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Achte szene

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Rechts der Wolf, in leidender Haltung, unbeweglich links das Schaf, in der Mitte der Rabe, der auf das Schaf einredet.

Schaf.

Ne, ne!

Rabe. Du kannst, denn du sollst. Wo viel Wolle ist, ist auch ein Wille. Des Schafes Wolle ist des Wolfes Himmelreich. Gib sie ihm, gib sie ihm – gib ihm deine Wolle als ein Kissen auf seine kranke Lunge. Der Wolf hustet. Erbarmt es dich nicht? Hörst du nicht den Schmerz der Kreatur in diesen heiseren Lauten wimmern?

Schaf. Ne, ne.

Rabe. Wer hätte gedacht, daß unter so weicher Wolle ein so verstocktes Herz wohnt? Weißt du nicht, daß du die Därme einer höheren Bestimmung in dir trägst? Sie sollen als Saiten erklingen, von himmlischer Liebe gerührt. Tönen sollst du, tönen, Schaf!

Schaf. Ne, ne.

Rabe. Nun wende ich mich an deinen natürlichen Verstand –

Schaf. Ich bin ein Schaf, und mein natürlicher Verstand ist schwach. Aber darum ist er doch natürlich und sagt nein.

Rabe. Wenn dein Verstand versagt, so glaube an das Wunder. Deine Wolle wird den Wolf wandeln. Er wird deinesgleichen werden, Schaf!

Schaf. Wird er dann mich und meine Verwandtschaft nicht mehr fressen?

Rabe. Nie! Er kann es gar nicht mehr wollen, weil dein sanft gewollter Wille in ihm wohnt. Glaube an ihn!

Schaf. Ich möchte es gern, aber als Schaf falle ich immer wieder in meine alte Denkart und mag dem Wolf nicht trauen.

Rabe. So willst du eigensüchtig im Besitz deiner Wolle schwelgen? Leise zum Wolf. Huste! Der Wolf tut’s.

Schaf. Der Wolf soll einmal sagen, was er für Gefühle hat gegen unsereins!

Rabe. Auf dein Gewissen, Wolf! Wie bist du gegen das Schaf gesonnen?

Wolf. Es soll näher herankommen, ich kann nicht so laut sprechen.

Rabe. Komm näher, o Lamm!

Wolf leise. Das ist das zarteste Lamm, das ich je gerochen habe.

Rabe. Näher, näher!

Schaf. Ne, ne.

Wolf. So höre denn, mein Lamm! Du bist mir köstlicher denn Schweinernes und Rind.

Rabe. Hörst du es, Lamm? Kannst du noch zweifeln?

Schaf. Er soll vor allen Tieren schwören, daß er nie wieder ein Schaf fressen will.

Rabe. Kraha! Wohlan denn! Herbei o Schleiereule, du ewig jungfräuliche! Und du, meine eheliche Gefährtin, eilt herbei, damit ihr Zeugen seid.

Frau Rabe und die Schleiereule flattern herzu.

Rabe. Ich frage dich: Wirst du, o Wolf, geläutert durch den Schmerz, dich je wieder gelüsten lassen nach dem Fleisch des Lammes?

Wolf. Halt ein und höre! Mein Vater war ein Wolf, meine Mutter war eine Wölfin, und ich habe nie etwas anderes sein wollen als ein Wolf. Ich bin nicht musikalisch und hab’ nie den Ton treffen können in der Kirche, auch hatte ich immer ein schlechtes Gedächtnis für die Liederverse. Die Kinderlehre hat nicht angeschlagen bei mir. Wenn mir auch das Sprechen sauer wird, sag’ ich euch doch ganz offen, sowohl Ihnen, tiefdenkender Herr Pfarrer, als auch dir, mein wohlschmeckendes Schaf: Solang ich noch auf meinen Beinen stehen kann, werde ich Schafe fressen, je jünger, desto lieber.

Rabe.

Welch ein bissiger, vertrackter,

Unerquicklicher Charakter!

Chor der tiere.

Welch ein bissiger, vertrackter,

Unerquicklicher Charakter!

Wolf. Es tut mir leid, daß ich euch so wenig Freude mache. Ihr wißt nicht, wie es im Magen eines Wolfes aussieht. Ich kann keine Kräuter fressen. Unter allem, was wächst und gedeiht, hat das Schaf für mich die Aufschrift: Eßbar. „Mäh“ heißt in meiner Sprache: „Ich schmecke gut“.

Rabe. Kraha!

Chor der tiere.

Welch ein bissiger, vertrackter,

Unerquicklicher Charakter!

Rabe. Das Maß ist voll! So stoße ich dich denn, den räudigen Wolf, für immer aus der Gemeinde der Tiere!

Wolf. Ich bin’s zufrieden.

Schaf. Ich habe zwar einen schwachen Verstand ...

Rabe. Überhebe dich nicht! Bedenke, daß du ein Schaf bist.

Wolf. Bedenke, o Schaf, daß du gut schmeckst. Du bist mein Fleisch, und ich will dich töten.

Kasperle mit einer Weinflasche tritt auf und lacht.

Kasperle. Sieh da, der Wolf! Bist du auch so ein Fleischtöter?

Bist du ein Heiliger? Bist du ein Einsiedler?

Wolf. Ein Heiliger nicht gerade, ein Einsiedler allerdings – wenn auch nicht aus freien Stücken!

Kasperle. Natürlich bist du ein Einsiedler. Das hab’ ich gleich gemerkt, weil du auch dein Fleisch tötest. Da sind wir ja Kollegen. Darauf müssen wir eins trinken.

