Читать книгу Torsten Mattuschka - Matthias Koch - Страница 10
ОглавлениеKAPITEL 4
Wilde Jahre in Merzdorf und Dissenchen
1996 bis 2001
Zurück in Merzdorf
Nach seiner Ausbootung beim FC Energie Cottbus bricht für den 15 Jahre alten Torsten Mattuschka eine kleine Welt zusammen. Zu allem Überfluss soll er im Sommer 1996 auch noch zu Lok Cottbus wechseln, dem zweitgrößten Verein der Stadt. Dort werden jene Spieler geparkt, für die es bei Energie aus unterschiedlichen Gründen nicht gereicht hat. „Ich hatte aber keinen Bock darauf, zu Lok zu gehen. Ich wollte lieber mit meinen Jungs in Merzdorf zusammen spielen“, erzählt Mattuschka. „Ich habe mit Absicht meinen Pass nicht bei Lok abgegeben. Dadurch bekam ich eine Sperre und bin dann nach Merzdorf gegangen.“
Beim FC Energie trainierte Mattuschka mindestens viermal in der Woche, in Merzdorf gibt es in der Regel nur zwei Einheiten wöchentlich. „Der große Fußball war damit für mich eigentlich gegessen“, schaut Mattuschka zurück.
Zwei Spielzeiten kickt er dort, wo seine Laufbahn 1988 begann: 1996/97 in der B-Jugend und 1997/98 im ersten A-Jugend-Jahr. Allerdings heißt sein Heimatverein seit der Wende nicht mehr Aufbau Merzdorf, sondern SV Rot-Weiss Merzdorf. Bei den A-Junioren ist Peter Müller sein Coach. Mattuschka scheint sein Verhalten nicht geändert zu haben. „Er war bei uns der Mannschaftskasper. Er sorgte immer für Belustigung“, sagt der bis heute in Merzdorf lebende Müller. Auch sportlich ist auf Mattuschka weiter Verlass. Er schießt Tor um Tor. Müller meint, dass Mattuschka die gute Technik ein bisschen im Blut gelegen habe: „Er war der Einzige weit und breit, der so etwas besaß – auch bei Freistößen. Da war er fast einmalig.“
Das Unheil naht aber aus dem Nachbardorf. Der SV Dissenchen buhlt um die Dienste von Torsten Mattuschka. Müller: „Was zwischen Merzdorf und Dissenchen abging, hat generell für Unruhe gesorgt.“ Um die Brisanz des sich im Sommer 1998 anbahnenden Wechsels von Mattuschka von Merzdorf nach Dissenchen zu verdeutlichen, ist ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart beider Vereine sehr hilfreich.
Die Rivalität zwischen den beiden Nachbardörfern, die seit 1993 zu Cottbus gehören, steht beileibe nicht auf einer Stufe mit solchen Hass-Derbys wie zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04, Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin oder dem FC Carl Zeiss Jena und FC Rot-Weiß Erfurt. Aber dass sich die Fußballvereine von Merzdorf und Dissenchen nie grün waren, zeigt sich sogar noch in der Spielzeit 2016/17.
Da Merzdorf im Sommer 2016 nach 17 Jahren Abstinenz in die Kreisliga aufgestiegen war, kam es am 18. Dezember 2016 wieder mal zu einem direkten Duell mit Dissenchen. Das letzte hatte es 37 (!) Jahre zuvor gegeben. Im Sommer 1979 spielten Aufbau Merzdorf und Aktivist Dissenchen noch unter ihren DDR-Namen. Merzdorf siegte mit 3:2. In den folgenden Jahrzehnten kickten die Männer von Dissenchen immer höherklassiger als Merzdorf. 1992 stieg der SV Dissenchen 04 sogar als Meister der Bezirksliga Cottbus in die Verbandsliga Brandenburg auf. Damit war das Dorf eine Spielzeit lang fünftklassig „1993 sind wir gleich wieder in die Landesliga abgestiegen. Viele unserer Spieler gingen in den Westen. Wir konnten das finanziell auch gar nicht mehr durchstehen“, erinnert sich der langjährige SVD-Trainer Bernhard Hansch. „Danach stiegen wir kontinuierlich wieder ab. Erst in die sechstklassige Landesliga und 1998 in die Landesklasse, die 7. Liga.“
Als es nun anno 2016 wieder zum Derby zwischen Merzdorf und Dissenchen kam, veröffentlichten die Merzdorfer wenige Tage davor auf der Facebook-Seite des Vereins einen Flyer, in dem sie etwas süffisant auf die veränderten Bedingungen in Dissenchen hinwiesen. „Jahrzehntelang war ein Derby auf Augenhöhe nicht in Sicht. Doch seit einiger Zeit dreht sich das Rad in eine andere Richtung! Der Tiefpunkt dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass unser geliebter Nachbar nicht einmal mehr die Kraft besitzt, eine eigene Mannschaft zu stellen, und so noch die Hilfe vom SV Haasow benötigt. Wogegen in unserem Kader insgesamt zwölf gebürtige Merzdorfer zu verzeichnen sind.“ Seit dem Jahr 2012 bildet Dissenchen mit dem Nachbardorf Haasow die Spielgemeinschaft (SG) Dissenchen/Haasow.
