Читать книгу Erfahre dein wahres Selbst - Matthias Dhammavaro Jordan - Страница 12
ОглавлениеTue das, was zu tun ist
Ajahn Buddhadasa sagte oft den Satz: „Wenn du das Dhamma praktizieren willst, dann erfülle deine Aufgaben“.
Oft haben wir nur einfache Aussagen von Weisen, die auf etwas zeigen, in kurzen, knappen Sätzen, worin allerdings die Erfahrung und die Weisheit eines ganzen Lebens zum Ausdruck kommt. Kann es wirklich so einfach sein?
Wenn ich diesen Satz „Erfülle deine Aufgaben“ einmal kontemplativ betrachte, könnte er bedeuten: ‚Wenn du deine Aufgaben erfüllst, bist du eingebunden in das ganze Universum, und das ist gleichbedeutend mit dem Praktizieren des Dhamma oder der Wahrheit und der Erfüllung deines Lebenssinns‘.
Erfülle deine Aufgaben, Meditation im Alltag
Das Wort Meditation gab es zur Zeit Buddhas noch nicht.
Er nannte diesen Prozess Bhavana. Dieses Wort bedeutet das Entwickeln von fünf in uns angelegten Qualitäten, nämlich: Vertrauen, Energie, Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit.
Diese Qualitäten finden nicht nur in der formalen Meditation Beachtung, sondern der ganz normale Alltag mit seinen Herausforderungen ist der Ort, wo wir sie entwickeln können.
Ich wache also morgens auf, habe am Abend meinen Körper hingelegt, um ihn auszuruhen. Nun, ich hatte keine Wahl, denn er war müde. Aber doch erfüllt das eine Aufgabe dem Körper gegenüber. Gleich nebenan, in einem anderen Zimmer, schläft mein Sohn Samuel. Der wird von mir in ungefähr zwanzig Minuten geweckt.
Was ist zu tun? Was ist jetzt meine Aufgabe?
Erst einmal habe ich die Aufgabe, mich anzuziehen, Zähne zu putzen und zu sehen, ob es in der Küche warm ist. Dann möchte mein Sohn etwas frühstücken, und ich auch.
Was ist noch zu tun?
Er muss auch etwas anziehen. Das geht nur, wenn ich einige Tage vorher die Wäsche gewaschen und getrocknet habe und sie so bereitlegen kann.
Dann wecke ich meinen Sohn auf meine eigene Weise und wir frühstücken zusammen.
Ich könnte jetzt den ganzen Tag in seinem Ablauf so beschreiben, denn es gibt ständig etwas zu tun.
Es reicht zu sehen, dass es ständig wechselnde Lebenssituationen gibt, in denen eine Aufgabe erfüllt werden muss, um den harmonischen Fluss des Lebens zu gewährleisten.
Bei manchen Aufgaben habe ich eine Wahl, wie und wann ich sie erfülle, bei anderen nicht. Ich kann zum Frühstück Brötchen oder aber Müsli anbieten. Ich habe aber keine Wahl, wenn ich meinen Körper entleeren muss, und ich kann die Einatmung nicht gegen die Ausatmung austauschen.
Wenn ich also meine Aufgaben erfüllen möchte, brauche ich die Qualität der Achtsamkeit. Wenn ich Brötchen schmiere, muss ich das richtige ‚Werkzeug‘ in die Hand nehmen, muss mit dem Messer zum Beispiel die Butter treffen. Wenn ich mit meinen Gedanken aber woanders bin, dann kann es passieren, dass ich statt Butter Senf darauf schmiere.
Vielleicht komme ich aus Versehen mit dem Ellenbogen gegen eine Tasse und sie droht, herunterzufallen, dann kommt die Konzentration ins Spiel, um schnell genug zu sein, sie vor dem Zerbrechen aufzufangen.
Das sind schon mal zwei Glieder der Meditation: Achtsamkeit und Konzentration.
Was ich die ganze Zeit schon brauchte, ist Energie.
