Читать книгу Undercover Boss - Mathilde Berg - Страница 15
ОглавлениеHannah
Freitagabend, neunzehn Uhr. Mit wackligen Knien stehe ich vor der Adresse, die Lars mir gegeben hat. Ein klassischer Klinkerbau im Jugendstil mit Nischen, Erkern und Türmchen. Im Prinzip genau das, was ich von ihm erwarte habe. Eins muss man ihm lassen: Für Stil und Schönheit hat er ein Händchen.
Seinen Namen hat er mit weißem Dymoband über den des Vormieters auf das Klingelschild geklebt. Vorn ist noch ein ‚El‘ und hinten ein ‚ne‘ zu sehen. In der Glasscheibe der Eingangstür überprüfe ich meine Frisur und mein Make-up. Zu viel Lippenstift, entscheide ich. Aus der Handtasche hole ich ein Papiertaschentuch und tupfe damit den Farbüberschuss von den Lippen.
Dann drücke ich mit zittrigen Fingern den Klingelknopf. Der Türöffner summt, die Sprechanlage knistert und Lars Stimme schnarrt aus dem grauen Kasten neben der Tür.
„Hallo! Komm rein. Ganz nach oben, in die Mansarde.“
„Okay!“ Meine Stimme klingt etwas wacklig. Mein Herz klopft mir vor Nervosität bis zum Hals und verschlägt mir die Sprache.
Das Treppenhaus raubt mir den restlichen Atem. Der Steinboden ist mit einem weiß-braunen, floralen Mosaik ausgelegt. Ein verspieltes, schmiedeeisernes Treppengeländer schmückt die großzügige Wendeltreppe im lichtdurchfluteten Treppenhaus. Durch das Auge der Treppe sehe ich eine Glaskuppel. Beinah ehrfürchtig schreite ich die Stufen hinauf. Ein wenig aus der Puste komme ich im vierten Stock an.
Lars lehnt mit verschränkten Armen lässig im Türrahmen. Ein Geschirrtuch hängt über seiner rechten Schulter. Eine Mehlspur ziert seine linke Wange. Aus der Wohnung wabert ein unwiderstehlich leckerer Duft zu mir, den mein Magen freudig mit einem glucksenden Geräusch kommentiert.
„Hey“, sage ich zur Begrüßung. Mir fällt nichts Geistreicheres ein.
Lars hingegen sagt nichts, schaut mich nur mit großen Augen an, was ich wiederum auf meinen neuen Kleidungsstil zurückführe. Ich hätte doch die Hose anziehen sollen, nicht den Rock.
„Ich wohne hier!“
Auch nicht besser, denke ich mir, nicke ihm aber verständnisvoll zu. „Ganz schön viele Stufen!“
Lars nickt zustimmend.
Wir verhalten uns wie Fremde. Ich hasse solche Situationen.
„Wein“, sage ich und halte mein Mitbringsel hoch. „Ich habe Wein mitgebracht.“
„Super!“ Lars scheint aus seiner Schockstarre erwacht zu sein. „Entschuldige bitte. Wo habe ich nur meine Manieren? Komm doch herein. Schön, dass du da bist. Wein passt hervorragend.“
Ich trete in sein modern eingerichtetes Apartment. Es ist überraschend gemütlich. Die Decken sind hier, im Gegensatz zum Flur, wesentlich niedriger. Küche und Wohnzimmer bilden einen großen Raum mit einem atemberaubenden Ausblick durch die bodentiefe Fensterfront auf die Stadt.
Das Plopp des Weinkorkens lässt mich zusammenfahren. Auf dem Küchentresen stehen zwei große, bauchige Weingläser. Lars riecht versonnen am Korken, nickt und schenkt den Merlot ein. Er schwenkt sein Glas, betrachtet die Farbe, atmet das Bouquet ein und stellt das Glas zufrieden auf den Tisch. „Gute Wahl! Kennst du dich mit Wein aus?“
„Nein, eigentlich nicht. Du anscheinend schon.“
„Nun ja, ein wenig vielleicht“, erwidert er bescheiden. „Ich mag Wein. Nimm doch Platz.“
Meine Strickjacke und Handtasche lege ich auf dem Sofa ab. Etwas unbeholfen klettere ich auf den hohen, gepolsterten Hocker. Mit der Lehne ist er wesentlich bequemer als ich dachte.
