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Siebentes Kapitel.

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Manchmal flog ein rauschender Zug Stare durch den Nebel der Moore. Aus den Stechpalmbüschen waren die Nachtigallen mit dem Sommer gezogen. Und die Sommerfäden schwammen im Lichte der letzten Sonne.

Ham Rugen hatte mit der Sense im Heidekorn gestanden und gemäht. Er hatte die Hacke geschwungen und die Kartoffeln dem lockeren Erdreich entnommen.

Hinnerk Stelljes und Gesche standen im Torf, und Wöbke Dierks hielt an der Sonnenwand des Hauses das Kind im Arm, welches im September in der Hütte zur Welt gekommen war.

Ham Rugen hatte ein Boot gezimmert, eins von den flachen, wie das andere war, das er Hinnerk Stelljes mit seinem Anwesen verkauft hatte — Hinnerk Stelljes oder auch Gesche könne später das torfbeladene Fahrzeug zum Schiffgraben und von da zur Hamme leiten, wo das grosse Torfschiff ‚Bremen‘ die Ladung der Kähne aus den Mooren löscht.

Der Alte hatte in der Zeit, da die ersten Herbstregen fielen, zu Bett gelegen. Die Gicht plagte ihn. Die in Wind und Wetter oder in Winterfrost und Schneesturm unter freiem Himmel verbrachten Nächte wiesen ihre Rechnung auf, und Ham Rugen, dem die Zeit immer tiefere Falten um den Mund und in die Stirne schlug, musste bezahlen. Schweigend ertrug er die Schmerzen.

Manchmal setzte sich Wöbke Dierks mit dem Kleinen auf den Rand seines Lagers und hörte den alten Mann von wunderlichen Dingen reden, die sie nicht immer verstand.

Aber die Regen gingen vorüber und die Winde aus Norden bliesen nicht mehr. Noch einmal leuchtete die Sonne in die Tage des Herbstes. Da war alles Grün Gold geworden, und wenn ein Wind über das Moor lief, wirbelten die Blätter der Birken in die klare Luft. Die war in diesen Tagen von schimmernder Reinheit und liess die Höhen der Geest in grössere Nähe gerückt erscheinen, als sonst, wenn ein weicher milchiger Hauch über allen Linien der Ferne lag und alle Weiten umspann mit einem sanften Gespinn aus goldenen Strahlen und kräuselnden Rauchschleiern, die den weiten Mooren entstiegen.

Die Gicht mit ihrem zuckenden Schmerz war es auch, die Ham Rugen die feuchte Torfkuhle meiden liess. Wie aber die Sonne wieder da war und die Schmetterlinge in der warmen Luft schwammen und in das goldige Licht noch einmal das nimmermüde Zittern kam, das in den Augusttagen von früh bis spät darin ist, bestellte Ham Rugen die Äcker und bereitete das Land für die Ruhe des Winters.

Währenddem beluden Hinnerk und Gesche Stelljes die flachen Boote mit dem Torf und führten sie durch die Gräben. Auf dem breiteren Schiffgraben und die Hamme hinab gingen in gemächlicher Fahrt Hunderte der braunen Segel von andern Booten aus andern Gegenden des Moors.

Zum erstenmale kamen auch die Leute vom ‚Einhaus‘, um die Frucht der Arbeit ihres einsamen Sommers zu Gelds zu machen. Für einen Teil des Erlöses erstanden sie in einer der Hammehütten Hausgerät oder Werkzeug oder Mehl zum Backen des schwarzen Brotes. Hinnerk Stelljes hatte aus Lehm und dem Häuflein Ziegel, das noch aus Ham Rugens Zeit hinter der Hütte stand, einen Backofen unfern des Einhauses ins Moor gesetzt.

In der Frühe eines der letzten Oktobertage lag das Heidemoor in mattem Silberschimmer. Wie die Sonne kam, war ein Flimmern und Blitzen in Ried und Halm und die goldenen Blätter der Birken fielen in leisem Falle, manche wirbelten kreiselnd zur Erde, manche fielen schwer wie goldene Tropfen aus dem Geäst. Und doch wehte kaum ein Wind. Das verrieten die braunen Segel, die da und dort aus den Schiffgräben tauchten. Ham Rugen wusste, dass die Torfschiffer den Staken oder das Ruder gebrauchen mussten; denn der Wind dachte nicht daran, die Leinwand an den niederen Masten zu füllen. — Hinnerk und Gesche waren im Grau des Morgens mit den beladenen Booten davongefahren.