Das begann ja schon mit dem Aufstehen. Da musste ich Kraft aufwenden, auch wenn es nur minimal war. Und wenn ich so jeden Tag meine Aufgaben angehe, dann vertraue ich auch irgendwie, dass ich das kann, dass mein Sohn das Frühstück auch isst, vertraue darauf, dass ich morgens Brötchen bekomme, dass ich weiß, wann der Kühlschrank zu füllen ist.
Ich vertraue auf meine Fähigkeit, diese Dinge zu tun, und ich vertraue auch darauf, dass ich eventuelle Lücken oder Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln erkenne und diese abstellen oder beheben kann.
Über den ganzen Tag hinweg gibt es irgendwelche Aufgaben zu erfüllen.
Wenn all diese Aufgaben mit Achtsamkeit, der Energie, die diese Aufgaben erfordern, dem Vertrauen, das sich gebildet hat, und der manchmal benötigten Konzentration durchgeführt werden, entwickelt sich vielleicht der fünfte Punkt, um den es in erster Linie geht: Weisheit.
Im Buddhismus bedeutet Weisheit: zu sehen, wie die Dinge wirklich sind.
Wenn man seine Aufgaben achtsam gemacht hat, kann man mit dieser begleitenden Qualität die Ereignisse des Lebens auch unter noch anderen Gesichtspunkten betrachten.
Das Brötchen, das mein Sohn da auf seinem Teller liegen hat, ist irgendwann einmal weg. Samuel geht zum Bus und weg ist er, erst einmal. Ich trinke meinen Kaffee, schaue in die Tasse und siehe da, der Kaffee ist weg. Mit Achtsamkeit auf die Dinge schauend, entwickle ich einen Blick für die sogenannten Daseinsmerkmale: hier die Unbeständigkeit oder Vergänglichkeit aller Dinge.
Ja, die Dinge gehen ständig, wandeln ihre Form, sind immer in Bewegung.
Ich könnte mich natürlich auch daran erfreuen, dass diese geschmierten Brötchen so schön aussehen und ich sie deswegen behalten möchte. Aber es ist nicht ihre Funktion, so zu bleiben, wie sie sind, sondern einen bestimmten Zweck zu erfüllen.
Schauen wir auf unseren Körper, als Beispiel dafür, wie Aufgaben erfüllt werden.
In einem gesunden Körper erfüllen all die Organe ihre Funktion, arbeiten gut zusammen. Keines fragt nach besonderer Beachtung oder schaut neidisch auf die Funktion eines anderen Organs. Die Aufgaben werden erfüllt, ohne zu wählen.
Manchmal sind die Organe vielleicht überfordert und dann reagieren sie, um sich selbst zu schützen. Aber eine Wahl treffen sie nicht.
Wenn sie das tun würden, könnte das ungefähr so aussehen: Sie beißen in ein Würstchen, schlucken es hinunter und es plumpst in den Magen. Der Magen, nehmen wir mal an, hätte bewusste Entscheidungsfähigkeit, sieht dieses Würstchen und denkt sich: „Ne, keine Lust darauf“ und lässt es einfach dort liegen. Dann fällt ein Pizzastückchen hinein und auch hier: „Ne, keine Lust auf Pizza“ und packt es zum Würstchen.
Dann kommt ein Stück Kuchen und der Magen denkt sich: „Ja, das ist gut“ und verdaut es. Auf der einen Seite sammelt er die Dinge, die er nicht mag, die anderen verdaut er.
Was sich da so mit der Zeit ansammelt, fängt bald an zu verwesen, zu faulen, entwickelt Giftstoffe und der Magen bekommt plötzlich Beschwerden usw. usw.
Und das alles nur, weil er Präferenzen hatte und so nicht seine Aufgaben erfüllte.
Wie ist dieses Beispiel in unser menschliches Leben zu übertragen?
Vielleicht kommen ja Situationen in meinem Leben auf mich zu, aber ich will nichts damit zu tun haben. Ist dann die Situation mit meinem Ausweichen bereinigt oder wurde eine Lösung gefunden? Oder gab und gibt es da etwas zu tun und eine Aufgabe zu erfüllen?
