolg zu haben, veranlassten mich, sämtliche mir zur Verfügung stehenden Mittel, ob legal oder nicht, anzuwenden. Mir war zwar durchaus bewusst, welche Konsequenzen sich aus meinen Handlungen ergeben könnten, doch gleichzeitig war ich überzeugt davon, dass ich nie in die Situation kommen würde, tatsächlich die Verantwortung für mein Tun übernehmen zu müssen. Da ich immer positiv dachte und unter bestimmten Bedingungen von dem Gelingen eines Unternehmens überzeugt war, konnte ich mein verantwortungsloses Handeln nicht kontrollieren. Dieser grenzenlose Optimismus bewirkte denn auch, dass mein Leben zugleich Himmel und Hölle war, denn die unerträglichen Spannungen und Belastungen waren die vollendete Hölle.
Mein eiserner Wille und mein unermüdlicher Einsatz in den folgenden zwei Jahren führten schließlich dazu, dass sich dieses Unternehmen auch in der Schweiz erfolgreich entwickelte. Durch harte Arbeit hatte ich mir abermals eine zukunftsreiche Existenz gesichert, mein überdurchschnittliches Einkommen und die Harmonie in meiner Ehe mit Anuschka bildeten die Grundpfeiler für meinen weiteren Erfolg.
Durch die Teilnahme an diversen Messen, vor allem in Osteuropa, und weitere Auslandsbesuche bei Industrieunternehmen konnte ich meine Geschäftsbeziehungen erweitern. Trotz meiner Vergangenheit war der Gedanke an eine eigene Firma noch immer in meinem Kopf, denn dieses verborgene und vom Teufel besessene Gespenst gibt niemals Ruhe. Ein Leben als Angestellter war nie mein Leben, denn es schränkte meine Freiheit ein. Die Gestaltung eines erfüllten Lebens war für mich unmöglich, solange ich nur Diener war, auch wenn ich als solcher gut bezahlt wurde. Ich empfand die täglichen Befehle und Instruktionen Anderer, besonders der Vorgesetzten, als Erniedrigung; ich war weder Sklave noch Leibeigener und konnte diesen Zustand auf Dauer nicht ertragen. Täglich etwas zu tun, was ich nicht wollte, war wie eine Erpressung; Vorschriften und Bedingungen meiner Arbeitgeber akzeptieren zu müssen, eine Qual. So war auch meine innere Unruhe nicht mehr länger zu ertragen und ich musste meine Selbstachtung wiederherstellen.