Читать книгу 5 Prozent - Matthias Merdan - Страница 8
1
ОглавлениеSCHEISSEN IST ARBEIT. Diese Weisheit war in weissen altdeutschen Lettern auf der Front seines schwarzen Kapuzenshirts gedruckt. Die Mischung aus Linksautonomen und Künstler fiel durch laschen Gang und nicht vorhandene Körperspannung auf. Das müde oder zugekiffte und gealterte Mitglied der unteren Gesellschaftsschicht betrat Tram Nummer 4 an der Station Helmhaus, setzte sich mit einem kraftlosen Plumpsen vis-à-vis vor sie und sortierte seine zerschlissenen Dockers zwischen ihre modischen High Heels aus glänzendem Leder. Das Bouquet aus billigem Feldschlösschen-Bier mit der strengen Note unvollständiger Körperhygiene überwältigte ihr Parfüm und breitete sich nicht nur bis zu ihrer Nase aus, sondern bohrte sich direkt in ihr Erinnerungszentrum. Dort wirkte es auf die schmucke Frau im Businessdress und mit soeben frisch frisierten Haaren aufregend.
Eine mit verkratzten Nieten besetzte Kunstlederjacke, die er über seinem Shirt trug und zusammen mit allen anderen Kleidungsstücken und Accessoires den Zeitstrahl seines Niedergangs präsentierte, war von durch Schmutz verfärbte Aufnäher übersäht. WIDERSTAND HEISST LEBEN, war eine der Weisheiten und weckte Erinnerungen an ihr eigenes, erstes Leben, als sie Zürich noch als «Scheissdorf» und «nach Putzmittel stinkende Bankendeponie» bezeichnete, «die durch Reichtum und Dekadenz total verblödet ist».
Ein Grinsen überkam ihr Gesicht, denn auf Höhe der linken Brust des Mannes prangte ein weiteres Stoffkunstwerk; es zeigte Polizisten, wie diese auf der Flucht vor Autonomen übereinander stürzten. Darauf war zu lesen: FESTE FEIERN, WENN SIE FALLEN.
Fionas gekitzeltes Erinnerungszentrum liess jetzt einen bissigen Flashback von der Kette. Sie blickte nach rechts aus dem Fenster, um ihrem Kurzzeitgedächtnis freien Lauf einzuräumen. Ein Comedian, der es vor wenigen Tagen in einer Sendung des Schweizer Fernsehens genau auf solche Typen abgesehen hatte:
«Von keinem seiner Eidgenossen hat der Schweizer ein so klares Bild wie von den Linksautonomen. Er pflegt angeblich die freie Liebe, obwohl doch im Hauptberuf schwuler Künstler und einsamer Strassenmusiker. Vom Morgen an kippt er sich Dosenbier in den Rachen, liegt den ganzen Tag zugekifft im Park, bevor er – nach der Mittagspause von 11 bis 18 Uhr – zum Abendessen eine Packung selbstgedrehte Zigaretten raucht. Gearbeitet wird gar nicht, dafür demonstriert, gesprayt und dann wieder Bier getrunken.
Nachts wird das linke Subjekt dann aktiv, weil tagsüber ausgeruht, und versucht so, eine nächtliche Parallelkultur in den illegal besetzten Häusern Zürichs zu etablieren. Lichtscheu und feige ist er. Er weigert sich, nationalen Heiligtümern, wie dem Opernhaus, zu huldigen, und verachtet sakrale Räume, wie neonlichtdurchflutete, klimatisierte Grossraumbüros. Eine Schande.
Trotzdem erfüllt auch diese Spezies einen wichtigen Zweck, nämlich die Aufwertung schrottreifer Wohnquartiere. Wenn der Stadtrat irgendein Quartier von vergammelten Industriebauten befreit hat und dort wieder Homo sapiens ansiedeln möchte, pflanzt er zunächst linkes Milieu und Künstler an. Die machen aus dem Schandfleck urplötzlich ein schickes aufstrebendes Künstlerquartier. So verbessert sich der Ruf des vormaligen Slums. Es hypt – die Mieten steigen. Juhu! Das Milieu verbessert sich nun von Unterschicht mit Schäferhund zur Mittelschicht mit lauten Kindern, hin zu Doppelverdienenden-Paaren-ohne-Kinder-Oberschicht. Und wenn die Herde dummer Künstler sich die Wohnungen nicht mehr leisten kann, hat sie ihren Zweck erfüllt. Zürich sagt seinen Linken danke. Ethnische Säuberung …»
Der Vortrag ihres Flashback-Comedians endete abrupt, als Fiona den sich im Fenster spiegelnden, quadratischen Aufnäher am rechten Ärmel des Seniorrebellen entdeckte. Ein Walt-Disney-Schneewittchen, bewaffnet mit einem halbautomatischen Maschinengewehr; FIGHT LOOKISM wurde Schneewittchen in den Mund gelegt.
