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SIMON

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Der Film beginnt damit, dass ein Asteroid auf der Erde einschlägt und alle Dinosaurier tötet. Auf dem gesamten Planeten breitet sich ein Flammenmeer aus. Ein Kommentator erklärt, dass es jederzeit wieder passieren kann und es nur eine Frage der Zeit ist.

Keiner sagt etwas. Außer der schwülstigen Musik ist nur das laute Knuspern von Salzgebäck zu hören. Hampus liegt vorm Fernseher und zerkaut Chips mit offenem Mund. Sein T-Shirt ist vorn etwas hochgerutscht und entblößt seinen Bauch, der im Sommer etwas rundlicher geworden ist. Früher gingen er und Sait jeden Tag gemeinsam ins Fitnessstudio und die beiden redeten fast ausschließlich über Proteinpulver und Muskeldefinition.

Sait, der noch immer sein Sixpack hat. Sait, der Tilda auf den Hals geküsst hat.

Sait, der zum Glück nicht hier ist. Aber Tilda ist auch nicht hier. Vielleicht sind die beiden ja gerade zusammen.

Wir sind bei Hampus zu Hause und schauen uns Armageddon an, einen jener Filme, die sie versucht haben aus dem Netz zu nehmen. Allerdings ohne Erfolg.

Jetzt, fünfundsechzig Millionen Jahre später, fährt die Kamera über die Skyline von New York. Die ersten Felsbrocken fallen wie Bomben vom Himmel und legen die Wolkenkratzer in Schutt und Asche. Hampus meint, das sei erst das Vorspiel. Keiner von uns lacht. Ich mache genau das, was ich immer gemacht habe, als ich klein war und meine Schwester Emma mich zwang, mit ihr Gruselfilme zu gucken, wenn sie abends auf mich aufpassen musste. Ich starre wie blind auf den Bildschirm, bis ich keine Bilder mehr erkenne, sondern nur noch wechselnde Farben und Formen sehe. Die Geräusche sind am schlimmsten, denn gegen die kann man sich nicht so leicht wehren, ohne dass es jemand merkt.

Doch dann beginnt der eigentliche Film und als der Hauptdarsteller auf einer Bohrinsel inmitten aller möglichen explosiven Stoffe auf den Verlobten seiner Tochter schießt, müssen wir laut lachen.

»Was’n Wichser«, meint Johannes.

»Echt wahr, was geht den Alten denn ihr Sexleben an?«, stimmt Amanda zu. »Fuck, sie ist doch erwachsen.«

Jetzt bekomme ich wieder etwas besser Luft. Man darf die Handlung einfach nicht ernst nehmen. Ich sinke tiefer in meinen Sessel.

Wie sich zeigt, werden mehrere Ölbohrarbeiter in Rekordzeit zu Astronauten ausgebildet, um ins All zu fliegen. Dort sollen sie schließlich ein tiefes Loch in den Asteroiden bohren, um ihn zu sprengen. Für diese Aktion bleibt ihnen allerdings nur ein einziger Versuch.

»Wäre es nicht viel leichter, wenn man richtige Astronauten beauftragt, um das Loch zu bohren?«, frage ich.

Die anderen lachen. Kann es sein, dass sie genauso erleichtert klingen wie ich? Ich glaube schon.

Ich kapiere einfach nicht, dass man diesem Film zu Beginn des Sommers eine Art Vorbildfunktion beigemessen hat. Damals meinten sie noch, wir sollten auch Atomwaffen hochschicken. Doch Foxworth ist zu groß dafür und außerdem war er schon zu nah an der Erde. Nicht mal wenn wir alle mit Atomwaffen bestückten Raketen weltweit aufgeboten hätten, hätte es funktioniert.

»Hat er der Tussi etwa gerade ’nen Cracker in den Slip geschoben?«, fragt Amanda.

»Glaub schon«, antwortet Johannes, lacht und zieht sie auf dem Sofa näher zu sich heran.

Ich verspüre einen Anflug von Neid. Johannes hat wenigstens noch eine Freundin. Er gehört noch immer wie selbstverständlich dazu. Wir beide haben die anderen nämlich erst über Tilda und Amanda kennengelernt. Und jedes Mal, wenn ich ihnen in nüchternem Zustand begegne, frage ich mich unwillkürlich, ob sie mich wirklich noch dabeihaben wollen, jetzt da mit Tilda Schluss ist. Ich treffe mich nicht mal mehr allein mit Johannes, obwohl er mein bester Freund ist. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er mir bewusst aus dem Weg geht.

Vielleicht bin ich ja so anstrengend, dass keiner mehr Lust auf mich hat.

»Haben die etwa alle schon wieder vergessen, dass New York total zerstört wurde?«, merkt Ali an, und ich bin dankbar für die Ablenkung.

»Wirklich ziemlich sinnig, sich am Tag, bevor sie die Welt retten sollen, in ’nem Stripklub volllaufen zu lassen«, spottet Elin. »Eins-a-Prio. Danke, ihr Superhelden.«

»Warum nehmen sie eigentlich Schusswaffen mit ins All?«, fragt Johannes.

