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b) »Klassische« Epoche (speziell: Athen).

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Die Erbpacht – welche, wie schon hervorgehoben, auch in Hellas nur seitens juristischer und zwar »öffentlicher«, nicht seitens physischer Personen als Verleiher vorkam, im Privatverkehr wohl auch hier (wie in Rom) gar nicht möglich war – ist in Attika in der klassischen Zeit und wohl in allen Gebieten der gleichen radikaldemokratischen Struktur – die einzige Erscheinung eines gebundenen Bodenbesitzes in der klassischen Zeit. Die Entwicklung zur »Bürgerpolis« ist in ihrem Endpunkt generell identisch mit Entwicklung zur vollen Verkehrsfreiheit des Bodens. Nicht nur in Athen und den mit ihm verbündeten Orten (Möglichkeit des Bodenankaufs und der Bodenbelei hung in den Bundesgenossenstädten ist ja ein Hauptvorteil des Bundes für die Athener), sondern auch anderwärts, außerhalb Spartas und der spezifisch grundherrlichen Staaten vom Typus Thessaliens, ist er seiner Beschränkung durch gentile Retraktrechte in klassischer Zeit überall entkleidet. Aber auch die Schranken, welche der Hoplitenstaat in der Zeit seiner Entstehung, im Interesse der Erhaltung der ökonomischen Grundlage der Wehrfähigkeit, geschaffen hatte: gänzliches Verbot des Verkaufs des κλῆρος oder doch Verbot der Bodenakkumulation, Beschränkung der Teilung und Verschuldung usw., hielten auf die Dauer nicht stand (und fielen natürlich gänzlich dahin, wo man später zum Soldheer überging). In dem seit 471 synoikisierten Staat von Elis wurde, als ein Parteikompromiß die exulierten Aristokraten zur Heimkehr veranlassen sollte (350), ad hoc ein Verbot des Verkaufs ihrer Grundstücke erlassen, – der also an sich, und sicherlich schon seit sehr langem, zulässig war. Mit dieser Freiheit des Verkehrs wurde naturgemäß die Möglichkeit der Differenzierung des Bodenbesitzes, der selbst Sparta nicht entging, in der freien Polis erst recht wieder wirksam. Dies um so mehr, als die Sklavereiverbote oder -beschränkungen der alten Hoplitenpolis nirgends aufrechterhalten blieben, und wir demgemäß, fortschreitend bis in die hellenistische Zeit, das Vordringen der Kaufsklaverei als normale Erscheinung in immer weitere Gebiete verfolgen können. So z.B. in Phokis (s.o.) nach dem peloponnesischen Kriege (ein, damals Aufsehen erregender, Import von 1000 Sklaven auf einmal ist bekannt). Ebenso bei den Aitolern in der hellenistischen Zeit, als sie sich als erobernder Herrenstaat militärisch konstituierten, und zweifellos infolge dieser Konstitution, welche sie in die Notwendigkeit versetzte, wirtschaftlich »abkömmlich« zu sein. – Die Frage ist nun, wie wir uns die Wirkung dieser Verkehrsfreiheit in Althellas vorzustellen haben, ob sie insbesondere dem römischen Entwicklungsprozeß zum großen Landbesitz und großen Sklavenbetriebe analog verlaufen ist. Das Quellenmaterial gestattet, selbst für so hell beleuchtete Gebiete wie Attika, nur indirekte Schlüsse. Zunächst muß man sich vergegenwärtigen, daß es, außerhalb der alten Adelsburgen, »Villeggiaturen« auf dem Lande oder überhaupt größere Baulichkeiten, mit Ausnahme der lokalen Kapellen, nicht gab. Nicht nur die Sklaven, Herden, Geräte, sondern auch die Gebäude – d.h. die Bestandteile der Holzhäuser – wurden im Fall eines feindlichen Einfalles in die Stadt gebracht. Ferner brachte die Beteiligung an der Politik die Notwendigkeit des Absentismus mit sich. Also ist, neben einem gewissen Maß von Feldsklavenbesitz, Verwaltung durch Aufseher (ἐπίτροποι) unvermeidlich für den Berufspolitiker. Ebenso war für den Hopliten, wenn er auf die volle Höhe der Technik gelangen sollte, entweder Stadtsässigkeit oder doch häufiger Stadtaufenthalt zum Ueben unentbehrlich, sobald die Stadt begann, »große« Politik zu Lande zu treiben. Als Argos dies zu tun beabsichtigte, war das erste: die Spezialausbildung von 1000 »Auserlesenen«, die es mit den Spartiaten aufnehmen sollten. Ebenso in Theben die Schaffung des »heiligen Lochos«. Auf der anderen Seite zeigen die Verhältnisse, welche die attischen Redner voraussetzen, daß der Grundbesitz der »Kapitalisten« in Küstenstädten, die ihn als Gelegenheitsanlage behandelten, jedenfalls vielfach Streubesitz, nicht Großgrundbesitz war. Dieser Kapitalistengrundbesitz der klassischen Zeit wechselte, im Gegensatz zum Besitz des alten Adels, offenbar leicht die Hand (vgl. Timarchos). Gerade dem Bedürfnis, dies zu ermöglichen, kam die Entwicklung zur Verkehrsfreiheit entgegen. Der Grund und Boden in Attika ist im 5. Jahrh. und später völlig frei veräußerlich und verpfändbar und, wenigstens in Ermangelung legitimer Söhne, unbedingt testamentarisch disponibel, sonst nur in Form von Legaten, gegen die es ein gesetzliches Pflichtteilsrecht nicht gab (anders als in Gortyn). Aus einer Lysiasstelle ist mit Unrecht der Fortbestand eines gesetzlichen Unterschiedes zwischen ererbtem und erworbenem Gut gefolgert worden. Es war damals in Athen lediglich Anstandspflicht, das erstere nicht zu veräußern (anders vielleicht noch im 4. Jahrhundert z.B. in Thera). Allerdings war es offenbar üblich, bei etwaiger Nachlaßteilung zu Lebzeiten das Erbland (im Gegensatz zum gekauften) den Söhnen zu geben. (Diese letzte Sitte könnte ihrem Ursprung nach mit dem »Inkyo« der Japaner und taciteischen Notizen über Erbübertragungen bei den Germanen zu vergleichen sein: der nicht mehr wehrhafte Mann hat in der Hoplitenpolis seinen κλῆρος an den Sohn abzugeben und geht aufs Altenteil. Er verliert damit ursprünglich wohl auch seine Stimme in der Heeresversammlung und sitzt dafür im Rat der Aeltesten.) Der Vorzug der Söhne im Erbrecht besteht, dem kriegerischen Charakter der Polis entsprechend, fort. Das Erbrecht ist Parentelerbrecht mit Vorzug des Mannesstammes; ein Subsidiarerbrecht der Sippe existiert nicht, auch keines der Phratrie (Rachepflicht und Erbrecht stehen also außer Beziehung zueinander). Ausgeschlossen vom Bodenbesitz ist jeder Nicht-Vollbürger, seit Perikles also jeder, der nicht beiderseits aus Vollbürgerfamilien (also nicht von Freigelassenen oder Metöken) stammt. Eine ökonomisch bedeutsame Konsequenz ist, daß auch von der Beteiligung an dem so grundlegend wichtigen Hypothekengeschäft (welches ja teils Kauf auf Wiederkauf war, teils die eventuelle Eigentumseinweisung des Gläubigers involvierte) alle Fremden und Metöken ausgeschlossen waren, diese Art der Kapitalanlage also den besitzenden Vollbürgern vorbehalten blieb. Das erste Privileg für Fremde, auf Hypotheken im Inlande auszuleihen, ist für Athen in der Zeit des dekeleischen Krieges nachweisbar, also Produkt der Not, und die Tragweite des Ausschlusses oder der Zulassung fremder Gläubiger geht daraus hervor, daß die Athener in ihrem sogenannten »zweiten Seebund« den Bundesgenossen speziell zusichern mußten, daß kein Athener in einer Bundesgenossenstadt Boden kaufen oder auf Hypothek leihen dürfe. Der Bodenwucher war eben neben der Staatspacht nach wie vor das kapitalistische Geschäft par excellence, und der erste attische Seebund hatte zweifellos eine Art von Hypotheken-Grundherrlichkeit der vermögenden Athener in den Bundesgenossenstädten bedeutet. Dies wird auch durch die Form des Grundkredits illustriert. Die Form des Pfandrechts war entweder die πρᾶσις ἐπὶ λύσει: der Verkauf des Grundstücks an den Gläubiger unter Vorbehalt des Wiederkaufs (juristisch dem entsprechenden deutschrechtlichen Institut ähnlicher gestaltet als der römischen »fiducia«), – oder die Hypothek in unserem Sinne. Noch in klassischer Zeit funktionieren beide nebeneinander und existieren außerdem die (wohl nur noch terminologisch von der Hypothek geschiedenen) ἀποτιμήματα (Dotal- und Vormünderschafts-Pfandrechte). Erst später gewinnt die eigentliche Hypothek gänzlich die Oberhand. Es wäre wohl möglich, daß ursprünglich nur öffentliche oder quasiöffentliche Verpflichtungen durch ein Pfandrecht ohne Besitzeinweisung gesichert werden konnten (Ursprung: in der Leiturgiekonstruktion). Noch im 4. Jahrh. zeigen die attischen Hypothekensteine bei Darlehen die πρᾶσις ἐπὶ λύσει als das Normale, nicht die Hypothek. Daß die Hypothek aus der persönlichen Schuldverknechtung (nach Ausscheidung der Person des Schuldners durch die Anti-Schuldhaftsgesetze) entstanden sei, möchte Szanto auch aus einer bekannten Inschrift von Halikarnassos (Bull. IV p. 295) folgern, während er die πρᾶσις ἐπὶ λύσει (ebenso wie die römische »fiducia«) aus einem einfachen definitiven Verkauf mit kreditiertem Kaufpreis entstehen läßt. Allein angesichts der Rolle, welche die mit Beschränkungen und sub causa erfolgenden Uebertragungen, die befristete Schuldverknechtung, die antichretischen Verträge usw. in anderen und zwar den untereinander verschiedensten und gerade auch den ältesten uns bekannten antiken Rechten spielen, vor allem angesichts der Rolle, welche gerade die Bodenverschuldung in sonst noch ziemlich »primitiven« Zuständen spielt, endlich auch angesichts des Fortbestandes der