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a) Vorklassische Zeit.
ОглавлениеDer Ackerbau der Hellenen, soweit er sich nicht zu Spezialkulturen entwickelt hatte, war Anbau von Spelz, Gerste, Weizen in Feldgraswirtschaft (daher die geradzahligen Pachtperioden) von verschiedener Intensität. Dreifelderwirtschaft scheint gelegentlich vorzukommen. Fruchtwechsel fehlt. Nur die Einsaat von Hülsenfrüchten in die Brache kommt vor. Die Düngung ist Homer bekannt (Gründüngung gehört erst der Spätzeit an), im übrigen aber ist die Technik des Ackerbaues in ziemlich primitivem Stadium stabilisiert worden und dann nicht fortentwickelt. Ein (lange Zeit ganz hölzerner) Hakenpflug, Ochsen als Spannvieh, Einstreuen der Saat in die Furche, Behacken und Jäten des Getreidefeldes, die Sichel und allenfalls die Dreschtafel als Ernteinstrumente, bedingten eine starke Arbeitsintensität und machten es, da jungfräulicher Boden nicht mehr zur Verfügung stand, dem Getreidebau, selbst bei den hohen Getreidepreisen der späteren Zeit, schwer, das Schwergewicht von der naturalwirtschaftlichen auf die Marktproduktion zu verschieben. Die Viehhaltung beginnt, wie es scheint, erst in der Zeit der bauernfreundlichen (s.u.) Tyrannis durch die Feldbestellung in stärkerem Maße eingeschränkt zu werden. Wir finden im Zeitalter der Epen eine Ernährung, bei der Käse, Milch und – wohlgemerkt: beim Adel – Fleisch stark im Vordergrund stehen; Wolle und Felle als volkstümliches Bekleidungsmaterial; als Hauptbestandteil königlicher und adeliger Reichtümer – neben dem Edelmetall und den daraus und aus Bronze gefertigten Gerätschaften, – den Herdenbesitz: Ziegen, Schafe, Schweine, Rinder [zu Arbeitszwecken, da Milch und Käse wesentlich von Schafen und Ziegen geliefert wird], während das Pferd nur zu militärischen, daneben zu Personentransport- und Sportzwecken in großen Ebenen – Euböa und Thessalien – massenhaft gehalten wird; Hirten als die vornehmsten Diener des Königs. Erheblich ist vielfach, schon in früher Zeit, die Bedeutung der Bewässerung auch hier. Aber: sie erfordert keine Bureaukratie, und überhaupt sind natürlich die ewigen Stänkereien, die z.B. zwischen Tegea und Mantinea wegen gegenseitiger Verstopfung der Kataopthren hin- und hergehen, mit den Katastrophen, welche Störungen am Nil und Euphrat hervorbrachten, in keiner Weise vergleichbar.
Als die Normalform der Hausgemeinschaft besteht in historischer Zeit überall die patriarchale Kleinfamilie mit einer der semitischen wesentlich gleichartigen Behandlung der Frau und Kinder (Frauenkauf, Ausstattung, Verstoßungsrecht des Mannes, ursprünglich freie, später durch die Rechte der Legitimität und den in den »Geschlechtern« – s.u. – lebendig gewordenen Gedanken des Blutbandes eingeschränkte Verfügung des Vaters über die Kinder durch Aussetzung, Tötung und Verwendung zu Erwerbszwecken durch Verkauf und Vermietung; in der Entstehungszeit des Rechts von Gortyn erscheint alles schon wesentlich modernisiert). Adel und Könige – beides ist ursprünglich fast identisch (s.u.) – leben dagegen, wie überall in großen Hausgemeinschaften auf der Grundlage des agnatischen Geschlechtes (γένος) im Interesse erblicher Zusammenhaltung des Besitzes. Die homerischen Epen kennen demgemäß Erbteilung neben Erbengemeinschaft (den ὁμοσίπυοι des Charondas, den ὁμογάλακτες der attischen Rechtssprache: – die Schilderung des Hauses des Priamos ist ja bekannt). Die rechtliche Struktur der großen patrizischen Hausgemeinschaften bildet in den Städten später in geschichtlicher Entwicklung sich ähnlich um, wie z.B. diejenige der großen Hausgemeinschaften in den italienischen Städten des Mittelalters: der ursprünglich volle Familienkommunismus macht mit Eindringen der Geldwirtschaft einer Auffassung des Verhältnisses als Erwerbsassoziation Platz; gesonderte Berechnung der Mitgiften und Adventizgüter aus dem Sondererwerb des Einzelnen, Eigentum der Frauen an den Illa ten – wie im Orient (und im Gegensatz zu Rom) – setzt sich allmählich durch (so z.B. im Recht von Gortyn). Wie im italienisch-sizilianischen Recht des Mittelalters wird hie und da fraglich, ob nicht der Sohn schon bei Lebzeiten des Vaters seinen Anteil fordern könne (das Recht von Gortyn schließt nur den Zwang gegen den Vater zur Abschichtung ausdrücklich aus). Das Vermögen erscheint eben zunehmend als Produkt der Erwerbstätigkeit der Familienglieder, und damit zersetzt sich die Grundlage des alten Hauspatriarchalismus.
Garanten der Sicherheit des Einzelnen durch Blutrachepflicht und deshalb auch Subsidiär-Erben bei Aussterben der Hausgemeinschaft sind im späteren Recht die »ἀγχίστεις«, ein verschieden umgrenzter Kreis näherer Verwandten (meist bis zu den Geschwisterkindern), der sich wohl schon bei Homer findet. Dies dürfte alten Zuständen entstammen und entspricht durchaus den Analogien aus der Praxis des Blutrechts anderer Völker (die ihrerseits mit deren »Theorie« durchaus nicht immer stimmt). Der Mangel einer zahlreichen und ökonomisch kräftigen »Sippe« dieser Art bedingt die Notwendigkeit für alle Grundbesitzlosen, sich in die Klientel eines Adligen zu begeben. Anteil am Boden und an der Gemeinfreiheit sind zunächst identisch; erst Knappheit des Bodens und Be sitzdifferenzierung schafft die adlige Klientel. – Daß die »Phratrien« – später lokale Unterabteilungen der Phylen mit administrativen und Kultfunktionen –, ursprünglich ebenfalls rechtsgarantierende (Blutrache-) Funktion besaßen, scheint (nach den Residuen in historischer Zeit) sicher. Ob sie aber wirklich die »älteste« – d.h. eine in der rein bäuerlichen Periode des Hellenentums allgemein herrschende – soziale Gemeinschaft darstellen, muß, so scheinbare Gründe auch dafür vorgebracht werden, doch nach wie vor unsicher erscheinen. Die Analogien von in historischer Zeit nicht städtisch organisierten Gebieten dürfen nur vorsichtig verwendet werden. (Man erinnere sich, welche radikalen Gegensätze schon innerhalb des für uns »ältesten« Germanentums zwischen den Völkern auf dem Kriegspfade – Ariovists Sueven z.B. – und anderen bestanden.) Immerhin sind die »Phratrien« zweifellos sehr alt. Nur darf man nicht etwa annehmen, ihre in historischer Zeit erwähnten gelegentlichen gemeinsamen Gelage seien »Reste« ursprünglich voller Wirtschaftsgemeinschaft einer Nomadenhorde. Im Gegenteil könnten gerade sie (wie bei den germanischen »Schutzgilden«) eher ein Symptom für die künstliche Bildung des Verbandes sein; die Gemeinsamkeit der Nahrung (»Hausgemeinschaft«, im ökonomischen Sinn), nicht das »Blut«, ist die älteste Quelle gegenseitiger Pflichten (deutlich z.B. auch bei den Arabern erkennbar); sie mußte daher gerade von (ursprünglich) gewillkürten Verbänden wenigstens symbolisch geübt werden. Sie gehören einer Entwicklungsstufe an, wo sich die Grundbesitzer als Kriegergemeinschaft organisiert haben, ihr Boden als »mit dem Speer erworben« gilt; dem entspricht auch ihre spätere Funktion: über die »Wehrhaftmachung« (germanisch geredet) der Kinder und damit ihre Erbfähigkeit zu wachen. Ueber die Wandlungen, welche ihre Gliederung durchgemacht hat, insbesondere bezüglich ihres Verhältnisses zu den adligen Sippen und, was weit wichtiger wäre, zur alten »κώμη«, lehren weder das attische Gesetz, welches ihnen Aufnahme der adligen und der nichtadligen Verbände auferlegte, noch die Demotionidenakten (4. Jahrh.) noch endlich die von Kastriotis edierte und von Körte interpretierte Phratrienliste (4. Jahrh.) etwas Genügendes, da damals die Phratrien längst künstlich von oben her reglementierte Verbände waren. (Entscheidend wäre Feststellung der älteren Beziehungen zu κώμη und δῆμος). Auch die Phratrien dürften Differenzierungsprodukt sein aus einer Zeit starker politischer Verschiebungen, wo der zur Verfügung stehende Boden steten militärischen Schutzes bedurfte, so daß physische und ökonomische Wehrhaftigkeit von allein ausschlaggebender Bedeutung wurden: vielleicht entstammen sie speziell der Praxis gemeinfreier Bauern auf erobertem oder bedrohtem Landgebiet, der Zeit der sog. »dorischen Wanderung«.
Allen Poleis gemeinsam ist die Phyleneinteilung – später eine rein administrativ-militärische Gliederung des Staates, wobei die Phylen oft als Phratrienverbände erscheinen. Sie gehört einer noch jüngeren, eben der Polisstufe an, und ist normalerweise Begleiterscheinung des »Synoikismos«. Sie dient ursprünglich wesentlich dem administrativ-militärischen Zweck: eine Schichtenablösung und Umlegung der Lasten des, nunmehr als »Staat« zusammengeschlossenen, Kriegerstandes zu ermöglichen, ist also durchaus sekundär. Szanto's Formulierung, daß die drei dorischen Phylen auf dem örtlichen Zusammenhang der Grundstücke beruhten, könnte einen agrarpolitischen (Bodenteilungs-)Zweck verstehen lassen, der sich nicht nachweisen läßt. Es kommt natürlich vor, daß ein Heer von Eroberern, welches sich beim Auszug nach Phylen gegliedert hatte, nun auch erobertes Land nach Phylen verteilt und diesen die Weiterrepartition überläßt (so wohl: Rhodos); ebenso kommt vor, daß bei einem Synoikismos mehrerer annähernd gleich großer Gaue zu einer »Polis« die nunmehr gebildeten Phylen einfach jener Ortsherkunft entsprechend abgeteilt werden. Aber keines von beiden muß der Fall sein. Die dorischen Polisbildungen sind so spezifische Militärstaaten, daß sie überall die gleichen drei Phylen durchgeführt haben. Anderwärts herrscht bunte Mannigfaltigkeit. Immer aber bedeutet Phyleneinteilung im technischen Sinne des Wortes: daß eine Völkerschaft sich als eine im chronischen Kriegszustand (s.u.) befindliche Polis konstituiert hat. (Der Name φυλή mag vielfach älter sein, aber der technische Name für die »Stämme« nicht städtisch gegliederter Gemeinschaften war, wie die Terminologie der Amphiktyonen in Delphoi zeigt): »ἔθνος«.
Von dem politischen und Sozialleben der »freien« Gemeinde in der Frühzeit wissen wir Näheres nicht. Nach den Analogien anderer Völker darf angenommen werden, daß die Stellung des »Herrschers« (ἄναξ) in einer durch Viehbesitz ausgezeichneten Familie, welche durch Erfolge im Kampf und durch gerechte Urteile in Streitfällen sich als den Göttern nahestehend legitimiert hat, erblich wird. Größerer Beuteanteil, Gelegenheitsgeschenke, Geschenke der Parteien bei Schiedssprüchen bilden die Einkünfte des Fürsten. Da die Tradition alleinige Quelle der »Rechts«-Erkenntnis ist, ist für ihn der Beistand eines Rats von »Aeltesten« unentbehrlich, der naturgemäß ebenfalls bald von besitzenden und im Kampf hervorgetretenen Geschlechtern gestellt wird. Seine eigene Autorität wechselt je nach Bedarf, und dieser richtet sich vor allem nach dem Maß äußerer kriegerischer Bedrohung. – Diese den Göttern nahestehenden, daher vor allem für die Kulthandlungen unentbehrlichen, lokalen Fürsten- und Ratsgeschlechter sind auch hier der Kern der Adelsbildung. In ihren Kreisen entsteht, hier wie überall, die Idee von der Bedeutung des Blutbandes als solchen, von einer durch das Blut der Ahnen übertragenen Qualifikation: – das durch dieses Blut verbundene Geschlecht (γένος) ist die erweiterte Sippe des adeligen Mannes, die ökonomisch sich, wie schon erwähnt, in dem Zusammenhalt des Besitzes im οἶκος (ein Ausdruck, der oft mit γἶνος synonym gebraucht wird) äußert: – beides Institutionen, die ihn vom gemeinen Mann scheiden. (Die Meinung, daß von Anfang an alle Volksgenossen den Geschlechtern – als Aktiv- und Passivmitglieder – zugezählt worden seien, ist heute wohl überwiegend als Uebertragung späterer, zu Verwaltungszwecken künstlich geschaffener, Zustände anerkannt.) Ob die Geschlechter schon ursprünglich bestimmte Beziehungen zu den Phratrien hatten, wenn ja, ob sie dann innerhalb derselben mit oder ohne Kampf mit anderen, nicht ritterlichen, Phratriengenossen bestimmte Vorrechte, und welche, errungen haben, darüber scheint eine generelle Ansicht heute noch nicht erreicht, vielleicht nicht erreichbar, – und jedenfalls darf darüber nur der archäologisch geschulte Fachmann sich ein Urteil erlauben.
