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ОглавлениеKAPITEL 3
Zur BSG Energie und Rauswurf beim FC Energie
1988 bis 1996
Beim größten Fußballverein der Stadt
Torsten Mattuschka ist sich ganz sicher: Er hat in jungen Jahren immer die meisten Tore geschossen. Egal, ob beim Training, in Spielen von Aufbau Merzdorf oder beim unorganisierten Kicken mit seinen Jungs in Käfigen und auf Bolzplätzen in Cottbus, Merzdorf und Umgebung.
Sein Talent bleibt auch Energie Cottbus nicht verborgen. Der heutige Fußballklub firmiert Ende der 1980er Jahre noch unter dem Namen Betriebs-Sport-Gemeinschaft (BSG) Energie Cottbus. Mattuschka fällt den Energie-Spähern 1988 bei einem Schulturnier im Stadion der Freundschaft auf. Seit 1987 gibt es die sogenannte Stadtmeisterschaft für die zweiten Klassen der Cottbuser Oberschulen. Dabei werden Talente für das Cottbuser Trainingszentrum (TZ) gesichtet. „Dort waren alle Nachwuchstrainer von Energie im Einsatz“, sagt der frühere Energie-Trainer, langjährige Cottbuser Nachwuchscoach und TZ-Leiter Ulrich Nikolinski, Jahrgang 1944.
Nikolinski vermutet, dass Mattuschka im September 1988 an so einem Schulturnier teilnahm und nach den Herbstferien des gleichen Jahres in die Mannschaft der Altersklasse (AK) 8 von Energie integriert wurde. Mattuschka selbst hat hinsichtlich seines genauen Eintrittsdatums bei Energie Gedächtnislücken. Aber an die Sichtung kann er sich erinnern. „Das Turnier fand auf vier Kleinfeldern statt. Meine Schule war dabei. Ich habe gut gespielt und auch einige Tore geschossen“, berichtet Mattuschka. „Ich weiß nicht mehr, ob der Verein direkt auf mich zugekommen ist. Wahrscheinlich haben sie mit meinem Opa Heinz gesprochen.“
In den ersten Jahren bei Energie wird Mattuschka auch vom ehemaligen Cottbuser DDR-Oberliga-Spieler Karl-Heinz Jahn trainiert. Er schaute genau auf das damalige Sichtungsturnier der AK8, weil er als verantwortlicher Trainer der nächstfolgenden AK9 schon seine zukünftige Truppe im Blick hatte, die er mit zusammenstellte. „Die Sichtung wurde im Stadion durchgeführt. Die Kinder kamen aus allen Cottbuser Schulen. Torsten war mit seinem Opa da. Die ausgesuchten Jungen haben alle einen Zettel bekommen“, sagt Jahn. „Die Spieler der Mannschaft wohnten meist in Sachsendorf in den Neubauten. Die haben sich nach dem Training oft getroffen und weiter Fußball gespielt.“
Der Abschied von seiner Merzdorfer Gang fällt Mattuschka nicht leicht. Aber schließlich ist Energie Cottbus der größte Verein der ganzen Gegend. „Ich war stolz darauf, dass ich zu Energie gehen durfte und dass sie mich wollten“, sagt Mattuschka heute. Durch den Wechsel zu Energie reißt 1988 der Kontakt zu seinen Freunden ein wenig ab, auch weil Mattuschka nicht in Merzdorf, sondern in Cottbus wohnt. „Wir waren Kinder, dann kam halt der nächste Kumpel. Als wir mal gegen ihn gespielt haben, bekamen wir 19, 20 Dinger von Energie – und Higgins hat acht Tore geschossen“, berichtet Busenfreund Daniel Dubrau. „Ich kann mich aber auch erinnern, dass Torsten mit zwölf oder 13 Jahren als Cottbuser schwarz für Merzdorf aufgelaufen ist.“
Bei den Knaben (heute D-Junioren) und Schülern (C-Junioren) ist Mattuschka als Stürmer oder hängende Spitze sehr präsent. Im Schülerbereich wird er von Joachim Helas, geboren 1955, und Karl-Heinz Jahn zwischen 1993 und 1995 trainiert. Die beiden sprechen sich beim Training und der Wettkampfplanung mit Spielern aus dem jüngeren und älteren Jahrgang ab. „Torsten hat als Jüngerer auch schon mal bei den Älteren mitgespielt. Körperlich und vor allem fußballerisch war er ein Leistungsträger“, berichtet Helas. Auch Jahn lobt den jungen Mattuschka: „Er war technisch und vom Schuss her einer der Besten, die ich je gesehen habe.“
Was ein Neunjähriger zur Wende so macht
Torsten Mattuschka hat ein gutes Jahr bei Energie gespielt, als der politische Wandel die DDR, die BRD, ja ganz Europa erfasst. In Berlin fällt 1989 die Mauer. Der heranwachsende Fußballer kann noch nicht einschätzen, was das bedeutet. Schließlich ist er erst neun Jahre alt. „Politik hat mich in meinem Alter nicht interessiert. Ich habe vielleicht an diesem Tag den Ball bei meiner Oma in Merzdorf an die Hauswand geknallt“, meint Mattuschka.