Seine Heimspiele trug Dissenchen/Haasow 2016/17 in der Hinrunde meistens in Haasow aus. Die Verbindung der ersten Mannschaft zum Vereinswirt in Haasow soll besser sein als zu dem in Dissenchen. Bei besagtem Derby am 18. Dezember trug die SG Dissenchen/Haasow übrigens schwarz-weiße Trikots mit der Aufschrift SV Schwarz-Weiß Haasow 98. „Aber wenn die Spielgemeinschaft in Dissenchen aufläuft, trägt sie Hemden des SV Dissenchen“, sagt Hansch. Für Traditionalisten von Dissenchen ist das sicher wenig erbauend. Die Spielgemeinschaft siegte jedoch auch in Haasower Trikots nach einer torlosen ersten Halbzeit mit 4:0.
Merzdorf triumphierte dafür klar auf den Rängen. Es machte sich bezahlt, dass es bei Rot-Weiss seit einigen Jahren die Ultra-Gruppierung „Block M“ mit rund 15 Mitgliedern gibt. Ihr Schlachtruf lautet „RWM Ahu“. Ihre Sticker prangten in den Tagen vor dem Derby auch auf dem zweisprachigen Ortsschild von Dissenchen, das auf Sorbisch Dešank heißt. Beim Spiel half das wenig. Doch gewonnen haben am Ende alle. Trotz des miesen Wetters waren 230 Zuschauer gekommen. Das Eintrittsgeld in Höhe von 1.200 Euro wurde für Patienten der Kinderklinik Cottbus gespendet.
Für die Lehrstelle zum Erzrivalen
Mit der Rivalität zwischen den Ortsschild an Ortsschild liegenden Dörfern Merzdorf und Dissenchen ist Torsten Mattuschka groß geworden. 1998 nach dem Ende seiner Schulzeit wird er quasi zum Spielball in der Cottbuser Peripherie. Sein Opa Heinz Wieder aus Merzdorf und dessen Bekannter Werner Laschke aus Dissenchen sind Fußballfans. Sie setzen sich in diesem Fall über Befindlichkeiten von halb Merzdorf, halb Dissenchen und Teenager Mattuschka hinweg.
Im Sommer 1998 wechselt dieser tatsächlich von Merzdorf nach Dissenchen. „Ich wollte das eigentlich nicht. Dissenchen war für meinen Freundeskreis und mich schon eine Zumutung. Ich habe zu Opa gesagt, dass ich nicht zu den Molukken gehe“, so Mattuschka über seine erste Reaktion. Alle seine Kumpels spielten schließlich in Merzdorf.
Doch der von seinem Großvater ausgehandelte Deal ist auf den zweiten Blick gar nicht so schlecht. Spielerpass gegen Lehrstelle lautet das Geschäft. Für den Eintritt beim SV Dissenchen 04 bekommt Mattuschka eine Ausbildung in Dissenchen bei der als Vereinssponsor agierenden Malerfirma Laschke. Dafür nimmt Opa Heinz auch in Kauf, in Merzdorf erst einmal der Buhmann zu sein. „Das war das erste Mal, dass mir der Fußball geholfen hat. Ich konnte kicken und eine Ausbildung machen“, erinnert sich Mattuschka. „Mein Abschlusszeugnis war ja nicht so besonders. Ich hätte sonst Bewerbungen schreiben müssen.“ Die zehnte Klasse hat Mattuschka in elf Jahren geschafft. Seine Zensuren seien aber in keinem Fach herausragend gewesen – außer in Sport.
