Читать книгу Erfahre dein wahres Selbst - Matthias Dhammavaro Jordan - Страница 8

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Einen Anfang finden

und ‚von hinten‘ schauen

Manchmal kann die Betrachtung von einem Ende der Anfang für etwas Neues sein, für eine neue Haltung, eine neue Sicht, einen neuen Lebensabschnitt, ein verändertes Leben. Es werden neue Prioritäten gesetzt, wie auch immer sich das für den einzelnen auswirkt.

Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte,

würde ich im nächsten Leben versuchen,

mehr Fehler zu machen.

Ich würde nicht so perfekt sein wollen.

Ich würde mich mehr entspannen.

Ich wäre ein bisschen verrückter,

als ich es gewesen bin.

Ich würde viel weniger Dinge so ernst nehmen.

Ich würde nicht so gesund leben.

Ich würde mehr riskieren, würde mehr reisen,

Sonnenuntergänge betrachten,

mehr bergsteigen, mehr in Flüssen schwimmen.

Ich war einer dieser klugen Menschen,

die jede Minute ihres Lebens fruchtbar verbrachten;

freilich hatte ich auch Momente der Freude,

aber wenn ich noch einmal anfangen könnte,

würde ich versuchen,

nur mehr gute Augenblicke zu haben.

Falls Du es noch nicht weißt,

aus diesen besteht nämlich das Leben;

nur aus Augenblicken, vergiss nicht den jetzigen!

Wenn ich noch einmal leben könnte,

würde ich von Frühlingsbeginn

an bis in den Spätherbst hinein barfuß gehen.

Und ich würde mehr mit Kindern spielen,

wenn ich das Leben noch vor mir hätte.

Aber sehen Sie, ich bin 85 Jahre alt und weiß,

dass ich bald sterben werde.

(Diese Version der ‚Lebensweisheit’ wird Jorge Luis Borges zugeschrieben.)

Unser Geist wird von vielen Gedanken bewegt, und die Inhalte dieser Gedanken handeln von Geschichten, Lebensgeschichten. Es ist sehr leicht, sich immer wieder auf diese Geschichten zu beziehen, denn sie sind das Offensichtliche. Aufgrund der ganzen Geschichten meines Lebens entstehen die verschiedenen Selbstbilder und meine Identitäten.

Aber, bin ich diese Geschichten?

Manchmal reden Leute von Selbsterfahrung.

Was Sie dann mitunter machen, ist einfach nur, die Geschichten noch mal zu erleben, die sie als ihr Selbst annehmen. Es werden Geschichten erfahren, aber nicht das Selbst.

Das wahre Selbst zu erfahren ist keine leichte Sache, sagen die Weisen. Es hat keine Form, es hat keine Farbe und es hat keine Geschichten an sich hängen.

Es gibt da keine Bewegung, die man beobachten könnte, sondern man kann sich nur mit der ihm innewohnenden Stille verbinden.

Ein Geist aber, der immer gewohnt ist, in Bewegung zu sein, und in diesem Bewegen auch noch eine gewisse Faszination empfindet, wird den Weg in den stillen Raum schwer finden. Die Gedanken, die Bewegungen, die Geschichten des Lebens sind viel interessanter und faszinierender als einfach nur ein stiller, leerer Raum.

Wenn man diesen Raum nie erlebt hat, weiß man noch nicht, dass in dieser Stille die Verbundenheit verborgen ist, die wir alle suchen, einhergehend mit Frieden, Liebe, Zufriedenheit und dem Gefühl, hier zu sein. Dazu kommt die Weisheit, die Fähigkeit, zu wissen, wie die Dinge wirklich sind.

Bewegungen hindern uns am Ankommen. Sie bilden Zwischenziele, bei denen es immer nur ein kurzes Verweilen gibt. Dann nimmt uns irgendeine innere oder äußere Kraft wieder mit auf die Reise, irgendwohin zu neuem Erleben, in welcher Form auch immer.

Und schon sind wir wieder ‚draußen‘ und auf der Jagd nach irgendetwas.

Solange sich diese Bewegungen und Reisen angenehm anfühlen, gibt es keinen Grund, nicht so weiterzumachen. An irgendeinem Punkt ihres Lebens stellen Menschen dann vielleicht fest, dass sie immer noch eine tiefe Unzufriedenheit spüren, obwohl sie eigentlich alles haben, was sie brauchen, und meistens haben sie sogar, was sie wollen, in Bezug auf Beruf, Karriere, Haus, Familie, Bankkonto und so weiter.

Das Leben läuft eigentlich genau so, wie sie es sich immer wünschten.

