Читать книгу Der Tod in Venedig von Thomas Mann: Reclam Lektüreschlüssel XL - Mathias Kieß - Страница 7
Drittes Kapitel
ОглавлениеDas dritte Kapitel (S. 31–77) beschreibt die Reise Aschenbachs, den Aufenthalt auf dem Lido (einem Venedig vorgelagerten Küstenabschnitt) und mehrere Begegnungen mit Tadzio, einem polnischen Knaben.
Zwei Wochen nach der Episode mit dem Fremden in München tritt Aschenbach seine Reiseroute Reise nach Süden an. Für seine gesamte Fahrt plant er vier Wochen, denn nach diesem Zeitraum soll das Landhaus für ihn hergestellt sein (S. 31). Mit dem Nachtzug geht es zunächst nach Triest, von wo aus er nach einem Tag mit dem Schiff in die Stadt Pola (heute: Pula) auf der istrischen Halbinsel aufbricht. Nach einem Aufenthalt auf einer Insel vor der Küste besteigt Aschenbach einen Dampfer nach Venedig.
Die Überfahrt auf dem veralteten und düster wirkenden italienischen Auf dem Dampfer Dampfschiff gestaltet sich mühselig. Schon der Matrose, der das Ticket ausstellt, kommt Aschenbach merkwürdig vor. Er ist bucklig, ziegenbärtig und sieht aus wie ein altmodischer Zirkusdirektor (S. 32). An Bord beobachtet der Reisende die anderen Passagiere. Besonders eine Gruppe junger Handelsgehilfen aus Pola fällt ihm auf. Er stört sich an einem Alten, der sich unter sie gemischt hat. Der falsche Jüngling trägt Perücke und Gebiss, hat die Hände eines Greises und ist außerdem geschminkt (S. 34 f.). Erst als das Schiff endlich ablegt, bessert sich die Laune Aschenbachs. Geschützt unter einem Segeldach genießt er die Überfahrt trotz Regens an Deck und geht nur zu einer Mahlzeit ins Innere des Schiffs. Dort trifft er wieder auf die Handelsgehilfen, die nun gemeinsam mit dem Kapitän des Schiffes zechen (S. 37). Der Alte scheint den Alkohol schlecht zu vertragen und verliert einige trinkselige Worte an Aschenbach, den er als Fremden erkennt (S. 40 f.). Dieser verlässt bei Ankunft in Venedig verstört und auf schnellstem Wege das Schiff.
Aschenbach, der nicht zum ersten Mal die Lagunenstadt bereist, erlebt nun, da er mit dem Ankunft in Venedig auf dem Seeweg Schiff ankommt, ein anderes Venedig. Seine Hoffnung, das Wetter möge sich bei der Einfahrt in die Stadt bessern, bleibt enttäuscht, denn Himmel und Meer sind »trüb und bleiern« (S. 37). Trotzdem stellt sich ein Hochgefühl ein, als die Wahrzeichen der Stadt von der Seeseite zu sehen sind. Erreicht man die Stadt mit dem Zug, so sei es, als ob man einen Palast durch die Hintertür betrete (S. 40).
Von der Schiffsanlegestelle in Venedig zu seinem Hotel auf dem Lido plant Aschenbach den Vaporetto, den für Venedig typischen Wasserbus, zu benutzen. Ein Der widerspenstige Gondoliere Gondoliere soll ihn zur Haltestation bringen, steuert seine Gondel jedoch direkt auf den Lido zu (S. 42). Auch wenn Aschenbach die komfortable Fahrt genießt und nicht will, dass sie endet, besteht er doch auf seinem Recht, das Ziel der Fahrt selbst zu bestimmen. Wie schon die vorherigen Reisebegegnungen Aschenbachs wirkt auch der Gondelführer grotesk. Stets flüstert und zischt er kaum Hörbares vor sich hin, und seine Gondel erinnert den Reisenden an einen Sarg (S. 41). Aschenbach wägt ab, ob er einem Verbrecher in die Hände gefallen ist oder ob der Gondoliere mit der längeren Fahrt lediglich einen höheren Fahrpreis erzielen will. Schließlich ergibt sich die Hauptfigur ihrem Schicksal. Um die Überfahrt zu bezahlen, will Aschenbach nach der Ankunft Geld in einem naheliegenden Hotel wechseln. Bei seiner Rückkehr ist der Gondoliere verschwunden. Es stellt sich heraus, dass dieser keine Konzession besitzt und von den anderen Gondelführern verpfiffen worden ist (S. 46).
Im Hotel angekommen, erholt sich Aschenbach von den Reisestrapazen und nimmt seinen Nachmittagstee ein. Beim Warten auf das Abendessen betrachtet er die internationale Gesellschaft des Hotels. Ins Auge fallen ihm vier Geschwister, die polnisch miteinander sprechen. Drei Schwestern im Alter von fünfzehn bis siebzehn – wie Aschenbach schätzt – und der Erste Begegnung mit dem polnischen Knaben Jüngste, etwa vierzehn Jahre alt. Während die Schwestern »keusch« (S. 50) und »nonnenhaft« (S. 51) aussehen, zieht das Äußere des Knaben den Reisenden in seinen Bann. Er wird als »vollkommen schön« (S. 50) und von »einer Haltung von lässigem Anstand« (S. 51) beschrieben. Die Augen der beiden treffen sich kurz, als der Knabe beim Gang zum Abendessen einen Blick zurück in die bis auf Aschenbach menschenleere Vorhalle wirft.