persönlichen Schuldverknechtung neben der Hypothek in vielen hellenischen Staaten, erscheint die (geistreich ausgeführte) Theorie nicht überzeugend, und dürfte auch keine Nötigung bestehen, sie in der Umgestaltung, die Swoboda in übrigens lehrreichen Ausführungen ihr gegeben hat, zu akzeptieren. Vielmehr ist das Wahrscheinliche, daß auch hier die πρᾶσις ἐκὶ λύσει sehr altes Recht, ebenso alt wie die Verpfändung von Weibern und Kindern des Schuldners ist, daß sie, wie im Mittelalter, das älteste Bodenpfandrecht ist, daß der Schuldner, der üblicherweise (hier wie sonst so oft) das Grundstück als Prekarist oder in Pacht (insbesondere als ἑκτημόριος) behielt, das (einlösliche) Eigentum des Gläubigers durch den ὅρος (Hypothekenstein) anerkannte. Inschriftlich erhalten sind ὅροι freilich (aber begreiflicherweise) erst aus dem 4. Jahrh., allein Solon erwähnt sie ausdrücklich. Die persönliche Versklavung des Schuldners wurde durch Solon verboten und zwar sowohl die Exekutionsversklavung, als das Borgen auf den eigenen Leib. Anderwärts blieb sie zulässig. Die Entwicklung der Hypothek war nur die natürliche Fortsetzung dieses Milderungsprozesses, hier wie anderwärts: die eigenmächtige ἐμβάτευσις des Gläubigers im Fall der Nichtzahlung und die Anwendung der δικη ἐξούλης gegen den Schuldner, der das dem Gläubiger verfallene Grundstück nicht räumt, wären dann Reste der alten Prekaristenstellung des Pfandschuldners. Durch die Entwicklung der Hypothek aus der πρᾶσις ἐτὶ λύσει erklärt sich auch die ursprüngliche Notwendigkeit des Konsenses des Gläubigers bei Veräußerungen. Allmählich entwickelte sich dann auch die Verpfändung der Hyperocha, die ursprünglich natürlich ebenfalls an den Konsens des Vorhypothekars gebunden war, und damit die Nachhypothek. – Der Boden- und Hypothekenverkehr war formell sehr erleichtert. Grundbücher existierten (trotz Aristoteles und Theophrast) wohl nur vereinzelt: in Tenos, wo auch, wie anscheinend in Chios, Hypothekenregister bestanden. Im übrigen genügte meist – so im attischen Recht – der einfache Kontrakt zur Uebereignung. Da in Athen (im Gegensatz zu Aegypten und Spätrom) keine Legalhypotheken existierten und die Steuerlisten und Grundkataster der Demarchen – namentlich seit der Neuordnung der Nausinikos (377) – über die Umsätze des Bodens Auskunft gaben, außerdem öffentliche Affichen vor der Veräußerung mit der Aufforderung an Prätendenten, Einspruch zu erheben, hier (wie öfter) vorgeschrieben war (anderwärts kommt die Pflicht öffentlichen Ausrufens oder eines öffentlichen Opfers vor), so war der Spezialität und Publizität für die Verhältnisse der räumlich beschränkten Polis Genüge getan. Fraglich ist nun: welchen Einfluß diese Verkehrsfreiheit und Verkehrssicherheit, in Verbindung mit der Demen-Verfassung, auf die soziale Gliederung des platten Landes, speziell in Attika, gehabt hat.

Die Freiheit des Bodenverkehrs ist keineswegs erstmalig das Werk von Solon. Neu ist von ihm nachweislich die Freiheit des Testaments. Im übrigen hat er vielleicht ebensoviele Schranken neu geschaffen (Kommassationsverbot) wie beseitigt. Die neuerdings mehrfach (Fustel de Coulanges, Wilbrandt) vertretene Hypothese, daß Solon ein bis dahin bestehendes allgemeines Geschlechter- Eigentum am Grund und Boden Attikas, welches jeden Bodenverkehr und jedes individuelle Privateigentum ausschloß, beseitigt habe, ist in keiner Weise beglaubigt, steht mit der Ueberlieferung über Drakons Hoplitenzensus und den solonischen Klassen – welche ja zweifellos schon vor ihm für Steuer- und Wehrpflicht-Abstufung bestanden und eine individuelle ökonomische Differenzierung als bestehend voraussetzen – und mit allen Analogien im Widerspruch. Die »Geschlechter« sind im Altertum überall weit jünger als das (natürlich normalerweise familienhaft durch Retraktrechte gebundene) Privateigentum an Boden, Produkt der Differenzierung durch den Handels- und Beutegewinnst. Keine sichere Nachricht über derartige Zustände, wie jene Theorie sie voraussetzt, liegt vor. Die Ausführungen von Wilbrandt über die Beschränkungen des Grundbesitzverkehrs projizieren gesetzgeberische Schranken, welche im Interesse der Wehrhaftigkeit getroffen wurden, in die ferne Vergangenheit, und was er über die πρᾶσις ἐπὶ λύσει sagt, übersieht, daß ja der »kaufende« Gläubiger nicht Eigentum, sondern einlösliches Recht erwarb, aber eben ein Recht am Boden, nicht nur an den Einkünften (was nirgends vorkommt). Ebenso kann ich freilich der Ansicht Swobodas nicht beitreten, daß die Klasse der »Hektemorier« ein Stand von »Hörigen« nach Art der spartanischen Heloten gewesen sei. (Daß sie andererseits nicht »Akkordarbeiter« gewesen sein können, wurde schon bemerkt.) Was Swoboda über ihre Stellung im Erbrecht, ferner ihre glebae adscriptio, ihren Anspruch auf Rechtsvertretung, ihre Fronden usw. ausführt, sind Hypothesen, und zwar, soweit das Entstehen von Großbetrieben in Frage kommt, m.E. ganz unwahrscheinliche, veranlaßt (wie für Rom bei K.J. Neumann) dadurch, daß der Verfasser, durch die Arbeiten unseres Meisters G.F. Knapp fasziniert, einen von diesem glänzend geschilderten modernen Prozeß ins Altertum projizierte. Die »Abschaffung« eines Hörigeninstitutes durch Solon ist nirgends überliefert, was doch wohl sicher der Fall wäre, hätte er es getan. Daß er die Notwendigkeit der Prozeß klientel beseitigt habe, wird aus der Tradition wohl mit Recht erschlossen (setzt aber das Bestehen plebejischer Freiheit vor ihm natürlich voraus). Die »πελάται«, die besitzlosen und deshalb in Klientel befindlichen Arbeiter, gewinnen nun volle Prozeß standschaft. (Aber sie sind mit den Hektemoriern nicht identisch, wie eine schon bei den antiken Lexikographen vorkommende Ansicht annimmt.) Das, was (m.E.) an Sw.s Ausführungen zutreffend bleibt, dürfte auch durch die Hypothese berücksichtigt werden: die Hektemorier waren (s.o.) Pfandschuldner, deren Grundstück der Gläubiger im Besitz hatte, auf dem er sie als Teilpächter arbeiten ließ. Die generelle Herrschaft des »Sechstels« könnte dann ein Punkt sein, der auf gesetzlicher Regelung beruht: einer Regelung, die eine Beschränkung der Gläubigerrechte bedeutete. Solon hat die Institution allerdings beseitigt: indem er die ganze Schuldgesetzgebung reformierte und die bestehenden Pfandschulden (damit also auch die bestehenden Hektemorier-Verhältnisse) kassierte. Denn allerdings: mit ihm hört das Bestehen des Verhältnisses auf. Auch die einzige Stelle, welche Solon mit dem Teilbauverhältnis in Beziehung bringt (Pollux VII, 151), stimmt dazu: das Land, die »γῆ ἐπίμορτος«, war es, mit dessen Schicksal (d.h. Entpfändung) Solons Gesetz sich befaßt, nicht: ein Stand von ἑκτημόριοι. Welche Form die schon früher erwähnte solonische Bodenakkumulationsbeschränkung hatte, ist nicht überliefert. Ein direktes Verbot war sie nach dem Wortlaut der betreffenden Aristoteles-Stelle (Polit. II, 4, 4) kaum. Das (von ihm als vorkommend erwähnte) allgemeine Verbot des Verkaufs von Land in weiterer Entfernung von der Stadt an Stadtbewohner (d.h.: Adel) wäre in Athen in der Zeit der Parteikämpfe zwischen den Pedianen und Diakriern recht wohl denkbar, aber dann eher dem Peisistratos zuzutrauen. Sehr möglich erscheint dagegen, daß Erwerbsschranken für Land außerhalb des eigenen Demos bei der Begründung der attischen Verwaltungsorganisation auf die Demen durch Kleisthenes, wahrscheinlich seit Peisistratos, während dessen Regiment eine Parzellierung des zu Solons Zeit »δι᾽ ὀλίγων« befindlich gewesenen Landbesitzes sich vollzogen haben muß, bestanden. Denn noch im 4. Jahrhundert erhoben die attischen Demen, welche den Kataster führten, von dem Landbesitz eines jeden, der nicht zum Demos gehörte, eine Abgabe. Dies »ἐγκτητικὸν« war naturgemäß eine fühlbare Schranke für die Kapitalanlage auch in Landhypotheken. Im übrigen zeigt es das Bestehen kräftiger lokaler Gemeindeverbände auf dem platten Land. Während des ganzen 5. und, trotz der furchtbaren Verwüstungen des peloponnesischen Krieges, auch des 4. Jahrhunderts ist denn auch die attische Landgemeinde eine lebendige Einheit, wie die Inschriften zeigen (obschon die Frage ihrer Finanzlage durch die Plotheia-Inschrift nicht geklärt ist, da nicht sicher feststeht, ob die rund 22000 Drachmen derselben Kapital oder Jahresausgabe sind). Der »Demos« besitzt, verwaltet, verpachtet (der Demos Aixone auf 40 Jahre) eigenes Land (auch Felder, Weinberge, und je nachdem Theater und sicher auch Tabernen aller Art); er ist der Aushebungsbezirk: der Erkrankte darf aus seinem Demos einen Ersatzmann zum Heer stellen; er ist unterster Steuereinhebungsbezirk, bestimmt daher die Persönlichkeit des zur Proeisphora Verpflichteten; er ist endlich an der Bildung der Bule (durch das Los) beteiligt. Die Prytanenurkunden ergeben die Beteiligung je aller Demen der betreffenden Phyle, und zwar scheint es, daß das Prinzip der Proportionalvertretung zugrunde lag. Dabei wirkte allerdings gerade das Prinzip der erblichen Zugehörigkeit zum Demos der Absicht