Lars holt zwei tiefe Teller aus dem Schrank. Ein Topf steht auf dem Herd und köchelt leise vor sich hin. Die Uhr am Backofen piept. „Oh, entschuldige. Ich hole nur eben das Baguette aus dem Ofen.“
Erwartet habe ich ein aufgebackenes Knoblauchbaguette aus der Tiefkühltruhe im Supermarkt. Stattdessen zaubert er ein duftendes Backwerk aus dem Ofenrohr. Schneller als ich schauen kann, schneidet er es gekonnt in Scheibchen, füllt es in ein Körbchen mit einem Leinentuch darin und stellt es zwischen uns auf den Küchentresen.
„Hast du das selber gemacht?“
„Ja, ich liebe frisches Brot. Außerdem passt es hervorragend zu unserem Essen.“
Ich kann nur staunen und starre ihn wahrscheinlich an, als wäre er das siebte Weltwunder. Hoffentlich bemerkt er es nicht. Männer, die kochen können, find ich einfach sexy.
„Als Vorspeise habe ich uns ein Tomatenschaumsüppchen gekocht.“
Ich lächele nur und nicke. Zu was anderem bin ich momentan nicht fähig. Ich bin mehr als beeindruckt.
Lars schöpft die Suppe auf die vorbereiteten Teller und serviert sie anschließend. Es duftet nicht nur köstlich, es schmeckt auch so. Das Brot ist locker, leicht und luftig.
„Was machst du eigentlich so in deiner Freizeit, wenn du nicht gerade bei fremden Männern bist und zu Abend isst?“
„Ich?“ Was soll ich darauf antworten? Ich sitze in meine Wolldecke gewickelt auf dem Sofa und schreibe Geschichten, die wahrscheinlich niemand jemals lesen wird? „Nichts Besonderes.“
„Hast du ein Hobby?“
„Wenn ich mich nicht gerade um Paul und Gisbert kümmere …“
„Sind das deine Brüder?“
„Nein, nein …“
„Du wohnst also in einer Wohngemeinschaft?“
„So kann man es auch nennen.“ Gelogen ist es nicht wirklich, aber ich stelle es auch nicht richtig. „Ich schreibe gern.“
„Briefe? Oder beschäftigst du dich mit Lettering?“
„Nein, weder noch. Ich schreibe einen Roman. Oder versuche es zumindest.“
„Cool! Kann ich mal was lesen?“
„Nein, auf gar keinen Fall!“, blocke ich ab.
„Wieso nicht?“
„Weil … weil noch niemand irgendwas von mir gelesen hat. Es ist sowieso nicht gut genug.“
„Wie kommst du darauf? Deine Berichte und Reportagen sind doch klasse!“
„Ja, mag sein, aber …“
„Also, vor was hast du Angst?“
„Ich habe gar keine Angst!“, protestiere ich, merke aber selber, wie bockig das klingt. Natürlich weiß ich, wovor ich Schiss habe. Vor Ablehnung, Zurückweisung und dass andere über mich lachen könnten.
„Oben in der Verlagsabteilung haben wir einige Lektoren – habe ich jedenfalls gehört –, bei denen du dir Rat holen könntest!“
„Das mache ich vielleicht auch. Aber erst, wenn ich dort arbeite!“
„Du würdest die Redaktion verlassen?“
„Ja! Es ist nur vorübergehend. Ich wollte schon immer nach oben in die Verlagsabteilung. In der Redaktion der Fernsehzeitschrift arbeite ich nur, bis ich endlich das Volontariat abgeschlossen habe.“
„Und wann wird das sein?“
„Da musst du Nils fragen! Er entscheidet das als Teamleiter. Wenn ein Bericht oder eine Reportage gut genug ist, um unter meinem eigenen Namen veröffentlicht zu werden, legt er sie unserem Abteilungsleiter, Herr Ludewig, vor. Er ist gleichzeitig der Chefredakteur. Der wiederum legt unserm Chef die Storys vor, die gedruckt werden sollen. Wenn er sie für gut befindet und sie in der nächsten Ausgabe erscheint, dann habe ich es fast geschafft. Ich brauche nur noch einen Abschlussbericht von Nils. Das ist sozusagen der Ritterschlag.“
„Wo liegt das Problem? Du schreibst jede Menge gute Reportagen!“
„Mag sein. Aber es steht nicht mein Name, sondern der von Nils darunter.“
„Das ist doch nicht fair!“
