Читать книгу Das Moordorf - Max Geißler - Страница 4
Erstes Kapitel.
Оглавление„Dat wier damals, as de Smuggelei noch in Gang wier,“ sagte Ham Rugen. Mit diesen Worten begann der alte Mann alle seine Berichte, mit diesen Worten schloss er sie: „Jaja, dat is all so, un dat wier damals, as de Smuggelei noch in Gang wier.“
Und wenn er so gesprochen hatte, war’s, als schaue sein Auge in eine andere Zeit. Um diese Zeit trauerte Ham Rugen.
Er hatte mit „de Kontrolörs“ manchen Kampf gekämpft, wenn er aus Bremen heraus in das Moordorf Tabak, Salz, Zucker, Kaffee geschmuggelt hatte. Im Winter ging’s über eisige Weiten, über die der Schneewind stob. Je wilder der dreinfuhr und je schwärzer die Nacht war, desto frohgemuter schlug Ham Rugens Herz.
Im Schutze der Nacht war alle Wachsamkeit der „Kontrolörs“, die so scharf hinter ihm drein waren, eben doch nicht rege und ihre List nicht gross genug, Ham Rugen in die Falle zu locken. Wenn die Beamten mit geladenem Gewehr, das so rasch von ihrer Schulter flog, sich hinter Busch und Rohr auf die Lauer gelegt, so stapfte Ham Rugen lächelnd auf moorigem Pfad anderswo der heimischen Hütte entgegen und überdachte zufrieden den Gewinn, den ihm der nächtliche Schleichgang abwarf.
Mehr als einmal hatten ihn die Kugeln der „Kontrolörs“ umpfiffen. Aber selbst an jenem grauen Spätherbstmorgen, durch den der Regen in die Nebel peitschte, war er nicht in die Hände der Zollbeamten gefallen. Das war damals, als sie ihm hart auf den Fersen waren und drei Schüsse hinter ihm geknallt hatten. Die Nebel flatterten zwischen ihn und seine Verfolger und schützten ihn. Weil aber die Schritte der Kontrolleure auf seiner Fährte folgten, flüchtete er auf die Diele von Jan Gerkens Haus.
Von der Diele führte die Leiter ins Heu unters Dach. Die stieg er empor. Vor dem Hause vernahm er die Stimmen der Männer, die ihn suchten. Sie entfernten sich; durch die Luke im Giebel erspähte Ham Rugen, wie sie sich — zu fünft — im Nebel des Graumorgens verloren. Sie wollten seiner heute allen Ernstes habhaft werden.
Jan Gerken und seine Leute waren im Torf. Die Kühe liefen, unter Decken, noch auf der Weide. Nur der Fuchs stand zu seiten der Diele; der hatte sich Drüsen geholt, und Jan Gerken hatte ihm eine wärmende Hülle um den Kopf geschlungen.
An den Fuchs dachte Ham Rugen, während er lauschend unter dem Heu lag. Dann knüpfte er seine Säcke so aneinander, dass er sie vor sich auf den Rücken des Pferdes legen konnte, band den Gaul los, zog ihm eine Leine, Zaumzeug und Zügel zugleich, durchs Maul, und in sausendem Galopp stob er quer über die Weiden durch die Reihe der Beamten hindurch und verschwand im Nebel. Die Kugeln, die sie ihm nachschickten, suchten ihn vergeblich.
Aber es fiel Ham Rugen nicht ein, auf dem Fuchs bis zu seiner einsamen Hütte zu reiten.
Unterwegs, als kein Hufschlag den Verfolgern verriet, wohin er sich gewendet, stellte er Jan Gerkens Fuchs in den Stall eines einsamen Gehöfts, auf dem kein Mensch daheim war. Sie luden draussen Torf; und am Nachmittag erschien Ham Rugen, um die erstaunten Leute, die den Fuchs aus Vieland an der eigenen Krippe vergnüglich kauend vorgefunden, über den Gang der Dinge aufzuklären.
„Dat hat he fien makt,“ sagten die lachend, die von der Geschichte hörten; und ähnlich dachte auch Ham Rugen, als er auf dem „Totenweg“ in die Nacht hineintrabte, um Jan Gerken sein Rösslein wiederzubringen.
„Dat wier en anner Tiet, as de Kontrolörs noch in Gang wiern.“
In jener andern Zeit war Ham Rugen alt geworden; und die wenigen Jahre, seit denen andere Gesetze gekommen und das einträgliche Gewerbe des Schmuggels nicht mehr bestand, hatten ihn überflüssig gemacht.