Sie fahren die Straße entlang, haben einen wichtigen Termin und sehen ein Auto im Straßengraben liegen. Ist hier eine Aufgabe zu erfüllen oder nicht?
Wenn ich weiterfahre, hat das Konsequenzen, wenn ich anhalte und nachschaue, auch.
Viele ähnliche Geschichten könnten hier aufgezählt werden, aber die Frage, die hier immer gestellt werden kann, ist: Was gibt es gerade zu tun, was will das Leben gerade von mir?
Wenn ich die Achtsamkeit zur Hand habe, weiß ich, was zu tun ist.
Achtsamkeit entwickelt die Weisheit und zeigt klares Verständnis einer Situation.
Mehr ist erst mal nicht zu tun, eine klare Anweisung, ist das nicht schön?
Ajahn Chah sagte einmal: „Unser Leben ist wie der Atem, wie die wachsenden und fallenden Blätter. Wenn wir wirklich etwas vom Fallen der Blätter verstehen, können wir die Wege jeden Tag fegen und haben große Freude auf dieser sich ständig wandelnden Erde“.
In unseren Alltag übersetzt könnte das ungefähr so heißen: „Wenn wir bei den alltäglichen Verrichtungen achtsam sind, können wir das nächste Mal die Spülmaschine ein- und ausräumen, den Müll rausbringen, die Küche putzen, Wäsche waschen, und dabei große Freude auf dieser sich ständig wandelnden Erde haben“.
Warum wollen wir solche Arbeiten eigentlich meistens schnell hinter uns bringen, zuweilen auf die lange Bank schieben oder auch einfach an andere delegieren?
Wenn wir die wichtigen und notwendigen Aufgaben nicht erfüllen, kommt das ganze System ins Stocken. Wenn ich sie hastig, lustlos und vielleicht manchmal ärgerlich erledige, dann bin ich schon in einer gefühlten Hölle. Aber wenn ich mich daran erinnere, dass DAS gerade in diesem Moment das Wichtigste ist, was zu tun ist, und in meinem Leben eine wichtige Aufgabe erfüllt, fühlt es sich ganz anders an.
DER ZEN-MÖNCH
In einem kleinen Dorf gebar eine junge Frau ein Baby. Die Eltern wollten wissen, wer der Vater sei, und aus Angst, dass diese verbotene Beziehung zu einem jungen Mann bekannt würde, sagte sie, dass es der Zen-Mönch gewesen sei. Dieser Mönch war hochangesehen und lebte in der Nähe des Dorfes in einem Bergkloster. Enttäuscht und wutentbrannt machten sich die Eltern der jungen Frau und das halbe Dorf auf zu diesem Kloster. Sie klopften an die Tür, bis der Mönch sie öffnete. Der Vater nahm das Baby und überreicht es ihm mit den Worten: „Das ist dein Kind“! Der Mönch antwortete: „Ist das so“? Er nahm das Baby an sich und schloss das Tor. Unter Geschimpfe verließen die Dörfler den Berg. Der Mönch versorgte das Kind und tat, was zu tun war. Die Jahre zogen ins Land. Viele Jahre später wurde die junge Frau von einer giftigen Schlange gebissen. Sie wusste, dass sie bald sterben würde, und bereute es sehr, dass sie diesen Mönch beschuldigt und ihr Baby weggegeben hatte. Sie gestand alles ihren Eltern und abermals machten sie sich mit dem halben Dorf auf zu dem Kloster auf dem Berg. Sie klopften an die Tür, bis der Mönch öffnete, und der Vater sagte zu ihm: „Das ist nicht dein Kind“! Der Mönch sagte: „Ist das so“? Und übergab ihnen, was sie zurückforderten.
Folge dem Fluss des Lebens
Es gibt in einem Moment immer nur eine Sache zu tun. Man kann die Einatmung von morgen nicht der von heute vorziehen. Das geht einfach nicht. Ich kann auch die Verdauungssekrete für das Würstchen von übermorgen nicht jetzt schon produzieren und in meinem Magen speichern. Es geht um die direkte ‚Beantwortung‘ einer Aufgabe in einem gegenwärtigen Moment, direkt und spontan.