Am 1. August 1998 beginnt in Dissenchen die Zeitrechnung mit Mattuschka. Der damals 17-Jährige ist theoretisch noch eine Saison für die A-Jugend spielberechtigt. Ab und an wirkt er auch im Nachwuchs mit. Aber in erster Linie ist er geholt worden, um die Herrenmannschaft zu verstärken. „Am Samstag bin ich für die Männer aufgelaufen, am Sonntag bei den A-Junioren – meistens noch etwas voll. Aber in der Liga hat es auch halbsteif gereicht“, spielt Mattuschka auf Partybesuche am Samstagabend an.
Neben seinem Entgelt als Lehrling gibt es für Mattuschka in Dissenchen keine zusätzlichen Prämien für das Auflaufen oder Torerfolge. Die siebte Liga ist auch für die Mitspieler eine reine Hobbyveranstaltung. „Bei uns wurde kein Geld gezahlt, das kann ich guten Gewissens sagen. Wir haben aus Freude und Spaß gespielt und waren froh, dass wir als kleines Dorf die Landesklasse gehalten haben“, sagt Bernhard Hansch. Neben ihm gehörten in Dissenchen auch Peter Wöhler und Steffen Rettig zu den Übungsleitern der Herrenmannschaft , in der Mattuschka spielte.
„Torsten war leicht zu handhaben“
Interview mit Malermeister Timo Laschke, ehemaliger Chef und Mitspieler
Timo Laschke, Jahrgang 1967, ist bis heute in Dissenchen als Vereinssponsor aktiv. Die Werbung seiner Malerfirma prangt auf dem Sportplatz in Dissenchen an der Branitzer Straße omnipräsent am Funktionsgebäude, am Vereinsbriefkasten, an der Trainerbank und der Bande auf der Gegengeraden. In den 1990er und 2000er Jahren schnürte er auch selbst gemeinsam mit Torsten Mattuschka für den SV Dissenchen die Schuhe.
Herr Laschke, wie kam es dazu, dass Torsten Mattuschka in Ihrer Firma eine Ausbildung zum Maler und Lackierer absolvierte?
„Torsten spielte im Nachbarverein in Merzdorf bei den A-Junioren. Er agierte dort immer sehr auffällig durch seine Freistoßtreffer und sein Ballgefühl. Mein Vater Werner gehörte beim SV Dissenchen zum Betreuerstab. Er kannte auch den Großvater von Torsten seit vielen Jahren. Wir hörten davon, dass Torsten eine Lehrstelle sucht. Eine Hand wusch die andere. Torsten spielte bei uns Fußball und bekam dafür einen Lehrvertrag.
Mein Vater arbeitete zu DDR-Zeiten in einer großen Produktionsgenossenschaft des Handwerks, in der ich auch meine Lehre absolvierte und meinen Meisterbrief ablegte. Danach habe ich mich abgekoppelt und 1991 in Dissenchen die Malerfirma Laschke gegründet. Mein Vater stieß dazu.“
Mattuschka sagt, dass Sie auch ein guter Abwehrspieler gewesen seien …
„Das stimmt. Er ist zwar einige Jahre jünger als ich, aber Torsten spielte ja schon im Alter von 17 Jahren bei uns mit. Er gehörte in der Landesklasse auch schnell zu den Leistungsträgern.“
Für den Lehrling Mattuschka waren Sie Chef und Mitspieler zugleich. Wie funktionierte das?
„Unproblematisch. Dadurch, dass wir Sportsfreunde waren und ich eher ein Kumpeltyp bin, haben wir uns sowieso von Beginn an geduzt. Torsten war auch leicht zu handhaben. Er brauchte eigentlich nur einen Ball. Dann war er glücklich.“
Er ist berühmt für seine Späße. Hat er das auch in seiner Zeit in Dissenchen ausgelebt?
„Ja, ich glaube, dass er als Clown geboren wurde. Er hat gern Faxen gemacht. In der Montagezeit sind die Jungen noch oft abends in die Stadt gezogen. In Berlin war die Chance dafür da.“
Wie lief das eigentlich mit dem Training, wenn außerhalb von Dissenchen gearbeitet wurde?
„In dieser Zeit sind wir – auch ich – häufig auf Montage gefahren. Es ging oft nach Berlin. Zwischen acht und zehn Fußballer arbeiteten damals in meiner Firma. Ich glaube, die halbe Mannschaft bestand aus Malern. Da haben wir zweimal wöchentlich in Berlin-Lichtenberg auf einem Kunstrasenplatz trainiert. Zu unseren Gegnern gehörte damals auch der spätere Union-Profi Christian Stuff mit seiner Mannschaft. Die haben gemerkt, dass wir eine richtig starke Truppe sind.“
Wie sahen die fachlichen Qualitäten von Torsten aus?
