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4.

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Wie die Abendglocke auf dem Turme des Bergkirchleins verklungen war, sass Nina Zeni mit den neuen Bewohnern ihres Hauses unter der breitblätterigen Feige und den blühenden Oleandern. Sie sassen in dem Höfchen zwischen den hohen, grauen Mauern hinter dem Hause.

Nina hatte mit Augen und Armen zu reden, um sich ihren neuen Freunden verständlich zu machen. Sie beschwor die beiden, dass die fleissige, kluge Prisca schon Sorge tragen werde, sie in wenigen Wochen so vortrefflich Italienisch zu lehren, dass sie sich hernach mit ihr unterhalten könnten wie die Leute von Santa Croce.

Ob sie für lange Zeit hier wohnen wollten?

„Ja.“

Ob der Signore ein Maler sei, da sein Aussehen darauf hindeutete?

„Ein Maler nicht, aber ein Schriftsteller.“

O! Übrigens könne der schwarzhaarige Herr für einen Italiener gehalten werden. Und die Signora mit dem seidenen, goldenen Haar sei so schön und sanft wie die Himmelsmutter selber und viel schöner als die schwarze, eitle Teresina drüben über der Gasse.

Und Nina Zeni erzählte, wie hochmütig diese Teresina sei und wie sie ihr Kind, die Leonetta, tollköpfig mache in törichter Verblendung ihres Herzens.

Da klangen junge Stimmen vom Flur in das Gärtlein.

„Prisca! Prisca!“ schrie Nina, ohne sich von ihrem Sitze zu erheben. „Prisca! Beppino mio! Ihr seid lange aus an diesem Abend! Warum seid ihr so lange? Wusstet ihr nicht, dass vornehme Gäste angekommen sind?“

Und Nina streckte ihre fleischigen blossen Arme nach ihren Enkeln aus.

„Ah,“ staunte die blonde Frau, „Euere Kinder, Signora Zeni?“

O, wie dies unbeholfene ‚Signora‘ der guten, behäbigen Nina in die Ohren klang! ‚Teresina Margiotta,‘ dachte sie, ‚wenn du hörtest, dass sie Signora zu mir sagt, du würdest sterben vor Ärger!‘

Nina schlug die Augen nieder; denn die deutsche Frau hatte ihr in dieser Frage zwiefach geschmeichelt.

Dann sagte sie verschämt: „Eh, Signora Margherita, — meine Kinder? Wär’ dies möglich? Wär’ dies wirklich möglich, Signora Margherita?“

Noch lächelte Nina Zeni; aber schon verlöschte das Licht der Freude auf ihrem breiten Gesichte wie der Abendschein auf dem Rücken der Felsen von Santa Croce und wich einer tiefen, schwermütigen Nacht.

Auch die fünfzehnjährige Prisca, neben der der jüngere Bruder stand, sah schweigsam und traurig auf die Fliesen des Höfchens und schüttelte kaum merklich den Kopf.

„O, o,“ begann Nina Zeni zu klagen, „es sind die Kinder Mariettas, es sind die Kinder meiner Tochter.“ In ihren Augen ging ein masslos hässliches Licht an, wie sie sprach: „Und Marietta ist schon lange tot — tot, meine liebe, fromme, unglückliche Marietta!“

Ninas Worte ertranken in ihren Tränen. Sie legte die Hände auf die Knie der blonden deutschen Frau, und die Hände zitterten.

„Was hab’ ich gelitten!“ schluchzte sie. Nun war Nina Zeni bei ihrem Elend angelangt. Da wurde alles an ihr noch viel beredter. Und wie ein Bergstrom zur Regenzeit brach die trübe Flut ihrer Rede über die ahnungslosen Fremden herein. „O, Signora, wissen Sie, was es heisst, ein Kind leiden und sich in das Grab härmen zu sehen? Meiner lieben, frommen Marietta ist das Herz gebrochen, und in diesen Armen ist sie mir gestorben. O, o! — Geh fort, Prisca! Geh fort, Beppino! Tragt Wasser herzu und bringt Brot und Salami in das Haus und Eier von Giani Torino ...“

Wie sie diesen Namen aussprach, ging wieder das Leuchten der Freude auf ihrem vollen Gesicht an — es war, als erwache die Sonne noch einmal. Nina bestimmte, dass Prisca den Berg hinauf und durch die Limonière in die Zederwasserfabrik des Giani Torino gehen und Eier erstehen solle, diesmal für bares Geld. O, Giani Torino soll staunen, wenn Prisca Zeni mit einer Hand voll klirrender Soldi vor ihm steht!

Wie die Kinder mit ihrer sprachlosen Verwunderung über den Reichtum der Nonna gegangen waren, wandte sich diese wieder gegen die Gäste. Die Schatten legten sich von neuem über ihre Stirn als sie sprach: „Prisca Zeni und Beppino Zeni sollen sie heissen, diese beiden. Ja, meinen Namen sollen sie tragen! Dio Cristo —“ die dicke Nina knirschte diesen Fluch zwischen den Zähnen hervor, als müsse sie ihn zerbeissen, damit er doppelt werde — „Dio Cristo, sie heissen anders; denn sie sind die Kinder jenes Verfluchten, um den meiner lieben, frommen Marietta das Herz gebrochen ist. Aber ich will sein Andenken auslöschen in meinem Hause, und ich mag nicht, dass sein Name in diesen Mauern genannt werde. Er ist ein Gipsfigurenhändler gewesen und ist ausgezogen, weiss Gott wohin! Er ist nicht heimgekehrt. Er ist verschollen. Und die Türe meines Hauses in Santa Croce ist ihm verschlossen solange ich lebe. In das Gesicht will ich ihn schlagen mit dieser Hand, wenn er den Weg jemals zurückfindet. Ich flehe die himmlische Mutter an, dass sie mir ihre heiligen Gnaden schicke und jenen nicht heimfinden lässt in den Frieden von Santa Croce. O, Madonnina mia, ich arbeite wie eine Eselin, diese Kinder aufzubringen ... aber ich habe alles getragen ...“

Dabei stützte die dicke, faule Nina die Arme in den Ellbogen auf die Knie und barg das Gesicht in den Händen, während die Fremden mitleidig und schweigsam zu der armen Schwergeprüften heruntersahen.

„Ich habe gearbeitet wie eine Eselin“ — als Nina Zeni das sagte, liess sie ihre Blicke flüchtig über die Krone der Gartenmauer gleiten, ob nicht etwa ein Neugieriger dort hocke, der sie lügen höre.

Es war niemand da. Und Teresina Margiotta konnte nicht bis hierher hören. O, wie würde Teresina Margiotta gelacht haben! Ganz Santa Croce hätte an diesem Abend erfahren: Nina Zeni hat gearbeitet wie eine Eselin!

Und dann?

Die Mäuler hätten sie sich vor Vergnügen zerrissen in Santa Croce: Nina Zeni meint, sie arbeite wie eine Eselin! Und alle roten Soldi, die je durch die Türe der Nina getragen worden sind, hat doch die Prisca verdient.

Das sechste Gebot

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