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So wie auf dem berühmten Gemälde von Johann Georg Stuhr (Ausschnitt) dürfte der Hafen auch noch Mitte des 18. Jahrhunderts ausgesehen haben, als Johann Laeisz nach Hamburg kam. Zunächst fand er Arbeit beim Wiederaufbau der durch Blitzschlag zerstörten Michaeliskirche (rechts).

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EIN HUTMACHER ENTDECKT DAS ÜBERSEEGESCHÄFT

Wie Ferdinand Laeisz eine Handelsfirma aufbaut

Was den Schwaben Johann Laeisz (sprich Leiss) um die Mitte des 18. Jahrhunderts dazu veranlasst, Süddeutschland zu verlassen, um sein Glück in der Freien und Hansestadt Hamburg zu suchen, wissen wir nicht. Hamburg ist damals schon recht groß, 1787 leben bereits mehr als 100 000 Menschen innerhalb der Mauern, die die Stadt einst vor den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges bewahrt hat. Hamburg prosperiert, überall wird gebaut. Die wichtigste Baustelle befindet sich in der Neustadt, wo die 1750 durch Blitzschlag zerstörte Michaeliskirche neu errichtet wird. Das barocke Gebäude, das dort nach den Plänen von Ernst Georg Sonnin in den Himmel wächst und 1762 feierlich eröffnet wird, gilt mit seinem 1786 vollendeten, markanten klassizistischen Turm schon bald als Wahrzeichen, als weithin sichtbare Landmarke, an der sich die in den Hafen einlaufenden Schiffe orientieren. Auch Johann Laeisz findet Arbeit auf dem Bau der neuen Hauptkirche, wo er als Zimmerpolier tätig wird. Er lebt sich ein, heiratet und wird 1763 Vater eines Sohnes, den er Johann Hartwig nennt. Dieser eröffnet als junger Mann einen Laden, in dem er Kolonialwaren verkauft, also Produkte wie Kaffee, Tee oder Gewürze, die per Schiff aus fernen Weltgegenden nach Europa gebracht werden und nicht selten als Luxusgüter gelten.

Die Stadtrepublik Hamburg besitzt zwar keine Kolonien, verfügt aber über umfangreiche Handelskontakte, sodass der Umschlag von überseeischen Produkten im Hafen immer weiter zunimmt. Die Geschäfte scheinen gut zu gehen, Johann Hartwig Laeisz wird zwar nicht reich, aber ist immerhin gut situiert und gründet eine Familie. 1791 heiratet er Catharina Maria Greve und wird in den folgenden Jahren Vater von zehn Kindern. Der 1793 geborene Anton Bernhard eröffnet eine Buchhandlung, was in dieser von der Aufklärung geprägten Zeit eine gute Geschäftsidee ist, zumal in Hamburg. 1805 hat Friedrich Christoph Perthes am Jungfernstieg die erste reine Sortimentsbuchhandlung Deutschlands eröffnet, was die Hansestadt zum Trendsetter im Buchhandel macht.


Der zehn Jahre jüngere Carl Martin wird ein vielbeschäftigter Maler und Zeichner. Seine Stadtansichten und Landschaftsmotive lassen sich offenbar gut verkaufen. Der 1801 geborene Ferdinand scheint hingegen seinen Platz im Leben erst einmal suchen zu müssen. Dabei wird gerade er es sein, der später den enormen wirtschaftlichen Erfolg seiner Familie begründet. Als er die Nicolaischule zu Ostern 1815 verlässt, ist er 14 Jahre alt und will zur See fahren. Er heuert auf dem Blankeneser Schoner ELISABETH an, doch die Reise steht unter keinem guten Stern. „Aber nur einmal bin ich mit dem Schiffe in See gewesen, dann mussten wir wegen Havarie zurücklaufen, und mit meiner Seefahrerei war es zu Ende, da meine Eltern darauf drangen, ich solle ein Handwerk erlernen“, schreibt Ferdinand Laeisz in seinen Lebenserinnerungen. So tritt er bei dem Buchbinder Cornelius in die Lehre, macht aber keine guten Erfahrungen, da er wenig lernt und schlecht behandelt wird. Nach Abschluss der vierjährigen Lehre geht er erst einmal auf Wanderschaft, reist durch Deutschland, probiert sich dabei aus, macht Erfahrungen und lernt etwas von der Welt kennen. Zum Beispiel die Mode jener Zeit, in der die wohlhabenden Bürger immer mehr dazu übergehen, Zylinderhüte zu tragen. 1821 arbeitet er in einer ziemlich großen Buchbinderei in Berlin, die ihr Betätigungsfeld deutlich erweitert hat. Darüber schreibt er: „Dazu lernte ich auch nebenbei alle möglichen Galanteriearbeiten, und als damals gerade die seidenen Hüte in die Mode kamen, nahmen wir auch diesen Geschäftszweig auf, und erlangte ich darin eine Fertigkeit, welche mir später von großem Nutzen werden sollte.“ Hier scheint sich eine interessante Perspektive zu eröffnen.