Ihr starker Drang, sich optisch in das Gegenüber zu vertiefen, fiel ihr auf. Und sie wusste, was sie verdrängte:
Diese, ihr gegenübersitzende, Kreatur würde in einigen Stunden noch eine Heimat haben.
Sie nicht mehr.
Fiona widersetzte sich der Frage, wo sie denn in wenigen Stunden enden würde. Gefühle einer früheren Lebensepoche wurden stattdessen unerwartet stark lebendig. Zu ihrer Entspannung. Zu ihrer Motivation.
Fiona Rosenwiler. Sie sah sich plötzlich wieder deutlich als «linkes Luder». Sie genoss im Tram Nummer 4 ihre lang zurückliegende Weigerung, sich einer noblen Gesellschaft anzuschliessen und stattdessen lustvoll ihre Sabotage- und Guerillazeit zu durchleben.
Nichts war ihr damals peinlich gewesen, weder vor noch nach dem Ersten Mai. Reclaim the Streets – diesem hehren Ziel diente sie, beispielsweise bei einem Scharmützel in Fabrikgebäuden des Zürcher Binz-Areals oder bei Pflastersteinattacken in der Bahnhofstrasse auf Schaufenster von Rolex, Prada und Louis Vuitton. Des Weiteren befürwortete sie das Abfackeln getunter Porsche Cayenne Turbos. So war Fiona Rosenwiler leidenschaftliche Mitverursacherin von jährlichen Millionenverlusten der Versicherungswirtschaft und des Kantons.
Sie liess es in Auseinandersetzungen mit ihren immer distanzierteren Familienmitgliedern nie gelten, dass linke Gewalttäter fehlgeleitete Personen seien, denn ihre Absichten fühlten sich für sie stets äusserst edel an. Ohne jede Scham, wie in Trance, blickte Fiona Rosenwiler, auch Rosi genannt, mittlerweile ihrem Gegenüber lächelnd ins Gesicht, innerlich freudig über ihre damalige Entscheidung und den daraufhin geborenen Erfolgsweg.
Ihr Sitzplatzgegenüber weckte in «Rosi» nun auch Sentimentales. Sie erinnerte sich an die gemeinsam gesungenen Lieder; der deutsche Punkrocksong «Deutschland muss sterben, damit wir leben können!» wurde zu «Zürich muss sterben, damit wir leben können!». In den Zeilen dieses Liedes steckte alles drin, was für sie Wahrheit war: das niederträchtige Kapital, das Protektorat des Faschismus, die zerstörte Umwelt und der korrumpierte Mensch. Zu Bass und Melodie liess sie es regelmässig, im alkoholisierten und durch nicht nur weiche Drogen beeinflussten Zustand, in vernebelten und stickigen Privatkellern krachen.
Ihr Körper wurde zu ihrer Waffe.
Der Aspekt der psychischen und physischen Körperertüchtigung als Linksautonome hatte Vielversprechendes: Fit durch Flucht und Schlägerei. Dabei cool bleiben, sein Ding durchziehen und sich nicht provozieren lassen. Eine klasse Zeit, damals, mit einem sich bis heute auszahlenden Trainingseffekt. «Die Schickimicki-Gören rennen in die staubfreien Pilates-Center und verrenken sich in peinlichen Bewegungen. Und degenerieren dabei charakterlich. Wohlstand züchtet nicht nur feige Schweine, sondern auch unbewegliche Grossraumbüroinsassen», meinte Fiona seinerzeit mit beschwingter, ideeller, verächtlicher, sich vom Geldadel distanzierender, Ausdrucksweise.