„Was will einer auf der Welt, wenn’s nix mehr zu schmuggeln gibt?“ fragte Ham Rugen. Und die, denen er in einem Moordorfe diese Frage vorlegte, waren mit ihm darüber einig, dass „de olle Tiet en better Tiet wesen“ und die neue nichts gelassen habe, als die harte Arbeit im Moor.
Nun standen die Menschen den Tag über draussen mit Esker und Spaten, an den Füssen die breiten Brettholzschuhe, und schaufelten den nassen, schweren „Klipp“ aus den unteren Moorschichten herauf, traten und schnitten den Backtorf und wurden stiller denn je.
Ham Rugen aber arbeitete nicht. Er hatte die Taler, die ihm der Schmuggel eingebracht, im Strumpf unter dem Bettstroh verborgen, das heisst, so viel ihrer noch übrig geblieben waren nach dem Bau der Hütte, die er sich mitten ins Moor gesetzt.
Das war durch zehn Jahre weitum die einzige. Ham Rugen hatte sie in den Schutz regellos, aber dichtstehender Moorkiefern geborgen, hatte zwei Reihen Pfähle schräg in den Torf getrieben, so dass die sich mit den oberen Enden berührten und fest auf einem Querbalken ruhten. Über die Pfähle hatte er in einer dicken Schicht das Rohr des Moores gelegt. Den First umkleidete er mit hartem Heidesoden. Die gezäunten Giebelwände, in deren einer das Fenster, in deren anderer die Tür sich befand, bewarf er mit Lehm. Und als er unter dem Dache noch sein Strohlager von der Diele geschieden und in der andern Ecke für die Hühner eine Horde und für die Ziege einen Stand geschaffen, dachte Ham Rugen, das habe er fein gemacht, und meinte, er könne in diesem Hause wohl eine Frau brauchen.
Während er rings um die buschigen Kiefern einen Graben ins Moor schaufelte, welcher die Wasser sammeln und in den Schiffgraben führen sollte, der in die Hamme lief, dachte er ans Freien. Aber so „en Frugensminsch“ ist von zu ängstlicher Art, und für einen Mann, der auf den Schleichwegen der Schmuggler geht, ist kaum eine gemacht.
Und dann — ja, Ham Rugen dachte auch, er sei noch zu jung zum Freien. Zwar: seine Haare waren grau geworden. Aber mit achtundfünfzig Jahren kann einer noch Kinder haben — das Geschick hat närrische Einfälle, und Ham Rugen hatte das Gefühl, als werde es ihn in diesem Punkt überlisten. Im übrigen getraute er sichs schon zu meistern.
So war das Freien mit allerhand Gefahren verknüpft, und mit den Worten: „Täuw noch en beten, Ham“, stieg er aus dem Torfgraben, den er in den braunen, weichen Grund gestochen, und vergass im eintönigen Laufe der Tage, dass er durch eine kurze Spanne Zeit den Gedanken erwogen, ein Weib in die Einsamkeit der Moorhütte zu führen.
Tagelang rief ihn sein lichtscheues Gewerbe aus der Hütte fort.
Die Hühner pattelten in dem Heideried und plusterten sich in der Sonne. Wollte eine für Ham Rugen ein Ei legen, so schlüpfte sie durch das Loch im Dielentor und fand ihren Weg durch das dämmerige Licht des lautlosen Raumes zum Neste.
Die Ziege stand angebunden vor der Hütte. Ham Rugen hatte ihr ein Dächlein aus Heidekraut gebunden. Dort fand sie Unterschlupf, wenn ein Wetter über das Moor niederging.
Und dann kam die Zeit, in der das Schmuggeln von Bremen heraus übrig wurde — die traurige Zeit, die Ham Rugen über Nacht zu einem trutzigen Schweiger machte, der sich plötzlich in die schwere Eintönigkeit eines Lebens verbannt sah, mit dem er nichts anzufangen wusste.
Ham Rugen hasste diese Arbeit, dieses armselige Mühen im Torf, dieses Hacken und Roden — schon der Gedanke, dass er zu einem Moorbauern in Tagelohn treten sollte, machte ihn verdriesslich.
„Gotts Dunner“, fluchte er und schimpfte auf die „Kontrolörs“, weil sie nicht mehr da waren. Die hatten wenigstens für Kurzweil gesorgt; ihretwillen musste einer doch offene Augen und feine Ohren, flinke Beine „un en grote Portschon“ Schlauheit besitzen.