Ferdinand Laeisz (1801–1878) war der Gründer der bis heute bestehenden Reederei. Diese Fotografie entstand 1867.

Als er auf dringenden Wunsch seiner Mutter am 24. März 1824 in die Heimatstadt zurückkehrt, übernimmt er aber erst einmal pflichtgemäß den „kleinen Handel mit holländischen Waaren“ im elterlichen Laden in den Kleinen Mühren 105. Das Geschäft läuft allerdings in dieser Zeit mehr schlecht als recht, und so erinnert er sich an die Zylinderhüte, die vor allem in farbigen Varianten gerade schwer angesagt sind. Sie werden mit Velpel, einem pelzartig anmutenden Seidensamt, bespannt. Da Ferdinand Laeisz geschickte Hände hat, fällt es ihm nicht schwer, solche Zylinder herzustellen. Eine richtige Werkstatt hat er zunächst nicht, er produziert die Hüte in seinem Elternhaus. Das befindet sich in der zwischen Rödingsmarkt und Alsterfleet gelegenen Herrlichkeit. Heute ist die einst recht noble Straße von einem Parkhaus überbaut. „Ich ging mit aller Macht an die Arbeit, so dass ich im Laufe des ersten Jahres kaum zehn Sonntage unbeschäftigt war und mir auch nachts nur den nötigsten Schlaf gönnte. Ich arbeitete deshalb so anstrengend, weil man allgemein der Meinung war, dass es mit den seidenen Hüten als einem Artikel vorübergehender Mode bald wieder vorbei sein würde, und auch weil ich keinen Gehilfen finden konnte, welcher sich auf die Arbeit verstand“, schreibt Laeisz in seinen Erinnerungen. Aber er täuscht sich, denn die Zylinder verkaufen sich nicht nur kurzzeitig, sondern dauerhaft so gut, dass die ortsansässigen Hutmacher die Stirn runzeln und sich überlegen, was man gegen diese neue Konkurrenz tun kann. Doch der junge Mann kennt die Spielregeln und nimmt den alteingesessenen Handwerkern buchstäblich den Wind aus den Segeln, indem er sich als Hutmacher offiziell anlernen lässt. Am 26. Mai 1826 legt er einer Kommission sein Meisterstück vor, an dem partout nichts auszusetzen ist. Außerdem heiratet er nur wenige Tage später Johanna Ulrike Catharina Kreutzburg, deren Vater ein Ältermann des Hamburger Hutmacheramtes ist – und zuvor gegen den späteren Schwiegersohn Klage geführt hat. Noch im selben Jahr erwirbt Ferdinand Laeisz das Hamburger Bürgerrecht. Nun kann niemand mehr etwas dagegen haben, dass er einen florierenden Handwerksbetrieb unterhält.


Vater, Sohn und Enkel machten im Lauf des 19. Jahrhunderts aus einer kleinen Firma eine Reederei von Weltruf: Die von dem Hamburger Maler Ernst Eitner gestaltete „Ahnentafel“ zeigt Ferdinand Laeisz, Carl Laeisz und den früh verstorbenen Carl Ferdinand Laeisz.


Der Hafen von Buenos Aires im 19. Jahrhundert. 1825 exportierte Laeisz erstmalig Zylinderhüte in die argentinische Hauptstadt.

