Читать книгу Das Moordorf - Max Geißler - Страница 5
Zweites Kapitel.
ОглавлениеIn den Mooren war das feine Rinnen der Wässer, das man nie zwischen den braunen Schollen, nie in dem weichen, schwarzen Grunde hört, als in der Zeit, da der Frühling in goldenen Schuhen durch das Heidegestrüpp wandert.
In diesen Tagen des jungen Lichts, das mit sanften Händen das duftige Grün aus den Spitzen der Knospenhüllen auf den Birken herauszupfte, stand Ham Rugen auf dem Lande, das er dazu ausersehen hatte, Samen aufzunehmen und Früchte zu tragen.
Aber als er mit dem Spaten die lockere Erde spaltete, die er im Herbst mit weichem Heidesande gemischt hatte, fand er, dass das Grundwasser im neuen Acker immer noch zu hoch stand.
Da tat Ham Rugen seine Torfstiefel an, die ihm bis über die Knie reichten und reichlich mit Tran getränkt waren, und stand wieder in den Gräben, die er im Vorjahr gezogen, um sie noch mehr zu vertiefen. Er sah, dass sofort mit der Arbeit begonnen werden müsse, damit die Ostwinde, die gegen Ende März über die weiten Flächen des Tieflands wehen, die Trocknung des Erdreichs beschleunigten. Die Gräben konnten das wegen ihrer zu geringen Tiefe nicht in ausreichendem Masse vollbringen.
Als auch diese Arbeit getan und die Wasserrinne, die dem breiteren Schiffgraben entgegenführte, so tief war, dass Ham Rugen bis an die Brust darinstand, musste er den zähen Klipp des schwarzen Grundes schier über sich werfen. Fast bis zu den Knien reichte ihm das braune Wasser, das an den steilrechten Wänden des Torfgrabens herabrieselte.
Und Ham Rugen schuf der Bahn, die er dem rinnenden Gewässer gab, ein sanftes Gefälle, ohne jedoch so tief in den zähen Grund zu gehen, dass dieser dem Spiegel des Schiffgrabens gleichkam. Er dachte, das Wasser werde sonst von dorther seine Gräben füllen.
Endlich verloren sich die Märznebel. Der Himmel stand in mattem Blau über der Welt. Schmale, dünne Wolkenstreifen schlugen sich in glänzendem Weiss durch das blaue Gewölbe, und in den Birken waren die Schleier aus feiner grüner Seide noch von dem rötlichen Braun der Knospenhüllen und Reiser durchsponnen.
Ham Rugen wusste: nun werden die Ostwinde durch lange Tage über das Moor laufen. Die ferne Geest zeigte eine scharfe Linie gegen den Himmel nach Norden, und Kiefern und Eichen der Weiten, die Firste der fernen Dächer und was sonst noch in die klare, kühle Frühlingsluft hineinragte — alles stand hart gegen die Bläue des Himmels. Nur der Wind aus Osten, der über die endlosen Landstrecken gewandert, schafft diese kalte Klarheit der Linien, wie sie das ganze Jahr über im Moore nicht vorhanden ist.
Allenthalben hatte der Frühling leise Spuren künftigen Glücks zurückgelassen. Nur die niederen Buschkiefern, die da und dort auf der Fläche standen und die auch Ham Rugens Hütte umgaben, waren noch ganz freudlos. An den Spitzen ihrer Zweige brannten noch nicht die rötlichen Lichter, die erst zur Maifeier aufgesteckt werden und nicht früher erwachen, bis die Nachtigallen in dem glänzenden Grün der Stechpalmen ihre Sommerwohnungen eingerichtet haben.
Und der Ostwind kam und dörrte das Land.
Ham Rugen legte Glut von seinem Herd in einen Torfhaufen, den der Winter zu Müll zerfroren; er warf den qualmenden Torf durcheinander.
Der Wind lief um den Brand; aus allen Seiten glomm es hervor, und als der ganze Haufen glosende Glut war, warf der Mann den glühenden Torf über jene Strecke des Moorlandes, auf der er im Regen des Spätherbstes die Moormyrte und das Heidekraut bis an die Wurzeln gemäht hatte.