„Als Lehrling ist man noch nicht vollkommen. Praktisch konnte man über ihn nicht meckern. Da hat er sich Mühe gegeben. In der Th eorie gab es Defizite. Aber das wollen wir mal nicht so hoch hängen. Insgesamt bekommt er von mir das Prädikat ‚solide‘.“
Wie haben Sie seinen weiteren Weg als Fußballer verfolgt?
„Natürlich habe ich mich gefreut, dass ein Kerl von uns so einen Erfolg hatte. Ich durft e mit ihm ja mal mitgurken. Und dann hat er es nach oben gepackt. Daran sieht man, dass alles machbar ist. Am Anfang hat er mit Energie Cottbus noch oft bei uns auf dem Platz in Dissenchen trainiert. Der Kontakt ist nie abgerissen, weil er auch während seiner Zeit in Berlin in der Heimat vorbeischaute. Dann hat er uns auch mal einen Kasten Bier hingestellt.“
Dissenchen: Montage macht fett
Während seiner Zeit bei der Malerfirma Laschke haben die Angestellten und Lehrlinge häufig in Berlin zu tun. Sie gehen am Montagmorgen regelmäßig auf Montage. Die Heimreise erfolgt entweder am Donnerstagabend oder am Freitagmittag. Es gibt eine Wohnung für die älteren Kollegen und eine für die jüngeren.
Zu Letzteren zählt Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre auch Torsten Mattuschka. In puncto Ernährung und Kultur muss das Niveau nicht sehr hoch gewesen sein. „Wenn man als 19- bis 20-Jähriger die gesamte Woche in Berlin unterwegs ist, ist es klar, dass man Scheiße baut. Die vier Jahre auf Montage haben mir richtig einen Bums gegeben“, gibt Mattuschka zu. Damit meint er keinesfalls ein weiteres Plus an Schusskraft , sondern eines auf der Waage. Die Gewichtszunahme in dieser ungestümen Lebensphase ist enorm. Sie bringt ihn fast an die 100-Kilogramm-Grenze heran.
Einen Ernährungsplan gibt es nicht. Mattuschka & Co. futtern, was kommt. „Zur Frühstückspause um neun Uhr gab es entweder eine Curry-wurst oder eine Fünf-Minuten-Terrine und eine Semmel mit Fleischsalat. Am Nachmittag dasselbe“, erzählt Mattuschka. „Ab 18 Uhr waren wir auf der Bude. Da haben wir uns Pizza, Döner oder etwas von McDonald’s beziehungsweise Burger King reingehauen.“ Runtergespült werden muss das Ganze ja auch irgendwie. Vier, fünf halbe Liter Bier und das eine oder andere Gläschen Wodka Lemon gehören auch zur abendlichen Tagesration – zumindest in der WG der jungen Maler aus Dissenchen.
Vermutlich leben sie einfach so wie Tausende andere Montagearbeiter auch. Zugutehalten kann man ihnen aber, dass sie sich ein- bis zweimal die Woche noch sportlich betätigen. Für das Training beim SV Dissenchen fehlt ja die Zeit. Auslauf gibt es auf dem Sportplatz Zachertstraße in Lichtenberg. „Wir wollten ein bisschen bolzen und uns bewegen“, so Mattuschka.
Dabei gibt es vermutlich im Jahr 1999 auch Duelle mit Christian Stuff. Der spätere Mitspieler Mattuschkas beim 1. FC Union kickt damals noch bei Borussia Friedrichsfelde und verbringt auf dem „Zachert“ in Berlin-Lichtenberg auch außerhalb des Vereinssports seine Freizeit. „Meine Kumpels und ich waren am Abend immer auf der Suche nach Gegnern. Und irgendwann kamen ein paar Maler vorbei, die ganz gut waren. Wir haben dann ein paar Mal gegeneinander gezockt“, sagt Stuff. „Das ging vielleicht ein, zwei Wochen. Dann habe ich sie leider nicht mehr gesehen. Sie hatten einen guten dicken Spieler mit Glatze. Das Gesicht hat sich mir damals aber nicht eingeprägt.“
Einige Jahre vergehen. 2006 treffen sich Mattuschka und Neuzugang Stuff als Profis beim 1. FC Union wieder. Die Hobbykicks in Lichtenberg werden in der Kabine noch einmal ausgewertet. Stuff: „Wir saßen nebeneinander in der Kabine und haben festgestellt, dass wir uns eigentlich schon kennen.“
Der Bomber vom Dorf: 100 Tore in 100 Spielen
In Dissenchen findet Torsten Mattuschka ideale Bedingungen vor: zwei fast gleichwertige Rasenplätze, ein annehmbares Funktionsgebäude und eine Vereinsgaststätte. „Abgesehen vom Geld, war es wie bei den Profis. Es gab Flutlicht. Wir besaßen sogar eine eigene Kabine, in der wir unsere Sachen lassen konnten“, berichtet Mattuschka.
