Читать книгу Das sechste Gebot - Max Geißler - Страница 11

9.

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In der Türe zu der russigen Küche stand Nina Zeni in ihrer ganzen stolzen Fülle.

Sie hatte von Prisca erfahren, dass die Deutschen vor Tau und Tag aus dem Hause gegangen seien — nun ja, alle Welt weiss: diese Deutschen sind verrückt. Pah, was ficht das Nina Zeni an, wenn sie ihr nur allwöchentlich die verabredete Zahl von Liren in die begehrliche Hand zahlen!

Und Nina Zeni überschüttete die Heimkehrenden mit einer Flut von Fragen, auf deren keine sie eine Antwort zu erwarten schien. Aber über all ihren Fragen hatte sie doch noch Zeit genug, diesen stolzen, wortkargen Signore Riccardo mit dem dunklen Vollbarte prüfenden Blickes zu durchforschen, als gälte es die Lösung eines Rätsels.

Er befahl mehr, als er bat, über Frau Ninas Schulter hinweg von Prisca den Morgenkaffee und zog sich in das Zimmer zurück, als wartete eine Fülle von Arbeit auf ihn.

Die dicke Nina warf sich das Schleiertuch über und brachte das Frühstück.

Und wieder nach einer Zeit ward mit Hilfe Priscas und der Nonna eine durchgreifende Veränderung in dem Zimmer der Gäste vorgenommen, in dem die Lager noch unberührt standen.

Den Vorschlag Ninas, die Herrschaften möchten die Läden schliessen und sich der Ruhe hingeben, wies Richard Krauss mit einem fast mitleidigen Lächeln zurück.

„Schlafen?“ lachte er. „Ich bin in die Pracht dieser Berge geflohen, um zu arbeiten, Signora!“

Da war wieder das hilflose, lächerliche ‚Signora‘, mit dem diese Deutschen womöglich die Bettlerin am Wege anrufen! Gestern hatte die dicke Nina bescheiden lächelnd die Augen niedergeschlagen, heute aber wehrte sie mit beiden Händen ab: „Nicht ‚Signora‘, Herr! O, o! Das wäre eine zu grosse Ehre für die arme, einfache Nina Zeni, die Ihnen und der gnädigen Frau fortan dienen will. ‚Padrona‘, wenn es Ihnen gefällig ist, Herr!“

Diese Belehrung liess Signore Riccardo sich schweigend gefallen, während er die Hand flach auf einen Stoss beschriebener und unbeschriebener Blätter gelegt hatte. Dann forderte er Prisca und Nina auf, den einen Tisch in das Licht am Fenster zu rücken, und bedeutete sie, dass von allen Blättern, die für die Folge auf diesem Schreibtische liegen würden, nichts weggetragen, ja nicht einmal berührt werden dürfe, da jedes geschriebene Wort unersetzlich für ihn und die Mitwelt sei.

Das fand die dicke, praktische Nina noch verrückter, als in dem Mondlichte der Nachmitternacht durch die Vignen zu streifen und dann am Tage nicht einmal zu schlafen.

Aber pah — was ging sie die Narrheit der Deutschen an! Für so viel Lire liessen sich ja wohl einige Sonderheiten in Kauf nehmen. Und Nina Zeni war unweigerlich entschlossen, für den bewilligten Mietpreis alles über sich ergehen zu lassen.

„Müssen wir nicht, Prisca? Können wir nicht, Prisca?“ fragte sie, als sie wieder auf der Ecke des Herdes sass, um von der gehabten Mühe sich auszuruhen. „Wir werden nicht mehr arbeiten und haben Eier und Maccaroni, haben Reis und Huhn und Kuchen so viel wir mögen; und jene haben ihre Narrheiten. ... Ob die blonde Signora seine Frau ist, Prisca? Eh, Prisca, was meinst du?“

Sie sah in ein paar verwunderte junge Augen; die fragten: ‚Seine Frau? Ja, was soll sie sonst sein?‘

Dabei beschied sich Nina Zeni und dachte, über derartige Dinge sei besser mit Teresina Margiotta zu reden. Und sie sprach leise und lehnte die Küchentüre an; denn die schöne blonde Signora hatte ihr verraten, dass tiefe Ruhe im Hause herrschen müsse; Signore Riccardo sei ein deutscher Schriftsteller, dessen Ruhm in kurzer Zeit die halbe Welt erfüllen werde, wenn nur kein Laut des Lebens die Stille um ihn her störe.