An seine Zeit als Jungpionier besitzt Mattuschka kaum Erinnerungen, dafür aber an die materiellen Verlockungen der Wende. „Den Mauerfall habe ich so wahrgenommen, dass Mama, Katja und ich in den Westen rübergefahren sind und uns jeder einen 100-DM-Schein abgeholt haben. Davon konnte ich mir einen Walkman kaufen“, sagt Mattuschka.
Die Schule ist weniger Musik in Mattuschkas Ohren, auch wenn in der Grundschule die Leistungen noch in Ordnung sind. Doch in den nächsten Jahren locken nicht etwa Mädchen oder Discoklänge Mattuschka vom Schreibtisch mit den Hausaufgaben weg – sondern das runde Leder. Mattuschka nutzt es auch aus, unbeobachtet zu sein. „Ich war alleinerziehend und musste acht Stunden lang arbeiten gehen. Wenn ich nach Hause kam, spielte Torsten schon auf dem Bolzplatz“, schaut Mutter Christa zurück. „Die Mappe wurde einfach in den Korridor geschmissen, und weg war er.“ Schwester Katja hat auch kein Auge auf den kleinen Bruder, der mit den Kumpels durch die Gegend zieht. Sie gibt heute ehrlich zu, dass ihr das zum damaligen Zeitpunkt vollkommen egal gewesen sei.
Im Verein ist Mattuschka sehr beliebt. „Er war immer sehr unbeschwert gegenüber anderen Jungen. Mit der Schule hat er sich nicht so ernsthaft befasst. Ihm ging es mehr um den Spaß und die Freude am Fuß-ball“, berichtet sein langjähriger Nachwuchstrainer Joachim Helas.
Das Ende der DDR: die Rettung vor dem BFC Dynamo?
Wer weiß, ob aus Torsten Mattuschka mit einer Vergangenheit beim BFC Dynamo später beim Erzrivalen 1. FC Union Berlin überhaupt eine Kultfigur hätte werden können? Möglicherweise rettete ihn vor einem Wechsel zum BFC nur das Ende der DDR. Ab 1975 mussten die besten Fußballer aus dem Bezirk Cottbus aus den Trainingszentren der Region an den DDR-Rekord-Meister abgegeben werden.
Es hätte auch Mattuschka treffen können. Diese These stellt sein ehemaliger Cottbuser Nachwuchstrainer Joachim Helas auf. „Er war von den technischen Voraussetzungen einer der besten Leute, die wir im Nachwuchs hatten. Wenn die DDR noch weiter bestanden hätte, hätte er damals sicher den Sprung zum BFC Dynamo geschafft“, berichtet Helas. „Denn das Cottbuser TZ musste die besten Spieler ja immer zu Dynamo delegieren. Meistens geschah dies im Alter von zwölf Jahren. Das fiel mit der Wende weg. 1992 wäre er dran gewesen. Zu DDR-Zeiten gab es diese Auslese von den schulischen Leistungen her nicht. Er wäre sicher genommen worden.“
In den 1970er und 1980er Jahren gab es im Bezirk Cottbus vier Trainingszentren. Diese befanden sich in der Stadt Cottbus, in Hoyerswerda, Senftenberg und Guben. Der frühere TZ-Leiter Ulrich Nikolinski sagt, dass im Bezirk Cottbus in puncto Nachwuchsarbeit in der DDR mit die beste Arbeit geleistet worden sei. Kein Wunder. Kooperationspartner war ja schließlich der BFC Dynamo.