Da brannte das Moor. Nirgend war eine Flamme, aber allenthalben war Glut.
Ham Rugen hatte das Glühen an die Morgenseite der Fläche gelegt, quer über die Grenze des Landstrichs, den er in Asche zu verwandeln gedachte. Eine Spanne tief glomm die Glut. Und der Wind blies scharf hinein; da frass sie sich in den Torf und frass weiter bis zu dem Graben, den der Alte jenseits des Brandes gezogen.
Schwer quoll der Qualm aus dem Grund; aber der Wind fasste ihn an, zerriss ihn und wirbelte die Fetzen in die Luft.
Drei Tage lang brannte das Moor.
Am dritten Tag, als der Ostwind nicht mehr über die Fläche stob, fiel ein sanfter, lauer Frühlingsregen. Da schwand das letzte winterliche Braun aus den Birken, und darüber war ein freundliches, zitterndes Grün.
Nun erglommen auf dem schwarzen Moorgrunde die goldenen Sterne der Sumpfdotterblumen, und das Wollgras schoss aus den Schollen und spann seine weiche silberne Seide über das Schwarz und Grün der Moorflächen.
Immer noch kräuselte der Rauch über dem brennenden Torf, und über dem grauen Felde war das sanfte Zischen der Tropfen. Der rinnende Regen fiel in die heisse Asche, und der Qualm kroch träg in das Gestrüpp und um die niederen Moorkiefern, die noch immer trutzig verzogen, ihre Kerzen zu Ehren des Frühlings aufzustecken.
Ham Rugen schritt durch den bleigrauen Morgen. Er hatte den Esker über der Schulter und die Moorstiefel an. Wie der Frost kaum aus dem Erdreiche gewichen, war er zu dem Moortümpel gegangen, der sich unweit jenes Landstreifens befand, den er im Vorjahre mit Sand gemischt und den er so austrocknen zu können hoffte, dass in der Scholle die Kartoffel zu gedeihen vermöge.
Aber die Rinnen, die er von dem fauligen Wasser in seinen Graben geleitet, hatten nur einen kargen Abfluss geschaffen. Schilfblätter schossen hervor wie blanke Schwerter, und Sumpfflanzen aller Art drängten sich ans Licht.
Ham Rugen durfte nicht lange sinnend auf dem Flecke stehen, denn er fühlte den Grund unter seinen Füssen weichen. Weil er sich aber sagte, dass der Tümpel, der wohl schon Jahrhunderte gestanden hatte, aus jener Zeit übrig geblieben war, da das Moor ringsum sich zu Torf verdichtete, so vermutete er einen unterirdischen Zufluss.
Der Tümpel selbst war vielleicht ein unergründliches, tiefes Sammelbecken für die Moorwässer, die von dieser Stelle aus sein urbar gemachtes Land immer von neuem sauer machten.
Da zog Ham Rugen abermals einen Graben, der den Tümpel entwässern sollte. Und als auch diese Arbeit geschehen, nahm er zu seiner Freude wahr, dass der Spiegel des faulen Gewässers um zwei Fuss gesunken und in dem neuen Graben eine müde, aber deutliche Strömung war.
Die folgenden Tage zog Ham Rugen Furchen in das sandige Feld und legte Kartoffeln.
Dann ging er wie ein Sämann über die Asche, aus der die Zeit vorher der Rauch des Torfbrandes gequollen war, und streute Buchweizen hinein. Immerfort fiel das sanfte Nass des Himmels, oder es war die windlose, weiche Stille über dem Lande, durch die der müde Qualm ferner Moorbrände sich wälzte.
Während Ham Rugen den körnigen Buchweizen an den weichen Grund warf, schritten die Hühner hinter dem Manne drein und pickten den Samen aus der Asche, oder sie scharrten den staubigen Grund und wühlten sich voll Behagen hinein, weil sie fühlten, wie das Bad ihrem Gefieder wohltat.
