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Der steinige Weg
ОглавлениеWer Kinder im Kita-Alter hat oder hatte, weiß wie beschwerlich und tückenhaft der morgendliche Weg zur Arbeit sein kann. Ist auch alles noch so gut vorbereitet – der fein säuberliche Kleidungsstapel, die geschmierten Brote, sogar die Zahnpasta liegt schon bereit auf den zerkauten Borsten – das Kind bleibt unberechenbar! Eine Art negative Wundertüte. Als ein um Pünktlichkeit bemühtes, arbeitnehmendes Elternteil, bleibt also kurz vor dem Wecken der lieben Kleinen nur eins: die blanke Hoffnung. "Guten Morgen, Schatz! Hast du gut geschlafen?", frage ich freundlich. "Ich will nicht zur Kita. Ich will nicht zur Kita..." Mal geschrien, mal gequengelt. Mal mit Stampfen, mal mit Treten. Und dann geht's los: das große Motivationsprogramm. Hilflos. Panisch. Nach jedem Rettungsseil greifend. "Aber Schatz, heute ist doch Spielzeugtag."
"Ich will nicht zur Kita. Ich will nicht zur Kita..."
"Schatzi, jetzt lass uns doch erstmal frühstücken! Du bist sicher hungrig."
"Ich will nicht zur Kita..." Hektik kommt auf. Der Geduldsfaden wird dünner.
"Los jetzt! Ich muss zur Arbeit. Ich komme zu spät und dann kriege ich Ärger."
Mein Gott, wie verzweifelt! Einer Vierjährigen kurz nach dem Aufstehen Empathie abzuverlangen. Dem Kind ist doch in dieser Situation scheißegal, wo Papa sich rumtreibt. Man darf nicht aus den Augen verlieren, womit man es hier zu tun hat: mit Egoismus in Reinform. "Sonst haben wir auch kein Geld mehr für Spielsachen und Essen, wenn ich nicht arbeiten gehe."
"Aber ich will nicht Kita. Ich will nicht Kita..." Klangfarbe und Grammatik des Gesagten werden immer roboterartiger. Verdammt clever, diese Taktik – das eigene Interesse durch endloses Wiederholen bekräftigen. (Man stelle sich mal vor, dieses Druckmittel würde sich nicht verwachsen und wäre auch später noch gängige Praxis: Single-Party-Rolf hat heute Abend leider schon zwei deutliche Abfuhren erleiden müssen. Bei der dritten reicht's ihm dann. "Ich will jetzt bumsen. Ich will jetzt bumsen...")
Hat man das Kind dann irgendwann doch noch in die Klamotte gequetscht und halbwegs emotional aufgebaut (meistens durch Humor oder sonstige irrationale Ablenkungsmanöver), geht der gnadenlose Spießrutenlauf weiter. Jedes noch so kleine Detail kann das Kind sofort in die totale Depression und Verweigerung zurücktreiben. Das Lieblings-T-Shirt ist in der Wäsche, das Schokomüsli ist alle, die rosarote Schüssel mit Elefantenbabys ist im Geschirrspüler. Und auch wenn man es dann vor die Tür geschafft hat, ist die Gefahr längst nicht gebannt. Die Brezel beim Bäcker ist ohne Salz oder mit Butter oder ausverkauft. Draußen ist es zu kalt, zu warm oder zu mittel. Im Schühchen drücken Sand- oder Kieselberge oder der Strumpf zwickt. Und mein Bein tut weh und die Mütze ist warm und der Popo juckt. Ach ja, und Plüschkatze Mimu haben wir zu Hause auf dem Schrank vergessen.
Fuck! Ausgerechnet die scheiß Katze! Ich hasse dich, Mimu!
"Warte hier – ich hole dein Kätzchen!" Koste es was es wolle. Selbst wenn das Haus in Brand steht und eine Horde Zombies davor patrouilliert. Ich hole das Kätzchen!
Endlich, die Kita ist in Sicht. Bitte Gott, lass die richtigen Erzieher im Frühdienst sein! Der geht, die geht, die geht – die geht gar nicht.
Nochmal kräftig knutschen und winke-winke. Geschafft! Fix und fertig mache ich mich auf den Weg zur Arbeit. In der Pause entdecke ich überraschend eine Brezel in meiner Tasche. Gut, dass ich weit weg bin, wenn sie ihr Eierbrötchen mit Sucuk auspackt.