Nun war das alles überflüssig geworden, wie Ham Rugen selbst. Allmählich schwand das ruhlose Umherblicken seiner Augen, die sich gewöhnt hatten, von ferne durch jeden Busch im Moor zu dringen und kein Wehen des Rohrs an den Torfgräben oder im Wiesenland zu Seiten der Hamme unbeachtet zu lassen. Und in sein Auge kam eine freudlose Müdigkeit.
Langsam gingen die Jahre.
Ham Rugen sass durch den rauschenden Spätherbst und den wehenden Winter an der Feuerstatt auf der Diele und starrte in den glimmenden Torfbrand. Ein feiner Rauch wirbelte aus dem lautlosen Glimmen empor und machte das Gebälk des Hauses schwarz und glänzend. Er spann unter dem Rohrdach hin, er spann unter dem oberen Querbalken der niederen Hüttentür in sanftem Blau hinaus. Aber er legte seine Schleier auch ganz leise über Ham Rugens blanke, fernhinschauende Augen.
Und langsam gingen die Jahre.
In den Tagen, in denen Ham Rugen ein Birkenreis auf das andere legte und Besen band — mehr, um sich die müde, schleichende Zeit zu kürzen, als die Besen um karge Pfennige einem Bauern zu verkaufen — dachte er wieder daran, ein Weib zu nehmen.
Er legte die Handvoll Birkenreiser beiseite, griff in die Hosentasche und nahm mit Daumen und Zeigefinger ein wenig schwarzen feingeschnittenen Tabak aus dem zerknüllten Papier. Ham Rugen priemte den Rauchtabak. Er schob das Knöllchen behende zwischen Lippe und Kiefer. Dann legte er die Arme mit den Ellbogen auf die Knie und starrte in den glosenden Torf. Im russigen Kessel sang das teebraune Moorwasser.
„Dat’s nu ok tau lat“, sagte er — „zu spät zum Freien! Nun, da einer keine Arbeit hat, kein Geld ins Haus bringt und keine Freude mehr am Leben hat — da ist’s zu spät!“
Er ging, setzte sich auf das Bett und wühlte im Stroh — da war der Strumpf. Er zählte — zählte: 76 Taler.
Das war freilich ein schön Stück Geld und reichte zum leben, reichte noch manches Jahr, auch wenn Ham Rugen nicht arbeitete. Für einen, der nicht mehr schmuggeln kann, nicht in Bremen in der Schifferkneipe die Nacht erwarten muss, für einen, der toteinsam im Moore sitzt und nur Kartoffeln und Buchweizen zu kaufen braucht, reicht das über Jahre.
„Hm“, machte Ham Rugen, „Bookweetzen un Kartuffeln?“ —
Die andern bauten sie ja auch selber. Warum sollte er so etwas kaufen für sein mühsam erspartes Geld? Dieses Geld für Dinge ausgeben, mit denen er das im Grunde verpfuschte Leben fristete? Ja, die andern hatten aber Streifen Landes, die sie im Schweiss ihres Angesichts ertragfähig gemacht hatten! ...
Der Winterwind heulte über das Moor und warf Schnee gegen die Scheiben.
Da ward das Licht in der Hütte Ham Rugens noch dämmeriger. Um das Gebälk spann die langen Tage der Rauch des Torffeuers und bräunte den Speck, der in den Wiemen hing. Den hatte Ham Rugen ungeräuchert für Waren eingetauscht, als noch die fröhliche Zeit des Schmuggelns war.
„Ä!“
Er schob die Glut auf den Klinkersteinen mit einem Stück Torf zusammen und warf den braunen Brocken hinein.
„Ä, dat’s en karge Tiet“, murmelte er unwillig und sann in den Frühling.
Arbeiten? Ja, wenn die Arbeit nicht so reichlich und nicht für einen andern ist — da lässt sich das schon überlegen.
Und als die Aprilwinde sausend über das Moor fuhren, stand Ham Rugen wahrhaftig im Torf. Das Gerücht, dass er arbeite, flog durch die fernen Häuser der Moordörfer. Es waren Leute gekommen, die hatten Ham Rugen mit ihren eigenen Augen Torf stechen sehen.
Rings um die Hütte schichtete er die dunkelbraunen Torfziegel zu Haufen und stach den Graben, den er im Vorjahr angelegt, um zwei Fuss breiter, damit er für den flachen Kahn, den ‚Seelenverköper‘, schiffbar werde, den er noch aus der ‚andern‘ Zeit besass und der nun zwecklos, wie er, sein Leben fristete. Er dachte, er wolle den gewonnenen Torf auf dem kleinen Kahne zu einem Schiffgraben führen und von dort aus in einem der fernen Dörfer zum Verkauf bieten.