Bernhard Hansch, der langjährige Trainer und Funktionär des SV Dissenchen, verweist auf die frühere Unterstützung durch das Braunkohlenkombinat. „Wir hatten einen Trägerbetrieb, mit dem wir den B-Platz auch mit einer Beregnungsanlage versehen konnten. Damit besaßen wir gegenüber anderen Vereinen einen großen Vorteil“, sagt Hansch.
Dass die Anlage bis heute in einem guten Zustand ist, liegt auch daran, dass sie im Besitz der Stadt Cottbus ist. Neben dem SV Dissenchen gehören auch Schulkinder zu den Nutzern. Mannschaften des FC Energie Cottbus trainieren bis heute dort. Auch Erst- und Zweitligisten bereiteten sich vor ihren Gastspielen in Cottbus auf die Auswärtsspiele gegen Energie vor.
Auf dem satten Grün von Dissenchen macht Mattuschka mit 17 Jahren seine ersten Spiele bei den Herren. „Er hat sich nicht sofort durchgesetzt. Aber schon in den Saisons 1999/2000 und 2000/01 wurde er Torschützenkönig in der Landesklasse“, berichtet Hansch stolz. Die beiden dazugehörigen Pokale des Fußball-Landesverbandes Brandenburg für die Landesklasse (Staffel Süd) mit Namensgravur sind bis heute im Besitz von Mattuschka. 1999/2000 sind es 30 Buden, wie die Lausitzer Rundschau berichtet. Mattuschka verweist Guido Lesche und Maik Schwabe vom KSV Tettau auf die Plätze, die jeweils 25-mal eingelocht haben.
Die dritte Spielzeit in Dissenchen ist für Mattuschka – gemessen an der Anzahl der Tore – die erfolgreichste: 36-mal locht er 2000/2001 ein. Die Plätze hinter ihm belegen Michael Konzack (33) von der SG Sielow und Guido Lesche (31) aus Tettau. Mit Daniel Dubrau (14) taucht auf Platz neun noch ein weiterer Akteur aus Dissenchen auf. Seinen Kumpel und späteren Trauzeugen hat Mattuschka im Sommer 1999 aus Merzdorf nachgeholt. „Torsten hatte auf jeden Fall Anteil an meinen Wechsel“, sagt Dubrau.
Die Lausitzer Rundschau bezeichnet Mattuschka in einer Unterschrift zu einem Foto des bekannten Lokalfotografen Michael Helbig als „Ballermann der Dissenchener“. Mattuschka und Medien wie die Berliner Zeitung im Jahr 2008 verweisen darauf, dass ihm beim SVD in der Landesklasse 100 Tore in 100 Spielen gelungen seien. 66 Tore in den Spielzeiten 1999/00 (30) und 2000/2001 (36) sind medial belegt, auch wenn Mattuschka-Trainer Hansch in seinen Aufzeichnungen eine andere Verteilung (32/34) notiert hat.
Mattuschka sagt, dass ihm in seinem ersten Seniorenjahr 1998/99 18 Treffer gelungen seien. Und in der Hinrunde 2001/02 seien es vor dem Wechsel zu den Amateuren von Energie Cottbus 16 Tore in 14 Begegnungen gewesen. In der Lausitzer Rundschau sind in der Halbjahresbilanz zumindest 15 erfolgreiche Abschlüsse genannt. In der Torschützenliste nach der ersten Halbserie wird Mattuschka hinter Jörg Handrick und Daniel Müller auf Rang drei geführt. Die beiden Fußballer der SG Burg hatten jeweils 16 Tore auf dem Konto.