Beim Abendessen sitzt die polnische Familie weit entfernt von Aschenbach und er denkt darüber nach, was einen Menschen schön macht. Als er am nächsten Morgen das Fenster seines Hotelzimmers öffnet, weht Landwind von Venedig her und ein fauliger Geruch macht sich breit. Sofort denkt Aschenbach daran, Abreisegedanken und zweite Begegnung abzureisen, da er vor einigen Jahren schon einmal aufgrund gesundheitlicher Probleme aus Venedig fliehen musste. Er sieht davon ab, sein Gepäck völlig auszupacken. Erst als der bewundernswerte Knabe verspätet zum Frühstück eintrifft, bessert sich die Laune des Reisenden und er verliert sich erneut in dessen Anblick. Ein Entschluss scheint gefasst: »[I]ch [bleibe] hier, solange du bleibst!« (S. 57). Ein Vorsatz, an den sich der Protagonist halten wird.
Den weiteren Morgen verbringt Aschenbach am Privatstrand des Hotels und genießt freudig das bunte Treiben. Er beobachtet andere Gäste und reflektiert über seinen Entschluss, in der Lagunenstadt zu bleiben. Als der Knabe am Dritte Begegnung am Strand Strand auftaucht, bessert sich seine Laune weiter, und er kann zumindest andeutungsweise seinen Namen vernehmen. Die Altersgenossen, mit denen der Knabe Sandburgen baut, nennen ihn »Adgio« oder »Adgiu« (S. 61). Aschenbach verlässt den Strand und will eigentlich seine nachgeschickte Post bearbeiten, kann seine Gedanken aber nicht von dem Jüngling losreißen. Er ist erleichtert, als dieser nach seiner Rückkehr an den Strand noch immer zugegen ist. Nun kann er auch den korrekten Namen des Knaben erhören: Er heißt Tadzio, eine Kurzform von Tadeusz, angerufen »Tadziu« (S. 63). Unter den Gleichaltrigen nimmt Tadzio anscheinend ebenfalls eine besondere Stellung ein, und als ihm einer seiner Freunde einen Kuss gibt, reagiert Aschenbach mit Eifersucht.
Nach dem Mittagessen hat die Hauptfigur zum ersten Mal die Chance, den jungen Vierte Begegnung und Aufenthalt in Venedig Tadzio aus der Nähe zu betrachten. Er wirkt zart, kränklich und seine Zähne sind »ohne den Schmelz der Gesundheit« (S. 66). Anschließend begibt Aschenbach sich in die Stadt, wo seine Stimmung sich radikal umkehrt. Wie ein Getriebener irrt er durch die Gassen. Schwüle und unliebsame Gerüche machen ihm zu schaffen, er schwitzt, und Bettler behelligen ihn. Aschenbach gesteht sich ein, dass Venedig im Sommer gesundheitsschädigend für ihn ist.
In Venedig zu bleiben scheint vernunftwidrig. Nach Hause zu fahren ebenso, da weder Sommer- noch Winterquartier vorbereitet ist. Aschenbach trifft nun doch die Entscheidung, in ein kleines Seebad unweit von Triest zu Abreise geplant fahren. Gleich am nächsten Morgen will er starten (S. 69). Nach einer unruhigen Nacht öffnet Aschenbach erneut das Fenster. Der Wind hat gedreht und die Luft ist frisch. Erste Zweifel am überstürzten Abreiseplan machen sich breit.
Das Frühstück versucht Aschenbach in die Länge zu ziehen. Obwohl ihn ein Hotelangestellter drängt, sich mit dem Frühstück zu beeilen, damit er seinen Zug noch erwische, lässt er sich im Anschluss noch die Zeitung bringen (S. 70). Als er sich endlich anschickt zu gehen, kommt Fünfte Begegnung mit Tadzio Tadzio in den Frühstücksraum und Aschenbach verabschiedet sich flüsternd von ihm. Nachdem er den Bediensteten Trinkgelder gegeben hat, bricht er verspätet zum Bahnhof auf. Sein Gepäck ist bereits vorausgeschickt worden.
Wehmütig fährt Aschenbach durch die Stadt zum Bahnhof. Er fühlt sich wie ein Zerrissener und Versager, da er das geliebte Venedig zum zweiten Mal überstürzt verlässt, dieses Mal vielleicht für immer. Nachdem er sein Zugticket gekauft hat, muss er feststellen, dass sein Gepäck die Stadt bereits in einem Zug in die Abreise abgebrochen falsche Richtung verlassen hat. Eine »abenteuerliche Freude« und »unglaubliche Heiterkeit« (S. 74) ergreift Aschenbach. Nun kann er in der Stadt und in Tadzios Nähe bleiben, ohne sein Gesicht zu verlieren, denn er gibt an, nicht ohne Gepäck reisen zu wollen. Auf der Rückfahrt in das gewohnte Hotel kommt der Wind von der Meerseite her und die Luft ist somit frisch. Als er nachmittags vor dem Hotel sitzt und beobachtet, wie Tadzio vom Strand zurückkehrt, erkennt er, dass der Abschied seinetwegen so schwer fiel (S. 77).