Die Siedelung ist ursprünglich eine dorfweise; die Orte sind unbefestigt; Mauerringe auf den Höhen bieten eventuell Schutz für Menschen und Vieh. Die Auffassung des Bodenbesitzes als Unterlage und Zubehör des, auf Zugehörigkeit zur Kriegergemeinschaft beruhenden, Genossenrechts äußert sich in der späteren Zeit, außer in der Mitwirkung der Phratrie bei der Anerkennung als suus heres (s.o.), noch in der Gestaltung der Eigentumsklage des klassischen Rechts. So wenig wie der frührömische Eigentumsprozeß kennt das klassische griechische Recht die einseitige petitorische Klage auf Grundeigentum und Erbschaften. Ueber diese ebenso wie über die publizistischen Rechte und Pflichten des Einzelnen – soweit diese möglicher Gegenstand eines Prozesses waren (Leiturgien, Namenrechte, Zugehörigkeit zur Phratrie) – wurde vielmehr im Wege des auf Kontravindikation beruhenden Diadikasien-Prozesses präjudiziell nach relativ besserem Recht entschieden (und aus ganz dem gleichen Grunde bei allen). Die einseitige Exmissionsklage (δίκη ἐξούλης, dem römischen Interdikt juristisch ungleichartig, aber in der Funktion nahe verwandt) steht nur bestimmten zur Eigenmacht befugten Berechtigten zu, deren Recht durch Urteil, staatliche Assignation, anerkannte Suität (s.o.) und Pfandbesitzerqualität (vgl. das römische precarium) evident und liquide gestellt war, und ist ebenfalls keine absolute, sondern eine Klage aus relativ besserem Rechte. (Meines Erachtens sehr zutreffend findet G. Leist den Grund des Fehlens der absoluten Eigentumsklage im griechischen Recht in dem Fehlen der römischen Usucapion.)
So wenig wie die alte römische darf man sich die ursprüngliche griechische Flurverfassung der germanischen Hufenverfassung ähnlich denken. Ob bei der Feldbestellung je flurgemeinschaftliche Elemente mitspielten, ist uns durchaus unbekannt. Die Appropriation des Bodens kann allerdings ursprünglich keine unbedingt definitive gewesen sein. Denn daß die politische Gemeinde der homerischen Zeiten über die jeweilige Ackerzuweisung an die Einzelnen ziemlich autokratisch verfügte, lehren manche Nachrichten, – so allein schon die mehrfach erwähnte Ausscheidung von »Königsland« (τέμενος) aus der Feldflur bei Erhebung eines Geschlechts zur Königswürde. Die attischen Dorfgemeinden (δῆμοι) haben noch im 4. Jahrhundert sehr bedeutende, damals durch Pachtung genutzte Ländereien inne, die sie sicherlich von jeher besessen haben. Im 4. Jahrhundert wurden sie – ursprünglich jedenfalls Allmendweiden – vielfach als Felder und Gärten angebaut. Dagegen die für Feldgemeinschaften mit Flurzwang nach Art der deutschen Dörfer angeführten angeblichen Zeugnisse (Ridge way) sind in keiner Weise beweiskräftig. Die Wahrscheinlichkeit ist, nach orientalischen Analogien, nach der Art des Pflügens bei den Südeuropäern überhaupt, und bei dem – soviel bekannt – fast völligen Fehlen der Servituten entschieden dagegen. Der Ausdruck κλῆρος mag auf »Verlosung« der Feldanteile bei Neusiedelungen zurückgehen, – eine periodische Neuumteilung erweist er keinesfalls. Bei Homer tritt er in der Doppelbedeutung: 1. Land, welches der Fürst seinen Hausgenossen zuweist (Eumaios) und 2. Landanteil des Kriegers als solchen, auf. – Die Bedeutung der ewigen Weide tritt bei Homer hervor. Da eigener Flachsanbau erst für Thukydides' Zeit, Hanf erst zu Plinius' Zeit in Kleinasien sicher bezeugt ist, war die Schafhaltung für den Bekleidungsbedarf unentbehrlich – daher die Berichte von Verboten des Schlachtens von Schafen vor der ersten Schur und vor dem ersten Wurf –, und es müssen schon deshalb große Weideflächen auch für die historische Zeit vorausgesetzt werden, wie denn die inschriftlich bezeugten Gemeindeweiden von sehr beträchtlichem Umfang sind. Ebenso ist die Bewaldung trotz der Entwicklung des Berg- und Schiffbaues noch zu Theophrasts Zeit (Ende des 4. Jahrh.) sehr erheblich gewesen. –
Die erste große Bewegung der sozialen Verhältnisse in Hellas in der Richtung der Polisbildung wurde, allem Anschein nach, durch das Eindringen orientalischer Kulturelemente von der See her und die Verflechtung der Küstenlandschaften in den überseeischen Verkehr herbeigeführt. Da, wie überall, so auch in den hellenischen Staaten, die Rechtsstellung des Einzelnen sich nach seiner Teilnahme am Heere richtete, mußte eine scharfe Differenzierung innerhalb der Bevölkerung entstehen, veranlaßt: 1. durch das Eindringen der das ganze antike Verkehrsgebiet von den Indern bis zu den Galliern erobernden Wagenkampf-Technik mit mehr oder minder starker Panzerung, welche den besitzenden und athletisch geschulten Krieger fordert, – 2. durch die Monopolisierung des Tauschverkehrs seitens der nunmehr zur Herrschaft gelangenden Burgkönige der Küste. Die Burgbauten von Mykene und Tiryns u.a. sind die Sitze wagenkämpfender »Könige« mit ihren an Zahlen oft bedeutenden, nach den Raumverhältnissen aber zuweilen auch nur nach einigen Dutzenden zählenden, »Gefährten«, die an ihrer Tafel speisen, eventuell von ihnen mit Land, Sklaven, Vieh ausgestattet wurden, – wie wir dies ganz gleichmäßig bei dem militärischen Hofadel der Assyrer und Perser, den ἑταιροι der Makedonenkönige, den soldurii der Gallier und den »Degen« und Antrustionen der Germanenkönige wiederfinden. Die Burg ist umgeben von Ansiedelungen von Handwerkern und Krämern. Obwohl die homerischen Epen die bäuerliche Landbevölkerung nur als eine Schicht von θῆτες und οἰκῆες kennen, darf doch keineswegs für ganz Hellas eine allgemeine grundherrliche Knechtung vorausgesetzt werden. Vielmehr ist die Bauernschaft zunächst lediglich durch die militärische Uebermacht der Burgenbesitzer und ihrer Gefolgschaften um den politischen Einfluß gebracht und von der Teilnahme an der höfischen Kultur ausgeschlossen. Das »Volk« muß allerdings – wie die Odyssee (Phäaken) zeigt – »Umlagen« der Herrn erdulden und ist auch dann, wenn es mit zum Kriege aufgeboten wird und formell das Akklamationsrecht zu den Beschlüssen der Herren besitzt, bei jeder eigenen Meinungsäußerung (Thersites) höhnischer Willkür ausgesetzt. Es ist militärisch kaum mehr als ein Troß, und infolge dieser seiner Ohnmacht oft faktisch, zuweilen vielleicht rechtlich, an der eigenen Vertretung seiner Rechte gehindert und dann zur Eingehung von Klientelverhältnissen gezwungen. Normalerweise auf die Besitz- und deshalb Wehrlosen beschränkt, konnten sie auch für einen verarmten Gemeinfreien, wenn nicht rechtlich notwendig, doch immer rätlich werden. Aber oft muß der Druck noch wesentlich schwerer gewesen sein. Die immerhin erstaunliche Mächtigkeit der Burgenbauten jedenfalls kann nur durch gewaltige Anspannung der Fronarbeit einer von den Burgen aus militärisch völlig beherrschten ländlichen Bevölkerung erklärt wer den. – Oekonomisch ruhte diese Uebermacht ursprünglich sicherlich auch hier auf der Teilnahme der Herrscher als solcher am überseeischen Verkehr: Die Bildung burgensässiger Fronherrscher schritt offenbar von der Küste aus ins Binnenland hinein fort. Der Verkehr war zunächst wohl ein monopolisierter Passivhandel mit den die Küste besuchenden Orientalen, wurde allmählich aber zum Eigenhandel und führte im Verfolg desselben zu überseeischen Kriegsfahrten und schließlich dauernden Okkupationen nach Art der Normannen, und zu kolonialer Expansion. Der Export »mykenischer« Schmiede- und Töpferarbeiten z.B. lag wohl zweifellos, wie anfänglich auch im Orient, in der Hand des Königs selbst, dessen um die Burg herum angesiedelte Fröner die Waren für ihn herstellten, – wie denn später eine oft zitierte kyrenäische Vase den dortigen König beim Abwägen von Silphion wohl nicht in der Funktion als Kontrolleur des Handels, sondern als Eigenhändler zeigt4). Dieser Tauschverkehr füllt die Schatzkammern und Gräber der dünnen Herrscherschicht mit Gold, bringt ihnen das linnene orientalische Gewand, den Chiton, und differenziert ihre Genossen in ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenshaltung gegenüber der waffenungeübten Masse des platten Landes. Die »staatlichen« Verhältnisse sind dementsprechend. Es finden sich – im »mykenischen Reich« – ziemlich umfassende Staatenbildungen, allerdings wohl stets nur in der Form einer Anhäufung feudaler Burgenherrschaften in der Hand eines Oberkönigs: Agamemnon bietet Achilleus die Belehnung mit der Herrschaft über eine Anzahl von »Städten« an unter Hinweis auf den günstigen Viehstand ihrer Umwohner (als der wichtigsten Tributquelle). In Klientel genommene Besitzlose und Landfremde bilden den »feudalen«, schuldversklavte Gemeinfreie den »kapitalistischen« Bestandteil der vom Burgadel persönlich abhängigen Menschenkategorien, wozu als Kriegsbeute und, zunehmend, durch Kauf erworbene Sklaven treten. Die Klienten werden in älterer Zeit und dauernd bei dem burgsässigen Landadel, die Schuld- und Kaufsklaven in späterer Zeit und an den Küstenplätzen überwogen haben5.
Die Kolonisation dieser Frühzeit hat gleichfalls einen durch die Verbindung des Feudalismus mit dem Handel gegebenen Charakter: sie ist »Ackerbaukolonisation« nur insofern, als eben eine beherrschte Bauernschaft als Unterlage der zu gründenden πόλις offenbar notwendig ist, – die »Geschlechter« aber, welche diese in der Hand haben, wollen ebenso wie die Fürsten des Mutterlandes auch am Verkehr gewinnen. Dagegen ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß die Kolonisation der kleinasiatischen Küste als ganz »allmähliche« Faktoreikolonisation (wie die phönikische) sich vollzogen habe, wie E. Meyer s.Z. annahm. Von Grundzinsleistung (wie bei Karthago) an die Eingeborenen ist nichts bekannt, umgekehrt herrscht der erobernde Adel zum Teil offenbar sogar von Einzelburgen aus, wie im Mutterlande. Am ehesten könnte man noch mancher der (späteren) korinthischen Kolonien, speziell Epidamnos (gegr. 627), wo die Oligarchie den Handel mit dem Binnenland durch einen πωλήτης auf gemeinsame Rechnung betrieb, diesen »Faktorei«-Charakter beimessen, der schwerlich generell zutrifft.
