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Elftes Kapitel.

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Wie drei Jahre vergangen waren, seit Claus Böschen seine Siedelei in das Moor gesetzt, sass Ham Rugen im warmen Licht eines Spätsommertags und hatte die Hände im Schoss gefaltet.

Er hatte die Hose aus Leder, die er, als er noch schmuggelte, von einem Schiffer in der rauchigen Kneipe an der Weser erstanden, über den Knöcheln gebunden. Den Stock, an dem er seit dem letzten Herbst gehen musste, hatte er neben die Bank in den Sand gesteckt. Er liess sich die Stirne von der goldenen Hand der Sonne streicheln und hatte das silberne Haar über den Schläfen nach vorn gestrichen.

Wöbke Dierks kam über den Steg und trug in einem Napf dampfendes Essen herüber. Sie setzte dem alten Mann die Schüssel in den Schoss und sagte:

„Es ist ein süsser Milchbrei, Ham Rugen, und ich hab’ ihn selbst für dich gekocht. Und Wischen lässt dir sagen, du möchtest doch auch einmal zu ihr hinüberkommen, wenn du froh seist, damit du ihr erzählen könnest, solange sie zu Bett liegen müsse. Wischen hört dich gern reden von alten Tagen und von solchen, die erst kommen werden.“

„Ich will zu Wischen Böschen gehn, wenn mir etwas einfällt, davon ich ihr erzählen kann“, sagte Ham Rugen.

Wöbke Dierks sprang rasch zu den drei Kindern hinunter, die nicht weit von den Buschkiefern entfernt in dem warmen Sande sassen und mit den Löffeln Gräben in das Erdreich zogen. Sie hatten auch dürre Stäbchen in den Sand gesteckt und die roten Ähren des Heidekrauts dazu und sagten, das sei ihr Garten.

Als das Mädchen dem einen der Kinder ein Körnlein Sand aus dem Auge gewischt hatte, das ihm hineingeflogen war, erhob der dreijährige Jan Stelljes die Hand, die den Löffel hielt, und wollte nach Wöbke Dierks schlagen. Die sah das Kind in dem zerschlissenen roten Kittelchen mitleidig an und sagte zu Ham Rugen, als sie sich wieder neben den Alten auf die Bank gesetzt hatte:

„Es tut mir leid um die beiden, um Jan und um die Kleine. Wischen Böschen ihrer, der doch um mehr als ein Jahr jünger ist als Jan Stelljes, ist auch so gross wie der und kann noch mehr reden als der Dreijährige.“

„Hm“, machte Ham Rugen und reichte Wöbke Dierks den leeren Napf. Dann zupfte er sich ein Prislein Shag und schob’s in den Mund.

„Das ist das, was wir von dem Moor angenommen haben.“

„Wie meinst du das, Ham Rugen?“ fragte Wöbke Dierks.

„Hm. Hm. Ich möchte sagen: die Stelljes stecken bis an die Knie in der Moorkuhle, können nicht heraus, und alles, was sie tun, tun sie eben von dort aus, wo sie hineingesunken sind. Wenn du mich noch nicht verstehn solltest — ich weiss gar nicht: manchmal reissen mir die Gedanken so ab, oder ich finde die Worte nicht mehr für das, was ich denke — so sieh doch einmal über das Land, das um dich ist.

„Vor dreizehn Jahren war die Hütte Ham Rugens hier ganz einsam mitten im Moor. Die blieb zehn Jahre und blieb ganz allein. Vor drei Jahren kam Clas Böschen, im Vorjahre baute Heme Jensen sein Haus. Er nahm rote Ziegel zu den Wänden. Und dann kam Jan Otten und baute ein gleiches. Und hernach kamen andere vom Klinkerberg und fingen an, ihre Hütten wieder in den Grund zu graben, weil sie gar kein Geld hatten, Mauern oder gezäunte Wände aufzuführen.“

Ham Rugen deutete in die Moorheide hinaus.