„Nein, sicherlich nicht. Ich kann aber nichts dagegen machen. Nicht, solange er nicht Chefredakteur ist. Jeder weiß, dass Nils auf den Posten von Herrn Ludewig scharf ist, der bald in Rente geht.“
„Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben!“
„Nicht wirklich, es ist fast aussichtslos. Die Reportage müsste ein Knaller sein, die reinhaut und die ich geheim halte. Sonst reißt Nils sie sich unter den Nagel, um sich zu profilieren.“
„Dann mach das doch!“
„Leichter gesagt als getan!“
„Dir fällt sicherlich etwas ein. Ich kann dir ja helfen?“
„Du?“
„Na ja, ich kann den Helldenker ablenken und du schiebst deine Reportage mit deinem Namen unter die Sachen, die dem Chef vorgelegt werden.“
„Ich dachte eher daran, meine Story in der Verlagsbesprechnung dem Chef persönlich zu präsentieren.“
„Oder so, das wäre noch besser!“
Ich seufze. „Träumen kann man ja mal.“
„Träume können auch in Erfüllung gehen.“
Die Suppenteller hat er in der Zwischenzeit abgeräumt und in die Spülmaschine gestellt sowie einen großen Topf mit gesalzenem Wasser aufgesetzt, den er zum Kochen bringt. Gleichzeitig schnippelt er Gemüse wie ein Profi. Er schneidet in einer unglaublichen Geschwindigkeit und schaut mich dabei an, während er unserem Gespräch aufmerksam folgt.
„Wow! Das machst du aber auch nicht zum ersten Mal.“
„Köche können das!“
„Nee, ist klar! Den Film habe ich auch gesehen.“
„Das ist einer meiner Lieblingsfilme! Tödliche Weihnachten. Schon immer wollte ich diesen Satz mal sagen.“ Lars schaut mich verschmitzt an. Er dreht sich um, holt eine Pfanne aus dem Schrank und schwenkt das Gemüse kunstvoll, als sie die gewünschte Temperatur hat. Die selbstgemachten Nudeln ziehen mittlerweile im köchelnden Wasser.
„Was sind deine Träume?“, frage ich ihn.
„Meine?“
„Bist du glücklich mit dem, was du machst?“
Ein Schatten zieht über sein Gesicht und lässt seine Augen für einen Moment dunkler werden wie Wolken an einem verregneten Tag. „Okay, ertappt! Ich bin nicht ganz freiwillig im Verlag. Mein Vater wünscht das. Wogegen ich …“
„… andere Pläne hast.“
„Ja, genau! Es geht mir ein wenig wie dir mit Nils. Ich kann zurzeit auch nichts an der Situation ändern.“
„Was würdest du den am liebsten machen?“
Lars stellt einen Teller mit dampfender Pasta und Gemüse vor mich. Es riecht und schmeckt köstlich. „Ich würde gern ein Restaurant eröffnen. Überraschung! Kleine Speisekarten mit frischen und gesunden Zutaten der Saison. Alles Bio. Das Konzept habe ich schon fertig.“
„Wo liegt dann das Problem?“
Er druckst etwas herum. „Ist kompliziert.“
„Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben!“, greife ich seinen Satz von vorhin auf.
„Ich habe zur Umsetzung nicht genügend Mittel. Wenn auch nur moralisch, bin ich meinem Vater verpflichtet. Er hat meiner Mutter auf ihrem Sterbebett versprochen, dass er sich um mich kümmert …“
„Und das geht nur, wenn du bei uns im Verlag arbeitest? Sei mir nicht böse, aber ich denke, deine Stärken liegen woanders!“
„Ist das so offensichtlich? Er hat da andere Vorstellungen von meinem Leben.“
„Aber das ist doch nicht fair!“
„Fair? Das ganze Leben ist nicht fair!“
„Warum sagst du ihm nicht einfach, was du willst? Er ist doch dein Vater, er wird das verstehen.“
„Wie gesagt. Ist kompliziert.“
Eine kleine Pause entsteht. Den letzten Rest der Flüssigkeit auf meinem Teller wische ich mit einer Scheibe Baguette auf. „Das Essen war echt köstlich! In deinem Restaurant wäre ich Stammgast.“ Zu spät merke ich, dass ich ihm ein Kompliment gemacht habe.
Lars nickt anerkennend und räumt das Geschirr ab.