Allerdings aber hängt die Kolonisation zweifellos zusammen mit dem Uebergange von Passivhandel zum Aktivhandel, zum eigenen Schiffsbesitz, zur Aufsuchung der fremden Märkte durch hellenische Seefahrer, und gehört damit in den großen Umgestaltungsprozeß, der die Eigenart der hellenischen Kultur begründete. Die entscheidende Wendung der hellenischen Sozialgeschichte ist die Entwicklung des kriegerischen Städtepartikularismus und damit des charakteristischen Typus der »Polis«, im Gegensatz zu dem Verlauf im Orient, wo das Königtum auf der Basis der Stadtherrschaft die bureaukratische Territorial- und schließlich »Welt«-Monarchie entwickelte. Entscheidend für die abweichende orientalische Entwicklung waren (s. oben) zweifellos namentlich die Bewässerungsbedürfnisse, der enge Zusammenhang der ganzen städtischen Existenz mit den Kanalbauten, den Flußregulierungen und der kontinuierlichen Wasserkontrolle, welche die Existenz einer einheitlich geleiteten Bureaukratie forderten. Außerdem aber die aus der Unverrückbarkeit der einmal geschaffenen Existenzbedingungen und der strengen Bindung des Einzelnen an die Gemeinwirtschaft sich ergebende Herrschaft der religiösen Tradition über das Leben und die politische Macht der Priesterherrschaft. Endlich die stets wiederkehrende Knechtung der Flußkulturländer durch bald arabische, bald iranische Fremdherrscher, welche zur dauernden Entwaffnung und Entnationalisierung führten. So wuchs hier aus den Tisch- und Waffengenossen des Stadtkönigs die rein königliche, bureaukratisch equipierte, verproviantierte und deshalb auch geleitete Armee, aus der immer universeller werdenden Königsklientel die königliche Bureaukratie heraus, und weiter aus dem Kampfe dieser bureaukratischen Schöpfungen die erste »Weltmacht«: die Assyrerherrschaft. Umgekehrt schrumpfen in Hellas die Gefolgschaften der Burgkönige: – erst in den Tischgenossen der erobernden Makedonenherrscher leben sie als politischer Faktor wieder auf. Damit sinkt die ganze Position der Herrscher, und es beginnt eine Entwicklung, welche in ihrem Endergebnis, im Beginn der »klassischen« Zeit, die Wehrpflicht und mit ihr die politische Macht in die Hände der selbständigen, sich selbst equipierenden Ackerbürger gleiten und damit zugleich jene rein weltliche Kultur erstehen läßt, die das Hellenentum charakterisiert und die auch der kapitalistischen Entwicklung ihr vom Orient verschiedenes Gepräge verleiht. Die Anfänge dieser Wandlungen und meist auch ihr Verlauf sind in Dunkel gehüllt, auch sind ihr Hergang und Resultat in den einzelnen Partikularstaaten äußerst verschiedene. Wenn man die homerischen Könige des rossefrohen Lakedaimon mit ihren Schatzkammern, die für diebische Gastfreunde ebenso verführerisch sind wie ihre Weiber, mit dem spartiatischen Hoplitenstaat und seinem völligen Fehlen jeder Reiterei vergleicht, dem der Besitz von Edelmetall als das spezifisch Verwerfliche gilt: das Fehlen der befestigten Stadtburg, den jährlichen Schwur der vom Heer gewählten Ephoren, das Königtum nicht anzutasten, wenn die Könige ihrerseits schwören, nicht in die überkommenen Institutionen des Heeres einzugreifen –, dann kann man nicht daran zweifeln, 1. daß es sich hier um einen Zustand handelt, der irgendwann durch Kompromiß der Könige mit dem Heer absichtsvoll geschaffen wurde, und 2. daß diese Umwandlung zusammenhing teils mit dem Aufstieg des disziplinierten (statt des Einzel-) Kampfes mit (eisernen!) Nahewaffen (statt bronzener Wurfspeere und Pfeile), zum ändern Teil mit dem Sinken der politischen Bedeutung des königlichen »Hortes«. Im Orient bleibt bei allen Herrschern, auch in der Perserzeit, die Fürsorge für den »Hort« und sein Schicksal ganz ebenso im Vordergrund wie etwa bei den Nibelungenkönigen. An dem thesaurierten Edelmetall, welches der Belohnung der Dienste der Gefolgschaft und der Anwerbung von Söldnern im Notfall dient, ist immer ein erheblicher Teil ihrer Machtstellung verankert. Die »Horte« der hellenischen Burgenkönige nun waren Produkte der Beziehungen zu den orientalischen Großstaaten. Es wird wohl mit Recht angenommen, daß der Zerfall dieser Großstaaten gegen das Ende des zweiten Jahrtausend die Ursache des Sinkens auch der mykenischen Kultur gewesen sei, obwohl freilich vielleicht die abweichenden geographischen Bedingungen ohnehin den Sieg des Partikularismus in Hellas auf die Dauer stark genug begünstigt hätten. Jedenfalls ist das absolute Sinken der ökonomischen Machtstellung des Königtums in dem Schwinden des orientalischen Prunkes deutlich sichtbar. Damit allein schon war die Möglichkeit einer Entwicklung der Klientel des Königs zu einer königlichen »Bureaukratie« unterbunden und die Ansätze der Großstaatentwicklung gebrochen. Noch erheblicher mußte aber relativ dies Sinken der alten Königsgeschlechter ins Gewicht fallen, da sich zweifellos inzwischen soziale Schichten entwickelt hatten, welche in ihrer ökonomischen Lage dem Königtum Konkurrenz machten. Das Reisläufertum, welches namentlich für das pharaonische Heer sich aus dem ganzen Mittelmeer bis Sardinien rekrutierte, hat vielleicht zuerst in Hellas eine bemittelte und kriegerisch trainierte Schicht geschaffen, die sozial unabhängig vom Königtum war und bei den Wikingerzügen und kolonialen Okkupationen keine geringe Rolle gespielt haben dürfte. Aber auch die Kampfgenossen des Königs mußten sich, ganz ebenso wie im Merovingerreich, um so schneller zu einer mit Land ausgestatteten, vom König faktisch emanzipierten, weil sich selbst ausrüstenden Kriegerschaft entwickeln, je geringer die Bedeutung des königlichen »Hortes« wurde. Als die Beutelust der Helden der hellenischen Burgkönige den Schiffsverkehr zu überseeischen Aventiuren zu benutzen begann, wuchsen sie, von deren Gutwilligkeit der König ja abhängig war: – der »Zorn« eines einzelnen in der Beute benachteiligten Helden konnte die ganze Expedition aufs Trockene setzen –, ihm über den Kopf. Der auf Aventiure gehende Burgenkönig wird reiner Heerkönig, weil nicht er allein – wie im Orient – die ökonomischen Unterlagen des Heeres, seiner Equipierung und Verpflegung, und damit seines Kommandos, in der Hand hält. Das stets wechselnde Machtverhältnis zwischen einem Heerkönig und seinem Heer aber – die zwischen Autorität, Willkür, Abhängigkeit und Kompromiß schwankende Stellung Agamemnons, Alexanders und der ersten Diadochen, Chlodwigs und der ersten Merovinger zu ihren Heeren sind in diesem Punkte Abwandlungen gleichartiger Typen – verschiebt sich in der hellenischen Welt zuungunsten der Könige, sobald sich nicht mehr alles ökonomisch um den »Hort« und Tisch des Königs gruppiert, und das hieß: sobald Aktivhandel und kriegerische Seefahrten an die Stelle des Passivhandels mit dem Orient traten. Die persönliche Gefolgschaft des Königs, die im mykenischen Staat nicht gefehlt haben kann, tritt schon bei Homer – wo sie, jedenfalls anscheinend, durchweg aus Volksgenossen besteht – stark zurück und ist von einer »Gelegenheitsgefolgschaft« nach Art der von Tacitus erwähnten Aventiurenzüge der Germanenfürsten nicht zu scheiden. Neben dem König stehen jetzt außer seinen auf eigenen Burgen sitzenden Lehensmannen andere, ebenso wie er mit eigenen Schlössern und Grundbesitzungen neben ihm in derselben »Stadt« ansässige, »Geschlechter«, die auf eigene Kosten mit ihm in den Krieg ziehen, deshalb aber auch mit ihm beraten, die Beute teilen, als mitbeteiligt an der politischen Beherrschung des »Volkes« gelten. Die Bedeutung des alten Ratsadels steigert sich, während er im Orient schwindet und Beamten und Priestern Platz macht. Der »Stadt«begriff ist bei Homer, der verschiedenen Entstehungszeit der Gesänge entsprechend, flüssig, steht zwischen der alten Burg und der späteren synoikisierten »Polis« in der Mitte. Daß ihnen die »Adeligen« im allgemeinen als landsässig gegolten hätten, den Stadtbewohnern entgegengesetzt würden, folgt aus den von E. Meyer dafür angeführten Stellen (die z.T. von »Land« im Sinn von »Heimat«, nicht von »plattem Land« sprechen) m.E. nicht. Der Zustand ist vielmehr der: manche von den Gauhäuptlingen der Bauernzeit und andere reich gewordene Familien sind grund- und klientelbesitzender Adel geworden. Mit einem primus inter pares (dem dazu zusammengeschrumpften mykenischen Fronherrscher) als »König«, aber im übrigen koordiniert nebeneinander, sind sie in der »Stadt« ansässig, welche der ausschließliche Sitz der »Politik« ist. Sie pflegen nur zu Wirtschaftszwecken das Land, ihre Hirten, landbeliehenen Sklaven und Klienten zu besuchen. Wer, wie König Laërtes, dauernd sich auf das Land (als Altenteil) zurückzieht, verzichtet eben damit auf jeden Anspruch auf Herrscherwürde. Alle diese adligen »Geschlechter« haben aus Beuteanteilen und (zweifellos) Beteiligung am Handelsgewinnst Schätze aufgespeichert, sie haben mit Hilfe dieses Besitzes Boden akkumuliert – darüber später – und können eigene Klienten als Troß oder Fußkämpfer aufbieten. Der König ist jetzt nicht mehr als sie. Wenn schon in den vorwiegend am Seehandel beteiligten Küstenorten die königliche Macht im Sinken war, dann erst recht in denjenigen, welche mehr den Charakter von Binnenorten behalten hatten und wo die Entwicklung königlicher »Horte« und Gefolgschaften demgemäß sicherlich von Anfang an geringer war. Die sog. »dorische Wanderung«, ein Vordringen binnenländischer Stämme, trug sicherlich dazu bei, diesen Prozeß zu beschleunigen. Denn was sie im übrigen auch, der Sache nach, gewesen sein möge, jedenfalls schuf sie politische Gemeinschaften – namentlich: Sparta –, in welchen der Kriegerstand außerhalb des »Dienstes« nur noch einen Ehrenvorzug der, im Kriege zur Führung berufenen, Königsgeschlechter duldete, – und zwar nicht nur in der eigenen Polis, sondern nach Kräften auch bei den Nachbarn, wo, im Interesse der Sicherheit der eigenen Verfassung, überall zugunsten des kriegerischen Herrenstandes gegen die Versuche der Etablierung von »Monarchien« orientalischen Charakters interveniert wurde.
Der so entstehende »Staat des griechischen Mittelalters«, wie ihn E. Meyer nennt, hat sozial ein höchst verschiedenartiges Gepräge, auch wenn man Sparta als sui generis beiseite läßt. Gemeinhellenisch ist die Erscheinung jener ritterlichen Gesellschaft, welche den kriegerischen Sport und die nationalen Turniere organisiert, den Boden für den Helden- und später den Minnesang bildet, welche nach mittelalterlicher Art den »Comment« der ritterlichen Fehden zu regeln unternimmt (angebliche Versuche, ein Verbot von Fernwaffen zu vereinbaren: charakteristisch genug für die zugrunde liegende kriegstechnische Entwicklung!) und nach Art des mittelalterlichen: »Messieurs les Anglais, tirez les premiers« Courtoisie in der Schlacht übt. Nach Art der »Guelfen« und »Ghibellinen« (z.B. im »lelantischen Kriege«) spaltet sie sich international in zwei Lager, liegt aber auch innerhalb der einzelnen Gemeinde in steten Geschlechterfehden, – bis auch hier schließlich, wie im Mittelalter, einzelne Geschlechter auf den Gedanken verfallen, sich – als »Aisymneten« oder »Tyrannen« (beides ist nicht scharf zu scheiden) – durch einen Bund mit dem »Volk« zur Signoria aufzuschwingen. Die Möglichkeit eines solchen Bundes mit dem »Volk« setzte nun aber, hier wie in Italien, naturgemäß ein bündnisfähiges »Volk« voraus. In Hellas entstand dies durch eine Entwicklung, welche an folgenden Hauptmomenten orientiert scheint: 1. eiserne Nahwaffen statt der bronzenen Wurfspeere und Pfeile der mykenischen Zeit, – damit 2. steigende Bedeutung der Disziplin (schon Homer bekannt) und des geschlossenen Kampfes, speziell des Fußkampfes in geschlossener Hoplitenphalanx (ein bekannter Ausspruch des Brasidas schrieb die Disziplin den Hellenen im Gegensatz zur Kampfart der Barbaren zu), – infolgedessen 3. bei denjenigen Staaten, welche entweder politisch expansiv sind oder werden (Sparta: Eroberung Messeniens, – Athen: Eroberung von Salamis), Verschiebung der militärisch-politischen Macht auf die Träger dieses Hoplitenheeres, – 4. endlich, damit parallel gehend, Entwicklung des »bürgerlichen Erwerbes«, der die Schicht der ökonomisch panhopliefähigen Existenzen verbreiterte.