Als Oberschichttochter teilte sie ordentlich gegen uniformierte Mitglieder der Mittelschicht (zum Beispiel Polizisten aller Couleur) aus. Fiona lernte dabei das Einstecken von gesellschaftlicher Ablehnung und Gummigeschosstreffern. Bei den meisten Demonstrationen gegen irgendwas Kapitalistisches trafen sie, bei zum Teil von ihr nach der Taktik Rotieren – Heisslaufen – Siegen selbst orchestrierten Ausschreitungen, Plastikprojektile, Schlagstöcke und Wasserwerfer. Hierbei entwickelte Fiona Rosenwiler echte Nehmerqualitäten, so, wie ein Boxer beim Sparring oder im Wettkampf sein Schmerzempfinden reduziert.
Sie ergötzte sich im Hass auf multinationale Konzerne und imperialistische Staaten, die wie am Fliessband Kriege auf der ganzen Welt verursachten, verantwortlich waren für Hungersnöte und globale Fluchtbewegungen. Jede von ihr angewendete Form der Gewalt empfand sie als Notwehr. Sie fütterte ihr Gehirn mit den Schriften von Marx und war begeistert davon, dass Gewalt und ein alternativer Lebensstil Geburtshelfer einer neuen Gesellschaft sein könnten; einer Gesellschaft, die klassenlos und somit gerechter wäre. Gegenwärtig würde man in einer Phase leben, in der Gewalt zum festen Instrument gehöre und diese von den Entschiedensten praktiziert werden müsse. Diese Gesellschaft müsse durch Revolution aufgerüttelt werden. Die Bedingungen, durch herkömmliche Kommunikation, schnöde Demokratie und öffentliche Diskussionen die Gesellschaft verändern zu können, schienen ihr meilenweit entfernt.
Fiona Rosenwilers Skrupellosigkeit verschärfte sich zunehmend durch den Austausch mit Linken in Deutschland. Fiona lebte jahrelang als Pilgerin zwischen den Grossstädten Deutschlands, Hamburg, Berlin und Frankfurt; gab es dort Aufstände gegen das Establishment, scheute sie keine Reisekosten.
Einige Zeit arbeitete sie in Hamburg in der Roten Flora, das die Presse «Rückzugszentrum für Chaoten» nannte. Für das linke Sozialzentrum, wie sie und ihre Mitstreitenden es nannten, arbeitete Fiona am Widerstand – dem Widerstand gegen die devote gesellschaftliche Einfältigkeit, zum Beispiel durch die Welcome-to-Hell-Demonstration. Mit Erfolg.
Sie leitete die Siebdruckwerkstatt und diskutierte auf Leitungsebene, dem sogenannten Plenum, die Renovierung der Toilettenanlagen und die Zukunft des Kommunismus. Sie war beseelt vom Kampf gegen die neoliberale Politik, die überall in der Welt die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher machte.
Dagegen bereitete ihr der Widerstand gegen die sinkende Motivation der Altgedienten (also der über Fünfundzwanzigjährigen) und gegen Aussteigerprogramme des Bundesamtes für Verfassungsschutz mehr Sorgen.
Während knapp zehn Jahren hatte sich Fiona Rosenwiler in der linksextremen, gewaltbereiten Szene in Hamburg, Berlin und Frankfurt bewegt. Vor Gericht verantworten musste sie sich wegen neun Brandanschlägen. Als Protest gegen die europäische Aussen- und Rüstungspolitik entzündete sie eine selbst hergestellte Explosionsvorrichtung am Gebäude des Deutschen Instituts für Internationale Wirtschaftsbeziehungen in Berlin.
Ein andermal setzte sie in Hamburg Altona sechs Luxusautos in Brand, um so gegen die Inhaftierung von Gesinnungsgenossen aus der Roten Flora zu protestieren. Die Straftaten wurden auf Antrag Deutschlands rechtshilfeweise von den Schweizer Strafverfolgungsbehörden ermittelt. Rosenwiler wohnte zwar in Deutschland, besass aber für sie glücklicherweise den Schweizer Pass und konnte in ihr Stammland fliehen. Nachdem sie wieder in die Schweiz übergesiedelt war, konnte sie nicht mehr nach Deutschland ausgeliefert werden.
Aber irgendwann, an einem sonnigen und überdurchschnittlich warmen Montag im März, hatte Fiona «Rosi» Rosenwiler einfach die Schnauze voll von der Riesenscheisse und warf alle Milieuutensilien in den Müll.
Fertig.
Raus aus der Sekte!
Sie vollzog eine Kehrtwende um exakt hundertachtzig Grad. Die zunehmende Laschheit der Gruppe kotzte sie an.