Einer seiner letzten Punktspieltreffer für Dissenchen gelingt Mattuschka im Dezember 2001 beim 1:0-Heimsieg gegen Eintracht Ortrand. Die Beschreibung seines Treffers in der Lausitzer Rundschau drückt die Willensstärke aus, mit der er sich den Weg zum entscheidenden Treffer bahnte: „Dissenchens Tormann Björn Münzenberger schoss das Leder blitzschnell zu Torsten Mattuschka. Der stand am Mittelkreis allein auf weiter Flur, stürmte zum Ortrander Tor, tänzelte drei Mann aus und schoss flach am rechten Pfosten vorbei ins Netz.“
Mattuschka hat als Bomber vom Dorf Spaß. „Zu unseren Heimspielen kamen im Schnitt vielleicht 50 Zuschauer, und im Anschluss wurde Bier getrunken“, schaut er zufrieden zurück. Sportlich fühlt er sich ebenfalls wohl. „Wir haben viele Tore wirklich gut herausgespielt. Es gab mit René Röder und Ralf Hansch auch sehr erfahrene Fußballer, die mit Energie vorher in der DDR-Oberliga oder DDR-Liga gespielt hatten“, erklärt Mattuschka. „Meine Schusstechnik – mit Spin und herumgerissen – habe ich mir bei René Röder abgeschaut.“
Die Gegner wissen mit der Zeit genau, was bei Partien gegen den SV Dissenchen und Torjäger Torsten Mattuschka auf sie zukommt. Aber es hilft oftmals nichts. Diese Erfahrung macht auch Jan Lehmann. Der Journalist, der bei der Lausitzer Rundschau zusammen mit Frank Noack schon viele Artikel über Mattuschka verfasst hat, spielte damals beim ESV Lok Falkenberg. Der Sechstligist muss im Herbst 2000 in der 3. Hauptrunde im Brandenburger Landespokal beim Siebtligisten Dissenchen antreten. „Vor dem Spiel kam einer unserer Leute in die Kabine und warnte: ‚Jungs, ihr müsst auf den Dicken aufpassen. Der schießt hier die ganzen Tore‘“, erinnert sich Lehmann. „Ich habe mir nichts dabei gedacht. Fakt ist: Wir haben 0:3 verloren, und den Dicken konnte keiner einfangen. Ich glaube, er hat ein Tor erzielt und eins vorbereitet.“ Mattuschka schoss nachweislich das Tor zum 2:0 in der 52. Minute. Dissenchen stand somit erstmals im Achtelfinale des Landespokals, in dem Verbandsligist SV Altlüdersdorf erst mit 3:2 nach Verlängerung beim Außenseiter triumphierte.
Mattuschka muss aber auch lernen, dass selbst in der siebten Spielklasse Ernsthaftigkeit erforderlich ist. Trainer Bernd Hansch lässt seinen Torjäger bei einem Heimspiel einmal auf der Bank, weil Mattuschka im Training undiszipliniert war. Die Zuschauer fangen schon an zu murren, weil Dissenchen bis in die Schlussphase als Tabellenführer gegen einen Abstiegskandidaten mit 0:1 zurückliegt. „Ich habe Torsten dann noch reingenommen, und im Endeffekt haben wir mit 2:1 gewonnen“, berichtet Hansch. „Torsten kam nach dem Spiel zu mir und sagte, dass ich alles richtig gemacht hätte.“
Mattuschka sah in der ersten Halbserie der Spielzeit 1999/2000 in der Heimpartie gegen den SV Süden Forst (1:1) sogar eine Rote Karte, wie der Vorschaubericht auf das Rückspiel beider Teams im Frühjahr 2000 in der Lausitzer Rundschau beweist: „In Dissenchen vergab der SV Süden in der Hinrunde nach überlegenem Spiel beim 1:1 durch mangelnde Chancenverwertung einen durchaus möglichen Sieg. Der in der Hinrunde mit 14 Treffern beste Torschütze der Staffel, Torsten Mattuschka, wurde gut bewacht und kassierte eine unglückliche Rote Karte. Er erzielte, obwohl einige Spiele gesperrt, fast die Hälfte aller Gästetore.“
Da ist im Rückblick natürlich die Frage zu stellen, wie es sich damals mit dem „unglücklichen“ Feldverweis gegen Forst genau verhalten hat. Mattuschka kann sich noch sehr gut an diese Episode erinnern. „Ich wurde klar gefoult. Aber der Schiedsrichter hat einfach nicht gepfiffen. Da habe ich ihn gefragt: Was bist du denn für eine Plinse?“
Opa Heinz lässt nicht locker
Torsten Mattuschka hat in Dissenchen scheinbar seinen privaten, beruflichen und sportlichen Frieden gefunden. In der siebten Spielklasse trifft er nach Belieben, und seine Mannschaft bereichert die Südstaffel der Landesklasse durchaus. 1998/99 reicht es mit 54 Punkten hinter dem SV Werben 1892 (73) und dem FSV Lauchhammer (ebenfalls 54) zu Rang drei. 1999/2000 wird der SVD mit 47 Punkten Sechster. Vor ihm landen Einheit Drebkau, der FSV Lauchhammer 08 (beide 68), der KSV Tettau (62), der SV Süden Forst (56) und der SV Großräschen (50).