Von den Zwölfjährigen hätten in jedem Jahr zwei Talente nach Berlin delegiert werden müssen, die im Stadtbezirk Hohenschönhausen direkt am Sportforum in die siebte Klasse der Kinder- und Jugendsportschule „Werner Seelenbinder“ eingeschult wurden. „Für den Bezirk Cottbus erfolgte die Sichtung von Talenten auf Bezirksauswahlebene, der BFC Dynamo führte selbstständig Überprüfungen durch“, sagt Nikolinski.
Er nennt einige Talente, die als Kinder und Jugendliche beziehungsweise im Männerbereich den Bezirk verlassen haben und später außerhalb der Lausitz für Furore sorgten. Beim BFC Dynamo taten dies beispielsweise Reinhard Lauck, Michael Noack, Bernd Schulz, Reinhard Schwerdtner, Rainer Troppa, Hans-Jürgen Riediger, Andreas Belka, Svend Fochler, René Rydlewicz und Jörg Schwanke. Zum FC Vorwärts Frankfurt (Oder) gingen zudem Volkmar Kuhlee und Ingolf Schneider. „Bei Torsten Mattuschka hätte die Delegierung höchstens an seinen Schnelligkeitswerten scheitern können. Aber er hätte es wohl geschafft“, so Nikolinski.
Seit Mitte 1989 mussten sich die Trainingszentren des Bezirks Cottbus aber nicht mehr für den BFC ins Zeug legen. „Natürlich erwarten wir von dieser Maßnahme zukünftig einen qualitativen Nachschub von Talenten aus unserem eigenen Bezirk für die Oberliga“, wird Energie-Sektionsleiter Hartmut Ohlig im Cottbuser Stadionprogramm vom 12. August 1989 zitiert.
Der Rauswurf bei Energie
1993 kommt Torsten Mattuschka in Cottbus auf die Sportbetonte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Die 1975 als Kinder- und Jugendsportschule (KJS) eröffnete Einrichtung entwickelt sich nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 zur Eliteschule des Sports des Deutschen Olympischen Sportbunds und ab 2006 zur DFB-Eliteschule des Fußballs.
Für Mattuschka wachsen nach dem Schulwechsel ab der siebten Klasse die Anforderungen im Unterricht. Es wird sich mittelfristig nicht als Vorteil erweisen, dass er der Schule nicht die ganz große Bedeutung beimisst. „Als ich in die sechste, siebte Klasse kam, habe ich immer mehr Scheiße gemacht. Aber ich war nur eine faule Sau. Ich war und bin nicht dumm“, erklärt Mattuschka. „Ich hätte einfach nur lernen müssen, um gut zu sein. Aber für mich war immer nur die Pille wichtig, wenn ich nach Hause kam. Entweder habe ich zwischen Wäschestangen auf dem Hof gespielt – oder beim Training.“
Das sollte sich rächen, auch weil Gespräche der Lehrer mit der Mutter und dem säumigen Schüler nicht fruchten. Teenager Torsten schafft die neunte Klasse nicht. Horst Schudack, langjähriger Vereinsfunktionär bei Energie und Schulpädagoge, war Mattuschkas Mathelehrer – nachdem der talentierte Kicker schon sitzengeblieben war. „Vielen jungen Menschen passiert es, dass die neunte Klasse für sie zu schwer ist. Ich habe ihn in seinem zweiten Anlauf übernommen, die neunte Klasse zu schaffen“, erinnert sich Schudack. „Er ist in der Sportschule sitzengeblieben, und infolgedessen musste er die Schule und Energie verlassen. Dann kam er 1996 zu mir in eine neue neunte Klasse an der 4. Gesamtschule.“
Schudack kannte Torsten aus dem Nachwuchsbereich von Energie. Ihn beschäftigte die Personalie Mattuschka. Schudack berichtet, dass die Klassen darunter auf der Sportschule zahlenmäßig sehr stark besetzt gewesen seien. Deshalb habe es keinen Platz für Sitzenbleiber gegeben. Neben Torsten sind damals wohl noch zwei weitere Schüler nicht durchgekommen. Schudack beruft sich auf Wolfgang Neubert, der damals Leiter der Sportschule in Cottbus war und es bis heute geblieben ist. „Von ihm bekam ich die Aussage, dass die Klassen überfüllt wären, wenn sie noch die Sitzenbleiber aufnähmen.“ Mattuschka berichtet, dass ihm zwei Fünfen und zwei Sechsen auf dem Zeugnis zum Verhängnis wurden. „Dann haben sie mich rausgeflaggt. Ich bin sitzengeblieben und musste dadurch automatisch beim FC Energie raus“, erzählt er.