„O, im Hause von Frau Nina ist es märchenstill! O, im Hause von Frau Nina hört man die Sonnenstrahlen schreiten!“ hatte die runde Nina der ängstlichen Hüterin des Ruhmes ihres stolzen Schriftstellers versichert.

Während Prisca einkaufen war und die Nonna auf dem Herdrande vor sich hindämmerte (es war die Zeit, in der sie vordem sich wieder zu Bette gelegt hatte), knirschte die Feder Richards im Raume drüben jenseits des Flurs in kurzen Zwischenräumen über das Papier.

Margherita sass in einer Ecke des Zimmers und war beflissen, eine Handarbeit fortzusetzen; aber sie rang mit dem Schlummer.

Weil sie die Feder immer seltener vernahm, fuhr sie manchmal erschreckt empor; denn sie dachte, sie habe geschlafen, während er sich mühe und gar kein Zeichen von Müdigkeit an ihm wahrnehmbar sei.

Da wandte er sich um: „Bist du müde, Rita? Möchtest du dich nicht auf das Bett legen?“

Margherita lächelte dankbar. Sie dachte, sie wolle ihm im Vorüberschreiten mit ihrer leisen Hand die Stirne berühren. Aber sie wagte es nicht, aus Furcht, sie möchte das feine Netz seiner dichterischen Gedanken mit dieser leisen Hand zerstören. Darum sprach sie auch nicht, sondern legte sich in den Kleidern lautlos auf das Lager.

Allein der Schlaf mochte nicht kommen; denn die Feder Richards lag nun auf dem Rande des Tisches, und er schaute in tiefem Nachdenken durch das heimliche Spinnen des Rauches seiner Zigarette.

Margherita aber zürnte sich und ihrer Schwäche: die Sorge um sie hatte den Geliebten nun doch wohl aus den Höhen des Fluges seiner Gedanken herniedergezogen in die kleinliche Welt der Wirklichkeit, herniedergezogen durch ihre widerstandslose Mattigkeit.

Ein leises Seufzen Richards machte ihr diese Annahme zur quälenden Gewissheit.

„Rita, du schläfst nicht?“

„Vielleicht bin ich zu müde, oder es ist das Ungewohnte des Lagers und der Umgebung.“

Da erhob sich Richard und warf den Rest seiner Zigarette zum Fenster hinaus: „Natürlich! Man muss sich erst einleben. Und dazu die Strapazen der langen Reise, die durchwachte Nacht. Wie kann ich denn daran denken, an einem solchen Tag etwas Ordentliches zu schreiben — bei der Grösse dieser Gedanken! Erst mal eine lange, gründliche Ruhe. Meinst du nicht auch, Rita?“

„Du weisst am besten, was nötig ist, Richard“, antwortete sie sanft.

Und er lehnte die Läden an, so dass ein trauliches Dämmerlicht das Zimmer füllte, entkleidete sich und legte sich schlafen.

Als draussen wenige Augenblicke später die Türe des Flurs knarrte, erschien Nina Zeni, so rasch es ihres Leibes Fülle litt, vor der Küche und legte die Finger fest auf die Lippen: „Still, Teresina Margiotta! Signore Riccardo ist ein deutscher Dichter, und Signore Riccardo schafft hinter jener Türe unsterbliche Werke!“ sagte sie mit komischer Grandezza.

Teresina Margiotta prallte ein wenig zurück; dann fasste sie sich aber, und ihre roten, reizenden Pantoffeln klappten wie sonst unter dem schmiegsamen, schönen Weibe in die russige Küche der Nina Zeni.

Am Herde berieten sie sich. Was Teresina Margiotta von der blonden deutschen Signora denke — ob sie nicht wundervolles Haar habe, glänzender als die Himmelsmutter, und ob sie nicht viel schöner sei als alle Frauen von Santa Croce — Teresina natürlich inbegriffen? Und was Teresina meine: ob sie eigentlich seine Frau sei? Man könne nicht wissen — diese deutschen Künstler sind verrückte Leute, sagt man ...

„Aber was tut das? Sie sind reich, Teresina Margiotta!“

Und die Augen Nina Zenis leuchteten wie in stolzem Siege.

Das sechste Gebot

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