Der Alte stand am Fenster der Hütte.

Wöbke Dierks hatte das Kleine versorgt und kniete nun neben der Ziege, um sie zu melken.

Als sie damit fertig war und geschäftig die andere Hausarbeit versorgte, sah Ham Rugen, wie die Deern in den Tagen der Sonne noch blankere Augen bekommen hatte: die ganze Freudigkeit des Sommerhimmels stand darin. Und doch war ihre Stirn weiss geblieben wie einst. Ihre Arme hatten sich gerundet, und die ganze Gestalt des Kindes zeigte die sanften Formen frühzeitiger Entwicklung.

Ham Rugen dachte: unter dem mancherlei Wunderbaren, das sein Auge in diesen letzten Jahren ringsum wahrgenommen, sei dieses Kind das Seltsamste. Wöbke Dierks und ihre schuldlose Schönheit, ihre kindliche und doch so verträumte Seele, der Glanz ihrer Augen, hinter dem nur für Ham Rugen eine schier unergründliche Versonnenheit sich barg — das alles war dem Greis ein ungelöstes Rätsel, zu dem er den Schlüssel vergeblich suchte.

Das kam wohl daher, dass Ham Rugens Blick geschärft war in den Gefahren, die ihn vordem in den Waaken der Hammewiesen, in den heimtückischen Tümpeln der Moore umlauerten. Die Eintönigkeit des Mühens, die sich die Seelen der Torfgräber mitleidlos stimmt und Auge und Herz auf den engen Gesichtskreis einstellt, der die Kuhle umläuft — diese Eintönigkeit hatte sich den Alten nicht mit harten Händen geformt.

Aber Hinnerk und Gesche Stelljes standen mit beiden Füssen fest in dem zähen Grunde des Moors und in ihren Augen war das trübe Licht, das dieser farbenarme Grund zurückstrahlt. Es ist, als trinke der alle Sonne des Himmels und lasse nichts übrig für die Menschen, die sich in ihm mühen.

„Do mösst en Jong wesen, Deern“, sagte Ham Rugen, als Wöbke Dierks hinzutrat, um den glosenden Torf unter dem Kessel zusammenzuschieben.

Er wandte sich wieder und sah durch die trüben Scheiben, über die das Moor seinen bräunlichen Hauch geweht hatte.

Er wusste, dass Hinnerk und Gesche kaum in die Hamme gelangt sein konnten, denn die Sonne hatte die Silberschleier der Reifnacht erst da und dort zu heben vermocht.

Dann winkte er das Mädchen zu sich heran.

Er setzte sich auf den Rand des Bettes und wühlte im Stroh. Wöbke Dierks sah ihm schweigend zu, und Ham Rugen wühlte den Strumpf mit den klirrenden Talerstücken hervor. Er war so gross, dass er ihn nicht mit der Hand umspannen konnte.

„Das hab ich mir zurückgelegt im Laufe der andern Jahre“, sagte er, „es sind sechsundsiebzig Taler. ‚Warum?‘ fragst du, weil ich das Geld ja doch nicht verwende oder mir eine Freude damit mache? Warum?“

Er tat den Lederriemen ab, mit dem der Beutel fest verschnürt war, und legte ihn auf sein Knie. Dann wühlte er mit der Hand in den Talern, schob sie im Beutel zur Seite und zog ein zerknittertes Papier unter dem Gelde hervor. Das faltete er mit der rechten Hand auseinander und hielt es weit von sich.

„Es kann ein jeder lesen. Du auch, Deern?“ fragte er und reichte ihr das Papier hin.

Wöbke erfasste den Zettel und las laut: „Dieses Geld — insgesamt sechsundsiebig Taler — soll nach meinem Tod in Besitz von Wöbke Dierks übergehen und soll ihr anheimgegeben sein, es zu verwenden, wie ihr gut dünkt. Harm Rugen im Einhaus am 20. Mai des Jahres 18 ..“

Wöbke gab Ham Rugen den Zettel zurück.

„Du sollst nicht sterben, und ich wollte, ich brauchte das viele Geld recht lange nicht zu nehmen.“

„Ich bin froh, min Deern, dass du so redest“, sagte der Alte und streichelte ihre Hand. „Vielleicht kennst du den Wert des Geldes nicht und weisst nicht, wie heiss die Menschen im Moor und auch an andern Orten danach trachten. Das da ist mit viel Mühe erworben, und es gab eine Zeit, die noch gar nicht lange vorbei ist, da hielt ich’s am höchsten von allem, was mir das Leben gegeben hat.

