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1. EU- oder deutsches Kartellrecht?
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Das europäische Kartellverbot in Art. 101 Abs. 1 AEUV findet nur dann Anwendung, wenn die fragliche wettbewerbsbeschränkende Maßnahme geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten der Union zu beeinträchtigen. Diese sog. Zwischenstaatlichkeitsklausel grenzt den Anwendungsbereich der Wettbewerbsregeln der Union von vergleichbaren Regelungen der Kartellrechtsordnungen der Mitgliedstaaten ab. Ist sie erfüllt, verdrängt Art. 101 Abs. 1 AEUV abweichendes nationales Recht.
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Die Zwischenstaatlichkeitsklausel wird von den Unionsorganen bisher weit ausgelegt, um den Wettbewerbsregeln, die die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes sichern, einen möglichst großen Anwendungsbereich zu sichern. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten vor, wenn eine Verhaltensweise unter Berücksichtigung der Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt, dass sie unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder der Möglichkeit nach den Warenverkehr zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise beeinflusst, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteilig sein könnte.[1] Dabei beschreibt der Begriff des Handels nicht nur den Handel mit Waren, sondern den gesamten Wirtschaftsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Eine tatsächliche Beeinträchtigung ist nach dem Wortlaut der Zwischenstaatlichkeitsklausel nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass die Verhaltensweise hierzu geeignet ist. Die Kommission hat ausführliche Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels erlassen, die nach der Art der Wettbewerbsbeschränkung differenzieren und sich im Wesentlichen an der Rechtsprechung orientieren.[2]
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Die Unionsorgane gehen davon aus, dass eine Vereinbarung oder Verhaltensweise ihrem Wesen nach fast immer dazu geeignet ist den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, wenn daran Unternehmen aus mindestens zwei Mitgliedstaaten beteiligt sind.[3] Eine genauere Prüfung ist dagegen erforderlich, wenn nur Unternehmen aus einem Mitgliedstaat beteiligt sind. Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, die auf einen Mitgliedstaat begrenzt sind, können insbesondere dann geeignet sein, den zwischenstaatlichen Handel zu beeinträchtigen, wenn sie zu einer Abschottung des Inlandsmarktes führen und Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten den Zutritt zum nationalen Markt erschweren können.[4] Eine Maßnahme kann sogar dann zur Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels geeignet sein, wenn diese nur ein bestimmtes Gebiet eines Mitgliedstaates (z.B. ein Bundesland) betrifft. Bei Beteiligung von Unternehmen aus Drittstaaten an der Maßnahme kommt es darauf an, ob sich die Tathandlung innerhalb des Binnenmarktes auswirkt. Dies ist z.B. bei Export- und Importverboten, die sich auf Märkte außerhalb des Binnenmarktes erstrecken regelmäßig nicht der Fall.[5]
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Ebenso wie die Wettbewerbsbeschränkung muss auch die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels spürbar sein. Nach der sog. NAAT-Regel[6] geht die Kommission davon aus, dass es dann an der Spürbarkeit fehlt, wenn der kumulierte Marktanteil der Beteiligten auf keinem von der Vereinbarung betroffenen Markt innerhalb der Union die Grenze von 5 % überschreitet, und zusätzlich ein Jahresumsatz von 40 Mio. EUR der beteiligten Unternehmen (im Falle horizontaler Vereinbarungen) bzw. des Lieferanten (im Falle vertikaler Vereinbarungen) innerhalb der EU mit den von der Vereinbarung umfassten Waren nicht überschritten wird.[7]
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In der Praxis ist die Abgrenzung zwischen dem europäischen und dem deutschen Kartellrecht allerdings nur dann von Bedeutung, wenn die Anwendung der jeweiligen Regelungen auch zu abweichenden Ergebnissen führt. Dies ist jedoch nach den weitgehenden Angleichungen des deutschen Kartellrechts an das europäische durch die letzten GWB-Novellen seit 2005 nur noch in wenigen Konstellationen der Fall.