der peisistrateischen wie der kleisthenischen Politik schließlich entgegen. Der Zweck war ja: politische Herrschaft der hoplitenfähigen Mittelbesitzer, Zerbrechung der großen Geschlechtsverbände. Zu diesem Zweck wurde, wie jeder Nobili in den demokratischen Gemeinden Italiens einer Zunft, so hier jeder Adelige einem Dorf zugeschrieben, sein auswärts liegender Grundbesitz einer Sondersteuer unterworfen. Des weiteren wurden (unbekannt, wann?) die Phratrien genötigt, sowohl ὁμογάλακτες (Altadel) als ὀργεῶνες (die künstlich geschaffenen Quasigentes der Neubürger) in sich aufzunehmen, später auch: θίασοι: die freigebildeten Bürgervereine der nichtansässigen, jeglicher Gentilorganisation entbehrenden Bevölkerung10. Und während in der ersten Demotionideninschrift (Anfang des 4. Jahrh.) in der Phratrie noch der alte »οἶκος« (Eupatridengeschlecht) der Dekeleier als Rest älterer Rechte eine Art Offizialanwaltsstellung bei der wichtigsten Funktion der Phratrie: Einschreibung in die Bürgerlisten, behauptet hat, ist in der zweiten (Mitte des 4. Jahrh.) die erstinstanzliche Entscheidung ganz in die Hand des θιασος gelegt und fehlt das Eingreifen des Adels. Phratrie und Demos sind demokratisiert. Die Demen haben das starke Hoplitenheer Athens in der Zeit seiner größten Machtstellung (480-460) gestellt, und zwar die Bauernschaft in erster Linie. Von etwa 30-33000 Zeugiten (neben ca. 2000-2400 Pentakosiomedimnen und Rittern), die Athen (neben ca. 20000 Theten) im Jahre 431 nach E. Meyers Berechnung besaß, mag noch die Mehrzahl auf dem Lande gewohnt haben. Aber nicht mehr das Land war politisch ausschlaggebend. Die Zugehörigkeit zum Demos war jetzt, ähnlich der russischen Zugehörigkeit des Bauern zu seinem Mir, – nur ohne Konsequenzen für die persönliche Freizügigkeit – unverlierbar und unabhängig vom Wohnsitz und Beruf. In seinem Demos wird der Einzelne zur Steuer herangezogen, wo immer er sich auch aufhalte. Die stadtgesessenen Mitglieder der Demen waren aber allein in der Lage, regelmäßig an der Volksversammlung teilzunehmen, in welcher daher unter Umständen der ναυτικὸς ὄχλος seinen aus der Politik der Demokratie bekannten Einfluß üben konnte. Hiergegen spricht es natürlich nicht, daß nachweislich überwiegend Besitzende im Rat, in der Strategie und in der Finanzverwaltung gesessen haben und daß auch die inschriftlich bekannten Antragsteller in der Volksversammlung zum erheblichen Teil Besitzende waren. Der antike Berufspolitiker mußte im allgemeinen ein »besitzender« Mann sein (auch die älteren Führer der Sozialdemokratie sind es ja zum recht erheblichen Teil, obwohl heute Redakteurs- und Sekretärstellen usw. zur Verfügung stehen). Dagegen ist praktisch wichtig und charakteristisch die, wie es scheint, steigende Rolle, welche die Begüterten in der Lokalverwaltung vieler Demen spielten, und natürlich noch wichtiger die damit zusammenhängende Frage nach der Besitzverteilung innerhalb der Demen. Trotz jenes starken Einflusses scheint diese noch im 4. Jahrhundert nicht plutokratisch gewesen zu sein. Im 5. Jahrhundert soll etwa 1/4 der attischen Bürger des Bodenbesitzes entbehrt haben, die Mehrheit aller auf dem Lande ansässig gewesen sein. Authentisches ist darüber nicht bekannt. Aus den vorkommenden Bodendotationen ersehen wir, daß Güter von (nach unseren Begriffen) bäuerlichem Umfang als ansehnliches Präsent galten, Besitzungen von mehr als 50 ha (allerdings im Fall von Oelkultur ein recht bedeutendes Ausmaß) wohl kaum vorkamen. 50 ha könnte der ungefähre Umfang eines dem alten Minimum des Pentakosiomedimnen-Zensus entsprechenden Gutes gewesen sein11. Ein Adliger wie Alkibiades erbte nur ca. 30 ha. Schon Kimon hatte die 50 Talente Strafe für seinen Vater Miltiades natürlich nicht aus Bodenrenten, sondern aus internationalen Kapitalgewinnsten gezahlt. Führende Staatsmänner des peloponnesischen Krieges, einerlei ob konservativ (Nikias) oder radikal (Kleon), sind keine Grund-, sondern Sklavenbesitzer (aber nicht: »Fabrikanten«, s.u.), ebenso später Demosthenes. Die Erbpachtstellen sind ebenfalls im ganzen nur mittlere Bauernstellen, größer nur da, wo es sich um Neulandvergebung (eigentliche »Emphyteuse«) handelte. Man darf eben die – im Gegensatz zum Orient und zu Rom – große Einfachheit der Lebensführung und gerade der »Kulturträger« des Hellenentums in der Zeit seiner höchsten schöpferischen Entfaltung nie vergessen. Die hellenische Kunst speziell ist absolut nicht auf dem Boden des Raffinements materieller Bedürfnisse entstanden.

Die ganz unbezweifelbare Abnahme der Hoplitenwehrkraft Athens, d.h. die Nichtausfüllung der durch die Kriegsverluste gerissenen gewaltigen Lücken, könnte ihre Gründe im wesentlichen in folgenden Umständen haben: 1. Abnahme der Zahl der ökonomisch zur Panhoplie Fähigen durch Parzellierung, oder umgekehrt durch Kommassation, – 2. Abnahme der Qualifikation der ökonomisch Fähigen durch stärkere ökonomische Bindung an die Wirtschaft mit zunehmender Intensität: – abnehmendes »training«. Diese Gründe könnten zusammengewirkt haben, ohne daß sich, für Athen, mit Sicherheit beweisen ließe, welches Moment überwog. Die von Sundwall beobachtete Bewegung der den einzelnen Kategorien von Demen angehörigen Bevölkerung (nach der jeweiligen Prytanenverteilung auf die »Tritthyen«, welche ergibt, daß im 4. Jahrh. die Binnenlanddemen stabil blieben, die Küstendemen zunehmen, die Stadtdemen abnehmen) gibt, interessant wie sie ist, dennoch natürlich ein mehrdeutiges Resultat, soweit Wohnsitz und Beruf, vor allem aber die Frage nach der Dichtigkeit der Landbevölkerung in Frage kommt. Die erblich aus den Städten und ihrer direkten Umgebung stammenden Familien sterben ja überall schneller ab; die Zunahme der Küstendemen, der eigentlichen Träger des Radikalismus, ist vielleicht Folge hoher Ehefrequenz infolge der Verdienstchancen im Seeverkehr: sie ist aber jedenfalls schwerlich Zunahme von Bauern; die Stabilität der Volkszahl der Binnenlanddemen beweist nicht, daß deren Angehörige Bauern geblieben waren oder auch nur auf dem Lande wohnten. Daß die Schwächung gerade der städtischen Demen durch besonders starke Heranziehung gerade ihrer Mitglieder zu den Kleruchien bedingt gewesen sei, ist doch wenig wahrscheinlich. Eher könnte hier die Verengerung des Nahrungsspielraums der freien Arbeit durch die Sklaverei (s. gleich) in Betracht kommen. Sicher ist nur, daß damals in zahlreichen Landdemen begüterte Geschlechter faktisch erblich das Heft in der Hand hatten, ferner daß das Leben in den Demen seit dem Ende des 4. Jahrh. zu ersterben begann. Verkauf der Demenämter einerseits, Monopolisierung derselben durch die Besitzenden andererseits gehen schon im 4. Jahrh. nebeneinander, und überzeugend kommt die abnehmende politische und soziale Bedeutung des ländlichen Mittelstandes in dem Aufhören der Demeninschriften im 3. Jahrh. zum Ausdruck. Dies ist nun wohl die Folge der Vermögensverschiebungen der hellenistischen Zeit (s.u.). Dagegen läßt sich für die klassische Zeit weder sagen, welchen Umfang die Sklavenarbeit auf dem Lande angenommen hatte, noch, welche Bedeutung der Pacht zukam. Was zunächst die letztere anlangt, so ist, im Gegensatz gegen den Orient (aus Gründen des üblichen Urkundenmaterials), nur eine (verstümmelte) rein private Pachturkunde aus Athen überliefert, sonst nur Pachtverträge mit öffentlichen Körperschaften. Sicher ist nur das entschiedene Ueberwiegen der festen Pacht, nicht nur in Athen, sondern im Gebiet von Althellas überhaupt, gegenüber der, wie es scheint, dort lange Zeit ganz in den Hintergrund getretenen Teilpacht, und die Häufigkeit von Geldpachten (speziell natürlich in Attika) gegenüber Natural- oder gemischten Pachten. Ferner, entsprechend dem hohen Zinsfuß des Altertums, eine für unsere Begriffe ziemlich mäßige Kapitalisationsrate bei Grundstücken (die Pacht eines rein ländlichen Grundstückes in Thria beträgt 8% des Schätzungswertes, in anderen Fällen ist das Verhältnis von Pacht- und Kaufwert nicht feststellbar, weil andere als landwirtschaftliche Objekte inbegriffen sind. Die stets sehr viel niedrigere Rate der Erbpachten: 4% und etwas mehr, ist natürlich nicht vergleichbar). Die Lage des Pächters erscheint, verglichen mit dem orientalischen und dem römischen, relativ günstig, – was allerdings die Folge davon sein dürfte, daß wir wesentlich Verpachtungen öffentlichen Landes als Beispiele kennen. Die Pachtfristen sind, wo sie genannt werden, im Gegensatz zum Orient, relativ lang: 5, oft 10 Jahre. Doch kommen auch Pachten ohne Befristung, also entweder lebenslänglich oder umgekehrt, »at will« vor. Daß der Pächter als anbaupflichtig gilt, daß seine Bodenbestellung nicht nur – wie natürlich – reglementiert, sondern unter Umständen auch regelmäßig beaufsichtigt wird, versteht sich bei öffentlichen Pachten von selbst; wieweit das letztere bei Privatpachten stattfand, steht dahin. – Zweifelhaft ist endlich, wie schon bemerkt, in welchem Maße Sklavenarbeit auf dem Lande verwertet wurde.

