Читать книгу Die Lumpenpuppenhexe - Matthias M. Rauh - Страница 6
Der fliegende Koffer
ОглавлениеNachhilfe-Unterricht für zweifelnde Hexen...
Nachhilfe-Unterricht für zweifelnde Hexen...
Nachhilfe-Unterricht für zweifelnde Hexen...
Termine flugs auf diesen Zettel sprechen...
Das Kleingedruckte nicht lesen...
Die ganze Nacht hatte Mathilda an den magischen Zettel gedacht. Wie um alles in der Welt hatte er nur ihr Fenster finden können? Alles nur Zufall? Aber woher sollte diese ominöse Nachhilfelehrerin Frau Kron denn wissen, dass die untalentierte Mathilda Pfefferblum-Scheppernase Nachhilfe benötigte?
Lumpikus schlief kopfüber an der Gardinenstange. Und der Mond leuchtete in nahezu verlockender Art und Weise auf die Bettdecke der Hexe.
Hexe, Hexe, Hexe...
Kurz darauf hatte Mathilda das Fenster auch schon geöffnet, hielt den kleinen glühenden Zettel in der Hand und rief: „Ich heiße Mathilda Pfefferblum-Scheppernase und bin an Phantasie erkrankt! Außerdem benötige ich Nachhilfeunterricht. Ich weiß allerdings nicht, wo diese Schiefe Turmgasse... OH NEIN!“
Der Zettel hatte in ihrer Hand doch tatsächlich Feuer gefangen und zerfiel im Nu zu Asche.
Es war Asche, die fliegen konnte. Asche, die vom Wind davongetragen wurde, weil ein Sturm aufkam! Dies war Hexenwerk in höchster Vollendung!
Zieh den Kopf ein, dummes Ding.
Das Herbstlaub vom Dach wurde in alle Richtungen aufgewirbelt. Und schon flog da ein uralter, mit unzähligen Aufklebern und Kratzern übersäter Reisekoffer durch die Nacht - ein Koffer, der so gespenstisch aussah, dass nur die allerdümmste Hexe auf die Idee kommen konnte, darin Platz zu nehmen.
„Drachenleder, ach du grüne Neune!“, rief Mathilda entsetzt. Ja, war sie denn von allen guten Geistern verlassen? Schon hatte sie der riesige Koffer mit Haut und Haar verschlungen!
„Indien, China, Afrika!“, las sie im Mondlicht die vielen verschrammten Aufkleber. Und dann: „Ich will raus!“
Doch der Koffer hatte schon abgelegt und flog im hohen Bogen an den steilen Hängen des glitzernden Hexenvulkans entlang.
Mathilda lernte nun, wie es sich anfühlte, mit den Sturmböen zu reisen. Rauf und runter ging es im Nu! Wie ein Herbstblatt wurde der Koffer durch die Lüfte gepeitscht, so dass der kleinen Hexe das Hören und Sehen verging! Für einen Moment glaubte Mathilda gar, ein kleines seltsames Ding wäre im Koffer hin und her gesaust.
Was war das eben?
War es viereckig gewesen?
Hatte es sich bewegt?
Hatte es geschnarcht?
Doch die Hexe hatte leider keine Zeit, sich weiter darum zu kümmern. Schon tauchte sie in eine dunkle Gasse nahe des Vulkangipfels ein. Mathilda sah schneebedeckte Dächer, qualmende Schornsteine, Türme und Mauern. Und als der Koffer sein Tempo verringerte, waren da auch schon ein riesiger Baum, dessen Äste über ihren Kopf hinwegfegten und ein Straßenschild, das quietschend im Wind taumelte. Schiefe Turmgasse. Mit ungeheuerer Wucht tauchte der Koffer in einen Schneeberg ein und landete dann...
...knarzenderweise...
...nach links und rechts schwankend...
...in einer sehr instabilen Lage...
...die durchaus zum Nachdenken anregte...
...ja, und qualmen tat es auch!
„Du meine Güte!“, rief Mathilda. „Ich bin ja auf einem Schornstein gelandet! Huch, ist das hoch!“
„Schnarch!“
„Was war das?“
„Hust, hust!“
Mathilda hatte sich also doch nicht getäuscht. Da lag ein kleines, zufrieden schlummerndes Ding auf dem Boden des Reisekoffers. Und als sie den schneebedeckten Deckel zur Seite hievte, da zeichnete der Mondschein die Umrisse eines kleinen, beinahe unverschämt schnarchenden Buches in die Dunkelheit.
„Wer bist du denn?“, fragte die Hexe. Worauf sich das Buch streckte und überaus genüsslich schmatzte.
„Oh“, machte das Buch, wobei Mathilda das Wort nicht etwa über ihre Ohren vernahm. Die Stimme war einfach in ihre Gedankenwelt eingedrungen. Und sie zog einen durchaus beeindruckenden Nachhall hinter sich her - ganz so, als wäre Mathildas Kopf ein riesiger, leerer Saal. Hätte die Stimme laut gerufen, wäre vielleicht sogar ein Echo zwischen den Ohren der kleinen Hexe entstanden!
„Ooooh!“, sagte die Stimme abermals. „Wir sinnnnn ja schon da, hust. Glühen Sie?“
„Ein sprechendes Buch!“, rief Mathilda wie von allen guten Geistern verlassen.
„Nein. Ich bin Henk“, antwortete das kleine Ding.
„Henk?“
„Ich bin ein allwissendes Buch“ , erklärte Henk, der offenbar einen gewissen Hang zur Übertreibung hatte. „Alt und weise, allwissend und vor allem weit... äh, gereist. Hüstel...“
„Wo sind wir hier?“, fragte die Hexe den Wicht.
„Ähm, dem Schwanken nach in schwindelnder Höhe“, meinte Henk.
„Das sehe ich selbst. Bis zum Boden sind es mindestens sieben Meter!“
„Verraten Sie mir... hust... wie Sie das machen, dass Ihr ganzes Kopfhaar so merkwürdig qualmt? Haben Sie Temperatur?“
„Nein“, sagte Mathilda. „Wir sind auf einem Kamin gelandet.“
„Oooooh“, meinte Henk. „Das ist unangenehm. Das ist sehr unangenehm. Ich meine, das ist seeehr, seeehr unangenehm. Wie kommt es zu dieser Situation?“
Schon schlugen erste Flammen durch den Boden des gestrandeten Koffers.
„Ich weiß es nicht“, sagte Mathilda.
„Geben Sie´s zu“, hakte Henk verschmitzt nach. „Sie haben doch Temperatur.“
„Und was soll ich nun tun, du Naseweis?“
„Nun, in der Regel empfiehlt es sich, beim Auftreten eines Feuers recht rasch Lösungsvorschläge zu erarbeiten.“
„Ach, nein!“, fuhr ihn die Hexe an. „Und was soll ich nun..?“
„Wenn Sie vielleicht Ihren von Temperatur geplagten Kopf ein wenig nach vorne neigen würden, verehrtes Ding mit dem rauchenden Haupte. In diesem Fall könnte die Schwerkraft... wenn Sie verstehen...“
Da verlor der Koffer das Gleichgewicht, schlug für einen Moment auf einem sehr steilen Dach auf und sauste dann im Karacho nach unten.
„Ooooh, das wird unangenehm“, meinte Henk. „Das wird seeehr unangenehm...“
POFF!