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Fünftes Kapitel

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Im letzten Kapitel (S. 97–139) nimmt die Sehnsucht des Protagonisten nach dem jungen Tadzio teilweise bizarre Züge an. Zugleich verdichten sich die Hinweise der vorherigen Kapitel auf eine Seuche: In Venedig bricht die Cholera aus. Auch die Hauptfigur wird infiziert und stirbt.

Im Gegensatz zum vorherigen Kapitel findet sich hier gleich zu Beginn eine konkrete Zeitangabe. Aschenbach befindet sich in der vierten Woche seines Aufenthalts am Lido, es ist demnach Ende Juni, und der im vierten Kapitel beschriebene Urlaubsalltag umfasst einen Monat. Immer mehr Gäste Einige Gäste verlassen das Hotel verlassen nach einer Beobachtung Aschenbachs das Hotel, obwohl der Sommer gerade erst richtig angefangen hat. Es bleiben vor allem deutschsprachige Gäste aus, weswegen er mehr Fremdsprachen vernimmt als zuvor. Eine Entwicklung, die Aschenbach zunächst begrüßt, da er sich nun mehr wie ein Reisender fühlt. Doch auch in der Stadt werden einige Veränderungen sichtbar.

Es riecht nach Arzneimittel (S. 98), und polizeiliche Warnungen, man solle vom Verzehr von Muscheln absehen, werden angeschlagen. Aschenbachs Friseur, der sich zunächst verplappert, Einheimische vertuschen »das Übel«überhört weitere Nachfragen. Der später angesprochene Hotelmanager spielt das Problem als reine Routine- und Vorsichtsmaßnahme herunter. Aschenbach und mit ihm der Leser ahnen die Wahrheit: Deutsche Tageszeitungen sprechen von Gerüchten um Todesfälle in der Stadt. So erklärt sich das Ausbleiben seiner Landsleute, denn die Leser ausländischer Zeitungen sind über eventuelle Hygieneprobleme in der Stadt nicht informiert.

Doch eigentlich hat der Protagonist anderes im Kopf. Es genügt ihm nicht mehr, Tadzio nur vormittags am Strand zu beobachten, sondern er Aschenbach verfolgt die polnische Familie verfolgt ihn nun auch bei Ausflügen in die Stadt. Zunächst beim Tee auf dem Markusplatz (S. 98), sonntags sogar in den katholischen Gottesdienst (S. 101). (Aufgrund der Herkunft und des Verhaltens Aschenbachs kann davon ausgegangen werden, dass er Protestant ist.) Später verspricht er seinem Gondelführer ein großzügiges Trinkgeld, wenn er der Gondel der polnischen Familie folgt (S. 102) und verweilt vor dem Zimmer des Angebeteten, die Stirn an die Tür gelehnt (S. 104). Seine Verfolgungen gehen nun so weit, dass Aschenbach weiß, welche Kleidung Tadzio zu welchem Anlass trägt (S. 110). Außerdem beginnt Tadzios Kindermädchen, ihn zurückzurufen, wenn der fremde Beobachter in der Nähe ist (S. 111).

Als auch immer mehr internationale Gäste die Stadt verlassen, stellt Aschenbach weitere Nachforschungen an, denn er ist in Sorge, dass auch Tadzio und seine Familie abreisen könnten (S. 100). Zunächst befragt er einen Straßenmusiker, der das Hotelpublikum mit einer grotesk-humorigen Vorstellung unterhält. Als er die Antwort vernimmt, die fast bis auf den Wortlaut identisch mit der des Hotelmanagers ist, bricht er das Gespräch ab und beobachtet, wie Hotelmitarbeiter den Sänger hinauswerfen. Da der Tourismus die Haupteinnahmequelle der Stadt ist und sein Rückgang den Einheimischen die Existenzgrundlage entzöge, ist ihnen daran gelegen, zu verschweigen, dass in der Stadt etwas nicht stimmt. Gewissheit erhält Aschenbach erst in einem englischen Reisebüro, wo er zunächst erneut dieselbe heruntergeleierte Antwort und dann die ganze Wahrheit zu hören bekommt: Die indische Die Cholera in Venedig Cholera hat sich über den asiatischen Kontinent bis in den Mittelmeerraum ausgebreitet (S. 119). Zahlreiche andere Städte sind bereits betroffen, und ein österreichischer Urlauber ist nach der Rückkehr in seine Heimat verstorben. Laut dem Angestellten des Reisebüros infiziert man sich vor allem über roh verzehrte Nahrungsmittel, und einmal infiziert, hat man nur eine zwanzigprozentige Überlebenschance. Der Ausbruch der Seuche soll geheim gehalten werden, um dem Image der Stadt nicht zu schaden. Staatsdiener, die sich nicht an die Geheimhaltung halten, werden entlassen, und Aschenbach wird empfohlen, die Stadt schnellstmöglich zu verlassen, bevor eine Quarantäne verhängt wird.