Ab jetzt kommentieren wir alles und müssen schließlich laut lachen, als der widerliche Alte noch eine sentimentale Abschiedsrede für seine Tochter hält, bevor er sich opfert. Doch als der Asteroid unschädlich gemacht ist und die Bevölkerung weltweit jubelt, verstummen wir.

Dieses Happy End wird uns leider nicht zuteilwerden.

»Zum Glück heiratet sie, dann hat sie jemanden, der sich um sie kümmern kann«, frotzelt Amanda, als im Abspann eine Collage mit Hochzeitsfotos gezeigt wird.

»Wirklich nice, dass alle nicht Weißen solche Vollpfosten waren«, meint Elin und schaut mich an.

Doch ich sage nichts. Ich habe wirklich keine Lust, mich für ihre Toleranz zu bedanken oder über den rassistischen Mist eines Films zu ärgern, der älter ist als ich. Ich empfinde die Realität als weitaus schlimmer.

»Hat heute schon jemand von euch mit Tilda gesprochen?«, fragt Elin.

Ich linse zu den anderen rüber.

»Sie wollte heute Abend eigentlich gemeinsam mit ihrem Vater und Onkel essen«, antwortet Amanda. »Es mal ruhig angehen lassen.«

»Das wär ja das erste Mal«, feixt Hampus und leckt sich mit der Zunge das Fett von den Fingern.

Amanda beginnt ihre Haare zu einem Zopf zu flechten und als sie dabei über die Schulter nach hinten schaut, schielt sie leicht.

»Ich kapier nicht, was plötzlich in sie gefahren ist.«

»Woher kriegt sie das Zeug überhaupt?«, will Ali wissen.

»Keine Ahnung.«

»Ich frag mich, wie sie ihren Dealer wohl bezahlt«, meint Hampus mit einem Grinsen, das ich ihm am liebsten mit einem Fußtritt aus der Visage gekickt hätte.

Im Raum wird es abrupt still. Ali starrt ausdauernd aufs Display seines Handys und Hampus widmet sich erneut mit Hingabe seiner Chips-Mampferei. Nur Johannes schaut mich kopfschüttelnd an.

Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke, dass sie womöglich ganz anders über Tilda reden, wenn ich nicht dabei bin.

»Die Frage ist nur, wie ruhig es bei Klas und seinem Bruder wird«, meint Elin.

Sie wirft Amanda einen vielsagenden Blick zu und dann folgt eine Stille zwischen den beiden, die ich nicht deuten kann. Johannes bemerkt es ebenfalls.

»Hä?«, fragt er nach und ich bin froh, dass er mir zuvorkommt.

»Tilda wollte nicht, dass wir was sagen«, erklärt Amanda.

Sie wechselt erneut einen Blick mit Elin. Offensichtlich wollen beide etwas loswerden.

»Nun spuckt es schon aus!«, fordert Hampus sie auf.

Elin seufzt. Dann setzt sie sich in den Schneidersitz und befingert unsicher das goldene vierblättrige Kleeblatt an ihrem Ohrläppchen.

»Klas ist der Wahrhaftigen Kirche beigetreten«, sagt sie schließlich.

»Und deshalb hat Caroline ihn rausgeschmissen«, fügt Amanda rasch hinzu, als würde sie befürchten, nichts Eigenes beisteuern zu können.

»Aber … wie ist er denn da gelandet?« Es ist das Einzige, was ich herausbringe. Ich versuche mir Klas als Mitglied der Schwedischen Wahrhaftigen Kirche vorzustellen, doch es gelingt mir nicht. Das Religiöseste, was ich bislang an ihm erlebt habe, war seine Besessenheit von Game of Thrones.

»Sein Bruder hat ihn mitgenommen«, erklärt Elin.

Ich bekomme es noch immer nicht zusammen. Tildas Onkel ist im Sommer mit seiner Familie aus Örebro hergezogen, aber ich bin ihnen nur ein paarmal begegnet, als ich noch mit Tilda zusammen war. Klas’ Bruder scheint zwar ein Idiot zu sein, aber keiner, der ausgerechnet der Wahrhaftigen Kirche beitreten würde.

Aber wer weiß schon, wie der Typ wirklich tickt?

Diese Abspaltung von der Schwedischen Kirche hatte sich nach der Verbreitung der Nachricht über den Kometen so rasch formiert, dass Stina vermutete, es müsse schon lange einen Nährboden dafür gegeben haben. Es fing damit an, dass ein bekannter Pastor aus Skåne wieder das Christentum des Alten Testaments predigte, in dem Gott allen Menschen barbarische Prüfungen auferlegt und sie bestraft. Ein Gott, der nicht viel übrighat für das liberale »Political-Correctness-Geschwafel« der Schwedischen Kirche. Dieser Pastor wurde gefeuert und von seinen Anhängern zum lokalen Märtyrer und Helden stilisiert, die sich daraufhin zunächst zu einer kleinen Gemeinschaft in den sozialen Medien formierten und schließlich zu einem Netzwerk aus Gemeinden im ganzen Land ausweiteten.