Hamburg ist in jenen Jahren noch dabei, sich von den Folgen der Napoleonischen Kriege und der „Franzosenzeit“ zu erholen, in der die Stadt von 1806 bis 1814 von Frankreich besetzt und sogar annektiert worden ist. Nachdem die Kontinentalsperre dem Handel extrem geschadet und viele hanseatische Firmen in den Ruin getrieben hat, geht es jetzt wieder bergauf. Zwar ist Deutschland noch immer zersplittert und der Handel wird durch zahlreiche Zollschranken unnötig erschwert, aber durch die Industrielle Revolution, die in England begonnen hat und nun auch den Kontinent nach und nach erfasst, steigt die Warenproduktion und damit auch der wirtschaftliche Druck, Handelsschranken nach und nach zu beseitigen. Mit dem 1834 gegründeten Deutschen Zollverein werden die Weichen in Richtung eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets gestellt, das freilich erst nach der Reichsgründung 1871 vollständig verwirklicht werden kann.

In dieser von Veränderungen geprägten Zeit kann Ferdinand Laeisz mit der Produktion der farbigen Zylinderhüte gutes Geld verdienen. Zunächst verkauft er diese Luxusartikel vor allem an Hamburger und Bremer Geschäftsleute und Senatoren. Dann kommt er aufgrund des geschäftlichen Erfolgs auf eine neue interessante Idee: „Nachdem ich so viel verdient hatte, dass ich mich auf weiter ausschauende Unternehmungen einlassen konnte, machte ich den Versuch, ein eigenes Geschäft über See aufzusetzen“, erinnert er sich. Er plant nun, die Zylinder ins Ausland zu exportieren, und gibt 1825 eine Ladung davon einem befreundeten Kapitän mit, der mit seinem Schiff nach Buenos Aires fährt. Dort stoßen die Hüte aus Hamburg auf allergrößtes Interesse und sind unter den wohlhabenden Geschäftsleuten sozusagen der letzte Schrei. Der Transport erweist sich allerdings als schwierig, weil die Zylinder ziemlich sperrig sind und in sicherer Verpackung viel Platz beanspruchen. Damit verursachen sie auch hohe Frachtkosten. Mit einem entfernten Verwandten, einem gewissen Bonne, bespricht Ferdinand Laeisz dieses Problem. Man erörtert auch die Bezahlung, die sich mitunter als kompliziert erweist, da die Abnehmer oft nicht das nötige Bargeld zur Hand haben und stattdessen mit den Naturprodukten bezahlen wollen, die damals als Kolonialwaren bezeichnet werden. Aber was soll ein Hutfabrikant damit anfangen? Um an Geld zu kommen, muss er sie verkaufen und diesen Verkauf auch möglichst schnell professionalisieren. Also bietet es sich an, selbst Im- und Export-Kaufmann zu werden – damals ein Beruf mit Zukunft.

Schließlich kommen Laeisz und Bonne überein, eine Firma in Buenos Aires zu gründen, die einerseits vor Ort produziert, aber auch Hüte – und bald außerdem andere Waren – aus Hamburger Produktion verkauft. Nachdem die Firma Laeisz & Bonne erfolgreich Fuß gefasst hat, expandiert Laeisz in Südamerika mit gleich mehreren Tochterfirmen. Bald gibt es Niederlassungen im brasilianischen Bahia, in Caracas, in Santiago de Chile, in Lima und auf Kuba. Nicht immer hat er mit seinen Partnern vor Ort Glück, so veruntreut der Geschäftsführer der Faktorei in Caracas in Venezuela das Firmengeld und nimmt sich anschließend das Leben. Trotzdem „war der Erfolg ein außerordentlich günstiger“, wie Laeisz zufrieden notiert, denn in Südamerika ist die Nachfrage nach Zylindern made in Hamburg enorm.

Seinen Namen erhält der Hut aufgrund seines zylindrischen Kopfes, der sich über einer festen Krempe erhebt. Die markante Form stammt aus England, von wo aus der Zylinder sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch in Kontinentaleuropa verbreitet und bald als Symbol des gutsituierten Bürgers gilt. Da man sich in Südamerika gern an der europäischen Mode orientiert, ist dieser Hut dort sehr gefragt.

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