Die »Burg« der Frühzeit ist umgeben von den Ansiedelungen der Händler und Gewerbetreibenden. Die homerische Zeit kennt bereits Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Wagner, Goldschmiede, Erzarbeiter, Hornarbeiter, Lederarbeiter, Töpfer. Alle diese kommen freilich nur in den jüngeren Teilen der Epen vor. Daß aber die Handwerker in Hellas jemals alle unfreie Arbeiter des Burgadels gewesen seien, ist für Griechenland ebenso unwahrscheinlich, wie die gleiche Ansicht für das frühe Mittelalter, welche früher geglaubt, heute dagegen aufgegeben ist. Und es ist auch nicht wahrscheinlich zu machen, daß sie – nach Art ostasiatischer Dorfhandwerker – in noch früherer Zeit Angestellte des Dorfes oder, nach der Polisentwicklung, Sklaven der Polis gewesen seien. In Epidamnos, wo der Handel von der Oligarchie gemeinwirtschaftlich organisiert war, wird auch die eventuelle Verbreitung ähnlich erfolgt sein, und derartiges mag öfter existiert haben. Als Regel ist es unerweislich. Fronden auch der Handwerker hat sicherlich der mykenische Staat, ganz ebenso wie seine orientalischen Muster, gekannt: wie der Pharao und der mesopotamische Stadtkönig, so wird auch der (genügend bemittelte) althellenische Stadtfürst auch Handwerker gegen Uebernahme von Roboten um die Burg herum angesetzt haben. Das (zu vermutende) königliche Oikenhandwerkertum der mykenischen Zeit ist aber, – soweit es bestand –, mit dem Sinken der Grundlagen der mykenischen Kultur verfallen (wie schon die Wandlung der Technik zeigt). Es mögen auch noch später gewerbelose Städte in Form des Imports geschulter Sklaven als Staatssklaven eine Art von »Merkantilismus« getrieben haben. Aber das weitaus wahrscheinlichste ist, daß die Erscheinungen, welche zuweilen auf ursprüngliche Staatsanstellung oder -sklaverei aller »δημιουργοί« gedeutet werden, der militärischen Organisation der Polis angehören. Daß, wie die »fabri« in Rom, so die Handwerker in Staatsbedarfsartikeln organisiert und mit Leiturgien belastet wurden, ist wohl auch für die ältere hellenistische Zeit als häufig anzunehmen. (Der Ausdruck: »δημιουργός« greift von jeher viel weiter als unser »Handwerk«, er umfaßt allen Erwerb aus Dienst für eine unbestimmte Vielheit, auch den der Aerzte, Sänger, Wahrsager usw.) –
Diese plebejischen Ansiedelungen um die Burg herum sind unbefestigt: Egbatana im Orient war es ebenso, wie Athen es noch bis in die historische Zeit blieb. In Sparta ist die königliche Burg gänzlich »gebrochen«, die Polis ein offenes Heerlager geworden. Allein die Regel ist, daß die Polis eine Festung behält oder zur Festung wird, wie die orientalischen Städte, aber nun zu einer Festung, über welche die zu einem Bunde zusammengeschlossenen Heeresgenossen, und nicht der König, verfügen. Dieser Vorgang des »Synoikismos« bedeutet also die Konstituierung der Kriegerklasse als Herrin des Stadtstaates. Daß er tatsächlich in den meisten Fällen eine effektive Zusammensiedelung bedeutet hat, daran ist, auch abgesehen von den ausdrücklich überlieferten Beispielen späterer Zeit, nicht zu zweifeln. Die Einzelburgen werden gebrochen (oder doch als politische Herrensitze aufgegeben), die Geschlechter »eingemeindet«, sowie etwa der Landadel in manchen italischen Städten des Mittelalters. In der Antike bedeutet aber der Synoikismos vor allem: Schaffung des in Phylen und deren Unterteile gegliederten (s.o.) Heeres, um dem chronischen Kriegszustand gewachsen zu sein, der nach dem hellenischen Völkerrecht (welches den »ewigen« Frieden zwischen nicht verbündeten Städten nicht kennt und, mit Hinweis auf die religiöse Gefährlichkeit von Eidschwüren für die Ewigkeit, ablehnt) seit dieser Zeit als Normalzustand gilt. Der Synoikismos bedeutet nicht notwendig das absolute Aufgeben jeder Landsässigkeit, wohl aber die Ansässigkeit auch und in erster Linie in der Stadt, als dem politischen Zentrum. Sicher sehr früh sind auch die später regelmäßigen Stapel- und andere Handelsregulierungen damit kombiniert. Denn neben dem politischen wird die Stadt ökonomisches Zentrum: Markt. Von der Pharaonen- bis zur römischen Kaiserzeit ist die Konstituierung eines »Marktes« Souveränitätsrecht. Und wir im Mittelalter, so ist auch im Altertum nicht nur die Stadt, wohl aber jede Stadt ein Markt. Wir lernten die entwickelte Tauschtechnik des Orients bei fehlender Münzprägung kennen. Erwiesenermaßen sind die Hellenen Jahrhunderte vor den ersten staatlichen Münzprägunggen ebenso ein Aktivhandel treibendes Volk geworden wie die Phönikier. Dennoch ist es schwerlich ohne Bedeutung gewesen, daß sie alsdann die ersten waren, sich jene Erfindung voll zunutze zu machen. Denn immerhin dürfte ihre Ueberlegenheit gegenüber den Phönikiern im Handel wohl zweifellos durch die mehrere Jahrhunderte frühere Verwendung der Münze wesentlich gesteigert worden sein. (Karthagos Münzprägung beginnt erst im Interesse seiner militärischen Neuorganisation: – Soldheer –, welche die Aera seiner großen Eroberungen einleitet; der alten vorderasiatischen münzlosen Tauschtechnik entsprach die alte phönikische Faktoreikolonisation.) Aber die geldwirtschaftliche Entwicklung im Innern mit ihren Konsequenzen ist auch in Hellas älter als die Münzerfindung (7. Jahrh.), wurde durch sie nur verstärkt. Längst war neben den extensiven internationalen Verkehr der intensive lokale Markt getreten. Der »δημιουργός«, d.h. auf gewerblichem Gebiet (s. oben): der »für das Volk«, d.h. für jeden, der sein Kunde werden will, nicht nur (als »αὐτοῦργος«) im Hausfleiß für den Eigenbedarf oder in Robot für seinen Fronherrn, arbeitende Berufshandwerker, der »Lohnwerker« der Bücherschen Terminologie, vervielfacht und spezialisiert sich. Die wachsende Schicht der als Aktivhändler am überseeischen Verkehr Beteiligten verbreitet die im Orient seit langem gepflegten und von dort übernommenen kapitalistischen Formen des Verkehrs; im Binnenverkehr dringt mit der Münze die geldwirtschaftliche Bedarfsdeckung stetig vor. Und mit alledem ist die Voraussetzung steigender lokaler landwirtschaftlicher – bäuerlicher – Absatzproduktion gegeben: die einzelnen Komponenten der »Stadtwirtschaft« sind also vorhanden. Allerdings nur in den Anfängen und mit feudalen Zügen vermischt. Als Wehrgemeinde herrscht die Polis – d.h. der in ihr »zusammengesiedelte« Kriegsadel – zunächst ganz ebenso über das Land wie vordem die Burgenkönige. Allein die Entwicklung der Absatzchancen der Landwirtschaft einerseits, die Aenderung der militärischen Technik andererseits erweiterte den Kreis derjenigen Grundbesitzer, welche ökonomisch zur Teilnahme am gepanzerten Kriegsdienst fähig waren; und die stete Bedrohung von außen zwang dazu, die Wehrkraft aller zur Selbstequipierung und Kriegsübung ökonomisch fähigen Schichten auch heranzuziehen. Der Charakter der Stadt bleibt dabei ein sehr verschiedener, je nach dem Maß der Demokratisierung des Militarismus. Wo der Waffendienst vornehmlich Reiterdienst blieb, ist es natürlich auch eine relativ dünne Schicht großer Grundherren, welche im Binnenland – so in Thessalien – die Bevölkerung in strenger Hörigkeit halten; und auch in Attika beherrschten sie die Stadt, solange die Reiterei militärisch etwas bedeutete. Aber auch wo die Entwicklung der Militärtechnik, wie im historischen Hellas durchweg, den Schwerpunkt auf die diszipliniert zu Fuß schwerbewaffnet in Reih und Glied streitenden einexerzierten Hopliten rückt: – in der Zeit der Perserkriege ist die Reiterei gänzlich verschwunden –, ist die Zahl der Vollbürgergeschlechter sehr oft klein, wenige Hunderte oder »die Tausende« – d.h. die tausend Reichsten – umfassend. Die Zahl der Ratsbürgerstellen ist mehrfach kontingentiert und ergänzt sich evtl. durch Kooptation, die Söhne rücken in diesem Fall – wie die Meistersöhne in einer Zunft – ein, die älteren vor den jüngeren. Und da der Waffendienst zunftartig auf der Selbstequipierung der dazu ökonomisch fähigen ansässigen Bürger ruht, so projiziert sich dies naturgemäß auf den Bodenbesitz der Zunftgenossen als der Unterlage jener ökonomischen Qualifikation, gerade mit der Ausbreitung der Wehrgemeinde. Hesiodos' Vater kam aus Kyme nach Boiotien, erwarb sein kleines Vermögen zur See und siedelte sich dann am Helikon als Bauer mit Grundbesitz an: ein Zustand der privatrechtlichen, speziell bodenrechtlichen Freizügigkeit, den man mit der späteren zünftigen Bürgerrechts- und Bodenpolitik der Demokratie vergleichen muß, um die Zunahme der Bindung von Besitz und Person zu erkennen. Und ebenso schwindet der alte vagierende ritterliche Ministeriale der homerischen Zeit zunehmend zugunsten des lokal geschlossenen Polisadels.
Wir finden die in jener Epoche entstandene Gebundenheit desjenigen Bodens, welcher den Besitz der die politische Macht usurpierenden Kriegerzunft ausmacht – der πρῶτοι oder παλαιοὶ κλῆροι, ἀρχαία μοῖρα des Aristoteles – in den mannigfachsten Spuren noch in historischer Zeit. Zunächst besteht das Vorzugsrecht der Söhne vor den Töchtern im Land- und zuweilen auch im Herdenbesitz, beschwert nur mit der Pflicht der Ausstattung. Nach dem Recht von Gortyn erhalten die Söhne die Stadtgrundstücke als Träger der politischen Rechte vorweg. In Ermangelung von Söhnen bestand überall auf die Hand der Erbtochter (ἐπίκληρος) ein nach Art der Erbfolgeordnungen fest geregelter sukzessiver Anspruch bestimmter agnatischer Verwandten, der teilweise selbst eine schon bestehende Ehe derselben brach, und dem ursprünglich (wie beim jüdischen Levirat) sicherlich die entsprechende Pflicht, – später zuweilen (z.B. in Athen) durch eine evtl. Ausstattungsverpflichtung ersetzt, – korrespondierte. Die Vergebung der Erbtochter und damit des κλῆρος war eine militärisch wichtige, also öffentliche, Angelegenheit, mangels berechtigter Verwandter Sache des Magistrats (in Sparta des Königs). Der κλῆρος war, im Interesse der Erhaltung standesgemäßer Kriegerlose, jedenfalls in den dorischen spezifischen Militärstaaten, aber auch außerhalb derselben sehr häufig, weder teilbar noch veräußerlich – so z.B. in der im 7. Jahrh. gegründeten Kolonie Leukas noch bis in späte Zeit – oder doch in beiden Beziehungen beschränkt. Dies militaristische Grundbesitzrecht steht durchaus im Gegensatz zu dem gemeinhellenischen Bodenrecht. Denn in der homerischen und hesiodeischen Zeit ist gleiche Teilung in natura die Regel. Ein Vorzug des Aeltesten war nicht bekannt. [Dunkle Erinnerungen an älteste Zustände: – hauspriesterlich bedingte patriarchale Stellung des Aeltesten – könnten darin liegen, daß Iris den Poseidon, der sich gegen Zeus auf eben jenen gemeinhellenischen Grundsatz beruft, darauf verweist, daß die Erinnyen auf Seite des älteren Bruders stehen]. Jedenfalls mußte die Gebundenheit des κλῆρος praktisch wie eine gesetzliche Anerbenfolge wirken und den Zusammenhalt großer Hausgemeinschaften fördern, andererseits soll sie wenigstens in Sparta Kinderbeschränkung und selbst Vielmännerei (d.h. gemeinsamen Besitz eines Weibes – schwerlich ein »Rest ältester Zustände«, wie E. Meyer glaubt) im Gefolge gehabt haben. Das Testament besteht in Athen erst seit Solon, in Sparta erst seit dem peloponnesischen Kriege und diente ursprünglich wohl wesentlich dem Zwecke der Adoption um der Erhaltung des wehrhaften Geschlechts und des Grabkultus willen. – Ob jene Gebundenheit der Kriegerlose jemals überall als rechtliche Bindung bestanden hat, muß dahingestellt bleiben: die Standessitte, deren Nachwirkungen wir in der späteren ethischen Mißbilligung des Verkaufs ererbter Güter sehen, konnte genügen. Immerhin wird beschränkte Veräußerlichkeit des κλῆρος z.B. für Elis und Theben (Philolaos), Gleichheit der Lose für Argos (Pheidon) erwähnt.