„Und ich hab auch die Tage her einen andern Zettel geschrieben. Das war zu der Zeit, als ich daran denken konnte, wieder in die Herbstsonne hinauszugehen, weil mich die Gicht nicht mehr so hart plagte wie in den Tagen der Nebel und Regen, mit denen der Herbst in das Moor kam. Ich dachte erst, ich wolle selbst in die Hammehütte gehen oder den Kahn suchen, den Clas Böschen fährt.“

„Wer ist Clas Böschen?“ fragte Wöbke Dierks.

Ham Rugen blieb still und blickte durch das Fenster — weit über die Ebene, bis hinüber, wo er das braune Segel eines Torfboots im Schiffgraben gegen die Hamme hin entschwinden sah.

Wöbke Dierks dachte: Ham Rugen schaut wieder in die andere Zeit.

„Clas Böschen“, begann er endlich, während sich das Mädchen am Torfbrand zu schaffen machte, „Clas Böschen war ein Junge, den ich das Schmuggeln lehrte. Er hatte helle Augen unter der Stirn und ein freudig Lachen — so froh, wie es sonst nirgends im Moore daheim ist. Die Menschen im Moore lachen nicht oft, und sie singen nie. Das lernen sie vom Gelände, auf dem sie stehen — das hat auch keinen Klang als das Klagen der Sumpfvögel. Und die Nachtigallen, die im Dunkel schlagen, hören die Menschen zu wenig oder gar nicht.

„Clas Böschen aber war ein frohgemutes Kind. Nun ist er achtzehn Jahre geworden, und ich habe gedacht: wenn der Junge auf Wege kommt, die nicht gut sind, so werden die Leute sagen: das hat Ham Rugen getan. Und wenn die Leute sehen: Clas Böschen ist verschlagen wie ein Fuchs, so werden sie sagen: Ham Rugen hat ihn so gemacht, wie er ist. Clas Böschen war um mich Tag und Nacht. In der Koje des Torfboots hab ich mein Lager mit dem Jungen geteilt — ich braucht’ ihn, denn er hatte flinkere Beine als ich.

„An Clas Böschen hab ich einen Brief geschrieben und gedacht, du möchtest hinüber zu den Hütten laufen, ihn suchen und ihm den Brief geben und sagen: Ham Rugen schickt mich. — Ich könnte ihn durch Hinnerk oder Gesche Stelljes hinbringen lassen. Weil ich aber glaube, sie haben nicht Zeit genug, oder sie werden den Brief einem andern geben, der Clas Böschen zu kennen vorgibt, und das Schreiben dann erst viel später oder gar nicht in die Hände dessen gelangt, für den es bestimmt ist, so will ich Hinnerk und Gesche nichts von meinem Vorhaben sagen. Es ist auch noch aus einem andern Grunde besser, der dir ganz gleichgültig wäre, wenn ich ihn dir nennen wollte.“

Wöbke Dierks schaute nach dem Bettschrank, in dem das Kind von Gesche Stelljes schlief.

„Um den Kleinen lass dir nicht bange sein — ich will ihm die Milch geben und will sonst an ihm tun, was du tätest, wenn du da wärst“, fuhr Ham Rugen beruhigend fort.

„Ich weiss“, sagte Wöbke Dierks, „dass du es dem Kind an nichts fehlen lassen wirst. Übrigens werd’ ich so rasch laufen, dass ich wohl früher zurück zu dem Einhause bin als Gesche. So gib mir den Brief, damit ich gehe.“

Wöbke fuhr mit den blossen Füssen in die Holzschuhe, schob den Brief unter die rote Jacke, band sich eine graue saubere Schürze vor, und nachdem sie noch einmal in das Bett geschaut und einen Topf mit Milch bereit gestellt hatte, lief sie aus der Hütte.

„Du kannst frühestens kurz nach Mittag wieder hier sein!“ rief ihr Ham Rugen nach.

Nun hörte Ham Rugen die Stille wieder schreiten wie in jenen Tagen, da ausser ihm niemand in dieser Gegend der Moorheide gelebt hatte.