Das hat insofern eine gewisse Tragik, weil Mattuschka wohl zu den besten Kickern seines Jahrgangs gehörte. Er schießt in der Regel die meisten Tore. Beim letzten Saisonspiel erzielt Mattuschka gegen eine Forster Mannschaft beim 15:0-Kantersieg – eigenen Worten zufolge – satte zwölf Treffer. Dem Talent nützt es aber auch nichts, dass sich Eltern anderer Mitspieler für ihn einsetzen.
Die Entscheidung gegen Mattuschka ist da längst am grauen Schultisch gefallen. Ulrich Nikolinski, 1996 Sportchef des Nachwuchsleistungszentrums von Energie, schließt sportliche Gründe auch im Jahr 2017 noch aus. Rund 20 Jahre zuvor habe ihn die Causa Mattuschka durchaus mitgenommen. „Wenn ich die Schule betrat, stand ich sofort im Kreuzfeuer der Lehrer. Alle haben nach mir geschrien – wegen Torsten. Der hat viel Mist gebaut. Er war nicht gut in der Schule und hat die Lehrer genervt. Er war nicht kriminell, aber er ging den Lehrern auf den Geist“, schaut Nikolinski zurück. „Torsten war schon damals nicht der Schnellste. Das hat vielleicht den Rausschmiss begünstigt. Aber jeder Lehrer hat sich bei ihm nur noch an Verhaltensmaßstäben orientiert. Sie meinten, wenn Torsten nicht rausfliegt, wer dann?“
Es gab wohl einen Dominoeffekt in der ohnehin schon schwierigen Klasse. Der heranwachsende Torsten gilt als einer der Rädelsführer im Quatschmachen. Andere ahmen ihn nach. 2017 zeigt sich Mattuschka reumütig. „Ich habe Leute um mich herum geschart. Wenn man davon zwei, drei in der Klasse hat, wird es für die Lehrer nicht einfacher.“ Die neunte Klasse wiederholt Mattuschka erfolgreich an einer anderen Schule. 1998 geht für ihn nach der zehnten Klasse die Schulzeit zu Ende.
2001 berichtet die Sport Bild, dass Mattuschka auch mangels sportlicher Perspektive die Sportschule und den Verein verlassen musste. Die Ausbootung bei Energie ist in dem Artikel mit dem Jahr 1994 zeitlich nicht korrekt wiedergegeben, weil sie tatsächlich erst 1996 stattfand. Aber vielleicht gab es ja neben den schulischen Problemen auch eine sportliche Talsohle?
Zumindest der Übergang vom Klein- zum Großfeld fällt Mattuschka wohl nicht leicht. Auf Fotos von seiner Jugendweihe 1995 wirkt Mattuschka noch sehr bubenhaft. „Ich war kaum größer als meine relativ kleine Oma. Ich bin erst später geschossen“, sagt der heutige 1,86-Meter-Mann Mattuschka.