Die ökonomische Unterlage der Kriegerzunft konnte im einzelnen sehr verschiedenartig aussehen. Sie ist am konsequentesten unter rein militärischen Interessen durchgeführt, wo sie naturalwirtschaftlich gestaltet ist, wie in manchen dorischen Militärstaaten, speziell auf den liparischen Inseln, auf Kreta und vor allem: in Sparta. Die beherrschte Bevölkerung wird hier als in Staatssklaverei bzw. -Hörigkeit befindlich behandelt, aus ihren Naturalbeiträgen wird der Unterhalt der Krieger bestritten, teils in gleich zu erwähnender Art gemeinwirtschaftlich, teils so, daß der Einzelne auf den Ertrag bestimmter, von Sklaven bewirtschafteter Landflächen angewiesen ist, die ihm in verschiedenem Maße, später zunehmend erblich, appropriiert sind. Neuzuweisungen von Losen und anderweite Verteilung derselben galten auch in historischer Zeit als praktikabel und scheinen vorzukommen. Sie sind natürlich keine Ackerumteilungen, sondern gewissermaßen Rentenfondsumteilungen. Militärische Gesichtspunkte, besonders eine militaristische Bevölkerungspolitik, entscheiden über alle Einzelheiten: bei Erblosigkeit besteht teilweise Adoptions-, auch direkt Ehezwang oder das Recht und die Pflicht, sich von Dritten »Nachkommen erwecken« zu lassen, wie in Israel. Die Organisation des Bürgerheeres gipfelt bei voller Durchführung in dem kasinoartigen gemeinsamen Mittagstisch der Krieger, den »Syssitien« oder »Hetairien«, und der kadettenartigen gemeinsamen Erziehung der Kinder von Staats wegen zu Kriegern. Hier sind also die Wehrverbände (Phratrien) militaristisch zu vollen Lebensgemeinschaften gesteigert, auf Kosten der Familiengemeinschaft. Dem entspricht auch hier die Beteiligung der Heeresabteilungen an der Entscheidung über das Schicksal der neugeborenen oder der in das wehrhafte Alter kommenden Kinder, die durchaus nichts »Ursprüngliches« ist (»ursprünglich« ist die Willkür des Vaters). Sparta hat jene naturalwirtschaftliche Unterlage des Stadtmilitarismus und seine Kriegerzunft mit ihrer kameradschaftlichen Gleichheit der privilegierten Genossen, welche von Jugend an ausschließlich dem Drill für den Hoplitenkampf sich zu widmen hatten, in bewußtem Kampf behauptet. Dieser Zunftgeist schuf aber dem Staat seine Schranken. Gegen die bis in die späteste Zeit gelegentlich immer wieder auftauchenden Bestrebungen des Königtums, durch Demokratisierung des Wehrrechts die politische Stoßkraft des Staats zu steigern, richtet sich die Schaffung des Ephorats. Gegen den geldwirtschaftlichen Zersetzungsprozeß kämpfte man durch künstliche Konservierung der Naturalwirtschaft und des Bedürfnisstandes der Kriegerbevölkerung: deshalb Ausschluß des Geldverkehrs, Immobilisierung der Spartiatenlose und Erhaltung der Kasinogemeinschaft. Dies hinderte die Vermehrung der Zahl der Kriegerlose, nicht aber ihre Verminderung durch Zusammenerben (in den Händen der Frauen) und Verarmung, auch nicht die geheime Beteiligung an auswärtigem Geldgewinn, während sie dagegen jede große politische Aktion des Staatswesens hemmte und zu der bekannten ängstlichen Schonung des Spartiatenbestandes führte. Schließlich war sie doch nicht zu halten, als die Herrscherstellung nach dem peloponnesischen Krieg mit ihrer Notwendigkeit, zur geldwirtschaftlichen Deckung der Staatsbedürfnisse überzugehen, die Geldwirtschaft in das Innere des geschlossenen Kriegerstaats trug, Geldvermögen schuf, den Bedürfnisstand der herrschenden Kaste revolutionierte, und damit in kürzester Zeit die ökonomischen Unterlagen des ganzen Systems vernichtete. Die demokratische Restauration des Kleomenes mit ihrer Neuumteilung brach (222) bei Sellasia zusammen.
Der hellenischen Tradition ist nun dieser naturalwirtschaftlich fundamentierte Militarismus Spartas in seiner den Zeitgenossen bekannten Form Produkt einer ganz einzigartigen Gesetzgebung. Das ist so natürlich unzutreffend. Sparta ist nur eine extreme Fortbildung der alten Stadtherrschaft in ihre äußersten Konsequenzen. Das in der Tat »Einzigartige« liegt nur darin, daß der feudale Unterbau hier nicht einer durch Geschlecht, sondern lediglich durch Erziehung ausgelesenen Klasse diente, und daß das so geschaffene Virtuosentum des Hoplitenkampfs, infolge der Eigenart des letzteren, auch seinem Lebenszuschnitt nach das gerade Gegenteil irgendeines »Adels« war. –
Die Zugehörigkeit zur Vollbürgerkaste setzte aber, wie die Zugehörigkeit zum Ritterstand im Mittelalter, überall die fortgesetzte berufsmäßige Waffenübung (welche demgemäß überall Gegenstand staatlicher Vorsorge war) und diese das Zusammenwohnen in der Stadt wenigstens für den Kern des Heeres – mochten dies Ritter oder Hopliten sein – voraus: die »Unüberwindlichkeit« der Spartiaten und ebenso des »heiligen Lochos« im späteren Theben war Produkt ihres kontinuierlichen »Training«. Wer also in den strikt militaristischen Gemeinden den städtischen Wohnsitz und damit die Waffenübung aufgibt, »ἄγροικος«, »περίοικος« wird, ist politisch deklassiert; Teilnahme am Gymnasion und politisches Vollbürgerrecht gehen parallel. Daß wir nun aber berechtigt seien, das in Sparta und Kreta in historischer Zeit vorfindliche System des naturalwirtschaftlichen Militarismus als auch nur in seinen Grundzügen allgemein vorhanden gewesenes Durchgangsstadium anzusehen, ist auf der andern Seite gänzlich unwahrscheinlich, da eine so weitgehende Demokratisierung des griechischen Stadtfeudalismus, daß die Mitglieder der herrschenden Kriegerklasse nur aus dem Ertrage eines Besitzes von je etwa 8-12 Hektar, den Heloten für sie bewirtschafteten, hätten existieren können, sonst nicht gefunden wird, und da ferner die Strenge in der Durchführung der charakteristischen militärischen Institutionen in Sparta selbst in historischer Zeit nicht etwa ab-, sondern offenbar zunimmt, weil mit Zunahme des Gebietes und relativer Abnahme der Bürgerzahl die militärische Machtstellung immer gefährdeter wurde. Institutionen wie die athenische Staatstafel im Prytaneion – der Ersatz für die alte königliche Tafel – beweisen natürlich nicht, daß die spartanischen Syssitien in ihrer spezifisch militärischen Bedeutung (oder auch nur etwas irgendwie Aehnliches) dort je bestanden haben. Wir finden bei Hesiod keine Spur einer feudalen Einschnürung des freien Bauern, der mit wenig Knechten und Erntetaglöhnern selbst arbeitet. Nur die Mißbräuche der Rechtspflege, die Unvermeidlichkeit zeitweiser oder dauernder Begebung in die Klientel der Reichen, um vor Gericht auftreten zu können, und das Schuldrecht bilden überall den Gegenstand der Klage. Dieser letztere Punkt ist der entscheidende. Im Gegensatz zum spartanischen und kretischen und anderen auf Eroberung ruhenden Feudalstaaten ist die Verknechtung der Landbevölkerungen, wo sie sonst vorkommt, regelmäßig: Schuldverknechtung, neben der die in der Frühzeit überall selbstverständliche Klientel der Besitzlosen (so der πελάται in Athen) zunehmend zurücktritt.
Der Besitz der politischen Macht durch stadtsässige Kriegerschaften mußte an sich ebensowenig zur Entstehung einer ausgedehnten ländlichen Helotenklasse führen, wie die Herrschaft des orientalischen Militärmonarchen die Robotorganisation, wie sie in Aegypten bestand, überall zur Folge haben mußte. Eine »Hörigkeit« ganzer Landbevölkerungen findet sich, außerhalb der Dorerstaaten im Peloponnes: Sparta, Argos, Sikyon, und auf Kreta, sicher beglaubigt in historischer Zeit nur in Thessalien, Lokris, Byzanz und den beiden Herakleia. Sie scheint auch an manchen andern Stellen vorgekommen zu sein, aber ohne daß über die rechtliche Regelung ihrer Lage Sicheres auszumachen wäre. In Sikyon und Argos ist ihre Wurzel offenbar wie in Sparta Eroberung oder: Umbildung der Klientel bei Monopolisierung der Waffenübung durch die Stadtbürgerschaft (die Hörigen ziehen als Leichtbewaffnete mit); hier und in den auf Eroberung ruhenden Kolonisationsstaaten: Kreta, Byzanz und den beiden Herakleia (wo sie nicht wehrpflichtig sind) gelten die Hörigen offenbar als abgabenpflichtige Staatshörige, deren Stellung der Staat teilweise (so in Herakleia am Pontos) bei der Unterwerfung vertragsmäßig garantiert (sie stehen zwischen den Heloten und den, wie diese, wehr- und tributpflichtigen, aber persönlich freien Periöken Spartas in der Mitte). In Thessalien scheint eher eine eigentliche persönliche Grundhörigkeit in milder Form bestanden zu haben. Die thessalischen und kretischen Hörigen haben ersichtlich ausdrücklich garantierte Familien- und Eigentumsfähigkeit. Daß diese auf Ausbeutung politischer Unterwerfungsverhältnisse beruhende Staatshörigkeit ganzer Landbevölkerungen kein allgemeines Durchgangsstadium der hellenischen Entwicklung war, darf als höchst wahrscheinlich gelten. Der Stadtfeudalismus hat zu derartigen Konsequenzen nur lokal, und, zum mindesten überwiegend, nur auf Eroberungsgebiet, geführt. Daß andererseits die Abhängigkeit von Teilen der Bevölkerung ein allgemeineres Ausdehnungsgebiet gehabt hat, als die spärlichen Quellen erkennen lassen, ist durchaus wahrscheinlich. Wohl überall bestand ja die Klientel als Tributquelle für den Adel. Dagegen beschaffte sich der Stadtadel im »mittelalterlichen« Hellas sein Menschenmaterial für die Wirtschaft sicherlich in ähnlicher Art, wie im Orient, im älteren Rom, überhaupt in den älteren Stadtstaaten vor dem Eindringen der massenhaften Kaufsklaverei. Neben den gedungenen Schnittern zur Ernte, die in früher wie später Zeit vorkommen, bilden teils im Jahreslohn gedungene Arbeiter, teils, und speziell beim Adel stark zunehmend, Schuldknechte das Hauptkontingent der ständigen Arbeiter, wo in eigener Regie gewirtschaftet wurde. Die Schuldknechte sind, als deklassierte Freie, von den persönlichen Klienten und den politischen Unterworfenen – »Hörigen« – zu scheiden, wie das kretische Recht zeigt. (Ueber die rechtsgeschichtlichen Kontroversen betr. ihrer s.u. bei Athen.) Sie treten in typischer Weise hier, wie überall auf, sobald das Regiment der stadtsässigen »Geschlechter« einsetzt und solange die Kaufsklaverei noch nicht Massenerscheinung ist. Von der Verwendung von Kaufsklaven speziell zur Feldarbeit hört man denn auch im hellenischen Altertum relativ wenig. Ihre Verwendung in größeren Betrieben ist damals offenbar nichts Typisches gewesen. Und die Häufigkeit eigentlicher »Großbetriebe« ist, zumal für diese Zeit, überhaupt als eine irgendwie typische Erscheinung unwahrscheinlich. Die bildliche Darstellung der Ernte, mit dem dabeistehenden Herrn, der den Stab in der Hand trägt, zeigen nur die Existenz von »Squire«-Betrieben, bei denen der Herr nicht selbst mitarbeitet, auch für Griechenland. Wenn die Pythia einmal die Korinther wegen ihrer großen Sklavenzahl χοινικομέτραι nennt, so fragt es sich, ob damit Großbetriebe gemeint sind (s. später bei Athen). Jedenfalls steht im Vordergrunde gerade im hellenischen Mittelalter die unfreie oder halbfreie Pacht, entweder geradezu von Schuldknechten oder doch von Einlösungspfandschuldnern. Die Verschuldung zwischen den beiden Schichten des Grundbesitzes: der Bauernschaft gegenüber den größeren Grund-, Vieh- und Geldbesitzern ist ja im ganzen frühen Altertum typisch und unterscheidet die damaligen »sozialen« Konflikte so sehr von den unsrigen: man müßte sich unsere Junker als Gläubiger, die Bauern als ihre Schuldner, und die Junker als stadtsässig denken können, um sich ganz in sie zu versetzen. Die Hypothekensteine auf den Gütern der Bauern und die Schuldknechte auf den Gütern der Großen gehen einander parallel. Ebenso findet sich ja noch später in Babylon, daß einzelne Kapitalisten über erstaunliche Zahlen von städtischen Grundstücken verfügen, von denen wahrscheinlich ist, daß sie sie nicht zu Eigentum, sondern in antichretischem Pfand besaßen und an ihre Schuldner vermieteten. Die Sechstelmänner (ἑκτημόριοι) Altattikas werden in ähnlicher Lage gewesen sein. Ihre Sechstelabgabe ist kein wesentlich niedrigerer Satz als die Drittelpacht der ägyptischen Kolonen, wo der Boden so unvergleichlich fruchtbarer war. (Ueber diese Frage s. unten bei Athen.) Die Geschlechter der hellenischen Städte, zumal der Seestädte, sind immer am Schiffsbesitz, oft – wie Solon – direkt am Handel beteiligt gewesen. Sie waren, als Hauptgetreidebesitzer, die Darlehnsgeber der Bauern in allen Notjahren. Dazu trat nun die Geldmacht. – Die, absolut betrachtet, ja geringe Bedeutung des Handels der Frühzeit, darf nicht zu einer Unterschätzung der relativen Tragweite der Handelsgewinnste in einem noch in Naturalwirtschaft verharrenden Milieu führen. Die Stadtsässigkeit des Adels (»ἀστοὶ« heißen die attischen Eupatriden) ist auch ökonomisch seine Stärke.