Es muß hier wohl oder übel die Frage nach der Art und Bedeutung der Sklavenarbeit in der »klassischen« Zeit (5./4. Jahrh.) überhaupt berührt werden. Gegenüber den ungeheuren Uebertreibungen der früheren Schätzungen ist, namentlich unter E. Meyers Einfluß, eine starke Reaktion eingetreten, und auch, soweit Althellas in Betracht kommt, quantitativ sicher im wesentlichen mit Recht. Sie ist jedoch qualitativ, in bezug auf die industrielle Sklavenarbeit, noch nicht konsequent genug (insofern der Begriff der Sklaven-»Fabrik« festgehalten wird), andererseits aber auch zu weitgehend, indem, jetzt namentlich im Anschluß an Francottes Buch, die Rückwirkung der Sklaverei auf die Lage der freien Arbeit zuweilen bedeutend unterschätzt wird. Dem oben schon darüber Gesagten sei daher noch einiges hinzugefügt: – Der sichtlich anschwellende Sklavenbesitz hat auch in Althellas nicht in solchem Maße, wie ich es früher annahm, durch Selbstherstellung des Bedarfs die geldwirtschaftliche Bedarfsdeckung des »Oikos« und damit die Kaufkraft des Markts geschwächt. Aber gefehlt hat diese Wirkung keineswegs, und sie war von erheblicher Bedeutung: 1. Es wird von Perikles erzählt, daß er (aus politischen Gründen) sich tunlichst »aushäusig«, also durch Kauf bzw. Beschäftigung freier Handwerker, versorgte: ein deutlicher Hinweis auf die verdiensteinschränkende Wirkung der seigneurialen Haussklaverei, welche, je größer der Sklavenbesitz eines Haushalts war, eine desto größere Anzahl spezialisierter Funktionäre im Hause züchtete und, in wenigstens annähernd entsprechendem Maße, freies »Lohnwerk« ausschaltete. 2. Kleidung und, in der Stadt, Speise des Sklaven wird im Altertum allerdings in erheblichem Umfang gekauft (wie s.Z. in den Südstaaten von Nordamerika). Allein die Konkurrenz der Sklaven, welche ihrerseits naturgemäß in der Lebenshaltung auf das Allernotwendigste beschränkt blieben, mußte auf die Lebenshaltung und Kaufkraft der besitzlosen Arbeiter überhaupt und damit auf die Entwicklung des Gütermarktes wirken. Wie prekär die Nachfrage nach Industrieprodukten bei dem Bedürfnisstand der Massen im Altertum sein mußte, läßt sich wohl u.a. aus der Notiz schließen, daß die Athener bundesgenössischen Städten infolge einer Mißernte im Pontosgebiet den Tribut stunden mußten: so sehr hing alles an den jeweiligen Preisen allein des Brotes. Die große Bauinschrift des Erechtheion ergibt für die gemieteten freien Arbeiter und für die Sklaven den gleichen Satz von 1 Drachme pro Tag, im 4. Jahrh. kommen sogar Lohnsätze (für gelernte Arbeiter allerdings) bis zu 2 Drachmen pro Tag vor, während in Eleusis (4. Jahrh.) die von dem Tempel an seine eigenen Sklaven für Nahrung berechneten Gelder nur 3 Obolen betrugen, in Delphoi 338 dem Unternehmer ebenfalls 3 Obolen σιτήριον berechnet werden, endlich für Delos, noch später, die Selbstkosten der Nahrung nur 2 Obolen betragen. Allein es ist zu bedenken, daß es in Athen die Demokratie ist, welche im 5. Jahrh. jene anständigen Löhne bei öffentlichen Arbeiten zahlen läßt, – Löhne, die dem Besitzer der Sklaven, der sie für den Bau hergab, freilich einen erheblichen Gewinn abwerfen konnten, sei es, daß er ἀποφορά von ihnen bezog, sei es daß er sie gegen Lohn vermietete, – für die freien Arbeiter aber, falls sie Familien gehabt hätten, trotz allem vielleicht nur eben ausgereicht hätten. Auch beweisen jene Zahlen schon an sich durchaus nicht (nähere Ausführung ist hier unmöglich), daß die Konkurrenz der Sklavenarbeit – soweit sie stattfand – nichtdrückend gewesen sei, wie Francotte glaubt. Die Beschränkung der Löhne (nichtländlicher!) freier Arbeiter auf die bloße Gewährung des einfachen physischen Unterhalts (in anderen Fällen: der Nahrung) in Naturalien, wie sie, nach ägyptisch-orientalischer Art, auch in Griechenland (so 282 – also in einer Zeit wesentlich entwickelterer Geldwirtschaft – in Delos) vorkommt, illustriert die Tendenz zur Beschränkung der Lohnsätze auf das »Existenzminimum«, soweit nicht Elitearbeit, starker akuter Arbeitsbedarf (speziell Qualitätsarbeitsbedarf, wie z.B. wohl bei jenen gelernten Arbeitern, die 2 Drachmen erhalten fast zur gleichen Zeit, wo ungelernte nur in natura sustentiert wurden) oder politische Gründe einwirkten. Die soziale Deklassierung der freien Arbeit durch das Zusammenarbeiten der Sklaven mit den Freien – beim Erechtheion sind promiscue Bürger, Metöken und Sklaven Mitglieder und Leiter der Akkordgruppen – konnte keinesfalls ausbleiben. Und die Entgegnung des Aristarchos in den Memorabilien auf die Bemerkung des Sokrates über den Wohlstand athenischer Bürger: daß sie von diesem ihrem Geldverdienst Barbaren kauften und arbeiten ließen, bleibt in ihrer Bedeutung voll bestehen. – Sowohl die Haussklaven wie die Arbeitssklaven schränkten also den Erwerbsspielraum für die freie Arbeit ein. Daß, angesichts der engen Bürgerrechtspolitik und der in der ganzen alten Welt wiederkehrenden Bestrebungen zur Monopolisierung von »Unternehmer«-Profitchancen zugunsten der Bürgerschaft, in der ganzen klassischen Zeit von keinem Versuch etwas bekannt ist, eine Beschränkung der Vergebung öffentlicher Arbeiten an einheimische Handwerker zu erzwingen, – während die Zeit der Tyrannis und der Gesetzgeber (s.o.) Sklavenbeschrän kungen kannte –, diese Tatsache allein schon zeigt die Ohnmacht, in welcher sich damals bereits die auf ihrer Hände Arbeit angewiesenen Freien, und doch wohl zweifellos infolge der Expansion der Sklaverei, befanden. Außerdem freilich zeigt sie auch die Unmöglichkeit einer solchen Beschränkung infolge des Fehlens einer hinlänglich zahlreichen freien »Arbeiterschaft« im heutigen Sinn. Die großen Staatsaufträge mit ihrem akuten Arbeitsbedarf fanden zweifellos überhaupt nicht die nötige Anzahl von Arbeitskräften innerhalb der freien Handwerker und Arbeiter, und (zum Teil infolge der Bürgerrechtspolitik!) erst recht nicht der Bürgerschaft allein vor, um eine derartige Beschränkung, deren Popularität – vollends wenn man sich den attischen Demos als ein Volk von in erster Linie Handwerkern vorstellt, wie es noch immer so oft geschieht – doch sehr nahe lag, auch nur in Betracht ziehen zu können. – Gewiß drangen die Sklaven, da die Herren naturgemäß die langen Lehrzeiten scheuten, vornehmlich in die gröberen Gebiete der Arbeit ein und es gab Beschäftigungen – wie z.B. das Mahlen –, zu denen sich Freie im ganzen Altertum überhaupt nur in Zeiten äußerster Not verdangen. Aber andererseits emanzipierte sich das freie Handwerk erst spät und nur teilweise von seinem Charakter als Familienarbeit und erlangte nie eine der mittelalterlichen entsprechende Struktur. Daß das Wort »σύ νεργος« (oder ähnliche) gelegentlich eine unserem »Gesellen« ähnliche Stellung bezeichnen kann, ist nicht unbedingt zu bestreiten. Ob der Apostel Paulus im Lohn seines Handwerksgenossen Aquila stand, bei dem er arbeitete (Act. Ap. 18, 2), ist aber unsicher, und von den Leuten, die der Goldschmied Demetrius außer den Genossen seines eigenen Handwerks noch gegen die götzenfeindlichen Christen mobil macht (eod. 19, 25) ist es ebenfalls wahrscheinlicher, daß selbständige Handwerker anderer Branchen, die auch an der Herstellung von Kultgegenständen interessiert waren, gemeint sind. Immerhin ist das Vorkommen gelernter, aber mittelloser, Handwerker im Dienst anderer, welche die Werkzeuge und Rohstoffe stellen, für die hellenistische Zeit sehr möglich. Aber in der klassischen Zeit ist es, alles in allem, das Wahrscheinlichste, daß, wo wir einen als »ἡγεμών« (oder ähnlich) bezeichneten oder so behandelten Handwerker in Gemeinschaft mit anderen an der Arbeit