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Party bei Winkler

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Es war das letzte Haus in der Straße. Sie gingen ein paar Schritte bis zur breiten Auffahrt, die hell beleuchtet war. Am Eingangstor mußten sie ihre Namen nennen, und man schaute auf einer Liste nach.

„Jana Wolf und Olli Becker“. Der Produktionsleiter Michael Gerstmann, ein Freund von Jana, hatte dafür gesorgt, daß der Gastgeber Winkler sie auch auf die Liste setzten ließ.

Sie gingen die Auffahrt hoch, zusammen mit anderen Gästen der Musik und dem großen Haus entgegen, das etwas erhöht stand. Hinein ins Getümmel der Party, die schon wogte unter dem Sternenhimmel einer warmen Münchner Nacht.

„Laß uns dorthin gehen“, sagte Jana zu Olli.

Es zog sie zu einem der Tische, die am Rand des weitläufigen, parkähnlichen Gartens standen, bei den hohen Bäumen, hinter denen eine breite Hecke kam, die das Grundstück vom Wald trennte. Vor ihnen lag der weite Rasen mit dutzenden Tischen. Oberhalb davon der große, unter Wasser beleuchtete Swimmingpool, dann die breite Terrasse und dahinter das prachtvolle Haus, das aus allen Fenstern in die Nacht hinaus strahlte. Im Garten brannten überall mannshohe Fackeln, auf den Tischen Kerzen. Ein DJ legte Musik auf. An mehreren Bars mixten Barkeeper auf Zuruf Cocktails, Kellner mit weißen Schürzen gingen umher und servierten Getränke. Am opulenten Dallmayr-Buffet reichten Köche feine italienische Speisen auf weißem Porzellan.

Es mußten weit über zweihundert Gäste sein, die sich hier eingefunden hatten.

„Ich mach mal ne Runde, such mal die anderen“, sagte Olli und stand auf, „Du kommst klar, Süße?“

Ja. Sie nickte. Sie kam klar. Und es wunderte sie nicht, daß er gleich wieder aufsprang. Auch wenn sie gehofft hatte, daß er wenigsten heute abend weniger unruhig sein würde als die letzte Zeit über. Daß sie heute zusammen feierten. Olli verschwand im Getümmel.

Jana fand, daß es Zeit war, etwas gegen ihren Hunger zu tun und steuerte die Terrasse an. Sie trug eine schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck Ramones und Springerstiefel. Damit hatte sie sich weniger in Schale geworfen als alle anderen Gäste, als all die Schönen des Films, die beim alljährlichen Sommerfest des Produzenten Wilhelm Winkler zeigen wollten, wie gut es ihnen ging. Man sah Anzüge von Armani, aufwendige Kleider mit Blumenmustern, Seidenblusen mit gewagten Schnitten.

Das Buffet ließ keine Wünsche offen. Sie wählte in Ruhe aus und ließ sich die Köstlichkeiten anrichten. Als sie mit dem Teller und einem kühlen Hellen zurück zu ihrem Tisch ging, hörte sie eine Stimme.

„Hey, Jana!“

Sie drehte den Kopf und sah den Produktionsleiter Michael Gerstmann, der sie auf die Einladungsliste gesetzt hatte, und der ihr zuwinkte, sie solle zu ihnen kommen. An seinem Tisch saßen auch andere, mit denen sie schon gedreht hatte, eine Aufnahmeleiterin, ein Kameraassistent und außerdem zwei Männer, die sie nicht kannte.

„Hallo“, sagte sie und setzte sich zu Michael, der ihr einen Stuhl hinschob.

„Mahlzeit“, sagte der ältere Mann im schwarzen Anzug, und zeigte auf sich selbst.

„Ich bin Max Helmer, Produzent. Und das neben mir ist Arthur, der Autor“, sagte er, schob dann „Arthur the author“ auf englisch nach und lachte.

„Hallo“, sagte Jana.

„Servus“, erwiderte Arthur. Er trug einen blauen Leinenanzug, der ihm gut stand. Er hatte einen intelligenten Blick.

Die anderen unterhielten sich, und Jana machte sich erst über das Vitello Tonnato und dann über die erstklassige Lasagne auf ihrem Teller her. Zum Abschluß widmete sie sich einem schönen Stück Tiramisu. Der Kakao schimmerte matt und verführerisch. Die Dessertgabel glitt durch die verschiedenen Schichten, durch Mascarpone und getränkten Biskuit, und Jana genoß jeden Bissen. Sie blickte zu Arthur, der blickte zurück. Das kühle Augustiner Edelstoff, ihr Lieblingsbier, schmeckte vorzüglich.

Vom Garten aus, wo sie saßen, blickte sie auf die Terrasse, die von Palmen in großen Töpfen flankiert wurde. Überall saßen Leute zusammen, aßen, tranken, rauchten, unterhielten sich. Sehr kurze Miniröcke über langen Beinen zogen Blicke auf sich, leicht gebräunte, durchtrainierte Schauspieleroberkörper in weißen T-Shirts zu Anzughosen ebenso. Man pflegte Kontakte, manchmal auch Freundschaften, sagte sich Bosheiten, tauschte den neuesten Branchenklatsch aus und streute Gerüchte. Was wurde gerade produziert, wer hatte Mist gebaut, wer ging Pleite, wer machte ein Vermögen. Immer wieder drang schrilles Lachen durch das Gemurmel, Namen wurden gerufen, das Fest lief glänzend.