Die Zunahme der Geld- und Grundvermögen einer seits, der Verschuldung der Bauern andererseits in den am Seehandel beteiligten Städten führt nun die Krisis des »Geschlechterstaates« herauf. Das »Volk« der homerischen Zeit, soweit es zum Fußdienst mit aufgeboten wurde, wird von den wagenkämpfenden Geschlechtern ebenso beherrscht und in Schach gehalten, wie die Cherusker nach Segestes' Behauptung von ihren »principes«. Aber mit zunehmender Bedeutung des Hoplitenheeres war dies nicht überall mehr möglich. Vor allem aber bedrohte die Schuldverknechtung der Bauern jetzt Wehrhaftigkeit und Machtstellung des Staates. Und die mit der Geldwirtschaft einsetzende Differenzierung des Erwerbes schuf Parvenüs, besitzlose Freie, ruinierte Adelsgeschlechter, trug so die leidenschaftlichsten Gegensätze in die Polis hinein. Ueberall war – den Regeln der Grundrentenbildung entsprechend – der reichste Boden, vor allem der Talboden im Gegensatz gegen die Bergabhänge, durch Verschuldung und Aufkauf in den Besitz des Adels gelangt. Nur er trug neben dem Bearbeiter noch eine Rentnerexistenz. Er wird daher aus den Ueberschüssen der adligen Wirtschaft erworben, gerade wie bei uns das Fideikommiß den guten Boden bevorzugt. Darum ist die Adelspolis nicht nur in die Gebirgslande so viel schwerer eingedrungen, sondern auch sonst sind die Ebenen (die »hohle Lakedaimon«, die messenische, elische, thessalische, böotische, attische Ebene) Sitz des Adels, die ἄγροικοι sitzen an den Berghängen. So schied sich die Bauerndemokratie und die Adelsherrschaft (besonders deutlich in Athen) auch territorial. Andererseits sitzen in den Hafenorten der Küste mit der Entwicklung von Exportgewerben – so der Töpferei in Athen – und Seeschiffahrt eine steigende Zahl von Existenzen, welche, außerhalb des Kreises der auf eigenem Lande Angesessenen und landwirtschaftlich Interessierten stehend, jedem, der ihre ökonomischen Interessen fördert, politisch zur Verfügung stehen. Diese Gruppen und die deklassierten, schuldverknechteten Freien bilden die Elemente, auf welche, teils im Bündnis miteinander, teils auf eine von ihnen, sich ein Staatsstreich gegen das Adelsregiment stützen konnte. Andererseits ersteht neben den alten grundsässigen Geschlechtern eine Schicht von nicht dem Adel angehörigen, aus dem Kleinbürgertum aufgestiegenen Reichtum. Daß es in der alten Zeit vor dem Einsetzen der kapitalistischen Entwicklung möglich war, als δημιουργός Reichtum zu erwerben, muß vielleicht auch aus dem bekannten Parteikompromiß in Athen i. J. 581 geschlossen werden, welches auch zwei »Demiurgen« zu Archonten berief, die demnach Pentakosiomedimnen sein, also ein festes Einkommen von mindestens 500 Drachmen (damals ein hohes, zu Demosthenes' Zeit ein Armeneinkommen) haben mußten. Man muß sich erinnern, daß unter den älteren Demiurgen jene Kunsthandwerkerfamilien mit ererbtem Gewerbegeheimnis sich befanden, welche ursprünglich (so im Mythos) eine hohe Seltenheitsschätzung genossen und sicherlich auch, nach Art des Adels, in großen Familienkommunionen zusammenlebten und Besitz aufspeicherten. Erst der Kapitalismus und die Sklavenarbeit, verbunden mit dem Zerfall der alten großen Hausgemeinschaften, haben diese Grundlage zerstört (s.u.). (Zu beachten ist allerdings, daß um 581 zur politischen Partei der »Demiurgen« sicherlich auch die nicht dem Adel oder der Landbesitzerschaft angehörige Kaufleute gezählt haben werden6.) – Die Herrschaft der Stadt über das Land war nicht mehr zu halten, wo die besitzende Klasse selbst sich in schroffe Gegensätze zu spalten begann. Naturgemäß ist die Art, wie sich der Umschwung vollzog, und das Maß, in dem er vollzogen wurde, sehr verschieden. In den ersten großen Reformen wiegt jedoch in Althellas ganz entschieden das Bestreben vor, vor allem, im politischen Interesse der Wehrhaftigkeit des Staates, mit den verschuldeten Bauern zu einem Kompromiß zu kommen, – wie in den orientalischen »Gesetzgebungen« auch. Der Bauernradikalismus infolge der politischen Entrechtung, sozialen Deklassierung und ökonomischen Gefährdung der hoplitenfähigen Grundbesitzer war die politisch schwerste Gefahr für den Adel. Die drakonischen und verwandten Gesetzgebungen ebenso wie die Tyrannis ziehen die Konsequenz, indem sie die Polis ihres Charakters als halbfeudaler Zwingburg des Landes und den Adel seiner politischen Vorrechte entkleiden: die Grundbesitzer, soweit sie ökonomisch waffenfähig sind (ὅπλα παρεχόμενοι bei Drakon), werden Bürger, die öffentlichen Lasten der Bürger nach dem Ertrag des Grundbesitzes (so in Athen) abgestuft. Der Stadtstaat im bisherigen Sinne fällt, der Grundbesitz als solcher entscheidet über die politischen Rechte: die Stadt wird also, offiziell, dem Lande unterworfen. Wie später die 12 Tafeln in Rom, so tragen die »Gesetzgebungen« in Hellas ein agrarisches Gepräge im Sinne einer Emanzipation des nicht adeligen Grundbesitzes.
Die Motive und meist auch die Mittel waren analog denjenigen, welche schon in den Inschriften der Sumererkönige und in dem ältesten israelitischen Gesetz zutage traten. Die ökonomisch waffenfähige Bauern-und Kleinbürgerschaft, welche militärisch jetzt nicht mehr zu entbehren war, verlangte (wie die Kleinbürger und Bauern des Orients) Beseitigung der Reste der privaten Selbsthilfe (des »Fehderechts«, könnte man sagen), der rein mit Traditionen und Präjudizien arbeitenden Rechtsprechung und der Gerichtsklientel, durch Kodifikation und bürgerliche Rechtspflege. Sie verlangte Beseitigung der persönlichen Schuldver knechtung, speziell aber des Druckes der Geldschulden und ihrer Wirkung: der Besitzdeklassierung der kleinen Besitzer, durch Beseitigung der Schuldsklaverei, Zinsschranken, Kommassationsschranken. – Die radikalen Vertreter der Deklassierten verlangten: Neuverteilung des Landes und Schulderlaß: da die große Masse des Landes durch Verpfändung in die Hände des Adels gelangt war, war die erstere im Grunde nur eine schärfere Form der letzteren7. Die »Aisymneten« suchten Kompromisse zu schaffen. Neben der Fixierung der Bußsätze, Beseitigung oder Milderung der Schuldhaft geht das Bestreben einher, die Angriffe auf den bestehenden Besitz zu paralysieren und die Quellen der Differenzierung zu verstopfen. Am weitgehendsten ist in Solons revolutionärer Maßregel der Seisachthie – Erlaß aller auf dem Boden und der Person ruhenden Pfandschulden – den Bauern entgegengekommen worden. Verbunden mit dem Freikauf der nach auswärts veräußerten attischen Schuldknechte entsprach sie dem politischen Sinn des Vorgangs: Erhaltung des Hoplitenheeres, auf dem von nun an die militärische Macht des Staates allein ruht. – Natürlich ist diese Tendenz keine ungebrochene, überall gleichmäßig wirkende. Die Tyrannis vor allem ist natürlich, so fest sie sich zunächst auf die »entrechteten« Klassen stützt, doch in erster Linie politische Usurpation und arbeitet als solche mit mannigfachen Mitteln. Unverkennbar ist in Althellas ein theokratischer Einschlag; wie die Orakel später auf seiten der Perser stehen, so finden sich – ganz wie im Orient – zwar nicht die alten aristokratischen Priestergeschlechter, wohl aber allerhand Propheten mit den »Tyrannen« zusammen. Die sizilische Tyrannis wiederum hat in ihrer späteren Zeit, einen von der althellenischen stark abweichenden Charakter. Sie geht damals Hand in Hand mit der vielfach sicher zugewanderten Geldaristokratie. Aber auch die politischen Mittel der älteren Tyrannengenerationen in Sizilien: Eingemeindung ganzer Stadtgemeinden und sogar landfremder Söldner in die eigene Polis, sind orientalischen Charakters, waren auf Kolonialboden, nicht in Althellas, möglich. – Allein durchweg zeigen die sachlichen Neuerungen, und zwar diejenigen der »Gesetzgeber« ebenso wie der »Tyrannen«, ein doppeltes Gesicht. Einerseits vertreten beide die »Stadtwirtschaft« und ihre Interessen gegen die Monopolisierung der politischen Macht seitens der alten »Geschlechter«, der ökonomischen Macht seitens der (alten und neuen) Geld- und Menschenbesitzer. Das Bündnis mit den Bauern, auf dem der Grundsatz, daß »ganz Attika eine Stadt« sei, beruhte, bringt dies politisch zum Ausdruck. Die Rechtssicherheit und die Unabhängigkeit des Rechts von der Traditionen- und Präjudizienjustiz der patrimonial-sakralen Gerichte des Adels wird, neben der Kodifikation, auch – so von Peisistratos – durch Sicherung einer rein amtlichen Rechtspflege in den Dörfern geboten (Peisistratos reiste selbst auf die Dörfer zur Rechtsprechung, später finden sich wenigstens für Bagatellsachen reisende δικασταὶ κατὰ δήμους): ebenfalls eine Analogie zur deuteronomischen Gesetzgebung. Wir finden auch unter den wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Tyrannen Periandros, Theagenes, Kleisthenes, Peisistratos, ebenso wie in den Gesetzgebungen des Zaleukos und Solon, eine ganze Anzahl solcher, welche dieser Tendenz angehören. Die strenge Kontrolle des »Luxus«, welche oft bis zu sehr eingreifenden Luxusverboten geht, richtet sich teils vom ständischen, teils vom kleinbürgerlichen Standpunkte gegen die Differenzierung der Lebenshaltung als Bedrohung der bürgerlichen Gleichheit. Das Verbot des Sklavenerwerbs durch Periandros und in anderen Staaten – in Phokis und Lokris bis in die klassische Zeit bestehend – und die versuchten Einschränkungen der Bodenakkumulation durch Solon suchten ökonomisch die Besitzverschiebung an der Wurzel zu treffen. Aber: die Beseitigung der Schuldhaft und die Austilgung der ständischen Differenzen zwischen den bodenbesitzenden Bürgern (politische »Bauernbefreiung«) einerseits, das Verbot der Zuwanderung der Bauern in die Stadt andererseits, sind Korrelate. Mehrfach ist der Versuch gemacht worden, die Bauernschaft durch staatliche Bindung des Bodens zu sichern: so in dem Verbot des Verkaufes an die Stadt (πρὸς τὸ ἄστυ) d.h. damals: an den Adel. Das häufige Verbot des Auf- und Vorkaufs, des Zwischenhandels (Zaleukos) und der Getreideausfuhr gehört in die gleiche Kategorie, wie die entsprechenden Maßnahmen der mittelalterlichen Stadtpolitik, nicht minder die Bestrafung des Müßiggangs und der Bettelei. Man erstrebt durch diese typisch wiederkehrenden – und vermutlich eine Reihe in den gleichen Zusammenhang gehöriger – Maßregeln eine Stabilisierung der kleinbürgerlichen »Nahrungen«. – Schließlich aber bedeuteten, wenigstens in den großen Seestädten, die Maßregeln der Gesetzgeber ebenso wie die Politik der Tyrannen im Erfolg doch wesentlich die Koordination des neuen, auf Handel und Geldbesitz in erster Linie, beruhenden, spezifisch städtischen Reichtums mit den alten Geschlechtern. Die solonische Gesetzgebung hat wahrscheinlich (wennschon Br. Keils Argumente vielleicht nicht absolut zwingend sind) bereits die Zulassung zu den Klassen auf Geldschätzung des Einkommens gegründet, also den Boden der bäuerlichen Hoplitenpolis bereits verlassen. Und die merkantilistische Begünstigung der gewerbetreibenden Metoiken, welchen – im Gegensatz zu der Politik der späteren Demokratie – durch die Erleichterung des Zutritts zum Bürgerrecht zugleich der Bodenerwerb in Attika ermöglicht und damit die Erhaltung ihres Vermögens für Athen begünstigt wird, kennzeichnen die Rücksichtnahme auf das Bündnis der Geld (und deshalb: Menschen) besitzenden Klassen. Die Zulassung der Oelausfuhr bei Verbot der Ausfuhr anderer Bodenprodukte entspricht dem antiken agrarischen (Plantagen-)Merkantilismus. Die Bauernfreundlichkeit ist also nur Mittel zum politischen Zweck: – der gleiche Zug tritt in Periandros Gebot für die Bauern, sich der städtischen Tracht zu enthalten – um ihnen den Stadtaufenthalt zu verleiden – und in den erwähnten Bauernzuwanderungsverboten hervor. – Die verschuldete, depossedierte und in die Stadt gedrängte Landbevölkerung wurde zugleich, wie in Rom, nach außen abzulenken gesucht: Die attischen Kleruchien auf Salamis mit ihrem Rückenbesitzzwang und Verpachtungsverbot – solche Auflagen sind auch bei politisch motivierten Kolonien später noch vorgekommen, die letztere aber nicht ausnahmslos – hatten neben dem unmittelbar militärischen wohl auch diesen bevölkerungsentlastenden Zweck; sicherlich hatten ihn die Koloniegründungen der Tyrannen, welchen als »Arbeitslosenbeschäftigung« im Innern Staatsbauten entsprechen. – Stabilisierung der Nahrungen zur Vermeidung des Entstehens sozial deklassierter Bürgerschichten, daher Reglementierung des Verkehrs ohne zu starke Schädigung der Erwerbschancen ist die typische Parole dieser Epoche. –