finden, es sich in der Regel um ad hoc geschaffene Assoziationen handelt, jedenfalls in all den (weit überwiegenden) Fällen, wo die Werkzeuge nicht erhebliche Wertobjekte (also: »Kapital«) waren. Zweifel bleiben oft. Die Genossen z.B., welche beim Kannellieren mit den Vorarbeitern am Erechtheion gruppenweise zusammenarbeiten und gruppenweise bezahlt worden, sind teils Sklaven des Vorarbeiters, teils (anscheinend) an dere Sklaven (von ihm gemietet? oder auf eigene Rechnung arbeitend?), teils endlich freie Metöken und Bürger. Da einer der Vorarbeiter selbst Sklave und einer seiner Mitarbeiter frei ist, kann von einem »Gesellen«-Verhältnis keine Rede sein. Die Arbeitergruppen sind offenbar von der Bauleitung eingeteilt, unter Berücksichtigung der Fähigkeiten, wie die verschieden hohen Erträgnisse der einzelnen Gruppen zu beweisen scheinen (Francotte), und vermutlich unter höherer Bezahlung des Vorarbeiters. Vor allem aber findet sich das Verhältnis des Vorarbeiters und der Mitarbeiter auch innerhalb der unfreien Ergasterien, also in der Form einer Art von unfreier Produktivgenossenschaft: so in dem des Timarchos, wo der ἡγεμών dem Herrn eine höhere ἀποφορά zahlt, als die anderen, also offenbar einfach ein besonders hochgelernter unfreier Arbeiter – denkbarerweise: ein Freigelassener – seiner Branche ist, welcher der Werkstatt vorsteht, Dritten gegenüber als Vorarbeiter auftritt und dadurch Extragewinn macht. Jedenfalls bedürften diese Ansätze zu einer inneren Gliederung des Gewerbes noch der Untersuchung, – soviel aber steht fest, daß im Vergleich zur mittelalterlichen Gliederung das antike freie Gewerbe »amorph« war. Ueber die ἐργαστήρια ist das für uns Wesentliche schon früher gesagt12. Hier sei nur hinzugefügt: Der Herr konnte seine Arbeitssklaven nützen a) indem er sie vermietete, – b) indem er sie selbst beschäftigte, sie sustentierte und, soweit es sich um »Preiswerk« handelte, für Rohstoffe, Werkzeuge und Vertrieb selbst sorgte, – c) indem er sie selbst beschäftigte, aber ihnen für ihren Unterhalt eine Pauschalsumme gab (αὐτόσιτοι), – d) indem er ihnen die Verwertung ihrer Arbeitskraft (als »Lohnwerker«) selbst überließ und sich von ihnen eine feste Rente (ἀποφορά) geben ließ, – e) wenn es sich um »Preiswerk« handelte, indem er ihnen die Besorgung von Lokal, Rohstoffen und Werkzeug aus ihrem peculium überließ und sich ἀποφορά zahlen ließ, – f) endlich durch Mischung des ἀποφορά-Verhältnisses mit Lieferung des Lokals, Rohstoffes, Werkzeug durch den Herrn, ein Verhältnis, wie es in dem Fall des Timarchos (nicht aber, wie Francotte annimmt, in dem des Demosthenes) bestanden zu haben scheint. Selbstverständlich ist jede Form der Nutzung, welche das Eigeninteresse des Sklaven mobil macht, für die Entwicklung der Produktivkraft der Sklavenarbeit – welche bei den großen Bauten offenbar um nichts hinter der freier Arbeiter zurückbleibt – die weitaus günstigere, also: normalerweise auch für den Herrn rentablere. Denn wenn schon die Rentabilitätsrechnung sich komplizierter stellt, als Francotte sie aufzumachen versucht hat, so zeigen doch die unzähligen Freilassungsinschriften an den Tempeln, daß die Herren mit ziemlich schnellem Verschleiß ihrer Sklavenkapitalien rechneten. – Die Entstehung industrieller Sklavenarbeit für den Markt überhaupt, speziell aber der Besitz eines ἐργαστήριον in eigener Regie, ist offenbar von den kaufmännischen Importeuren der Rohstoffe (bzw. eines von ihnen, bei Demosthenes: Elfenbein zum Einlegen in Messergriffe und Holzarbeiten) ganz ebenso ausgegangen, wie umgekehrt im Mittelalter die Hausindustrie von den kaufmännischen Exporteuren der fertigen Produkte. Bei Demosthenes erklärt sich daher auch vom importierten Rohstoff – Elfenbein – her die scheinbar seltsame Kombination eines Messerschmiede- und eines Tischlerei-ἐργαστήριον. Die Rohstoffe verarbeitete Demosthenes senior ursprünglich vielleicht gar nicht, später nur zum Teil selbst, er verkaufte davon vielmehr jederzeit »τῷ βουλομένῳ«; den Vorrat aber, den er hinterließ, schätzt der Sohn auf ca. 11250 M. Wert. Dies bei einem Wert des Gesamtvermögens von 62000 M., wovon etwa 13200 M. – und zwar meist bei Banken und auf Seerisiko – ausgeliehen waren und die Arbeitssklaven etwa 17550 M. ausgemacht haben sollen, während, außer dem auf ca. 2250 M. geschätzten Hause, Landbesitz nicht, dagegen Bargeld, verarbeitetes Edelmetall und andere Wertobjekte, also: thesauriertes, nicht als »Kapital«, fungierendes bewegliches Vermögen im Werte von 18000 M. (mehr als die beiden »Fabriken« zusammengenommen) vorhanden waren13. Der spezifisch kaufmännische Ursprung des Vermögens springt in die Augen. Ein ἐργαστήριον ist Gelegenheitserwerb: die Sklaven sind als Pfand (πρᾶσις ἐπὶ λύσει), wahrscheinlich eines Elfenbeinkunden, der nicht zahlte, in Demosthenes' Hand gelangt, beide aber sind ganz offenbar lediglich Veranstaltungen zur Verwertung von Kaufmannsgut. Zuweilen ist die Kombination der »Berufe« auch ganz zufällig (so, bei Timarchos, der gleichzeitige Besitz von Gerbern, Stickern usw.), rein durch die jeweilige Möglichkeit eines Gelegenheitskaufes als Kapitalanlage bedingt. Und es ist nicht fraglich, daß die Zahl der Kaufsklaven in historischer Zeit die οἰκογενεῖς übertraf, – aus den in der Einleitung oben angeführten Gründen. Alle jene Verhältnisse hat z.B. Francotte gar nicht untersucht, dessen – sehr verdienstliches – Buch, obwohl es in bezug auf die ökonomische Struktur der Antike eigentlich nur weiter ausführt, was schon Bücher u.a. gesagt hatten, anscheinend das erste ist, welches den Historikern Eindruck macht. Gerade diese Dinge aber bedürften, trotz einiger sehr guter Einzelvorarbeiten, noch sehr der systematischen Analyse. Denn es hängt mit dieser Eigenart der Entwicklung des gewerblichen Kapitalismus im Altertum auch zusammen, daß er – man kann nahezu sagen – keinerlei Fortschritt in der Technik und Oekonomik des Arbeitsprozesses gegenüber dem Kleinhandwerk involvierte. Selbstredend gab es – wie zur Ergänzung der früher gemachten Bemerkungen zu sagen ist – seit ältester Zeit Arbeitszerlegung und -vereinigung, deutlicher: das arbeitsteilige Zusammenwirken mehrerer bei einem Produktionsvorgang innerhalb der Betriebe: zahlreiche ägyptische und pompejanische Wandbilder und die antiken Vasen wären des Zeuge, wollte man es irgend bezweifeln. Die Zahl der kombinierten, unter sich differenzierten Funktionen in einer und derselben Werkstatt ist dabei nicht groß, und, was wichtiger ist: sie ist in der Zeitkapitalistischer Invasion der Gewerbe nicht in Zunahme begriffen. Die wenigen auf »Fortschritt« zum »Großbetrieb«, das heißt: zur Differenzierung innerhalb des Betriebes und zur rationalen Arbeitsersparnis hin zugeschnittenen technischen Neuerungen des Altertums sind solche für den Landbau und die landwirtschaftlichen Nebengewerbe des Okzidentes, wo das Kapital (zuerst bei den Karthagern) die Plantageschuf. Für das private Gewerbe (also außerhalb der Kriegstechnik und der teils militärisch-politisch interessierten, teils staatlich dirigierten Bautechnik) ist derartiges nicht feststellbar. Bei den ungeheuren Schwankungen der Marktlage und der Unterhaltskosten der Sklaven und bei der Labilität der Vermögen mußte und wollte der Sklavenbesitzer eben jederzeit in der Lage sein, sei nen Sklavenbestand zu teilen oder anderweit zu verwerten: er war eben Rentner, nicht: Unternehmer. Vor allem aber hinderte der »Bedürfnisstand«, der auf der politisch und durch die Sklaverei bedingten Art der Vermögensverteilung ruht, im Altertum die Organisation schon von »Hausindustrien«, geschweige denn: »Fabriken«.