„Du hast einen gesunden Appetit“, sagt er und deutet auf den Teller. „Ich hätte nicht gedacht, dass du die Portion schaffst.“ Verunsichert schaue ich an mir herunter. Als er meinen zerknirschten Gesichtsausdruck bemerkt, schiebt er schnell hinterher: „Ich mag es, wenn Frauen vernünftig essen. Du bist wenigstens kein magersüchtiges Suppenhuhn wie viele andere.“ Das macht es jetzt auch nicht besser.
„Du meinst, man sieht, wo es bleibt!“
„Nein, so war da nicht gemeint!“
„Ich weiß, dass ich nicht schlank bin. Das kann man auch nicht schönreden.“
„Du hast echt ein Problem mit deiner Figur, oder?“
„Ich?“
„Wie gestern schon gesagt, du hast tolle Kurven und bist kein Strich in der Landschaft. Aber das weißt du ja sicherlich selbst.“
„Ähh …“
„Oder, wie heißen deine Mitbewohner gleich noch mal? Paul und … Gerhard?“
„Gisbert!“
„Genau. Paul und Gisbert. Die buhlen sicherlich um deine Aufmerksamkeit.“
„Eigentlich ist ihnen mein Aussehen völlig egal, solange sie genug zu futtern haben, fressen sie mir aus der Hand!“
„Das meine ich damit. Gehst du mit ihnen aus?“
„Nein. Sie sind mir zu klein und zu behaart.“ Jetzt muss ich schmunzeln.
Lars legt sich eine Hand auf die Brust, lässt sie aber schnell wieder sinken, als ob er sich verbrannt hätte. „Dessert?“
„Ja, gern!“
Es ist eine gemütliche Atmosphäre. Im Hintergrund spielt leise eine CD mit Tango-Argentino-Musik von dem Tango-Master Juan D’Arienzo. Mein Lieblingstanz. Ich könnte Stunden hier sitzen. Obwohl wir uns erst vor fünf Tagen zum ersten Mal begegnet sind, ist es so, als würden wir uns schon eine Ewigkeit kennen. Es herrscht Harmonie und Vertrautheit zwischen uns.
Lars serviert mir ein frisch gebackenes Schokotörtchen mit einem flüssigen Kern aus Schokolade. Er schenkt noch von dem Wein nach, der bei mir anfängt, seine Wirkung zu entfalten. Da ich selten Alkohol trinke, schlägt er bei mir sehr schnell an. Vermutlich liegt es daran. Kulinarisch bin ich diesem arroganten Möchtegern-Gentleman mit den unwiderstehlich sexy Grübchen, den warmen, rauchblauen Augen und den verschmitzten Lachfältchen um den Mund schon verfallen.
Obwohl ich das nicht möchte, wird er mir zunehmend sympathischer. Er ist jetzt so ganz anders als zu Beginn. Mein Verstand sagt mir zwar immer noch, dass ich ihm nicht vertrauen soll und dass etwas nicht mit ihm stimmt, aber mein Herz beginnt, ganz anders zu denken, unterstützt von dem Schwarm Schmetterlinge in meiner Magengrube.
Ja, ich beginne mich, so unglaublich es auch klingt, in ihn zu verlieben. Das wird mir in diesem Augenblick bewusst und schlagartig wird mir heiß und kalt, gleichzeitig. Eine Panikattacke versucht, in mir aufzusteigen. Hastig rutsche ich von meinem Hocker. „Ich muss los!“
„Jetzt schon?“
„Mein Bus! Ich verpass’ sonst meinen Bus“, stottere ich, schnappe meine Handtasche und stürze zur Tür raus. Auf der Treppe höre ich Lars rufen: „Warte …“
„Sorry, ich muss los!“
Dann bin auch schon unten. Die kühle Nachtluft schlägt mir entgegen. Orientierungslos laufe ich nach rechts die Straße entlang, auf der Suche nach einer Bushaltestelle. Ich kann nicht klar denken. Eine Ewigkeit vergeht, bis endlich das vertraute Haltestellenzeichen vor mir auftaucht. Im Bushäuschen setze ich mich auf einen Gittersitz und atme mehrere Male tief durch. Erst jetzt merke ich, wie kalt es ist und dass ich meine Strickjacke bei Lars vergessen habe. So ein Mist! Nach und nach komme ich zu mir. Mein Verstand schaltet sich ein, und mir fällt ein, dass ich mit dem Fahrrad zu Lars gefahren bin. Doppelter Mist!