Der Ständekampf hat daher keineswegs nur zu so relativ »klaren« Typen, wie etwa: Thessalien, Sparta, Athen, sondern naturgemäß zu den allerverschiedensten Kompromissen und Kombinationen geführt, von deren Inhalt die sozialen Gemeinschaften des platten Landes stark beeinflußt wurden. Leider ist wenig ganz Sicheres feststellbar. Ziel der »demokratischen« Bewegung war vor allem: Zertrümmerung des festen, auf der Bindung des Bodens in der (erweitert gedachten) Hauskommunion beruhenden, Zusammenhangs der »Geschlechter« und Brechung ihres übermächtigen Einflusses in den lokalen und personalen Verbänden: Dorf und Phratrie. Das »Dorf« (κώμη, später: δῆμος) hat als Wirtschaftsgemeinschaft natürlich immer fortbestanden. Aber der Geschlechterstaat ignoriert es politisch und die Geschlechter mit ihrem Besitz standen zweifellos (wie unsere Rittergutsbesitzer) de facto außerhalb der Dorfverbände, schufen oft eigene κῶμαι, mit ihren Klienten, Schuldsklaven oder Pächtern. Ihr Grundbesitz bestand andererseits aber, da er sehr häufig aus Pfandbesitz entstanden war, wohl auch zum bedeutenden Bruchteil aus Streubesitz. Programm der Bauern daher: »Eingemeindung« der Güter in die Dörfer, Erschwerung des Streubesitzes in mehreren Dörfern. – Die Phratrie als unterster Heeresverband: Wehrgemeinde, beherrscht im Militärstaat von jeher die Zulassung zum Bürgerrecht und Landbesitz, und sie steht ihrerseits ganz unter der Herrschaft der Geschlechter, obwohl sie (darin hat Wilbrandt sicher Recht) nicht nur sie umfaßte, sondern alle Wehrhaften. Programm der Bauern daher: Demokratisierung der Phratrie, oder: Beseitigung jener ihrer Rechte. Die Konzessionen an die Hoplitenschaft gingen nun sehr verschieden weit. In Elis z.B. hat bis zum Synoikismos von 471 (s.u.) eine »Polis« gar nicht bestanden. Der Adel der fruchtbaren »hohlen Elis« war ein exklusiver pferdezüchtender Ratsadel, der wie in alter Zeit auf seinen Burgen verstreut saß und sich nur um das olympische Heiligtum und die ökonomisch vorteilhafte Leitung der Festspiele zusammenschloß. Erheblicher Handel fehlte zu allen Zeiten. Infolgedessen lange Zeit: große Verträglichkeit der Stände. Gemeinsam mit dem Hoplitenheer unterwarf der Adel die Pisatis: wie die römischen Patrizier der plebs, so konzedierte er den δῆμοι je einen Anteil am eroberten Lande: die Pisaten blieben Tributpflichtige des elischen Staates. Das von Aristoteles erwähnte, gegen den Bauernauskauf gerichtete, Verschuldungsverbot gehörte wohl schon dieser Kompromißzeit an. Die Demoi oder Komai (Dörfer) blieben die Konstituenzien der Gemeinschaft. Sie, nicht Staat oder Phratrie, sind es hier, welche das Bodenrecht verleihen. Andererseits ließen sich, bis 471, die Hopliten offenbar ohne Protest von den Herren kommandieren, wie in alter Zeit. Hier hatte eben kein Synoikismos stattgefunden (Folge der Schwäche des Handels) und dies war der Grund, weshalb die typischen Erscheinungen der Adelspolis: 1. Verschuldung der Bauern, 2. Grundbesitzanhäufung, 3. Verschwinden der δῆμοι im Verwaltungsrecht, 4. Neuadel lange Zeit nicht (oder nur wenig) entstanden. (Ueber den Synoikismos von 471 s. unten.) Anders dagegen in den beiden einander benachbarten Handelsstädten Megara und Athen. – In Athen8 und Megara war ebenso wie in anderen Seestädten, neben der Verschuldung der Bauern, ein organisatorisch wichtiges Problem: das Schicksal der mit der Entwicklung des Handels massenhaft entstehenden reichen Neugeschlechter. In Megara sind diese Parvenüs, deren Anspruchsfülle den Zorn des Theognis erregt, ganz ebenso wie in früherer Zeit der »alte« Adel, durch den Handel (Export) von Wollwaren, die aus der Wolle, welche die Herden des Adels gaben (wohl im ἐργαστήριον des Adligen) verfertigt waren, reich geworden. In Athen wird der Export von Oel und Töpferwaren ihnen emporgeholfen haben. An beiden Orten machen sie zeitweise, um Gleichberechtigung zu erlangen, gegen den Adel gemeinsame Sache mit dem Demos des platten Landes (in Megara richten sich hiergegen die Warnungen des Theognis, und vermutlich ging er aus diesem Grunde zur Oligarchie über). Eigentlich »revolutionär« aber sind überall die verschuldeten Bauern. Auch in Megara ist auf dem Wege der politischen Revolution der Bauern eine beschränkte (und charakteristische) Seisachthie: die Rückzahlung der an die Gläubiger geleisteten Zinsen, durchgesetzt worden. Ob dabei die »Degradation« der Edlen zu Gemeinen auch in Megara in ihrer zwangsweisen Aufnahme in die »Demen« bestanden hat, wissen wir nicht; im übrigen aber verhinderte die Vernichtung des megarischen Handels durch die Athener die Weiterentwicklung zur eigentlichen Demokratie.
Auch in Athen ist diese Entwicklung nur stoßweise vollzogen worden, zuerst auf der Basis der Bildung von Neugeschlechtern. Ob die Frage nach ihrer Teilnahme an dem gentilizischen Kult des Ζεῦς ἑρκαῖος und Ἀπόλλων πατρῷος, die an die antretenden Archonten gerichtet wurde (Angabe des Ortes war dabei gefordert: es entspricht dies Qualifikationserfordernis etwa dem »Hantgemal« unseres Mittelalters) nach der kleisthenischen Reform mehr bedeutete als das Erfordernis für den amerikanischen Präsidenten, geborener Amerikaner zu sein, steht dahin. Die erbliche Zuschreibung aller Adligen und aller Neubürger je zu einem bestimmten Demos durch Kleisthenes wird auch der Beseitigung der Bedeutung gerade dieser Frage gedient haben: er »macht alle Athener adlig«, heißt es daher von ihm: jeder hatte eben jetzt seine »Heimatsgemeinde«. Für die Zeit vor Kleisthenes beweist jene Frage aber, daß die Umgestaltung der Verfassung seit der Zeit, daß die Ratsgeschlechter, die aus ihren Burgen (Dekeleia z.B. war eine solche Geschlechterburg) synoikisiert waren, aus ihrer Mitte die Archonten wählten, bis zu dieser Umgestaltung des Kleisthenes sich im Rahmen der Gentilverfassung bewegte. Die sog. »solonischen« Klassen sind wohl sicher älter als Solon: sie dienten der Abstufung der Bürgerfron-, Abgabe- und Wehrlasten wie in der Frühzeit Roms. Wenn Drakon alle ökonomisch Waffenfähigen, Solon auch die unterhalb des Zeugitenzensus Stehenden, zum aktiven Bürgerrecht zuließ, und dabei die Amtsqualifikation lediglich an jenen Klassenzensus knüpfte, so müssen die außerhalb des alten Stadtadels (ἀστοί) der Eupatriden stehenden Bürger, um z.B. Archonten werden zu können, jedenfalls künstlich als Neugeschlechter (gentes minores) organisiert worden sein, – wie dies das bald nach Solon folgende, allerdings halbrevolutionäre Kompromiß-Archontat von zwei Demiurgen (angesichts jenes Erfordernisses der Teilhaberschaft am Kult des Zeus Herkaios), unbedingt voraussetzt. Geschlechtszugehörigkeit aber bedeutete unter allen Umständen vor Kleisthenes auch die Bodensässigkeit als Amtsqualifikation, denn ohne Bodenbesitz ist ein »Geschlecht« nicht denkbar. Aber im Gegensatz zu Elis finden wir noch nicht die »Demoi« als unterste Einheit. Die vom Adel beherrschte Phratrie, nicht wie in Elis, der Demos, behält damit in Athen die praktisch so wichtige Führung der Bürgerliste. Noch fehlt das »Dorf«: die »Naukrarien« bedeuten keine eigentlichen Gemeindeeinheiten, sondern Lastenrepartition auf lokaler Basis. Die Exportpolitik zugunsten des Oelbaus und der Töpferei und die Währungsreform zugunsten des Handels zeigen ja, mit dem Getreideausfuhrverbot zusammen, deutlich genug, daß Solons Reform keineswegs etwa primär: Bauernpolitik war.
Die Uebermacht des alten Adels in den Phratrien blieb also nach Solon ungebrochen. Daher begann die Verschuldung, der Kampf des rentelosen gegen den rentegebenden Boden (wie man es ausdrücken könnte) in Gestalt des Gegensatzes des Pedia (Adel und neue Grundrentner) gegen die Bauern, der Küstenbevölkerung gegen die binnenländischen Agrarier, von neuem. Die peisistrateische Politik warf die alten Geschlechter zu Boden und stützte sich auf die Bauern. Ihre Maßregeln gegen den Adel (außer: Konfiskationen) sind im einzelnen nicht bekannt (Cauer baut hier auf etwas unsicherem Boden). Die kleisthenische Politik endlich suchte umfassende Eingemeindung von vermögenden Neubürgern (Metoiken, auch Freigelassenen) im Interesse der politischen Machtstellung mit Vernichtung der gentilizischen Gliederung des Staates zu verbinden. Die Eingemeindung des Adels in die Dörfer einerseits, Einfluß auch der Nichtadligen in den Phratrien andererseits sollen erzwungen werden. Zu diesem Zweck wird eine ganz neue, die Geschlechtsverbände absichtlich zerschneidende, rein lokale Einteilung des Staates vorgenommen. Jedermann, auch der Städter, erhält seinen lokalen »Demos«, dem er staatsrechtlich dauernd und erblich angehört. Die Begründung des Staates auf diese »Demoi«, in Verbindung mit der Berufung an die Volksgerichtsbarkeit und dem Ostrakismus, nannte man damals »Demokratie«. Sie war noch nicht identisch mit »Volkssouveränität« in irgendeinem Sinn. Zwar der Areiopag, der sich selbst ergänzende Ausschuß der Geschlechter, der ursprünglich (nach Aristoteles) die Beamten ernannte, später umgekehrt sich aus ihnen ergänzte, war aus seiner alten, die Beamten, speziell die Rechnungsführung, kontrollierenden Stellung teilweise schon vor Kleisthenes herausgedrängt: die Schaffung der gewählten Bule der Prytanen gehört schon der Zeit der Adelsherrschaft an. Eine Entwicklung der Stellung des Areiopags nach Art des römischen Senates, dem er entsprach, war schon damit erschwert. Aber der Areiopag bestand doch als Kassa tionsinstanz gegen gesetzwidrige (insbesondere: gegen das göttliche Recht verstoßende) Beschlüsse der Ekklesia fort, und erst der Gesetzgebung des Ephialtes und Perikles fiel er zum Opfer. Dieser Zustand entsprach dem endgültigen Begriff der radikalen »Demokratie«. Die »attische Demokratie« entspricht insofern der Souveränität des englischen Parlaments weniger als derjenigen der amerikanischen Union, als eine Rechtsänderung in Athen an bestimmte Formalien geknüpft ist, und jeder Bürger gegen einen rechtswidrigen Volksschluß Kassationsklage (beim Volksgericht!) erheben kann. Aber die Souveränität der attischen Ekklesia steht dennoch wesentlich über derjenigen der Komitien im römischen Staatsrecht, nach welchem nicht nur Verletzung des göttlichen Rechts einen Volksschluß nichtig macht, sondern auch die Aufstellung einer nicht als generelle Regel gültigen Norm, einer Verfügung also, die nur Einzelne betrifft, rechtswidrig ist (der Zwölftafelsatz ist offenbar gegen die Rezeption des hellenischen Ostrakismus gerichtet). Die »Souveränität« der hellenischen Polis äußert sich auch in der Art ihrer Disposition über das Vermögen ihrer Bürger. Gegen die Anschauungen v. Wilamowitz's, der darin ein Symptom für die »Jugend« des Privateigentums in Hellas findet, ist zu betonen, daß die Verfügung der Polis z.B. über den Grundbesitz der Bürger zwar auch der homerischen Zeit (s.o.) selbstverständlich ist, daß sie aber in historischer Zeit nicht ab-, sondern vielleicht eher zunimmt, bis in die hellenistische Zeit hinein (vgl. die Schuldurkunde von Arkesine, s. unten »Hellenismus«). Letztlich begründet ist sie in dem militärischen Charakter der Polis, die ein Heerlager, und der Volksversammlung, die das versammelte Heer ist. Das hat natürlich mit irgendwelchem Nachklingen kommunistischer Urzustände so wenig zu tun wie etwa die preußische Polenvorlage. – Die »Demokratie« im Sinne der attischen Demenordnung hat von Athen aus (und unter dessen politischem Einfluß) die Mehrzahl aller Seestädte jonischer und einige dorischer Zunge (Rhodos) erobert. –