Kasperle gibt dem Wolf aus der Flasche zu trinken.

Wolf. Ah, das ist gut für die Lunge! Mein Husten ist weg. Und einen Wolfshunger spür’ ich.

Schaf läuft fort. Ne, ne.

Frau rabe. Den Ausgestoßenen läßt er trinken! Welche Bloßstellung für meinen Mann!

Schleiereule. Als Jungfrau bin ich schockiert, als Schleiereule protestiere ich!

Rabe. Ein Ketzer, ein Ketzer!

Kasperle. Lieber Herr Rabe, Sie haben zwar so was von einem Adler im Profil, aber zwei große Weisheiten sind Ihnen verborgen geblieben. Man muß der leidenden Kreatur helfen, ob sie bös oder gut ist, und man darf keine schelten, weil sie so ist, wie sie ist. Was kann der Wolf dafür, daß er ein Wolf ist. Seien Sie froh, daß Sie ein Rabe sind!

Rabe. Als ich jung war und meine Studien machte, hat man uns das noch nicht gelehrt. Es scheint neu dazugekommen. Vielleicht muß ich umlernen.

Frau rabe. Ist es nicht ein bezaubernder Zug an meinem Mann, daß er sogleich umzulernen bereit ist?

Schleiereule. Ich hab’ es immer gesagt: Die Größe ist bescheiden.

Wolf zu Kasperle. Junger Mann, es freut mich, daß du dich so gut in einen Wolf hineindenken kannst. Ich gebe zu, es muß auch Vegetarier geben. Und gerade diejenigen, die Grünes fressen, fresse ich. Sie fressen es für mich, ich selber kann es nicht fressen. Nein, mir kann man das nicht zumuten. Wie mir auf einmal wohl ist! Ganz anders als vorher! Ich habe zwar gute Nerven, das kommt von meiner kräftigen Mannskost. Aber trotzdem: Das viele Predigen und Singen macht mich oft ganz zappelig. Jetzt, wo ich ausgestoßen bin, ist mir um vieles leichter. Und da du auch noch meinen Husten geheilt hast, ist es eine wahre Lust, Wolf zu sein. Wenn ich auch keine schöne Stimme habe, will ich dich doch loben. Sonst habe ich immer singen sollen wie die andern, jetzt sollen sie einmal mit dem Wolf heulen. Ich stimme ein Loblieb auf dich an.

Er singt erst allein, nach und nach fallen die anderen ein.

Chor der tiere.

Du schöner, du kurzweiliger,

Du stillvergnügter Heiliger!

Du weiser Arzt der Tiere!

Ich sing’ und jubiliere:

So unergründlich ist dein Geist,

Daß du die Sprache aller Tiere weißt.

Dem Menschen und dem Tier ein Wohlgefallen.

Du bist der einzige Heilige von allen,

Der nicht nur für die Menschen in der Stadt,

Der auch ein Herz für uns, die Tiere, hat!

Schleiereule.

Auch ich, die Schleiereule,

Lobsinge und lobheule,

Ich Jungfrau bis zum Grabe!

Herr rabe.

Und ich, Ehrwürden Rabe,

Gestehe tief verwirrt,

Daß manchmal auch ein Pfarrer irrt.

Du bist ein Seelenhirt,

Wie keinen ich getroffen habe.

Frau rabe.

Ich schwör’ bei meiner Seel’:

Mein Mann, der Rabe, freilich,

Mein Mann ist ernst und heilig –

Doch du bist heilig und fidel.

Das schaf.

Du läßt die Tiere zu dir kommen,

Zumal die sanftgewollten und die frommen,

Und willst in deinem Tiefsinn nicht verschmähen

Das sanfte Blöken und das linde Mähen –

Das pflanzenfresserische Muh

Verstehst du und ergründest du.

Der wolf.

Du läßt die Tiere zu dir kommen,

Sogar den schlimmen Wolf, der hustet.

Denn du verstehst und du verzeihst,

Wie innig mich nach Hammelfleisch gelustet.

Weswegen dich mein Mund mit Bellen preist.

Der Wein, den du verbirgst in deinem Wammes,

Der schmeckt mir besser als das Blut des Lammes.

Herr rabe.

Tut einem Tier ein Gliedmaß wehe,

Nimmst du es sorgsam in die Kur,

Du fragst nicht, ob ihm recht geschehe –

Es jammert dich die Kreatur.

Frau rabe.

Du sagst: Wenn einer nur ganz wahrhaft ist,

So braucht er sich nicht erst zu läutern:

Der Wolf darf fressen, was ihm nahrhaft ist,

Das Schaf hat seine Lust an Kräutern.

Schleiereule.

Des einen Seele ist vom Morde,

Des anderen von Unschuld voll!

Der Wolf gleicht einem Dur-Akkorde,

Das Lamm ist ein Gesang in Moll.

Der wolf.

Hu hu!

Sogar des Wolfes Herz erwärmest du!

Das schaf.

Meh meh!

Ich sag’, so gut ich es versteh’:

Laudamus te, o domine!

Herr rabe.

Kraha!

Das Ende dieser Welt ist da!

Heil mir, daß ich den Heiland aller Tiere sah!

Chor der tiere.

Du lustiger, kurzweiliger,

Du stillvergnügter Heiliger,

Du machst uns vollkommen, du lachst uns gesund,

Du Heiliger mit dem lachenden Mund!

Kasperle-Spiele für große Leute

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