Читать книгу Laktatexpress - Im Tal der Ortsschildsprinter - Matt Gelpe - Страница 52
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WOHIN MIT DEN PILLEN?
Gestern war mein Glückstag. Am Eingang bei Aldi lugten gleich neben dem WC-Schaumreiniger der Geschmacksrichtung »Tropic« sehr vielversprechende Pillen vom Grabbeltisch: L-Carnitin & Vitamin E zum halben Preis. Wahre Regenerations-Nuggets! Der typische Aldi-Kunde und Treibholzaspirant verschmäht diese wunderbaren Kapseln offenbar, er verdrückt bei RTFs lieber mit Vorliebe fettig-zuckrige Vollei-Waffeln.
Dagegen ist L-Carnitin wie Koks für den ambitionierten Radsportler. Noch an der Kasse hatte ich eine Handvoll verputzt. Das Zeug kurbelt den Fettstoffwechsel an, natürlich nur, wenn man dazu reichlich Niacin und Biotin einwirft. Da kann man dem Hüftgold beim Schmurgeln zuhören. Man muss das Zeug nur lange genug nehmen. Irgendwann ist es bestimmt auch bei mir so weit.
NO DOPE – NO HOPE?
Den allseits bekannten Ex-Profi und -Experten Rudi A. nannten sie einst die »rollende Apotheke«, weil zwischen 40 zweifelhaften Substanzen in seinen Adern kaum noch Platz für Blut gewesen sein soll. Rudi, alter Waisenknabe, das war harmlos! Wenn sich ambitionierte RTF-Spitzengruppe-Fahrer heute das Knie aufschlagen, müssen die Pflaster auf der Sondermülldeponie entsorgt werden.
Denn neben Carnitin schwappen Kreatin (Muckis) und Guarana (Speed), verschiedenste Eiweiße sowie Eisen (rote Blutkörperchen) in einer Lake aus Calcium (Knochen) und Magnesium (Krämpfe), gewürzt mit Zink (Abwehr) sowie den Vitaminen A bis Z. Erst der Schuss Selen (Bindegewebe) aber rundet ein Bouquet ab, das allerdings ohne eine Spur Acetylcholin (Gefäßerweiterung, leider auch Darmtätigkeit) und einem Ideechen Glukosaminsulfat (K3-geschädigte Knieknorpel!!) nicht rund wäre.
Modedrogen des Frühjahrs sind zweifellos die Aminosäuren. Ohne Alanin (Glukoseaufbau), Isoleucin (noch mehr Muckis), Tryptophan (Wachstum) und Valin (gutes Wetter) gehe ich gar nicht aus dem Haus. Damit das gute Gewissen nicht zu kurz kommt, pfeife ich noch ein paar Naturprodukte ein: Weinessigkapseln (Glykogenspeicher), Grünlippmuschelextrakt (Gelenke) und Weizenkeimessenz (weiß ich nicht mehr).
Davon merke ich zwar genauso wenig wie von dem anderen Zeug, aber wenn ich Öko-Krempel kaufe, habe ich Plus auf meinem Gutmenschenkonto und kann mir das Mülltrennen sparen.
GIBT SAFT UND KRAFT
Pulver und Pillen sind für den hart trainierenden Mann an der Windkante, was für die liebevoll im Ziel wartende Frau die Kosmetik ist: Weil es teuer ist, spürt man sofort deutliche Verbesserungen. Mein Dealer ist ein 100-Tonnen-Ungetüm im Pitbull-Sweatshirt mit abgeschnittenen Ärmeln. Oberarme wie Ottfried Fischer Oberschenkel, nur härter. Sein Laden liegt schräg gegenüber von »Willy Müller« und ist immer leer. Dafür gibt er das Kraftpulver in Farbeimergrößen ab. Allein der Einkauf hier verleiht mir Kraft. Zum Glück nimmt er Kreditkarten.
Neulich habe ich versucht, den Hersteller des Kreatins zu googeln. »Site wird überarbeitet«, hieß es da nur lapidar – klingt ja superseriös. Da keimt doch der Verdacht, die kaufen einfach einen Doppelzentner Kalk im Baumarkt, füllen das Pulver um, schreiben »Amino-Carbo-Power« und »39,99 Euro« drauf und fertig ist das Bombengeschäft.