Die Linken in Zürich vegetierten längst nur noch in Reservaten der Stadtkreise 4 und 5 und genossen ihre bedingungslose Kapitulation.
Ausserdem nervte «Rosi» die Tatsache, dass alle Neuen in der linken Szene immer und immer wieder das gleiche Idiotenflair mit sich brachten, als wenn es eine Voraussetzung wäre, Nichtsnutz zu sein.
In einem einzigen Akt höchster Egozentrik begriff sie schlagartig und ohne jegliche Vorankündigung ihre neuen Bedürfnisse. Die Furcht in ihr, eines Tages so zu enden wie der ihr jetzt gerade gegenüber kauernde Typ – ein Kerl mit lachhaften Piercings im Gesicht, die durch seine altersbedingte Bindegewebsschwäche, durch Plug-Piercings verursachten peinlichen Löchern in den Ohren, mit einer aus schütterem Haar geformten pseudojugendlichen Frisur und verlegenem Anstaltslächeln –, verschaffte ihr die Energie, diese Wende zu vollziehen.
Eine perfekte Wende, denn ihr Gegenüber, ein Kampfgefährte aus alten Langstrasse-Zeiten, erkannte sie nicht mehr.
Sie verspürte nicht mehr den geringsten Drang, gegen die wirtschaftsliberale Gesellschaft und ihre Mechanismen zu fighten, sondern vernahm die erregende Lust, das «bösartige System» mit allen seinen Möglichkeiten für sich zu nutzen. Sie plante, die kommenden Lebensjahre nicht mehr gegen Prügel einzutauschen, sondern gegen den Mammon, egal, wie schnöde der wäre. Fiona beschloss, dem Uringestank in besetzten Häusern den Rücken zu kehren, die Loser ihres Milieus hinter sich zu lassen und den Zwang zum Hass ad acta zu legen. Sie hatte es satt, mit beschissenen antikapitalistischen Jobs, wie Möbel restaurieren, Fahrräder reparieren, als Grafikfreelancer für zahlungsunfähige Start-ups unbezahlte Überstunden abzusitzen und Plasma im Blutspendezentrum Zürich abzuliefern. Sie hatte die Nase voll von antifaschistischem Kampf, Diskussionen über die Krise des Kapitalismus, das Gelaber über die Diktatur des Proletariats und Trotzkismus als Lösung.
Fiona Rosenwiler hatte sich an all das gewöhnt, was an der Oberfläche der Stadt zu sehen war. Sogar an die Armada von 570-PS-Luxus-SUVs – vorzugsweise Porsche Cayenne Turbo –, deren Fahrer hinter den Windschutzscheiben mitleidig auf die immer seltener werdenden Nicht-Porsche-Fahrer der Stadt blickten.
«Was glotzt du so, Bänker-Nutte?»
Fiona zuckte ob der spontanen Dialogeröffnung ihres Gegenübers zusammen. Sie realisierte ihren hypnotischen, starrenden Blick in das Gesicht des Mannes.
«Banken-Nutte», korrigierte sie wie aus der Pistole geschossen, und wunderte sich selbst darüber, wie schnell sie diesen Begriff «Banken-Nutte» kreieren konnte.
«Wie?», fragte ihr Gegenüber verdutzt über den unerwarteten Verbalkonter.
Rosenwiler beugte ihren Oberkörper nach vorn, bis auf einen halben Meter vor das Gesicht des Mannes. «Banken-Nutte», repetierte sie schulmeisterlich. «Es muss Banken-Nutte heissen, da mich die Bank bezahlt und nicht ein Bänker. Also: Banken-Nutte, nicht Bänker-Nutte.»
Der Mann kratzte sich am Brustbein, auf dem «ss» des Wortes «Scheissen».
«Des Weiteren sind wir nicht per du. Klar?»
«Ja, ja», erwiderte er in einem plötzlich milderen Ton, als ob er auf der Suche nach seiner verlorenen Aggressivität wäre. «Also, wie muss dann die Beleidigung korrekt heissen?», fragte Fiona mit von Wort zu Wort ansteigender Lautstärke.
Der Mann schwieg.
«Was glotzen Sie so, Sie Banken-Nutte?», antwortete Rosenwiler an seiner Stelle.
Fiona und ihr Visavis verliessen Tram Nummer 4 am Central. Er schlenderte Richtung Hauptbahnhof und sie stieg in Tram Nummer 3 um. Ab hier konzentrierte sie sich auf das von ihr selbst aufgetürmte Vorhaben. Nach drei Stationen, an der Haltestelle Sihlpost/Hauptbahnhof verliess sie das Tram und näherte sich ihrem Ziel: dem Hauptsitz der Kantonspolizei Zürich.