Die Uhr, deren Pendelschlag von dem Geräusche der mancherlei Hantierung in der Hütte übertönt worden, sprach wieder wie einst ihr vernehmliches und gemessenes Tick-tack-tick-tack. Der Rauch vom Torffeuer schwelte wie immer in einer blauen kräuselnden Säule gegen den Boden des Kessels, teilte sich dort und schwamm in dünnen Schleiern um das Gebälk.

Vom Bettkasten her klangen die leisen Atemzüge des Kindes, das des Alten Wartung während der Stunden oblag, in denen Wöbke vom Hause fernblieb.

Nun wendete sich das Kleine im Bett.

Ham Rugen, der gerade ein Stück Torf in die Glut legen wollte, liess den Torf fallen und lief ruhelos auf der Diele hin und her. Er lief an das Fenster, weil das Kind zu schreien begann, und sah, ob Wöbke Dierks komme.

Die war ja noch nicht einmal in den Hammehütten und konnte noch drei Stunden fortbleiben oder auch viel länger, wenn sie Clas Böschen nicht fand.

Und Gesche Stelljes? — Wenn das Torfschiff nicht mehr in der Hamme lag und erst morgen früh ein anderes kommt, so würde sie mit Hinnerk Stelljes über Nacht in der Koje des Torfbootes schlafen. Dann musste das Kleine schreien bis in die sinkende Nacht ...

Ham Rugen schob die Mütze aus der Stirn und kraute sich hinter den Ohren. Er dachte, was Wöbke Dierks wohl immer gemacht hatte, wenn das Kleine schrie. Aber er wusste es nicht. Da trat er auf die Diele, zog die Holzschuh aus und nahm sie in die Hände Er trat vor den Bettkasten und schlug sie hart aneinander. Einen Augenblick lauschte das Kind — dann setzte es sein Schreien um so herzhafter fort. Ham Rugen schlug die Holzschuh immer heftiger aneinander er pfiff — und endlich sang er und sprang wie toll vor dem Bett herum:

En lüttje Deern bin ik,

Fien Garn spinn ik,

Kann knütten, kann neien,

Kann Sülverdraht dreien ...

Aber so beharrlich Ham Rugen hüpfte und dem Kleinen beteuerte, dass er en lüttje Deern sei, der Junge schrie, was er konnte.

Endlich fiel des Alten verzweifelter Blick auf den Milchtopf, den Wöbke Dierks dicht neben das Feuer aus den Schemel gestellt hatte. Ham Rugen setzte ihn in den Torf und dachte, er wolle das Kind aus dem Bett nehmen. Aber — mit diesen Händen!

„Dat Kind blievt foken dod un is mit eens entwei“, sagte er.

Und doch schlich er sich ganz leis an das Bett und fasste nach dem Kleinen. Er schob ihm die Hand unter den Rücken und wollte ihn aufsetzen. Da kippte das Kind vornüber in die Decken: zum sitzen hatte es sein Lebtag noch niemand aufgefordert. Nun wollte sich’s die Seele aus dem Leibe schreien.

Dem Alten perlte der Schweiss in heissen Tropfen von der Stirn. Da begann ein Brodeln und Zischen hinter ihm und in quirlenden Wolken stieg der Dampf: die Milch schoss brausend über den Rand des Topfes in die Glut.

Aber Ham Rugen hatte den Jungen auf dem Arm.

Er sang das schöne Lied vom Kuckuck und dem Kiewitt, de danzten up dem Dyk — den Kleinen kümmerte das nicht. Ham Rugen setzte sich auf den Schemel zum Feuer und schürte, als er den Milchtopf endlich zur Seite gerückt, mit der Zange in dem Brand, dass die Funken flogen. Er goss von der Milch in die Pfanne, in der Gesche den Buchweizen buk, damit sie kühl werde. Dann legte er das schreiende Kind um und flösste ihm mit dem Löffel die laue Milch ein.

Das half. Der Kleine schlürfte gierig den süssen Trank von der Spitze des Löffels.

Ham Rugen atmete auf und dachte, das wolle er die drei Stunden so fortsetzen, bis Wöbke Dierks wiederkomme. Alles, alles wollte er tun!

Da wendete der Kleine den Kopf und schlief ein.

Ham Rugen stand mit vor der Brust gefalteten Händen in der Mitte der Diele: „Dat’s slimmer as de Kontrolörs!“ sagte er und atmete tief.

Dann schlich er fort und ging auf den Zehen aus der Tür. Mehr als eine Stunde musste noch vergehen, ehe er Wöbke auf dem Moor erblicken konnte.

Das Moordorf

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