Daß das Kapital, wie heute, die Wissenschaft in seinen Dienst nimmt, um Großbetriebe mit »innerer Arbeitsteilung« und technisch aus dieser herauswachsenden Arbeitswerkzeugen zu schaffen, ist weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft dauernd gültig: Es ist rein historisch bedingt und keineswegs aus der Eigenart des Kapitals als solchen deduzierbar, – welches einfach Gewinn sucht, wo und wie es ihn am bequemsten bekommen kann. Und der bequemste Weg dazu war im Altertum nicht der Weg der Schöpfung neuer Methoden der Arbeitszerlegung zwecks Schaffung großer disziplinierter und arbeitsteiliger Betriebseinheiten: weder qualifizierte sich die Sklavenarbeit technisch und »ethisch« dazu, noch war, bei der Art der Vermögensverteilung und der Entwicklung des Bedürfnisstandes der Antike, der expansive Markt für industrielle Massengüter zu schaffen. Ob die Zunahme des Austausches gewerblicher Erzeugnisse im Verlauf der kapitalistischen Entwicklung des Altertums irgendwie Schritt gehalten hat mit der unzweifelhaften Zunahme des Austausches landwirtschaftlich (für den privaten, staatlich nicht kontrollierten Verkehr: garten-) und bergbaulicher Produkte, ist bekanntlich äußerst zweifelhaft. Sicher aber ist, daß der Fortschritt der »kapitalistischen« Entwicklung die ökonomische und soziale Lage des Gewerbes, als Ganzen, nicht gehoben, sondern lediglich seine alten Grundlagen zersetzt hat. Der Demiurgos in der Polis der Frühzeit mochte dem adeligen Herrn als völlig unebenbürtig gelten, er war doch, namentlich soweit er Waffen oder Schiffe herstellte, militärisch unentbehrlich und, soweit er Kunsthandwerker war, auch sozial leidlich geschätzt: Der Schmied z.B. spielt bei Hesiod seine Rolle im Dorf; noch Solon nennt sein Gewerbe unter den Mitteln, ökonomisch hochzukommen. Aber die Zeit, wo die Hausgemeinschaft des Demiurgen an der ererbten Geheimkunst so reich wurde, daß er nach den Aemtern der Höchstbesteuerten streben konnte, ist mit der Entwicklung zur Kleinfamilie infolge der Geldwirtschaft vorüber. Das anlagesuchende Kapital schafft unfreie gelernte Handwerker, wie es besitzlose Kolonen schafft. Der Kapitalbesitzer, nicht der Demiurg, ist jetzt der respektable Mann. Im kapitalistischen Zeitalter steht der gelernte Gewerbesklave, – eine bloße Gelegenheitsanlage für den Kapitalisten, – in jeder Hinsicht, außer der des formalen Rechts, neben dem freien Kleinhandwerker, geht aber dabei durch Kauf, Pfand, Leihe von Hand zu Hand, wird bald hier bald da zu einer größeren Werkstatteinheit zusammengeballt. Das formale private und öffentliche Recht der Demokratie konnte den freien »βάναυσος« – Handwerker und Krämer – gegen die Konsequenzen dieses Eindrucks nicht schützen, ebensowenig ein guter Verdienst, solange er nicht in die kapitalistischen Kreise aufzusteigen vermochte, – und das war, bei Konkurrenz der Sklavenarbeit, damals nur recht ausnahmsweise der Fall. – Die Besitzenden ihrerseits zogen ihren Verdienst entweder aus Grundrenten (ländlichen oder städtischen: das Verbot des Grunderwerbs durch Fremde, auch – vorbehaltlich persönlichen Privilegs – Metöken und Freigelassene, machte ja das »Hausagrariertum« zu einem Monopol der Vollbürgerschaft) oder aus Geld- oder endlich aus Sklavenrenten. Sowohl die Entwicklung der Grundrenten aber als diejenige der Geld- und Sklavenrenten hingen, soweit sie ökonomisch bedingt waren, letztlich am Handel. Die bloße Fruchtbarkeit des Bodens allein hat nirgends Grundherren entstehen lassen. Wo nicht politische Vergewaltigung die Gaufürsten in Grundherren umwandelte (oder die Bürger zu Grundherren machte: Sparta), war dies im Altertum durchweg die Verwertung des Gewinns aus dem Handel (s.o.), und zwar in Hellas speziell aus dem Seehandel. Die Entwicklung des privaten Sklavenbesitzes hängt in der klassischen Zeit ebenso am Außenhandel, wie einst in der Frühzeit die Entwicklung der königlichen Fron-Oiken. Die rechtlich privilegierte Stellung der Ex- und Importeure, insbesondere die Aufrechterhaltung der Schuldhaft für ihre, und zwar außer für Forderungen des Staates, im wesentlichen nur ihre Forderungen, und die schleunige Sondergerichtsbarkeit in Handelssachen zeigt genugsam die beherrschende Stellung, die sie einnahmen. Diese beherrschende Bedeutung des Seehandels für die Vermögensbildung ist – wie wiederholt betont sei – keine Instanz gegen das, was von seiner quantitativen Beschränktheit gesagt wurde. Man muß an die Kleinheit der »Kulturzonen« und den Küstencharakter der Kultur, weiter aber auch daran denken, daß diese Geldvermögen und jener kapitalistische Verkehr in der »klassischen« Zeit sozusagen »Lichtungen« in einem traditionalistischen Dickicht waren. Denn fast ganz unvermittelt steht der Kapitalismus mit seinen Verkehrsformen neben den Residuen ferner Vergangenheit. Nicht nur in der nächsten geographischen Nachbarschaft, sondern innerhalb der Stadt selbst. Die ἔρανοι z.B. – durch Subskriptionslisten zusammengebrachte zinslose Darlehen an Mitbürger, die in Not sind, – spielen noch durch die ganze hellenistische Zeit hindurch und bis ans Ende des Altertums (wie das römische »mutuum«) ihre äußerst wichtige Rolle (auch christliche Anschauungen knüpfen daran vielleicht an), ganz wie in der Zeit der Herrschaft der primitiven »Nachbarhilfe« der Bauern. Daß die ἔρανοι ursprünglich keine Gegenseitigkeits gesellschaften waren, ist erwiesen. Die »Gegenseitigkeit« (die das Wort »mutuum« doch klar ausdrückt) liegt nicht in einer rechtlichen Assoziation, sondern in der urwüchsigen Bauern- und Kleinbürger-Ethik, welche »unter Brüdern« unentgeltliches Leihen fordert mit dem Vorbehalt: »wie du mir, so ich dir« und umgekehrt14. Niemals ist im Altertum in diesen Unterschichten vergessen worden, daß, gegenüber dieser ältesten »ökonomischen Moral«, der Zins ebenso Fremden- und Herren-Recht war wie (im Orient) das »Diensthaus des Pharao«: die Bureaukratie. Der russische Bauer steht darin noch heute am reinsten auf antikem Boden.