Wie Giselle Bündchen in ihren besten Tagen schritt, nein, marschierte sie über den Asphalt, mit aus der Lockerheit ihrer Hüfte stammenden, zielsicheren, kraftvollen Schritten. Wie immer äusserlich tougher als innerlich; zur Beruhigung begann sie, den Nirvana-Song «Smells Like Teen Spirit» zu pfeifen: Load up on guns, bring your friends …
Fiona spürte seit Langem wieder die Lust, alles aufs Spiel zu setzen. Ihre alte Gewalt-ist-geil-Mentalität zum detonieren zu bringen. «Jetzt geht’s los!», flüsterte sie zu sich selbst.
In wenigen Minuten würde sie ihre Welt für immer verlassen. Schmerzlich und lustvoll.
Am Metallzaun, der das dreistöckige, ungefähr sechzigjährige Gebäude der Kapo umgab, hingen drei Schaukästen. Diese präsentierten unter anderem mit knittrigen und durch die Sonne ausgebleichten Plakaten Warnhinweise vor Taschendieben oder rieten, bei Verdacht die Telefonnummer 117 zu wählen; das Druckerzeugnis auf dünnem Papier zeigte ein weisses Verbrecherauge auf rotem Hintergrund und warb mit dem Slogan «Gemeinsam gegen Einbrecher, Ihre Polizei».
Der zweite Schaukasten war geschmückt durch mangelhaft belichtete Fotos in A4, mit denen die Zürcher Polizeischule ZHPS um Nachwuchs warb; es zeigte Polizisten in Aktion, wie diese mutig zu dritt einen Jugendlichen auf den Boden drückten, um ihm Handschellen anzulegen.
Als Rosenwiler davor stehenblieb, war sie sicher, sie war die Einzige in den letzten zwanzig Jahren, die dieses Trauerspiel an Öffentlichkeitspräsentation beäugte.
Fiona sah Fotos von jungen Polizisten, barfuss in einer Turnhalle beim Nahkampftraining an Sandsäcken; ein Dutzend Stolz-Sein spielende Rekruten beim Appell, die mit angelegten Armen und durchgedrückten Wirbelsäulen stramm vor irgendeinem schreienden Ausbilder standen; sowie dynamische junge Männer und Frauen in Neoprenanzügen beim Schwimm- und Tauchtraining. Die Domain www.zhps.ch sollte wohl bei Passanten entsprechenden Alters eine Begeisterung für den Staatsdienst entflammen.
«Die Polizei – ein Scheissemagnet. Die Gebildeten gehen in die Wirtschaft, die Intelligenten in die Wissenschaft, die Empathischen in den Nonprofitbereich, die Kräftigen werden Profisportler. Nur die letzten Vollidioten landen bei euch», so dachte sie und konnte sich ein dezentes Kopfschütteln nicht verkneifen, bevor gleich mehr Disziplin, als auf diesen verblassenden Fotos dargestellt wurde, von ihr verlangt würde.
Ein letzter Schaukasten mit verdrecktem weissem Holzrahmen zeigte einen Deutschen Schäferhund, der den Betrachter mit heraushängender Zunge hechelnd direkt anstarrte; darunter stand ihrer Meinung nach, der erdenklich langweiligste Slogan: «Polizei-Notruf Tel. 117 Kantonspolizei Zürich». Als Fiona Rosenwiler noch als Freelancerin Werbung produzierte, wäre ihr Besseres eingefallen:
Aggressionen legal ausleben – Ihre Kapo;
Garantierte Einschränkung der Persönlichkeitsentwicklung durch Staatsdienst; oder
Werde glücklich durch eindeutige Feindbilder und den devoten Dienst für die Reichen.
Nach einigen Schritten stand sie vor dem Gebäude der Kasernenstrasse 29, dem Kantonspolizei-Hauptsitz in der Polizeikaserne Zürich.
Sie, als eskalationsbeauftragte Speerspitze dessen, was jetzt in Kraft treten sollte, beendete ein achtjähriges Intermezzo als Besserverdienende und startete dieses Experiment mit den Gesetzmässigkeiten der Realität. Eine Grossproduktion.
«I feel stupid and contagious
Here we are now, entertain us.»