Aschenbach spielt mit dem Gedanken, die polnische Familie, die offenbar nichts vom Ausbruch der Seuche weiß, zu Den Geliebten retten?warnen. In Gedanken formt er die Worte bereits vor. Doch ihm fehlt der Mut, sich Tadzios Mutter zu nähern (S. 123). Mitwissend ist auch mitschuldig, denkt Aschenbach bei sich. Seine Angst, Tadzio könne etwas zustoßen, drückt sich in einem furchtbaren Traum aus, den Thomas Mann mit besonders vielen audiovisuellen Eindrücken wie lockendem Flötenton, Paukenschlägen, Geheul und gezogenen u-Rufen ausschmückt (S. 124–127).

Nachdem Aschenbach die moralische Läuterung mit dem Ausbleiben der Warnung verwehrt bleibt, wird der Verliebte immer hemmungsloser. War er zuvor stets bedacht, den anderen Touristen nicht aufzufallen, wenn er den jungen Geliebten verfolgte, so ignoriert er dies nun, schließlich reisen die meisten sowieso ab. Sein vom Alter gezeichneter Körper beginnt ihn anzuekeln, weswegen er versucht, sich zu Verjüngungskur verjüngen: Er trägt jugendliche Kleidung und Parfüm, lässt sich die Haare färben und sich schminken. Aschenbach kleidet sich nun so wie der Greis, dessen Aussehen ihn auf der Reise nach Venedig noch störte. Treffend stellt der Frisör fest: »Nun kann der Herr sich unbedenklich verlieben« (S. 131).

Auf einer seiner zahlreichen Touren durch die Stadt verliert Aschenbach Tadzio und seine Familie. Frustriert kauft er sich Todbringende Erdbeeren Erdbeeren und verspeist sie noch im Gehen. Wahrscheinlich steckt sich der Protagonist hier mit der Cholera an. Erschöpft lässt er sich auf den Stufen eines Brunnens nieder und denkt halb träumend nach. Thomas Mann zitiert hier nochmals eine längere Passage aus dem Gespräch zwischen Sokrates und Phaidros über Schönheit (S. 134 f.). In den nächsten Tagen leidet Gustav von Aschenbach – nun wird er beim ganzen Namen genannt – unter Schwindelanfällen. Es geht ihm zusehends schlechter. Die Abreise der polnischen Familie steht bevor (S. 136), und er beobachtet Tadzio ein letztes Mal am Strand. Dieser rauft sich mit einem deutlich stärkeren Altersgenossen und ist schnell der Unterlegene. Als Aschenbach gerade eingreifen will, lässt der Sieger von Tadzio ab und will sich entschuldigen. Der schwächliche Knabe ist jedoch zu stolz, um die Entschuldigung anzunehmen (S. 138). Er posiert vor dem offenen Meer, bevor er, von den Blicken Aschenbachs verfolgt, zurück ins Hotel geht. Einige Minuten später finden Hotelangestellte den zusammengebrochenen Aschenbach und bringen ihn auf sein Zimmer, wo er kurz darauf stirbt (S. 139).

Der Tod in Venedig von Thomas Mann: Reclam Lektüreschlüssel XL

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