Dem Fluss des Lebens zu folgen heißt, einfach nur hier zu bleiben und das zu empfangen, was auf mich zukommt, und angemessen darauf zu reagieren, zu tun, was zu tun ist, und somit im Fluss des Lebens zu fließen.
Als Novize im Kloster öffnete ich mich an einem bestimmten Tag dem Dienen und es war überraschend, wie schnell das die anderen bemerkten. Ich hatte plötzlich viel zu tun.
Aber auch hier muss man klare Geistesgegenwart haben, um die Notwendigkeit der zu erfüllenden Dinge einschätzen zu können. Denn es gibt auch Menschen, die diese gebende Haltung für sich ausnutzen und sich vielleicht ‚saugend‘ an einen hängen.
Hier bedarf es einer klaren Sicht auf die Notwendigkeit, auch auf die Korrektheit der zu erfüllenden Aufgaben, und ich muss hier Verantwortung für mein Handeln nach meinem eigenen Bewertungssystem und meiner ethischen Grundhaltung übernehmen.
Ist es wirklich nötig, jemandem Geld zu leihen, obwohl er noch genug hat, nur weil er weiß, dass ich großzügig bin und es ihm geben würde? Oder muss ich mir zum hundertsten Mal eine Geschichte anhören, nur damit es dem anderen gutgeht, mir aber immer schlechter?
Ich brauche hier ein Unterscheidungskriterium und muss meine Entscheidungen damit abgleichen. Hier wird es dann spannend.
Denn es geht ja nicht darum, alles zu tun, was an einen herangetragen wird. Man muss auch für sich selbst oder besonders für sich selbst Sorge tragen. Das ist sehr wichtig.
Wenn ich wenig Kraft oder Kapazität und vielleicht noch ein sogenanntes Helfersyndrom, einen inneren Antreiber und Perfektionisten oder Angst habe, nicht zu genügen und kritisiert zu werden, kann es sein, dass ich mich schnell selbst überfordere und übergehe.
Wer schon mal im Flugzeug gesessen hat, kennt die Anweisung der Stewardess in einem Notfall: Zuerst ziehen sich die Erwachsenen die herunterfallenden Sauerstoffmasken an, also die Helfer, und dann erst werden die Kinder versorgt und die, die sich nicht selbst versorgen können. Denn wenn die Helfer ausfallen, fallen die anderen auch aus.
Es geht darum, sich selbst in erster Linie zu versorgen, sich selbst zu beachten, die Anzeichen zu sehen, wann ich selbst Ruhe, Kraft und Freude brauche. Dies erfordert ein klares Verständnis der jeweiligen Situation. Und dann kann ich auch nein sagen, oder ja, je nachdem. Denn spontanes Handeln heißt nicht unbedingt richtiges oder angemessenes Handeln. Es kommt darauf an, welche Kräfte das Handeln antreiben. Vielleicht meine alten Muster, ein Schuldgefühl, ein schlechtes Gewissen oder der Anspruch, ‚immer da zu sein‘, die Angst, abgelehnt oder kritisiert zu werden, verschiedene Unsicherheiten, na, und so weiter.
Wenn das die Kräfte sind, die mich antreiben, dann sorge ich nicht für mich selbst. Die Fürsorge für sich selbst hat mit Egoismus nichts zu tun. Es ist wichtig, sich immer erst um sich selbst zu kümmern.
Wenn also ein klares Verständnis einer Situation vorhanden ist, kann ich angemessen handeln und alles andere vertrauensvoll an das Leben abgeben.
Ich möchte nun zwei weitere Kräfte beleuchten, die im Leben oft eine wichtige Rolle spielen:
a) Vertrauen, was eine hingebende und verbindente Qualität hat, und
b) Erwartungen, die uns immer in die Zeit bringen und von gegenwärtigem Erleben abhalten.