Da baute Ham Rugen an der Sonnenwand der Hütte aus Zäunung einen Stall, in den er die Hühner mit einer Handvoll der begehrten Körner lockte, und deckte darüber einen Rest armen Drahtgeflechts, das er zwischen dem Gebälk des Daches geborgen und für das er nie eine Verwendung gewusst hatte. Bis die roten Spitzen der keimenden Saat ihre zarte Weichheit gegen das härtere Grün eingetauscht hätten, sollten die Hühner in dem Stalle verbleiben.
Als auch die Bestellung der beiden Streifen Landes vollbracht war, die ersten Blätter der Kartoffeln das sandige Erdreich zerbrachen und die zahllosen Pflänzlein des Buchweizens aus der Asche stiegen, an denen die beiden Keimblätter noch zusammengefaltet und mit einem Tropfen Frühtau behängt waren, in dem sich das Morgenlicht brach, sass Ham Rugen an der Sonnenseite der Hütte.
Er sah übers Feld, sah voller Freude, wie die Wässer in den neuen Torfgräben rannen, und kaute Tabak.
Da kam einer quer durch das Moor gestapft. Er hatte es nicht eilig und tat keinen Sprung, sondern umging die sumpfigen Stellen gemächlich. Und weil bald da ein Tümpel faulen Wassers, bald dort ein Morast vor ihm lag und dann das lockere Moor über seinen Füssen zusammenschlug, näherte sich der Mann in seltsamem Zickzackgang, auf dem er bald diese, bald eine andere Richtung einzuschlagen gezwungen war.
„He, Martin Kaiser“, rief ihm Ham Rugen entgegen und nahm die Hand von der Stirn, mit der er das schützende Dächlein über den Augen gegen die blitzende Maisonne gebildet hatte, „bist ok all upstahn?“
„Hm“, sagte der andere, „un wat makst du dor?“
„Ik wöll en beten Kloogheet sammeln“, rief Ham Rugen und lachte.
„Wer weet, wo dat good för is“, entgegnete Martin Kaiser gelassen. „Un hast ok good slapen äwer Nacht?“ setzte er hinzu und schaute Ham Rugen forschend an.
Das Gerücht, dass Ham Rugen das Moor baue und Kartoffeln lege, hatte den alten Martin Kaiser in sprachloses Staunen versetzt.
„Ja“, sagte Ham Rugen, „ganz good, man güstern Abend, as ik eben to Bett wier, steek mi en Floh in Kopp.“
„Oha“, lachte Martin Kaiser, der merkte, dass Ham Rugen seinen Spott mit ihm treibe, „na, lat mi man ins (einmal) hen.“
Damit schob er Ham Rugen ein wenig auf der Brettbank beiseite und setzte sich neben ihn. So sassen sie eine Weile.
Ham Rugen dachte: „Wat he woll will?“ Und Martin Kaiser sann: „Wenn he mi mal satt eten und drinken laten will, will ik him woll en gooden Rat gäwen.“
Er nahm schweigend das zerknüllte Papier aus der Tasche der Hose, zupfte ein wenig von dem schwarzen Shagtabak ab und schob es in den Mund.
Dann sassen sie wieder eine Weile, blinzten in die Sonne und spuckten abwechselnd in den Sand.
„He wöll nich“, dachte Kaiser und sagte: „Do is dor woll en Bur (Bauer) wesen, Ham Rugen?“ Er deutete bei diesen Worten auf die junge Saat.
„Wird woll“, sagte Ham Rugen.
Dann sassen sie wieder eine Weile, blinzten in die Sonne und spuckten abwechselnd in den Sand.
„Mit dat Smuggeln, dat is nu all vörbi“, begann Kaiser eine Viertelstunde später zu reden.
„Dat’s all vörbi“, antwortete Ham Rugen.
Ein Fischreiher flog mit schwerem Flügelschlag den Wiesen der Hamme entgegen. Es war, als wirble das Gold des Maimorgens unter seinen Schwingen. Die Sonne hatte den Tau fortgetrunken, der an den Spitzen der Gräser gehangen, und faltete mit den blanken Fingern die Keimblätter des Buchweizens auseinander.
„Du bist dein Lebtag kein Freund vom arbeiten gewesen, Ham Rugen: was soll das heissen?“ fragte Kaiser und deutete auf den bestellten Moorgrund und die keimende Saat, als der Reiher im Licht des Morgens verschwunden war.