Die beste Serie in der dreieinhalbjährigen „Ära“ Mattuschka spielt Dissenchen in der Saison 2000/01. Hinter dem KSV Tettau (66 Punkte) wird Dissenchen mit 62 Punkten Vizemeister. Dritter wird Süden Forst (50). Aufs Treppchen schafft es der SVD mit 56 Punkten auch in der Spielzeit 2001/02. Am Saisonende sind nur der SV Chemie Guben 1990 (62) und der FSV Lauchhammer 08 (58) besser.
Da hat Mattuschka den SV Dissenchen allerdings bereits verlassen. Er nimmt seinen Abschied nach der Hinrunde, als Dissenchen mit 28 Punkten hinter Guben, Lauchhammer (beide 31) und der SG Burg (29) auf Platz vier steht. Mit und ohne Mattuschka holt die Mannschaft also 28 Punkte pro Halbserie. „Nach seinem Weggang gerieten die Dissenchener etwas ins Trudeln, fingen sich dann aber wieder“, beschreibt die Lausitzer Rundschau die Phase nach dem Abgang Mattuschkas.
Dass Mattuschka noch mal die Kurve zu Energie Cottbus und damit in Richtung Profifußball bekommt, verdankt er wieder mal vor allem Heinz Wieder. Dem Opa reicht es offensichtlich nicht, dass Torsten Mattuschka unterklassig von Tor zu Tor eilt oder wie im Mai 2000 beim 100-jährigen Forster Fußballjubiläum die Cottbuser Stadt-Elf verstärkt und beim 3:0-Erfolg gegen eine Forster Auswahl das 2:0 beisteuert. Opa Heinz traut Torsten mehr zu. Er geht bei Funktionären von Energie Cottbus fast schon auf Betteltour.
Dabei kommt Heinz Wieder zugute, dass die Amateurmannschaft des FC Energie Cottbus zu Beginn der 2000er Jahre regelmäßig auf der Anlage des SV Dissenchen trainiert. „Energie hatte damals noch nicht so viele Trainingsplätze für die Nachwuchsmannschaften und die Amateure. Der zweiten Mannschaft wurde für ein, zwei Jahre der Platz in Dissenchen zugewiesen“, erzählt Jürgen Meseck. Der damalige Cottbuser Trainer der Amateurelf kann sich auch gut an die Großeltern Mattuschkas erinnern: „Der Opa und die Oma lebten in Merzdorf, waren aber Dissenchen-Fans. Sie meinten, dass ich den Torsten doch aus der Nachwuchsabteilung von Energie gut kenne und dass er in Dissenchen vergammle. Aus ihm wäre doch sicher mehr zu machen.“ Auch er hat Anteil daran, dass Mattuschka nicht in der Versenkung des Freizeitsports verschwindet. Mattuschka bekommt im Jahr 2001 tatsächlich ein Bewerbungsspiel bei Energie, das seine Rückkehr zum sportlichen Aushängeschild der Stadt im Jahr 2002 ermöglichen wird.
Eine Genugtuung dürfte dies besonders für Heinz Wieder gewesen sein. „Mein Opa war immer da. Ohne ihn wäre ich nie so weit gekommen. Er hat in Dissenchen immer noch gerührt, als der Zug eigentlich schon abgefahren war. Für mich war klar, dass es mit der Profikarriere eigentlich vorbei ist. Aber Opa hat Jürgen Meseck immer wieder vollgequatscht“, sagt Mattuschka dankbar. Seine Schwester Katja bestätigt das: „Der Opa hat nicht locker gelassen.“