Ob nun eine ausgedehnte »kapitalistische Invasion« des platten Landes in Attika und in anderen althellenischen Staaten (außer Sparta, wo die Besitzanhäufung zweifellos ist) in der klassischen Zeit stattgefunden hat, sei es im 5. oder – wie dies speziell behauptet worden ist – im 4. Jahrh., wird sich mit Sicherheit nicht entscheiden lassen, ist aber jetzt allgemein, und wohl mit Recht, als nicht allzu wahrscheinlich angesehen. Anders wohl in hellenistischer Zeit. Diese Spätperiode hat private Riesenvermögen entstehen sehen, deren Inhaber zuweilen ganze Städte durch die drückendsten Bedingungen bei der Darlehnsgewährung in einer Art von Schuldknechtschaft hielten (im Kontrast zur klassischen Zeit, wo die Tempel die typischen Staatsgläubiger waren). Und je mehr, noch später, Althellas, speziell Athen, sich zu einer Art von »Pensionopolis« auswuchs, welches die Vorzüge von Weimar und Heidelberg mit der immerhin, gegenüber dem Osten (und später: gegenüber Rom), noch vorhandenen »Freiheit« vereinigte, desto öfter mußte auswärts wohlhabend gewordenen und angesehenen Leuten, die sich dorthin »zurückgezogen« hatten, die Anlage in Grund und Boden (ev. nach Erwerb des Bürgerrechts) wünschenswert erscheinen, deren so viel größere Sicherheit schon in der spätklassischen Zeit in der niedrigeren Zinsrate (etwa 8%) zum Ausdruck kam. Nach Verlust der zeitweise politisch erzwungenen, dann, noch länger, faktischen Stapel- und Zwischenhandelsmonopolisierung im Freihafen des Peiraieus an Rhodos waren für Athen die Chancen der Kapitalanlage im Seehandel und bei den Banken und, ihnen nach, in anderen Arten eigentlich »kapitalistischen« Erwerbes zusammengeschrumpft; die Metoiken, auf deren Finanzkraft Athens Blüte sehr stark mit ruhte, nahmen schon nach dem endgültigen Verlust der Seeherrschaft (Bundesgenossenkrieg) rapide ab. Der Handel bot keine Chancen mehr: der Boden blieb als Anlageobjekt übrig. Dazu trat die gewaltige Auswanderung in die hellenistischen Kolonialgebiete. Es ist daher kein Wunder, wenn die im 4. Jahrh. so beredten attischen Demen vom 3. an zu verstummen beginnen: Niedergang der lokalen Absatzchancen der Landwirtschaft und – wahrscheinlich – Bodenaufsaugung mit Ersatz der Bauern durch Pächter sind wohl der Grund dafür. Dagegen für das 5. und 4. Jahrh. ist eine Entwicklung in der Richtung der Bodenakkumulation nicht sehr wahrscheinlich. Von privaten Kolonen hören wir nichts. Ueberdies war damals die Exploitationsrate für Sklavenarbeit im Gewerbe ziemlich günstig, stand der Sklavenpreis andererseits unter (vermutlich) vielen Schwankungen nicht besonders niedrig. (Allerdings kostete zu Demosthenes Zeit ein Pferd zuweilen das Doppelte eines Sklaven: – verglichen mit den Südstaaten der amerikanischen Union, ein sehr niedriger Sklavenpreis. Aber für das Altertum ist es, da die Kosten der Lehre und das Risiko dazu kamen, nur ein mittlerer Preis. Uebrigens ist ein einfacher Schluß aus der Preishöhe der Sklaven eines Zeitpunktes stets sehr mißlich, da z.B. Niedrigkeit des Preises sowohl Folge geringen Sklavenbedarfs als Ursache starken Sklavenverschleißes sein kann.) Da so kolossale Sklavenzufuhren, wie sie die Kämpfe der Sizilianer, Karthager und dann der Römer brachten, überhaupt aus den Kriegen in Althellas nur ausnahmsweise resultierten, so ist jedenfalls auch eine besonders starke Zunahme der Landwirtschaftssklaven nicht sehr wahrscheinlich. Von den 20000 Sklaven, die während des dekeleischen Krieges entliefen, heißt es ausdrücklich, daß ein großer Teil Handwerker gewesen sei (wozu noch die Haussklaven treten) und vollends nach dem peloponnesischen Kriege war die Zeit reichlicher Sklavenzufuhren wenigstens für Athen zunächst wohl vorbei. Daß der Sklavenverlust des dekeleischen Krieges nicht vornehmlich als ein solcher der Landwirtschaft angesehen wurde, darf wohl aus den Aeußerungen Xenophons in seinem bekannten Finanzvorschlag geschlossen werden. Aus seiner »Oekonomie« – die freilich wohl nicht spezifisch attische Zustände, sondern einen idealen Typus von hellenischer Gutswirtschaft schildert (sein eigenes Landgut lag im Peloponnes) – geht andererseits hervor, daß selbstredend auch auf dem Lande die Sklaven normale Arbeitskräfte waren. Xenophon (der von der Technik des Ackerbaues allerdings kaum mehr verstand, als ein preußischer Offizier a. D., der ein Rittergut übernimmt) spricht von gar keinen anderen Arbeitern, und daß auch Feldsklaven ge- und vermietet wurden, ist zweifellos. Der (unfreie oder vielleicht auch freigelassene) ἐπίτροπος soll nach Xenophon von Gewinnstreben beseelt sein, wird also offenbar vom Herrn am Gewinn interessiert. Die Sklaven soll man durch gutes Essen und Getränk und bessere Kleidung für die Tüchtigsten zu interessieren suchen (woraus, ebenso wie aus dem Ausdruck οἰκέται, hervorgeht, daß sie als familienlos und ganz in der Menage des Herrn befindlich anzusehen sind). Vor allem solle man sich auch selbst um den Gang der Wirtschaft kümmern. Daß dies letztere im ganzen nur etwa ebenso wie zu Catos Zeit geschah, d.h. nur in Form gelegentlicher Rechnungskontrolle, geht aus anderen Bemerkungen Xenophons selbst hervor. Alles klingt überhaupt ähnlich wie bei Cato, nur daß die Verhältnisse offenbar weit kleinere und einfachere sind als auf den römischen Gütern selbst zu Catos Zeit. Daß die Römer manche technische Ausdrücke der Großsklavenwirtschaft (so die Bezeichnung: »instrumentum vocale« = »ὄργανον ἔμψυχον«) von den Hellenen entlehnt haben, beweist für die klassische Zeit nichts: das Sizilien der hellenistischen Zeit dürfte die Quelle dafür sein. In klassischer Zeit war nur Chios (Großhandel, Sitz der größten griechischen Vermögen, Oel- und Weinkultur) ein Land mit massenhafter Kaufsklavenverwendung und (schon seit dem 7. Jahrhundert!) Sklaven aufständen, wie Rom. Eine starke Expansion ländlicher Sklaven großbetriebe ist für Attika also nicht wahrscheinlich. Sklaven arbeiteten in Attika, wie die Komödie ergibt, auch als Arbeiter der Bauern mit diesen auf dem Felde nach alter patriarchalischer Art: – das war ja schon militärisch schwer vermeidlich –15 um große Zahlen hat es sich dabei erst recht nicht gehandelt. Die Landwirtschaft war überhaupt damals kein vom Kapital begehrtes Anlageobjekt. Man beschuldigte sie oft genug (Xenoph. Oik., Einleitung) ruinös zu sein. Wie oft der spekulative Ankauf von Land zu Meliorationszwecken und zum nachherigen Wiederverkauf praktisch vorkam, bleibt dahingestellt: es kennzeichnet die damalige »kaufmännische« Auffassung, daß ein Reaktionär wie Xenophon diese Art von Bodenspekulation empfiehlt. Auf die Rentabilität des Bodenbaues mußten in Attika s.Z. die Ausfuhrverbote für alle landwirtschaftlichen Produkte außer Oel ziemlich stark gedrückt haben. Vielleicht drehte sich der Interessenkampf im 6. Jahrh. auch um diese Begünstigung der »πεδία«. Das auswärtige Importgetreide, welches der Stapelzwang und das Vorkaufsrecht der Bürger im 5. Jahrh. in den Peiraieus brachten, wird einen relativen Druck auf die Getreideproduktion immerhin geübt haben. Die Viehpreise waren in Hellas in der Zeit von Solon bis zu den Perserkriegen wohl auf das 10-20fache, Getreide anscheinend nur auf das 3fache gestiegen (Vieh war über See nicht transportabel). Gegen das 6. Jahrh. stieg dann Getreide bis Ende des 5. Jahrh. – zuerst infolge Volkszunahme, dann auch infolge der Unsicherheit der Kriegszeiten – auf das 4fache, – wovon aber der attische Getreidebau nur in der Zeit zwischen Sphakteria und dem Beginn des dekeleischen Krieges profitieren konnte. Von Viehwirtschaft aber ist speziell in Attika immer nur Kleinviehzucht (und, seitens des Adels, Pferdezucht) von Erheblichkeit gewesen. Nach dem dekeleischen Kriege war der Ruin des Hoplitenstandes ein so gründlicher, daß eine wirkliche Erholung davon nie wieder eingetreten ist. Daß die δικασταὶ κατὰ δήμους (s.o.) jetzt wieder stadtsässige Richter geworden sind, zeigt die Abnahme der sozialen und politischen Schwerkraft der Bauern: das Soldheer ist an Bedeutung gestiegen. –

Was wir über den Anbau wissen, ist nur, daß nach Demosthenes Attika 355 aus dem Reiche Leukons im Pontosgebiet allein etwa 400000 Medimnen importierte, dagegen nach den eleusinischen Abgaberechnungen 315/8 seinerseits etwa 400000 Medimnen produzierte, davon rund 1/10 Weizen, das andere Gerste. Es würde dies, wenn man E. Meyers Berechnung akzeptiert (und positive Bedenken gegen die zugrunde gelegten Zahlen liegen nicht vor, so hypothetisch sie sind), ca. 14250 ha jährlicher Saatfläche ergeben: bei Brache Jahr um Jahr wären also 12% des attischen Bodens mit Getreide bestellt gewesen. Die Bodengestaltung allein würde einen so geringen Bruchteil vielleicht doch nicht erklären. Aber nach den delischen Listen scheint im 4. Jahrh. der Preis zeitweise ins Stagnieren geraten und dann erst weiterhin wieder stetiger bis Anfang des 3. Jahrh. gestiegen zu sein. Es war daher in der klassischen Zeit für Attika wohl nur der Oelbau zur Kapitalverwertung geeignet. Ueber seine ökonomische Organisation sind wir nicht urkundlich informiert: eigene Regie mit Sklaven nach römischer Art oder – wahrscheinlicher – Pachtsystem nach moderner italischer Art waren beide möglich; daß Xenophon, der nur Sklavenarbeit kennt, speziell eingehend von Baumpflanzungen spricht, macht ersteres für seine Zeit wahrscheinlicher. –

Alles in allem also hat man sich in der klassischen Zeit Griechenland in der Nähe der großen Verkehrszentren als ein ziemlich stark parzelliertes Land, mit in den Ebenen erheblichem Gartenbau und an den Berghängen Kleinbauern, die Flußtälern des Peloponnesos als Träger kleiner Grundherren, Elis als »Squirearchie« zu denken, während Thessalien das Gebiet der Latifundien, der Hörigkeit und Rossezucht, Böotien ein Land kräftiger Großbauernwirtschaft war, und der Nordwesten auf dem Lande noch im Zustande der Naturalwirtschaft verharrte. Für die erste Hälfte des 4. Jahrh., und ebenso schon für das ausgehende 5., muß man sich gegenwärtig halten, daß sie Zeiten konstanter, nur durch Spartas kurze Gewaltherrschaft niedergehaltener Revolutionen und Restaurationen von Parteigruppen waren, welche in Form unaufhörlicher Konfiskationen eine früher nicht erhörte Unsicherheit der Bodenbesitzverhältnisse mit sich brachten. Streng stadtsässige Kleruchien unter Verwandlung des Landvolks in Kolonen (Mytilene), Landneuaufteilungen unter Abschlachtung der gesamten Aristokratie und blutige Restaurationen finden sich nebeneinander. Die alten Parteinamen der »Demokratie« und »Oligarchie« hatten dabei nicht immer den Sinn, den sie im 5. Jahrh. vor dem Kampf zwischen Athen und Sparta besaßen. Die thebanische »Demokratie« war eine ländliche Hoplitendemokratie, welche nach Erlangung der politischen Einigung Böotiens den Frieden suchte, ganz ebenso wie die attischen Bauern und ihre »oligarchischen« Führer, während die radikale Demokratie Athens eine vom Kriege lebende städtische Schicht repräsentierte: – der Krieg bringt dem besitzlosen Stadtvolk hohen Matrosenlohn, im Falle des Sieges neue Tribute, aus denen öffentliche Arbeiten gezahlt werden, Zunahme der Mieten für den städtischen Hausbesitzer und Expansion der Kapitalverwertungsmöglichkeiten im eroberten Ueberseegebiet. Die kurze spartanische »Demokratie« (vor Sellasia) stellte eine kriegerische Landrentner demokratie dar. Die grundherrliche Oligarchie Thessaliens und die kaufmännische von Chios waren in ihrer ökonomischen Struktur die äußersten Gegensätze. Ebenso die kaufmännischen Oligarchien Korinths und Kerkyras und die feudale Spartas, die trotzdem gegen die Demokratie zusammenhielten. Etwas verschoben hatte sich auch das für alle Parteikonstellationen des Altertums so wichtige Gläubiger-Schuldner-Verhältnis in seiner sozialen Lagerung. Immer sind die Schuldner »Agrarier« (wie bei uns). Aber die Gläubiger sind in der Frühzeit: grundbesitzender, stadtsässiger und kriegerischer Adel, in der Spätzeit: Händler und Rentner, und unter den Schuldnern treten später gerade die Großbesitzer stärker hervor. Der Gegensatz ist flüssig, aber immerhin fühlbar. Schuldenrepudationen und Versuche zu solchen werden jetzt vornehmlich ein Junker-Ideal, nicht mehr eine politisch-ökonomische Forderung der wehrhaften Bauernschaft.