Verquickt mit den ständischen Unterschieden von »Adel« und »Gemeinen« durchziehen die Besitzgegensätze zwischen »Oligarchie« und »Demos« nun die ganze »klassische« hellenische Geschichte: Wechsel in der innern Politik schließt solchen in der äußern in sich und umgekehrt. Natürlich handelt es sich nicht um Gegensätze zwischen einem »Arbeiterproletariat« in unserm Sinne und irgendwelchen »arbeitgebenden« Großindustriellen. Sondern es sind Gegensätze der Vermögensgröße (gleichviel welche Struktur ökonomisch das Vermögen zeigt) und der Schuldverhältnisse einerseits, der Lebensführung (»ritterlich« oder nicht, im Sinne des Altertums natürlich) andererseits. Was diesen letzten Punkt speziell anlangt, so war das Vermögen der alten Geschlechter Grundrentenbesitz, akkumuliert (wie wiederholt ausgeführt) – mit Hilfe des Handels. (Natürlich ist das a potiori zu verstehen: nicht jedes Geschlecht trieb Handel oder beteiligte sich daran. Aelteste Quelle der Zurechnung zum Adel ist wohl zweifellos die Gaufürstenwürde. Aber diejenigen, welche wohlhabend wurden, sind es überall auf diesem Wege: durch eigenen Schiffsbesitz oder Beteiligung, Kommenda usw., geworden9.) Aber naturgemäß suchten die alten Geschlechter das Eindringen der Neugeschlechter in ihre Kreise trotzdem auch durch Diskreditierung des Gelderwerbs zu hemmen. Die spätere Zeit sieht selbst in den Seestädten nur die ἐμπορία und die mit ihr zusammenhängenden Geschäfte des Seegroßhandels als respektabel an. Die Auffassung der eigentlichen Landadelsgesellschaft vollends verwarf offiziell jeden eigentlichen »Erwerb«, unbedingt natürlich die persönliche Beteiligung an Kauf und Verkauf zu Gewinnzwecken oder gar die persönliche Arbeit. In Sparta ist – eine Konsequenz der Militärorganisation – nicht nur der Handwerker und Händler (Kleinhändler wie Großhändler) von den Aemtern und dem Vollbürgerrecht ausgeschlossen: er ist Periöke, sondern es ist dem Spartiaten direkt verboten, durch seine Arbeit sich standeswidrig Erwerb zu verschaffen, – wie unseren Offizieren. Andererseits aber ist hier – im striktesten Gegensatz namentlich gegen die athenische Demokratie – die Aufnahme unecht geborener, auch Helotenkinder, in den Bürger-, auch den Vollbürgerstand, keine Unmöglichkeit, da, ganz entsprechend dem rein militärischen Charakter des Staates, die kriegerische Erziehung die Grundlage der ständischen Absonderung der »Spartiaten« ist, nicht etwa das Blut. In Theben, wo der Wagenkampf sich lange behauptete, der Schuldner als solcher (weil er entweder mit seinem Leibe haftete oder seinen Besitz auf Einlösung verkauft hatte) wie in ältester Zeit als sozial deklassiert galt, mußte man sich 10 Jahre lang der ἀγορά ferngehalten haben, um zu einem Amt wählbar zu sein. In Athen wurden zwar umgekehrt alle Aemter (mit der zweifelhaften Ausnahme des Protostrategen) durchs Los besetzt und der Demos durch Leiturgie auf Kosten der Besitzenden entlastet: – aber der Unterschied des gentleman -Rentners gegenüber dem, der von seiner Arbeit lebt, besteht trotz der »Demokratie« in der öffentlichen Schätzung und kommt z.B. in Demosthenes Rede für den Kranz, obwohl es sich um ein Plaidoyer vor den Repräsentanten des Demos handelt, deutlich zum Ausdruck. – Es war für die Entwicklung der charakteristischen Züge des Hellenentums – auch der hellenischen Kunst – von entscheidender Bedeutung, daß der kriegerische Rentnerstand der Hoplitenpolis kein Stand von Grandseigneurs war, sondern nach Besitz und Sitte gerade in der Zeit seiner selbstbewußten Entfaltung einfach und »bürgerlich« zu leben genötigt war. Die nationalen Wettspiele, die Gymnasien mit ihrer von Sparta aus vordringenden, so folgenschweren Sanktionierung der Nacktheit, – derartiges wäre an den Höfen etruskischer oder römischer oder orientalischer »Großen« niemals entstanden, hätte ihrer »Würde« nicht entsprochen (die etruskischen Athleten z.B. sind, nach Ansicht der Fachmänner, schon nach ihrer Physiognomie Berufsathleten, welche, wie die spätrömischen, gegen Geld vor den Herren, als Zuschauenden, auftraten).
Die Entwicklung, zuerst zum Partikularismus der Adels-Polis, dann zum Hoplitenstaat und – in den reichsten Städten – weiter zur radikalen Demokratie entschied in Hellas (wie in Rom) auch über den spezifisch »weltlichen« Charakter der Kulturentwicklung im Gegensatz zu der Theokratie des Ostens. Dieser Unterschied beruht jedenfalls nicht in erster Linie auf Differenzen der ökonomischen Machtstellung der Tempel. Denn auch in Hellas waren sie zuweilen Grundherren großen Maßstabes, im größten Umfang Delphoi nach dem »heiligen Kriege«, der dem Tempel das Gebiet von Kirrha und Krisa gebracht hatte, welches seitdem an Kolonen vergeben wurde. Ebenso erfüllten die Tempelschätze in Griechenland ähnliche Funktionen wie im Orient. Die Tempel besaßen ἐργαστήρια wie in Aegypten und gaben Darlehen. Sie waren andererseits Depositenkassen (erklärt sich der Freikauf des Sklaven durch den Tempelgott vielleicht auch daraus, daß die Götter die Sklavensparkasse waren, da hier das, Zugriffen des Herren von Rechts wegen ja überall ausgesetzte, peculium des Sklaven sicher war? – natürlich spielt die Garantie der Freiheit durch den Gott primär mit). Sie waren vor allem, in der klassischen Zeit (anders als später im Hellenismus), die einzigen wirklichen Staatsgläubiger, und Depotstelle der Staatskriegsschätze: sowohl der Schatz der Athena wie diejenigen von Delphoi und Olympia (deren Bedeutung für die Peloponnesier Perikles bei Thukydides abschätzt) haben jene Rolle gespielt (Olympia noch in sehr später Zeit). Die geringere Theokratisierung beruht auch nicht auf ethnisch gegebenen Unterschieden im Grade der Zugänglichkeit für Superstition: darin geben die Hellenen, und vollends die Römer, wenigstens dem älteren Orient (vor der allgemeinen politischen Nivellierung und Theokratisierung) nichts nach, und die Rücksichtnahme darauf war politisch stets unbedingt notwendig. Sondern die gänzlich verschiedene Rolle, die das Religiöse im Okzident spielte, hängt mit dem Fehlen eines festgliedrig und einheitlich organisierten Priesterstandes und allen seinen Konsequenzen (Fehlen jeder spezifischen Priestervorbildung, und, erst recht natürlich, der religiösen Unterweisung der Laien, Fehlen einer allgemeinen spezifisch priesterlichen asketischen oder rituell geregelten Lebensreglementierung bis auf – relativ! – geringe Ansätze, und daher erst recht: Fehlen sektenhafter »Reinheits«-Askese für die Laien nach Art der jüdischen Lebensreglementierung) zusammen. Die Priesterstellen sind vielfach allerdings auch in historischer Zeit noch in den Geschlechtern erblich (Dionysospriester in Delphoi – dagegen nicht: die Apollonpriester) und für die älteste Zeit scheint die Existenz von Priesteradel sicher. Allein die Regel ist das schon lange vor, und vollends nach dem Siege der »Hoplitenpolis« nicht: neben der (seltenen) Volkswahl ist das Prinzip der Losbesetzung (aus qualifizierten Kandidaten) und besonders der Verkauf der Stellen das häufigste. Kumulation des Priesteramtes mit anderen Beschäftigungen ist meist zulässig. Die Besetzung erfolgt lebenslänglich, später aber oft auch nur für 1 Jahr. Sie ist oft fast eine rein geschäftliche Transaktion (Schwierigkeit der Besetzung, wenn die Oelplantagen des Tempels abgebrannt sind!). Es fehlt jede Einheitlichkeit des Standes als solchen, jeder Ansatz zur »Kirchen«-bildung und jedes priesterliche Standesgefühl. Die heftige Konkurrenz der Partikulargottheiten allein erklärt (wie das Mittelalter zeigt) dies nicht. Sondern es ist Folge der politischen Unterwerfung der Priesterschaft unter die Militärmacht der rein politischweltlich interessierten Adelgeschlechter und später der Bürger der Polis. Delphoi wird nicht von einem delphischen Priestergeschlecht beherrscht, sondern von einer Polis. Anlaß des »heiligen Krieges« ist allerdings der Versuch dieser den Tempel beherrschenden Polis, ihn durch Zölle auf die Wallfahrer zu fruktifizieren. Seitdem ist er unter der sehr fühlbaren Kontrolle einer Amphiktyonie, mehrerer (ursprünglich) ländlicher Gemeinwesen (ἔθνη), bei zunehmendem Einfluß der allmählich sich einmischenden Polis. An theokratischen Strömungen hat es auch später in Hellas offenkundig nicht gefehlt, so wenig wie an mystisch-ekstatischen. Noch die Perserkriege kann man – wie E. Meyer es geistvoll getan hat – als einen Entscheidungskampf zwischen jenen Strömungen (an welche die Perser hier wie anderwärts sicher angeknüpft hätten) und der »Weltlichkeit« der hellenischen Kultur ansehen. Alle Tyrannen und Tyrannis-Kandidaten stehen mit Tempeln oder Propheten in Verbindung (speziell bekanntlich die Alkmäoniden mit Delphoi). Aber: die Macht der Priesterschaft reichte nicht aus, den Usurpatoren die Weihe der Legitimität, wie im Orient, zu geben, und daran scheiterte die Tyrannis. Es ist diese Machtlosigkeit ein Erbe der (mit den Göttern im Epos so respektlos umspringenden) homerischen Epoche: die Militärgeschlechter des Heerkönigtums, die im Orient schließlich überall den Verbündeten: königlicher Bureaukratie und Theokratie, unterlagen, behielten hier über Könige und Priester die Oberhand. Und der Sieg der nunmehr, wo die Priestermacht in den Dienst des Adels gezwungen war, durchweg gegen sie, vor allem gegen jede religiös-traditionalistische Rechtsfindung interessierten bürgerlich-bäuerlichen Hoplitenschaften besiegelte die Niederlage aller theokratischen Strömungen (während umgekehrt im Orient die Theokratie gerade die Masse der »kleinen Leute« auf ihrer Seite hatte, weil sie in ihr immerhin einen Rückhalt gegen die äußersten Konsequenzen der Willkür der Könige und des großen privaten Besitzes erblickten).
Rechtsgeschichtlich sind die Tempelbesitzungen wahrscheinlich dadurch von Bedeutung gewesen, daß – wie es scheint – das Institut der Erbpacht in seiner antiken Form (der späteren »Emphyteuse«) von ihnen seinen Ausgang genommen hat. Die städtischen und dörflichen Ländereien werden in älterer Zeit kaum Anlaß zur Vererbpachtung gegeben haben: sie dienten der Zuweisung von κλῆροι an den Nachwuchs oder der gemeinsamen Nutzung. Beide Zwecke kamen für die Tempel nicht in Betracht. Nur in Elis scheint ein Teil der unterworfenen Pisatis in Erbpacht vergeben gewesen zu sein. Wie schon für das pharaonische Aegypten die Möglichkeit (aber freilich keinerlei Sicherheit) besteht, daß die Tempelbauern teilweise Erbpächter gewesen sind (s.o.), so ist es sicherlich nicht zufällig, daß in Hellas, wo die Erbpacht zuerst (in einer Inschrift von Olympia) im 5. Jahrh. nachweislich ist, die Tempel in so starkem Maße als Erbverpächter beteiligt sind. Neben ihnen stehen in der klassischen Zeit die Allmenden der Gemeinden. Dagegen fehlen private Besitzer als Erbverpächter (der einzige angebliche Fall ist nicht nur unsicher, sondern ganz unwahrscheinlich). Das Institut wird in zwiefachem ökonomischen Sinn verwendet (wie Mitteis zuerst klar erkannt hat): 1. als Verleihung von Oedland mit einer dem Maße nach genau bestimmten Pflicht der Bebauung (namentlich: Bepflanzung mit Oelbäumen oder Weinstöcken) zu Lasten des Erbpächters: hier ist die Erbpacht lediglich die Erstreckung der im Orient und in Hellas (s.u.) oft vorkommenden langfristigen bis auf ewige Dauer, mit dem Vorbehalt, daß Nichterfüllung der Baupflicht zur Entziehung berechtigt, sonst ein Heimfall nur bei erblosem Tode erfolgen solle. (Wir sahen, in wieviel primitiverer Weise das altbabylonische Recht die Meliorationsvergebung behandelte.) 2. kommt die Erbpacht als »Rentenkauf« (so nennt diesen Fall Mitteis nach germanischer Analogie mit Recht) vor, bei Kulturland, welches vom Tempel (oder für ihn) gekauft und dem Verkäufer gegen Zins zurückgegeben wird. Für den Tempel ist dies eine sichere Kapitalanlage, für den, der ihm das Grundstück zu Rente aufträgt, bedeutet es den Gewinn von Betriebskapital und außerdem der Rechtssicherheit, welche die Qualität des Landes als Tempelland bot. Die Frage der Veräußerlichkeit hing vom Kontraktsinhalt ab, zuweilen ist sie untersagt. Daß sie in einem (sehr späten) Kontrakt aus Thisbe nur an Gemeindebürger gestattet ist, entspricht alten hellenischen Grundsätzen.