Ehe der Frost der Spätherbsttage kam, sah Ham Rugen die Mühen des Sommers belohnt. Wenn jemand einen Hunt Torf bei ihm bestellte, lieferte er weniger und schwur, er wolle sich den Tod trinken, wenn es kein ganzer sei. Ham Rugen wusste viel zu genau, dass er im nächsten Jahre, weil er betrog, keine Hand voll verkaufen werde, und dachte die Gunst der Stunde zu nützen.
Er hatte seinen Vorrat früh genug verhandelt. Was noch vorhanden war, stand geborgen unter dem Dache der Hütte, damit es der Frost nicht zerfriere.
Er hatte die Giebelwand, in der sich das Fenster befand, an der Innenseite dicht mit Torfziegeln versetzt. So gedachte er der Winterkälte von dieser Seite her den Eingang zu wehren. Der Lehm an der gezäunten Wetterwand war brüchig geworden, und da und dort begann der Wind sich ein Loch zu wühlen, durch das er heimlich hindurchlangen und den morschen Lehm während des Winters stückweis herausbrechen wollte.
Aber in diesem Jahre geschah es, dass der Himmel weit in den Oktober hinein wie eine blanke Kuppel über dem Moore stand. Die Nebel wälzten sich des Morgens nicht in trägen Ballen schwerfällig über dem braunen Lande, wie sonst in den Tagen des nahen Novembermonats. Sie spannen in schneeweissen Flächen über dem Moor und schlugen sich unter dem blitzenden Lichte der Sonne als blanker Tau ins Ried. Das Wollgras wehte noch, und über dem Riede der Heide lag das Rosa der Blüten fast mit dem gleichen sanften Leuchten wie im August.
Da begann Ham Rugen das Heidekraut über eine Strecke abzuhauen und trug es in seine Hütte. Dann fuhr er in dem flachen Kahne Sand von entfernter Stelle des Landes, mischte den schwarzen Moorboden damit und stürzte ihn. Er dachte, der Winter solle mit seinem Froste hineinfrieren und das Land mürb erhalten. Aber wenn er zwei Spatenstiche tief in das Erdreich drang, füllte sich die Vertiefung mit sanftrinnendem braunen Gewässer.
Da beschloss Ham Rugen, er wolle noch mehrere tiefe Gräben ziehen, in welche die zu reichliche Feuchtigkeit seiner kleinen Felder rinnen könne, und sehen, ob er dadurch ein Land erziele, das für den Anbau der Kartoffel in dieser Gegend des Teufelsmoors geeignet sei.
Und wie hernach das Licht der Herbstsonne doch endlich in den schweren, dumpfigen Nebeln des Novembers erlosch, und wie der Regen in grauen Saiten in das Moor regnete, kam er Ham Rugen noch viel zu früh.
Der stand immer noch gebückt mit der Heidelee in der Hand und sichelte das kniehohe Kraut dicht über dem Boden ab; denn er hatte geplant, im Spätjahr ein Stück Moor zu brennen und in die Asche den Samen des Buchweizens zu streuen. In die mannshohen Haufen der Heide, die er aufgestapelt, legte er den Torfbrand, und der Wind kam und blies die Glut zur Flamme. Prasselnd schlug sie empor, und der Regen zischte darein, und der Wind riss Fetzen grauen Rauchs von den brennenden Haufen und warf sie in die Nebel.
Wie Ham Rugens Feuer ausgelöscht waren, stob der Winter über die Moorflächen und sang um den First der Hütte.
Alles war gestorben in dieser Einsamkeit; und wenn auch der Wind sich müde gelaufen hatte, dann kam nur hin und wieder das Krachen des Eises von den Schiffgräben der Ferne herüber.
Ham Rugen sass in seiner Hütte am rauchigen Torfbrand und dachte, ob er das begonnene Werk wohl weiterführen werde? Manchmal war er allein mit dem einzigen Gedanken, es könne die Stunde kommen, wo die Glut auf den Klinkersteinen verlöschen werde, ohne dass er es wahrnehme, die Stunde, in der die Ziege nach Futter verlange, ohne dass er ihr mahnendes Meckern höre.
Ham Rugen zog das schmutzige Papier aus der Tasche, in dem der schwarze krause Tabak sich befand.