Während der ganzen klassischen und ebenso in der hellenistischen Zeit setzte die Polisorganisation, mit ihrem Synoikismos der Behörden und – möglichst – auch der bemittelten Grundbesitzer in die Stadt, Gliederung in Phylen, Organisation in Bule und Ekklesia als Volksvertretungen usw., ihren Siegeslauf durch Althellas fort. In ganz Mittelgriechenland außer Aitolien siegte sie und verdrängte oft die althistorischen Stammesnamen (während, wo sich das feste Schema der Polisorganisation einmal festgesetzt hatte, es durch die radikalste Vernichtung nicht auszurotten war: Exulantengeschlechter, die jahrhundertelang in der Fremde gelebt hatten, vermochten sich bei gegebener Gelegenheit zur Rückkehr alsbald wieder in die Kaders ihrer Phylen und Phratrien einzugliedern). Meist sind dabei die neugeschaffenen Poleis Staatswesen etwa nach Art des kleisthenischen Athen, zuweilen reine Grundbesitzersynoikismen. Der Synoikismos von Rhodos im Jahre 408 (militärisch, durch die Furcht vor Athen, motiviert), bedeutete die Vereinigung und (teilweise) Zusammensiedelung der drei dorischen Heeresphylen, welche hier bei der ersten Besiedelung der Insel sich lokal gesonderte Bezirke zuweisen und je eine eigene Polis gegründet hatten, in einem einzigen dorischen Phylenstaat. Die Entstehung der Kleinstädte in den mittelgriechischen Bergtälern ist wohl meist jenes Zusammensiedeln der Bauern als Ackerbürger in die Festung gewesen, wie es, in seinen Nachwirkungen, noch heute die Physiognomie z.B. Siziliens, dessen Inneres einen außerhalb der »Stadt« dauernd lebenden Menschen gar nicht kennt, bestimmt. Wo auf diese Art, – durch effektive Zusammensiedelung – größere Gebiete als Polis organisiert wurden, mußte die Folge auf die Dauer immer Absentismus und Kolonenwirtschaft sein. Und die effektive Zusammensiedelung galt eben, wenigstens in der klassischen Zeit, als die einzige Methode, eine militärische Erziehung nach dem Prinzip des Hoplitentums durchzuführen. Militärische und ökonomische Gesichtspunkte stießen dabei oft scharf zusammen und nötigten zuweilen zu Kompromissen, namentlich in den bergigen Gebieten des Peloponnes (wo die gleichen Schwierigkeiten wie, offenbar, seinerzeit in Athen im Gebiet der Diakrier entstanden). Indessen: die militärischen Gesichtspunkte entschieden meist. Die arkadischen Synoikismen (Mantineia, Megalopolis) waren, ebenso wie der Synoikismos von Elis (471), und der von Kos, Schöpfungen von »demokratischen« Hoplitenpoleis. Nur in Elis blieben die Squires meist auf dem (reichen und gut bebauten) Lande wohnen, während in Arkadien, wegen der Gefahr von Sparta her, Zwangsdomizil für die Synoikisierten bestand. In Kos wie in Elis befanden die Demen (wie in Athen die allmählich demokratisierten Phratrien) über Wehr- und Grundbesitzfähigkeit. Zweck des Synoikismos war in allen Fällen: militärische Organisation. In Elis war die Folge: Wiedererwachen der Eroberungspolitik. Die militärische Schätzung der Eleier scheint aber charakteristischerweise – trotz ihrer zeitweisen politischen Erfolge – immer ziemlich niedrig gewesen zu sein: wohl eine Folge des Fehlens der straffen Polisorganisation. Das Land blieb eben auch jetzt stets ein agrarisches Gebiet, Großhandel fehlte. – Dagegen waren die Arkader als die Haupt-Reisläufer von Hellas militärisch von jeher sehr tüchtig.

War in Elis und ebenso in Arkadien die Hoplitenorganisation teils faktisch, teils nur rechtlich, noch in die althellenische Form des Synoikismos gekleidet, so fehlte dies bei der spätesten althellenischen, auf einem Volksheer ruhenden Großmacht: den Aitolern, gänzlich. Sie wohnten in Komen und blieben in Komen wohnen: – Thermon war ein befestigter Ort, wo der ungeheure Raub zusammengehäuft war, die Jahrmärkte stattfanden, die Bundesbehörden und Landesversammlungen des Heerbanns tagten, aber keine Polis, – auch als sie die militärische Organisation und Hoplitenschulung, die ihnen in der klassischen Zeit völlig fehlt, – damals waren sie leichtbewaffnete Bauern – schufen. Der Adel fehlte, weil die Differenzierung durch Handelgefehlt hatte. Diese militärische Organisation, welche, in der makedonischen Zeit, alsbald zur Eroberungspolitik führte, gliederte die Nachbargebiete teils durch Aufnahme in den Heerbannverband ein, teils behandelt sie dieselben, wie die Eleier ihre Eroberungen und wie die Schweizer den Thurgau, als tributpflichtige Unterworfene und legte Besatzungen in die Städte. Doch scheint dies überwiegend nur Uebergangszustand. Die Aufnahme in den Bund war in der Zeit seiner größten Machtstellung offenbar ziemlich leicht zu erlangen, sehr im Gegensatz zu dem Verhalten der demokratischen Bürgerzünfte der Poleis, speziell Athens. Hier ist also die Hoplitentechnik und der Hoplitenstaat, der ja überall eine Art capitis deminutio der alten Geschlechtspoleis, eine Beherrschung der Städte durch das Land, sein wollte, ohne Synoikismos durchgeführt, weil der Geschlechteradel und deshalb die Geschlechterpolis fehlten. Man hat geflissentlich das Entstehen der Polis mit ihren differenzierenden Konsequenzen zu vermeiden gesucht und auf dieser Basis ein kulturloses, aber machtvolles Staatswesen geschaffen. Aber mit dem Eindringen der Geldwirtschaft im Gefolge der Eroberungen ist die Differenzierung dennoch gekommen. Schon zu Perseus Zeit wird von dem schroffen Kontrast zwischen Besitzenden und Verschuldeten in Aitolien ganz ebenso gesprochen (Livius 32, 38), wie ein halbes Jahrtausend zuvor in Athen. Thessalien ist das zweite große Gebiet, welches von der Polisorganisation nur an den Rändern erfaßt wurde. Hier blieb der Burgenadel in seiner Machtstellung bis in späte Zeiten unerschüttert. – Das gewaltigste Glied in der Kette der nationalhellenischen Staatenbildungen endlich – Makedonien – ist bis in die Zeit des Philippos ein Burgenkönigtum fast von dem Typus der homerischen Zeit: die Hetairoi des Königs spielen dort dieselbe Rolle wie hier. Die »Städte«, auch Residenzen, wie Pella, sind schwerlich etwas anderes gewesen als Persepolis auch war. Die Einführung der Hopliten technik (vgl. die angebliche Rede Alexanders in Opis an die Veteranen), die »Seßhaftmachung«, d.h.: die feste militärische Organisation des Hoplitenheeres auf der Basis des Grundbesitzes, massenhafte Polisgründungen mit rücksichtsloser Verpflanzung und Zusammensiedelung der Kolonisten bereiteten die Expansion vor. Die Eroberung schuf hier auch jene alte Beziehung zwischen Heerkönig und Heer wieder, welche (s.o.) das Entstehen des alten Geschlechterstaates an Stelle des Königtums vorbereitete: das Heer ist, wie unter Chlodovech, ebenso souverän wie der König. Vor ihm nimmt die Familie des Königs – so die Königin Olympias – Recht und sucht der König Recht im Fall des Hochverrats eines Generals. Nur sind die Dimensionen viel gewaltiger geworden und stellte der Erfolg der Eroberung den König und seine Nachfolger faktisch auf die Basis des orientalischen Monarchen. Aber daß die hellenische Polis Basis der politischen Organisation sein müsse und allein sein könne, hielten die siegreichen Makedonen auch im Orient fest und führten so die letzte große Expansion dieser hellenischen Grundinstitution herbei.

Gesammelte Beiträge von Max Weber

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