Drei Rauchsäulen standen drüben auf dem Gelände. Die standen nicht fern voneinander und es war, als habe einer drei Torffeuer in dem Heidemoor angeglommen. Aber die Rauchsäulen standen nicht auf dem Grunde, sondern gingen aus drei Löchern hervor, die waren in Erdhaufen, die nur ein geringes über die Fläche emporragten. Und unter jedem der schwelenden Löcher war fast in gleicher Höhe mit dem ringsliegenden Land ein flaches Dach. Jedes der drei Dächer deckte einen Wohnraum. Der war in den Torf geschaufelt, o dass die Wände des Loches die Umfassungsmauern der ‚Erdhütte‘ bildeten. Das Licht rann von der Seite durch den Eingang in die Hütte. Dieser Eingang bildete das Ende eines schräg hinabführenden Weges.

Ham Rugen sagte:

„Jene da hätt’ ich den Einhäusern gern erspart oder hätte lieber gesehen, sie wären anderswo daheim, wo in derlei Hütten die Armut hungert. Aber die Tagelöhner sind in den Einhäusern nicht mehr übrig, und es mag sein, dass Clas Böschen und Heme Jensen im neuen Jahre, wenn sie noch mehr Moor urbar machen, noch andere Leute brauchen, die für sie arbeiten.

„Das alles wollt’ ich dir nur sagen, Wöbke Dierks, um dir zu zeigen, dass in drei Jahren sieben Familien in den Einhäusern sich angesiedelt haben, während vor dem nur ein einziger Mann da war, der lange Zeinicht wusste, was er mit der Einsamkeit anfangen sollte, die stundenweit über den Mooren lag.

„Sieh dir das Land an, das um dich liegt. Weisst du noch, wie wir zum Pastor nach dem Weyerberg schritten? Damals war kein Weg bis hinüber zum Fahrdamm, und ich dachte: man sollte Stangen mit Strohbüscheln stecken, damit sich in Jahren ein Pfad trete, auf dem man am kürzesten zu der Strasse gelangt, die durch das Moor läuft. Heute haben Clas Böschen und Jan Otten Stege mit Leitstangen über die Gräben gespannt und eine Menge neuer Wasserläufe sind im Moor und es ist viel urbar gemacht — entweder dort, wo man die Torflager abgestochen hat, oder wo vor zehn Jahren noch stinkende Tümpel waren und fauler Schlick lag. In den neuen Gräben ist das Wasser langsam abgeronnen. Langsam — wie alles langsam geht auf der Moorheide, in die der Fuss beim Schreiten oft bis an die Knöchel einsinkt. Manchmal kommt’s auch, dass das heimtückische Moor seinen Schlund öffnet und den ganzen Menschen hinabschlingt. Es sind viele, von denen wir wissen, dass sie über die schwarze Heide gegangen — die Nebel sind gefallen und haben sie eingesponnen. Nirgend ist ein Licht gewesen und nirgend ein Weg. Und sie sind nicht dahin gelangt, wohin sie gehen wollten. Aber sie sind auch nicht zurückgekehrt.“

Ham Rugen verfiel in jenes stille Sinnen, über dem ihm die Augen weit wurden.

Aber er schaute nicht hinaus gegen den Rand des Himmels, der in der fernen Klarheit des Tages stand, sondern er sah hinab auf die Spitze seines Holzschuhs.

In seiner Stirn stand die tiefe Falte und um seinen Mund war die herbe Verschlossenheit.

Wöbke Dierks dachte, das müsse der Gram gewesen sein, der in einem langen Leben Furchen um diese Lippen gezogen habe, die jetzt so trutzig aussahen und die doch so sanft reden konnten.

„Ich weiss noch alles, Ham Rugen, wie es war, da ich durch die klingende Sommernacht gegen das Einhaus lief.“

Und als ob dieses Wort den alten Mann wieder aus seinem Sinnen geweckt habe, begann er von neuem zu sprechen:

„Ich dachte, du solltest dir einmal durch den Sinn gehen lassen, wie das alles geworden ist, wie sich das zum besseren geändert hat und wie nur die Felder von Hinnerk Stelljes schlecht geblieben sind wie sie waren. Da ist kein Fuss breit Land hinzugekommen. Hinnerk Stelljes wirft in jedem Frühjahr den Buchweizen in den Acker, auf dem er im Herbst zuvor Buchweizen gemäht hat. Und Gesche Stelljes wühlt in jedem neuen Mai die Kartoffeln wieder in die Scholle, die ihr voriges Jahr auch Kartoffeln getragen hat. Da wird die Ernte in jedem Herbst kärglicher: die Kartoffel findet nicht mehr, davon sie schwillt, und der Buchweizen nicht, davon er wächst. Clas Böschen dagegen und Heme Jensen haben zu jeder Frist Neuland gewonnen und haben so viel, dass sie dorthin Kartoffeln legen können, wo vordem der Buchweizen geblüht, und dass sie dort, wo vordem Buchweizen war, Roggen säen können. Roggen, Wöbke Dierks!

„Es sind acht Morgen Land um die Einhäuser, auf denen nun das Korn hohe Halme treibt, dunkelgrüne fette Halme mit schweren Ähren — fast so hoch wie auf jenen gesegneten Stellen, die man die Marschen nennt.

„Wöbke Dierks, hast du das gesehen? Und verstehst du nun, was ich sagen wollte mit den Worten: Hinnerk und Gesche Stelljes stecken bis zu den Knien im Moor? Bei ihnen hat sich nur der Torfstich ein wenig vertieft und erweitert. Sie haben noch die eine Ziege im Stall — sie sind nicht vorwärts gekommen!

„Aber es wird eine Zeit sein, da wird ein noch grösserer Teil der zweihundert Morgen, die mir gehörten, wogende Halmfrüchte tragen, und die Einhäuser werden eine Gemeinde sein, und es wird Leben sein und eine Kirche! Und das mag nicht mehr lange währen, bis es so weit ist, Wöbke Dierks. Denn eine Scholle, wie die ist, auf der wir sitzen, ist dankbar und hat viel unverbrauchte starke Kraft. Aber die Kraft schläft, und sie muss geweckt werden. Wenn nun einer schläfrig seinen Pfad geht und nur immer wirken mag, wie man seit Jahren an diesem Orte gewirkt hat, dann bleibt er stehen. Und Stehenbleiben ist im Moor ein gefährlich Ding und ist an vielen Stellen gleich mit stillem qualvollen Versinken.

„Einmal, wie ich im Abendlichte schritt und wie die Sonne ihr Gold über die frischgebrochenen Schollen von Clas Böschens Feldern warf, dacht’ ich: Das ist das Gold, das die Sonne in dies Land legt, damit es die Menschen als goldene Frucht wieder herausgraben und in goldene Münze wandeln. So ist der Weg, aus dem aller Reichtum des Bauern kommt: erst ist es strahlendes Gold des blanken Himmelslichts und sind sanfte silberne Regenkugeln, die in klingendem Fall in den Acker rinnen. Das ist der Wandel der Dinge. Und von dem Versinken des warmen Lichts und der Quelle des Regens bis zu dem Tage, da der Bauer im Moor diese beiden als gemünzt’ Gold in der Hand hält, ist ein weiterer und mühevollerer Weg, als ihn der Bauer zu gehen hat, der über die Marsch oder die Geest schreitet.“

Ham Rugen erfasste den Stock mit der Rechten und schritt neben Wöbke Dierks gegen die Hütte Clas Böschens.

„Ich will mit zu Wischen“, sagte er.

Als er über den Steg ging, liess er die linke Hand über die Leitstange gleiten, stand einen Augenblick auf die Stange gestützt und schaute den Graben entlang. Seit er den gestochen, hatten ihm die Jahre den Rücken gebogen. Ham Rugen war alt geworden, sehr alt.

Hinter Clas Böschens Hütte standen zwei Scheunen, die ein wenig kleiner waren als das zuerst errichtete Haus.

Wischen, die im Bette lag und das Neugeborene im Arme hielt, berichtete Ham Rugen, dass Clas im neuen Frühjahr ein Wohnhaus aus Ziegeln zu bauen gedenke mit einer geräumigen Diele und einem Flet, welches durch eine querlaufende Wand von den zwei daranstossenden, nebeneinanderliegenden Stuben getrennt sein solle.

Das Moordorf

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