Manchmal werden Menschen in ihrem Leben wachgerüttelt: Die Frau verlässt ihren Mann, der Mann verlässt seine Frau, man bekommt eine Krankheit, man verliert seinen Job oder sein Vermögen, bemerkt, dass das Leben nicht immer das für einen bereithält, was man gerne möchte. Dann macht man sich selbst dafür verantwortlich, macht andere verantwortlich, sucht einen Schuldigen, den man dafür anklagen kann. Manche glauben, sie seien Versager, die irgendwann, irgendwo, irgendetwas falsch gemacht haben.

Aber dabei ist es ganz anders.

Das Leben folgt einfach seiner natürlichen Bahn. Dinge entstehen, verweilen, vergehen nach uraltem Gesetz und manchmal sehr unerklärlichen Gesetzmäßigkeiten.

Vielleicht stellt man sich dann die großen Fragen: Woher komme ich, wohin gehe ich, wie mache ich das? Was ist der Sinn dieses Lebens, warum bin ich hier, was ist wirklich wichtig in diesem Leben? Wer bin ich eigentlich wirklich? Wer bin ich, ohne diese Geschichten, die ich erlebte und die sich manchmal in meinem Geist abspulen?

Diese Frage ist vielleicht der Beginn einer Reise zu sich selbst.

Wenn alle Geschichten dort gelassen werden, wo sie hingehören, nämlich in die Vergangenheit, gibt es ja hier immer noch jemanden, der sagt: Ich bin.

Kann ich dieses ‚Ich bin’ für eine kurze Weile einfach mal so stehen lassen und es nur erleben? Mich hier sogar ausruhen vom ewigen Machen und Tun?

Was finde ich hier bei mir, ohne Geschichten?

Anfangs kann es in der stillen Betrachtung sehr viel geistigen Lärm geben, der ganze geistige ‚Müll‘, als Abfallprodukt der gesammelten Geschichten. Dieser Teil in mir, der sich mit allen diesen Geschichten identifiziert, bekommt Angst, ohne sie nichts oder niemand mehr zu sein. Er verliert seinen Halt und hält sich gerne an diesen Geschichten fest.

Dieser Teil bezieht aus diesen Geschichten seine Identität, seinen Namen, seine Stellung, seinen Wert….

Dann geht es darum, den Weg zu finden zu meinem wahren Selbst.

Aber dieses Selbst hat keinen Namen, hat keine Form, keine Farbe. Es kann gefühlt werden als eine unendliche Weite, wie ein stiller Raum, wo es keine Bewegung gibt. Das ist der Ort, wo man sich ausruhen kann, wo man sein kann, ohne etwas Besonderes zu sein.

Der Verstand kann damit nichts anfangen. Denn der Verstand liebt die Bewegung, kennt sich in den Geschichten aus, ist daran gewöhnt, immer etwas zu tun, sich zu bewegen, in die Zeit zu gehen, und bietet alle diese Geschichten dem Selbst an.

Der Raum der Stille ist noch unerforscht, obwohl er die Basis für alle diese Geschichten ist, der Zwischenraum, die Stille, die nichts ist, außer sich selbst.

Und die Lebensreise beginnt.

Aber wenn schon leben, dann in vollen Zügen und mit Begeisterung, mit Liebe, Freude, Kraft und einem Ring am Finger, auf dem steht: Auch DAS wird sich ändern. Joseph Beuys rät zu Folgendem:

Öffne dich!

Lass dich fallen.

Lerne Schlangen zu beobachten.

Pflanze unmögliche Gärten.

Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein.

Mache kleine Zeichen, die „ja“ sagen,

und verteile sie überall in deinem Haus.

Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.

Freue dich auf Träume.

Weine bei Kinofilmen; schaukle so hoch du kannst

mit einer Schaukel … bei Mondlicht.

Pflege verschiedene Stimmungen.

Verweigere dich, „verantwortlich“ zu sein,

tu’ es aus Liebe.

Mache eine Menge Nickerchen.

Gib Geld weiter. Mach es jetzt. Das Geld wird folgen.

Glaube an Zauberei, lache eine Menge.

Bade im Mondschein.

Träume wilde, phantasievolle Träume.

Zeichne auf die Wände.

Lies jeden Tag.

Stell dir vor, du wärest verzaubert.

Kichere mit Kindern. Höre alten Leuten zu.

Öffne dich. Tauche ein. Sei frei. Preise dich selbst.

Lass die Angst fallen, spiele mit allem.

Unterhalte das Kind in dir. Du bist unschuldig.

Baue eine Burg aus Decken. Werde nass.

Umarme Bäume.

Schreibe Liebesbriefe.

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