Vor einiger Zeit hatten ein paar Anhänger der Wahrhaftigen Kirche einmal den Fehler begangen, bei uns zu Hause zu klingeln. Doch sie werden bestimmt nicht wiederkommen. Denn sie hatten nicht damit gerechnet, von einer lesbischen Pastorin der Schwedischen Kirche zum Kaffee hereingebeten zu werden, die in Diskussionen niemals klein beigibt.

Ist Klas im Sommer etwa auch missionarisch aktiv gewesen?

Plötzlich wird mir bewusst, wie weit Tilda und ich uns schon voneinander entfernt haben müssen, dass ich von dieser Sache nichts wusste.

»Also ich finde die Anhänger der Wahrhaftigen Kirche ziemlich gruselig«, sagt Amanda. »Die machen immer so einen auf …«

Sie fuchtelt mit den Händen in der Luft herum, während sie nach dem passenden Wort sucht.

»Erlöst?«, schlägt Johannes vor.

»Genau!«

»Stellt euch nur vor, die sind so drauf wie diese amerikanische Sekte, die wahllos Menschen tötet, um Menschenopfer bringen zu können«, wirft Hampus ein.

»Es war gar keine Sekte, das waren doch nur einzelne Spinner«, entgegnet Amanda.

»Das sagen sie immer, wenn es um Christen geht«, meint Elin und schaut Ali an. »Aber wenn es Muslime gewesen wären …«

Ali wirft mir einen müden Blick zu.

»Kein Wunder, wenn die Leute glauben, dass Gott Menschenopfer fordert«, sagt Johannes. »Genau das will er doch letztlich, oder? Schließlich hat er seinen eigenen Sohn für unsere Sünden am Kreuz sterben lassen.«

»Mann, bist du schlau«, sagt Amanda und schaut zu ihm auf.

»Ich bin ja auch von Simons Mutter konfirmiert worden.« Johannes grinst mich an. »Aber mal im Ernst, ich glaub schon, dass es Sekten gibt, die total grausame Rituale praktizieren, aber nichts davon an die Öffentlichkeit dringen lassen.«

»Habt ihr schon von der Braut aus der Wahrhaftigen Kirche in Karlshamn gehört?«, fragt Hampus. »In der Bibel steht angeblich, dass man keine Tattoos haben darf. Also hat sie sich die mit ’nem Teppichmesser rausgeschnitten.«

»Igitt, hör auf damit«, kreischt Amanda.

»Sie hat sich fast am ganzen Arm die Haut abgezogen«, fährt Hampus fort.

Amanda sieht aus, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.

»Jetzt mach aber mal ’nen Punkt«, sagt Elin. »Das war bestimmt nur ’n Bluff.«

»Erinnert ihr euch noch an die Germanischen Neuheiden in Dalarna?«, fragt Ali. »Die hatten am Mittsommerabend immer ’ne Sonnenwendfeier mit allen möglichen Tieren und …«

»Können wir nicht über was anderes reden?«, unterbricht ihn Amanda.

»Ich hab letztens von ’ner japanischen Sekte gelesen«, sagt Hampus und setzt sich auf, »die all ihre Kinder geopfert hat. Und zwar mit Messern, die mindestens sooo lang waren. Sie haben ihre Körper aufgeschlitzt, von hier bis …«

»Hör jetzt auf!«, zetert Amanda.

Hampus muss abrupt losprusten und die Chipskrümel fallen aus seinem Mund über den Pulli.

»Ich wollte ja nur sagen, dass die Leute lauter abartige Dinge tun, aber niemand so verrückt ist wie die Religiösen. No offense, Simon.«

Ich zucke mit den Achseln.

»Die Christen sind die Allerschlimmsten«, meint Elin. »Seht euch doch nur diese Abgeordneten im amerikanischen Kongress an. Die sind genauso wie die Anhänger der Wahrhaftigen Kirche. Die glauben ernsthaft, dass der Komet die Strafe für Abtreibungen und Homosexualität ist.«

»Mir erscheint es ehrlich gesagt etwas übertrieben, dass Gott uns alle ausrotten will, nur weil ’n paar Jungs Lust haben, Schwänze zu lutschen«, wendet Hampus ein.

»Denkt doch nur an den Film von eben«, meint Elin. »Der Vater und all seine Kollegen mit ihrem Ehrenkodex … pah, von wegen!«

Hampus stöhnt laut auf und Amanda wirft mit einem Kissen nach ihm.

Elin beugt sich ungerührt zu Ali vor.

»Was sagt eigentlich der Islam dazu, was bei uns gerade abgeht?«

»Was weiß denn ich?«, entgegnet er und schaut erneut zu mir rüber. »Aber übrigens, meine Eltern sind morgen Abend unterwegs. Vorglühen bei mir, vorm Fußball?«

Wir sagen, ohne zu zögern, zu.

Das Ende

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