Читать книгу Der vergiftete Sport - Matthias Kamber - Страница 7
Niederlagen
Оглавление»Als Botschaft kann ich nur sagen, dass es an den Eltern liegt, den Kindern zu sagen, was die besten Entscheidungen im Leben sind. Auf diese Weise erzogen mich meine Eltern. Es ist kein schlechter Weg.« So sprach Floyd Landis im Sommer 2006, als klar war, dass er die Tour de France gewinnen würde. Ich saß als Journalist im Raum, als Landis so redete.
In diesem Buch geht es um Siege und Niederlagen im Kampf gegen Doping, um Macht und Ohnmacht, Vertrauen und Misstrauen.
Es ist erst drei Jahrzehnte her, dass in der Schweiz das Los entschied, wer zu einer Dopingkontrolle anzutreten hatte. Und wer ausgelost war, musste binnen 36 Stunden bei einem Abnahmezentrum erscheinen. Bloß keine Eile. Undenkbar, aus heutiger Sicht. Heute, da es bessere Analysemethoden gibt, Meldepflichten, unangemeldete Kontrollen. Daran zeigt sich, wie groß die Fortschritte im Anti-Doping-Kampf gewesen sind. Aber es gibt noch immer Niederlagen und Ohnmacht. Die Operation »Aderlass« im Februar 2019 brachte die Erkenntnis, dass sich Langläufer noch kurz vor dem Start mit Eigenblut dopten – in einer Phase, in der Kontrollen tabu waren, der Konzentration der Athleten zuliebe.
Immer neue Schlupflöcher. Hört es nie auf? Nein.
Mehr als einmal bin ich Spitzensportlern begegnet, die später aufflogen. Floyd Landis, Michael Rasmussen, Bernhard Kohl, allesamt Radprofis. Es war wiederholt dasselbe: vertrauen, abwägen, zweifeln; Lügen hören, Lügen transportieren, Lügen erkennen.
Kohl sagte 2008, auf dem Weg zum dritten Tour-Rang, im Winter verstaue er das Rad wochenlang im Keller, »ich will nicht nur ans Velo denken«. Es sollte als so etwas wie ein Erfolgsgeheimnis wirken. Bald darauf flog Kohl auf, danach sagte er mir in einem Interview 2009 in Wien: »Du führst ein Doppelleben – und wenn du das erste Mal Doping nimmst, beginnst du damit. Du weißt, dass viel mehr dopen, aber keiner gibt es zu. Wie sonst soll der Sportler reagieren, als immer nur zu sagen, er sei sauber.«
Wenn der Doper die Sauberkeit preist, braucht er am besten Beispiele aus dem Alltag. So entstehen Nähe und Vertrauen. Wie bei Landis mit seinem Hinweis auf die Eltern. Als er 2006 für wenige Tage der Tour-Sieger war, kursierten Episoden aus seiner Kindheit; er war als Mennonit aufgewachsen, Rad fahren durfte er nur in Leinenhosen. Was dabei mitschwang: Ein solches Umfeld hält dich doch ab vor List und Betrug.
Dieses Spiel kennen alle, ob gedopt, ungedopt, erwischt, entkommen, integer. Sebastian Coe, eine Legende des Laufsports und der Präsident des Leichtathletik-Weltverbands IAAF, sagt in diesem Buch, wenn ihm während der Karriere jemand Doping vorgeschlagen hätte, so hätte sein Vater diese Person buchstäblich umgebracht und aus dem Fenster geworfen. Wieder so ein Bild. Stark, persönlich – und entwaffnend soll es sein.
Es gibt solche und solche Doper, große und kleine Fische, korrupt oder verzweifelt, und es gibt Dopingfälle, die gar keine sind – oder bis heute ungelöst scheinen. Auch darum geht es in diesem Buch. Aber was alle vereint: Selten wissen wir, was wirklich ist. Im Idealfall reden Doperinnen und Doper später einmal darüber, klären auf. Es gibt immer zwei Seiten – aber erst, sobald die Sportler die eine Seite nicht mehr verstecken.
Und dieser Wand stehen die Anti-Doping-Kämpfer gegenüber, kommen näher, gewinnen oder verlieren. Und geben nicht auf. Dieses Buch ist auch ein Dokument des Versuchs zum Betrug – und der ewigen Auflehnung dagegen. Neun Geschichten zeigen auf, wie und wann was besser geworden ist. Siege. Und wie Maßnahmen bald überholt oder zu schwach waren. Niederlagen.
Rasmussen nahm 2007 als Tour-Leader Süßigkeiten in eine Pressekonferenz mit und sagte, er spreche nur übers Rennen. Was auch hieß: keine Fragen zu Doping. Und schon gar keine Antworten. Bald darauf nahm ihn das eigene Team aus dem Rennen, wegen Dopinggeschichten. Doch es hatten ihn genau diese Leute aus dem Rennen genommen, »die den Großteil des Dopings unterstützt oder organisiert haben. Diese Leute, die mir eine Telefonnummer zu einer Blutbank in Wien gegeben hatten. Diese Leute, die mir in Karlsruhe eine Nadel in den Arm gesteckt hatten. Diese Leute, die mir Salzlösung gegeben hatten, damit der Hämatokrit niedrig blieb. Diese Leute, die mir falsche Arztzeugnisse gegeben hatten«, so sagte er es mir Jahre später in einem Interview in der Nähe von Bern. Und was Rasmussen auch sagte: Wer von einem aktiven Fahrer erwarte, dass er die Wahrheit über Doping sage – der könne nur eine Antwort erwarten: »Nein. Ob sie wahr ist oder nicht.« Aber wenn ein ehemaliger Fahrer später endlich die Wahrheit sage, »sollten ihn die Leute nicht wie Dreck behandeln«.
Wenn der ehemalige Doper redet, sollten wir zuhören, mitlesen, vielleicht auch Verständnis aufbringen. Und uns fragen, ob es endlich die Wahrheit ist.
Ich habe gelernt, Spitzensportlern zu misstrauen. Eine Niederlage, eigentlich, denn immer nur Skepsis macht doch keinen Spaß. Aber es geht um Spitzensport. Auf diese Weise erzog mich das Berufsleben, mein Doppelleben. Es ist manchmal ein anstrengender Weg. Aber kein schlechter.
Benjamin Steffen