„Das soll heissen, dass ich den Bauern und Kaufleuten nicht mein mühselig Erspartes hingeben will für Dinge, die einer nur zum Essen braucht, und die imgrunde nichts wert sind. Da hab’ ich gedacht, soviel, wie Ham Rugen nötig hat, wirds wohl bringen.“
„En swor Stück Arbeit, Ham Rugen, en sihr swor Stück Arbeit.“
„Is ook“, entgegnete Ham Rugen, „äwerst nu is doahn.“
„Hm“, sagte Martin Kaiser, „ob du nicht am Ende einen Platz für mich hättest? Du bist ja doch allein in der Hütte.“
„Für dich? Halbpart meinst du?“ sagte Ham Rugen und blickte erstaunt auf den alten Mann neben sich. „Du, das ist ja wohl nicht dein Ernst?“
Als Martin Kaiser nickte und seine Augen fragten: „Nicht mein Ernst? Und warum nicht?“ fuhr Ham Rugen fort:
„Du meinst: ich habe geschmuggelt, und du hast gestohlen, und mit Schmuggeln und Stehlen sind wir beide gekommen bis auf den heutigen Tag — ... So? Meinst du?“ ....
Dann nahm Ham Rugen den Tabak zwischen die Zähne und schob ihn mit der Zunge wieder an seinen Platz. Er wollte den alten Schleicher belehren.
„Das war auch ein ander’ Ding um das Schmuggeln als um das Stehlen“, fuhr er fort und setzte dem Martin Kaiser auseinander, dass es heisst: „Du sollst nicht stehlen“, vom Schmuggeln aber sei nirgends die Rede, und na: Martin Kaiser wier en ollen Sünner, während Ham Rugen bloss getan hätte, was recht und gut wär’; denn erstens mussten die Kontrolörs hinters Licht geführt werden. Dass das verdienstlich gewesen, darüber seien sich die Leute im Teufelsmoor weit und breit einig, und zum andern sei im ganzen Moore keiner, der nicht geschmuggelt habe. Aber stehlen? Stehlen geht nur Martin Kaiser! Und darum wolle Ham Rugen wohl gut Freund mit ihm sein, aber es wär’ ihm schon recht, wenn er nicht zu oft seinen Besuch in der Hütte mache. Übrigens: zu holen gäb’s hier gar nichts, rein gar nichts, weil Ham Rugen sein Geld in die Sparkasse getragen habe.
„Heww ik di all wat stohlen?“ fragte Kaiser.
„Nee.“
„Na, dann swik ok still.“
„Ham Rugen“, sagte Kaiser nach einer Weile, „dor is in Klinkerberg en Mann un en Fru, de wölln en Hütt köpen — for 40 Toler, segg ik.“
„For 40 Toler bar Geld?“ fragte Ham Rugen und sah Kaiser lauernd von der Seite an.
„Ik segg di dat, Ham Rugen. Wenn Ham Rugen aber en Bur sien will, denn is dor ja woll nix tau maken.“
Nun war der lauernde Blick in den Augen Martin Kaisers. Der pendelte mit dem rechten Bein, das er über das linke Knie gelegt hatte, und in den Winkeln seines Mundes war ein unruhig Zucken.
Ham Rugen sagte:
„Zum Freien ist einer zu alt. Manchmal, wenn ich den Winter in der Hütte beim Feuer gesessen, hab’ ich die Zeit schreiten hören. Mit langen Schritten ist sie unaufhaltsam ihren Weg gegangen, oder ich hab’ auch gedacht — na, genug davon. Das sind wohl so Dinge, die einem in der Stille des Winters kommen. Nun bin ich die grosse Einsamkeit und Leere, die hier draussen ist, gewöhnt. Freilich hab’ ich auch gedacht, es wäre doch gut, wenn die Hütte da in der Nähe von Menschen stände. Wie’s nun aber ist, so könnt einer daran denken, auf andere Weise Nachbarn zu bekommen. Du hast recht, Martin Kaiser, ich will die Hütte verkaufen ...“