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Wenn Frau Nina der Prisca vordem einmal bei der Arbeit zugeschaut hatte, so hatte sie denken müssen: ‚Prisca ist fleissig und klug, und Prisca arbeitet, als ob Arbeit ein Glück sei.‘ Und wenn sie ihr nachschaute, ihr und dem Bruder Beppino, so oft die beiden des Morgens mit ihrem Krüglein die Felsengasse von Santa Croce in die Fron des Tages schritten, damit Nina Zeni daheim faul sein könne, so dachte sie: ‚Wenn Prisca schön wäre wie Leonetta Margiotta, so würde sie seufzen unter der Härte ihres Schicksals. Sie würde eitel sein, sie würde sich schmücken mit Ketten und Ringen und leuchtenden Bändern — und wenn es gleichwohl wertlose Dinge wären, die nur blitzen, solange sie neu sind.‘

Von alledem hatte Nina nie etwas an Prisca wahrgenommen. Und Prisca Zeni war doch schon beinahe sechzehn Jahre — mit vierzehn Jahren hatte Nina Zeni geheiratet, und mit fünfzehn Jahren rüstete dereinst Marietta, Priscas Mutter, zur Hochzeit. Aber Prisca hatte bis zu diesem Tage getan, als wäre sie gar nicht eines Mannes wegen auf der Welt; als wäre sie einzig dazu geboren, zu frönen wie eine Eselin und zu sorgen, damit es ihrem lieben, klugen Beppino wohl werde. Aber nun hatte Ninas List diesem jungen zagen Herzen ihr süsses Geheimnis entlockt.

Kamen die beiden Geschwister dann abends nach Hause, so war Prisca still und ernst und von so seltsamer Art, wie sie Nina Zeni noch nie an einem Mädchen der Berge von Santa Croce, nie an einer Tochter ihres Volkes wahrgenommen haben wollte.

Der liebe listige Beppino dagegen kletterte wie eine Katze auf die Feigenbäume, die an den Felsen hingen, und grub seine schneeweissen Zähne in die schwellende Süsse der reifenden Früchte. Oder er klomm in den Runsen des Gesteins empor, wo die Käuze zu Neste getragen hatten, und raubte die Jungen.

Dabei leistete ihm die wilde Leonetta Margiotta in den meisten Fällen Gesellschaft.

Manchmal trieb er sich auch den ganzen Tag über mit dem goldhaarigen Nachbarkind in den Bergen umher; denn Leonetta sprang den Geschwistern, wenn sie zur Arbeit gingen, plötzlich in der Vigna über den Weg. Sie warf die glänzende Flut ihrer Haare in den Nacken und lockte mit so verführerischen Worten, dass ihr weder Beppino noch Prisca widerstehen konnte.

Dann hockten sie im Ginster an der Berglehne und teilten das Brot, wobei Prisca immer den kleineren Teil für sich behielt. Wenn auch dies geschehen war, ging die Schwester ohne Beppino zur Arbeit und log dem Weinbauern mit scheuen Augen und zitternder Stimme vor: Beppino sei heute wieder einmal krank, müsse im Bett liegen und Tee trinken.

An solchen Tagen arbeitete Prisca auch während der drei Mittagstunden, während welcher im Sommer niemand eine Hand rührte. Sie arbeitete für Beppo.

So gelang es ihr, die von diesem versäumte Arbeit einzuholen und am Ende der Woche den vollen Lohn nach Hause zu bringen.

Nina Zeni ahnte natürlich nicht, wie hart es dem Mädchen geworden war.

Die grenzenlose Liebe, mit welcher Prisca an ihrem Bruder hing, setzte Frau Nina anfangs in Erstaunen. Sie glaubte, diese Liebe sei wohl daher gekommen, dass die Kinder ihre Mutter nur durch eine kurze Zeit tiefer Trübsal gehabt hatten. Allen Reichtum mütterlicher Treue und Sorge hatte die leidende Frau über die Kleinen ausgegossen — so, als wollte sie ihnen in einer knappen Spanne Zeit alles geben, was sie ihnen später schuldig bleiben musste. Dann starb sie. Und diese Treue und Sorge schien Priscas Erbteil geworden.

Aber Beppo wusste sich auch das Herz der Nonna zu stehlen. Was erst Mitleid mit dem verwaisten Jungen gewesen war, wuchs sich allgemach zu einer närrischen Liebe aus, die — neben dem köstlichen Faulsein — den ganzen Lebensinhalt Nina Zenis auszumachen schien.

Und so ward Beppino, der ein eigensinniges kränkelndes Kind gewesen war, unversehens der Abgott des Hauses.

Das empfand niemand mit grösserer Genugtuung als der Junge selbst.

Aber keiner hätte die Lage der Dinge auch listiger auszunützen verstanden als er. Vor allem: er verscherzte sich die Gunst und Willfährigkeit Ninettas nie durch ungebärdiges Wesen und erfüllte ihr in seiner Verschlagenheit und Eigensucht alle Wünsche.

Er hatte Frau Nina oft genug erzählen hören, wie armselig es um ihn als Bambino bestellt gewesen sei, als seine Mutter Marietta vier Wochen nach seiner Geburt die Augen für immer schloss. Und er hörte sie wohl hundertmal erzählen und klagen, wie sie — die sorgsame, treue Ninetta — gewacht und geweint und sich gemüht habe, sein welkendes Leben zu erhalten.

Darum — wenn er keine Lust hatte, in der Vigna zu arbeiten, so jammerte der liebe, verschlagene Beppino des Morgens so lange im Bette, bis ihm Nina befahl, er müsse liegen bleiben und süssen Tee trinken.

Wenn es besser mit ihm geworden war, hiess ihn die Nonna, sich hinauszusetzen in Schatten und Stille. Und das geschah immer, sobald Prisca das Haus verlassen hatte, um ihr doppeltes Tagwerk zu beginnen.

Prisca ging arbeiten, Nina legte sich wieder schlafen, und das Feuer auf dem Herde ging nieder.

Wenn es dann so still im Hause geworden war, dass er das Summen der Fliegen von der Küche her hören konnte, kroch Beppino munter wie eine Lazerte über Gartenmauern und Maulbeerbäume in die nachbarliche Vigna.

Dort fand er Leonetta Margiotta und erzählte ihr: er wisse das Nest eines wunderschönen Vogels in den Felsklüften von Santa Croce; darin würden wohl Eier liegen — so golden wie Leonetta Margiottas leuchtende Haare.

Da funkelten Leonettas Augen wie Irrlichter: „Komm, Beppino, wir steigen in die Felsen!“

Das sechste Gebot

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