Читать книгу Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention - Matthias Lodemann - Страница 11
II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft
ОглавлениеUnabhängig von dieser Differenzierung wurde jedoch bereits oben dargelegt, dass nach christlich-kirchlichem Verständnis die Tätigkeiten der Kirche nicht vom religiös motivierten Auftrag zu trennen sind. Im Gegenteil: Nach evangelischem Verständnis besteht ein gemeinsames Priestertum aller Gläubigen.38 Im Katholizismus ist zwar die Unterscheidung von Klerikern und Laien konstitutiv; die fundamentale Gleichheit in der Teilnahme am Sendungsauftrag wird hierdurch aber nicht aufgehoben.39 Dies ist die Grundlage für den Begriff der christlichen Dienstgemeinschaft, die auch den kirchlichen Arbeitnehmern als Leitbild zu dienen hat.40 Nach dem Selbstverständnis der Kirchen ist vom „Auftrag gemeinsamer Sachwaltung im Haushalt Gottes“41 auszugehen. Es besteht also eine Einheit in der Sendung.42 Dieses Konzept wurde vom Bundesverfassungsgericht u.a. in der später noch zu beleuchtenden Grundsatzentscheidung im 70. Band ausdrücklich anerkannt.43 Anders als im herkömmlichen Arbeitsrecht besteht also kein Antagonismus zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite; vielmehr betätigen sich beide gemeinsam am Sendungsauftrag der Kirchen.44 Es handelt sich insoweit um eine kirchengemäße Alternative zum rein staatlichen Arbeitsrecht45 - natürlich als Teil desselben, als modifiziertes Arbeitsrecht.46
Bereits mehrfach wurde betont, dass evangelische und katholische Kirche sich hier nicht grundlegend unterscheiden,47 und so ist es denn auch. Die katholische Kirche folgert hieraus die Legaldefinition des Art. 1 GrO:
Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft).
Für die evangelische Kirche lassen sich in vergleichender Hinsicht bereits die Thesen drei und vier der Barmer Theologischen Erklärung anführen, die die Einheit von äußerer Ordnung und Bekenntnis betonen.48 Herangezogen werden kann ebenfalls der zweite Satz der Präambel zum MVG.EKD: Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Dienststellenleitungen und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft und verpflichtet sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.49
Für die kündigungsrechtliche Fragestellung wendet sich die Dienstgemeinschaft – terminologisch fragwürdig, aber inhaltlich wohl zutreffend – in eine „Disziplinargemeinschaft“, indem ihr Loyalitätsobliegenheiten innewohnen.50