MACH MIR DEN HONDO
Am schlauesten stellt es eine Firma an, die gerne mit Zetteln in Startertüten auf ihr Programm hinweist. Die mischen etwas Vitamin E mit Magnesium, Kieselerde und dem Hausfrauen-Ecstasy Johanniskraut, schreiben einen Mondpreis drauf und nennen es so ähnlich wie einen Dauerbrenner in der Muckibude, der aber auch der Generation Zoetemelk schon auf wundersame Weise den Quadrizeps schwellen ließ. Großartige Idee. Denn kaum hört der Ausdauer-Freak den verboten klingenden Namen des besagten Produktes, schon bestellt er reflexartig, weil da ja ein winzigkleinesbisschen Illegales drin sein könnte. Vielleicht sollte ich Früchtetee unter dem Namen »THCokespeedorade« auf einem Ronsdorfer Schulhof verkaufen – das liefe bestimmt auch bombig.
HAARAUSFALL?
Die gleiche Nummer ist das mit dem Kaffee-Shampoo. Abgesehen davon, dass die Marketing-Leute des Ladens wirklich jeden Jedermann sponsern, der nicht bei drei auf’m Baum ist, hält sich die Werbekampagne hier strikt an das reizvolle Spiel mit dem Verbotenen. Dope dich mit Koffein, das war immerhin bis vor ein paar Jahren noch per Grenzwert verboten! Dass der Gewöhnungseffekt von Kaffee schneller eintritt, als Andy Schleck unter Volllast aufs große Kettenblatt schalten kann, wird lieber verschwiegen.
Aber Radsportler sind wie Techno-Teenies, die probieren jede Droge. Wenn morgen irgendwo steht, dass Gurgeln mit Klärschlamm gut für die Tempohärte ist, lägen tags darauf Deutschlands Klärbecken trocken. Millionen Tour-Abonnenten hätten sie leer gesoffen. Und ich hätte jeden niedergeschlagen, der sich mir dabei am Klärwerk in den Weg gestellt hätte.
ZWEI PROBLEME HABEN DIE GANZEN WUNDERMITTEL ALLERDINGS…
Erstens: Wie versteckt man all die Dosen, Flaschen und Pillenpackungen vor der Putzfrau, der Freundin und den Trainingspartnern? Nicht jeder kann das so effektiv lösen wie der Baumann mit der Zahnpasta… In vier unauffälligen Paar Sidi-Tretern bekommt man ja nicht viel untergebracht. Und wirklich appetitfördernd sind die speckigen Aroma-Safes auch nicht. Im Auto unter’m Reserverad wäre zwar viel Platz, aber der ist mittlerweile schon als Aldi-Carnitin-Bunker in Beschlag genommen. Ich überlege, mir etwas großes Hohles zu kaufen, einen volumigen Zeitfahrrahmen vielleicht. Bei der Sattelstütze fällt das Mehrgewicht der Pillen gar nicht auf.
Problem Nummer zwei bei den ganzen bunten Pillen ist gravierender: die Wechselwirkungen. Calzium und Magnesium sollen sich aufheben, die Vitamine E und C bei zeitgleicher Einnahme sofort letal wirken. Eisen stopft, Aminosäuren und auch Magnesium führen dagegen zu unkontrollierter Darmentleerung. Kreatin lagert Wasser ein, und Zink macht schlapp.
MAGNESIUM STATT ABFLUSSFREI
Eines habe ich in Selbstversuchsreihen immerhin herausgefunden: zwei, drei Eisenpillen, und die Schotten sind 48 Stunden zuverlässig dicht. Vorteil: Man muss beim Rennen nicht mehr aufs Klo. Nachteil: Man nimmt die ganze Nudelparty mit auf den Berg. Da kommt nicht mal eine morgendliche Magnesiumbombe gegen an.
Die wirkt zuverlässig dann erst während des Rennens. Also lerne: bis drei Tage vor dem Wettkampf Eisen, zwei Tage vorher Magnesium. Dazu passt dann Vitamin E. Am nächsten Tag gibt’s dafür Calzium mit Vitamin-C-Beilage. Am virtuosen Einsatz der restlichen zwei Dutzend Substanzen feile ich noch.
Neulich fragte mich mein Trainingspartner Frank R., ob bei mir denn molybdänmäßig alles im grünen Bereich sei. Berechtigte Frage: Spontan spürte ich akuten Molybdän-Mangelschmerz. Wie konnte mir das passieren, wo Molybdän doch sogar in der Stahlindustrie verwendet wird und im Raketenbau? Das Zeug sollte jeder Radsportler im System haben. Und auf dem Weg ins Trainingslager wird auch keiner der ultrascharfen spanischen Dopingfahnder Verdacht schöpfen. Ich pack’ das Zeug einfach in meinen alten italienischen Stahlrahmen.