Es fror ihn leis ins Herz. Er stand auf von dem Schemel, auf dem er gesessen und von dem aus er schweigsam in die Glut gestarrt hatte, und schritt über die Diele.
Draussen wirbelte der Wind den feinen Schneestaub vom Heidesoden des Firsts herab und hatte einen silbernen Streifen durch den Spalt der handbreit geöffneten Tür geweht.
Der Alte strich wie liebkosend über das weisse Fell der Ziege und legte sich auf das Stroh seines Bettschranks. Er schloss die Augen. Er lauschte, wie der Wind den körnigen Schnee gegen die Scheiben klirrte, lauschte, wie das Pendel der Uhr im Kasten in dumpfen gemessenen Schlägen schlug.
Ham Rugen dachte: das ist der Schritt der Zeit. So wandert sie immer, ohne Rast, ohne Ruh, und ich habe sie dennoch nie schreiten hören. Warum vernehm’ ich ihr unaufhaltsames Wandern denn nun heute? Sie läuft vernehmbarer, sie läuft gewichtiger, wenn der Mensch an ihrer Hand in die Nähe des Grabes gelangt ist. Das ist’s!
Dann dachte er auch: Es ist der Tod, den ich wandern höre; denn keiner schreitet mit so gemessenem Schritt und in unbeirrtem Gleichmass über dies winterliche Land, auf dem sich dem Fuss allenthalben ein Hindernis entgegenstellt. ...
Die Tür knarrte. Ham Rugen richtete sich erschreckt empor und steckte den Kopf aus dem Bettkasten, zu sehen, wer da komme.
Der Wind hatte gegen die Türe gestossen.
Der Wind — ja der Wind wird dann auch über das Moor fegen, von Haus zu Haus laufen und durch die Ritzen der Türen und Fenster heulen: Ham Rugen ist tot, Ham Rugen ist tot!
Aber die Leute werden ihn nicht verstehen.
Dann muss der tote Mann wochenlang auf dem Stroh liegen, und die Ziege, die angebunden hinter dem Gatter steht, muss verhungern; und wenn endlich von ungefähr ein Mann aus dem Moore des Weges kommt, wird der Mann sehen, dass die Tür zu Ham Rugens Hütte offen steht und der Wind mit ihr spielt. Und weil der Mann den Rauch des Torfbrands nicht unter dem Türbalken hervorspinnen sieht, wird er einen Augenblick still stehen und denken: „Warum hat Ham Rugen das Feuer ausgehen lassen?“ Da wird ihm der Wind einen Geruch von Moder und Verwesung um das Gesicht wehen ...
„So sterben die Hunde auf der Heide,“ sagte Ham Rugen, stand vom Lager auf und band die Ziege los.
Ich will sie nun immer frei umhergehen lassen und die ganze Hütte mit ihr teilen, dachte er, damit sie Futter findet, wenn es doch einmal kommt, dass der Tod die Hütte im Moor betritt.
Und wie die weisse Ziege, des Strickes ledig, dennoch nicht auf die Diele heraustrat, deren Grund nur aus hartgestampftem Lehm bestand und nicht mit Brettern belegt war, vergass Ham Rugen sein Sinnen nicht.
Er schürte mit der Torfzange den Brand ein wenig und überlegte, warum ihm wohl jetzt eine Furcht in das Herz gekommen. Er dachte: die Einsamkeit macht die Menschen, die in ihr leben, tiefer als andere, die im Getriebe des Tages hinhasten. Und der Mensch im Moor, der selten mit andern zusammentrifft, und auch Ham Rugen, der vordem in rastloser Hast seine Tage verlebt, hat sich gewöhnt, an Dinge zu denken, die er vorher gar nicht gesehen und gefühlt hat. In der Einsamkeit wird man sich selbst besser Freund.
Oder es kam ihm noch ein anderer Gedanke: ob er sein Herz an das Werk gehängt habe, das er im vorigen Jahr begonnen, und ob er fürchte, es nicht zu Ende bringen zu können, weil ihm der Tod die Hacke aus der Hand nehmen werde ...
Es war eine sonderliche Zwiesprache, die Ham Rugen mit seiner Seele hielt. Er forschte, er drang in sie.
Aber es war, als ob diese Seele, um die er sich sein Lebtag nicht gekümmert hatte, ihn nicht verstehe, oder ob sie das Sprechen verlernt habe. Sie war verkümmert. Und Rugen dachte, er wolle sich noch mit ihr auseinandersetzen. Zeit genug, in sie hineinzuhorchen, habe er ja wohl.