Als sie gegessen hatte, hatte sich das Gesprächsthema auf den Gastgeber verlagert.

„Ich weiß nicht, wo der all das Geld her nimmt“, sagte Helmer, „aber jedes Jahr dieses Fest, er investiert ja auch ständig, was man so hört.“

„Ja, und versenkt ziemlich viel“, sagte Gerstmann. „und zwar zielsicher. Rösler vom Filmzentrum sagte mir, wenn er höre, daß Winkler sich irgendwo beteiligt, weiß er, daß der Film nichts wird.“

„Ja“, meinte Arthur, „ein Pleitenspürhund. Für seine neue Serie soll bald Drehbeginn sein. Da können wir gespannt sein“, sagte Arthur, „Wenn er ein Film wäre, müßte man ihn so pitchen: Schweinsäuglein meets Fleischmütze des Grauens“, sagte Arthur. Am Tisch brach Gelächter aus, auch Jana konnte sich nicht mehr halten.

Er blickte zur Terrasse. „Wenn man vom Teufel spricht ...“, sagte er. Alle sahen zu dem Mann hin, der einen schwarzen Anzug mit Fliege trug. Er war klein und stämmig und gestikulierte raumgreifend mit seinen Armen. Er mochte Mitte fünfzig sein, hatte keine Haare mehr und tief in den Höhlen liegende, kleine Augen. Wilhelm Winkler war auf die Terrasse getreten und mit ihm seine Entourage. Die Leute in seiner Nähe grüßten ihn, gingen zu ihm hin, es wurden Hände geschüttelt, und man machte ihm die Aufwartung. Winkler hielt Hof und man merkte, daß er in seinem Element war. Aller Augen auf ihn gerichtet. Jeder wollte auf seinem jährlichen Sommerfest sein, wer eine Einladung bekam, war jemand in der Branche. Hier mußte man sein.

So sehr Winkler in der Aufmerksamkeit badete, so froh war Jana, daß sie am Rand saß und alles von weitem beobachten konnte. Sie war nicht beim Film, weil sie wie Winkler war. Im Gegenteil. Sie wollte nicht die Weltherrschaft, sondern ihre Unabhängigkeit. Zwar galt die strenge Hierarchie beim Film auch für sie, aber Fahrer waren dem weniger ausgesetzt, weil sie doch die meiste Zeit unterwegs waren oder warteten. Sie war nie im Zentrum, wo sich der Streß konzentrierte, beim Regisseur und beim Kameramann. Natürlich hatte sie auch mit ekelhaften Aufnahmeleitern, launigen Schauspielern und zurückgebliebenen Blendern in allen Abteilungen zu tun, die durch Beziehungen auf ihre Positionen gelangt waren. Aber nie allzu lange. Dann gab es wieder ein neues Team. Nur einmal mußte sie wochenlang mit einer ausgesprochenen Mist-Crew drehen. Ein übellauniges Schicksal schien für jeden Posten die blödesten Personen aus ganz Deutschland versammelt zu haben. Das war unangenehm, aber sie hielt sich heraus, soweit es ging, machte möglichst professionell ihre Arbeit und versuchte, dabei niemandem auf die Nerven zu gehen. Während die Produktion lief, trank und kiffte sie nicht, Koks oder Speed nahm sie generell nicht. Sie war pünktlich. Sie stand nicht im Weg. Sie baute keine Unfälle. Sie konnte alles mit vier Rädern fahren, auch Siebeneinhalbtonner flüssig rückwärts einparken. Sie machte ihren Job gut.

Überall wogte die Party, überall Gespräche und Gelächter. Und Olli nicht bei ihr. Wo war er? Sie sagte, sie schaue einmal nach ihm, stand auf und ging zur Terrasse, sah sich dort um, suchte ihn dann am Haus. Hier und da grüßte sie Leute. Eine Schauspielerin, die sie kannte, kam ihr entgegen und deutete schmatzend ein Bussi-Bussi an.

„Hast du Olli irgendwo gesehen?“, fragte Jana.

„Also vorhin war er noch da hinten ...“, sie griff sich an die Nase, machte ein Snief-Geräusch und wies mit dem Kopf in Richtung der hinteren Räume. Ihr Grinsen und ihr starrer Blick ließen vermuten, daß sie sich auch gerade schon bedient hatte.

„Danke“, sagte Jana, „wir sehen uns.“

Ein Gang führte ins Haus, sie folgte ihm, bis sie zu einer Tür kam, die offen stand. Im Türrahmen lehnte ein hochgewachsener Typ mit dünnen, blonden Haaren. Er trug einen dreiteiligen Anzug, der für Janas Geschmack etwas zu sehr glänzte. Er legte den Arm an den Türrahmen und verwehrte ihr so den Eintritt.

„Bitte, junge Dame, Sie wünschen?“, sagte er ironisch und abweisend.

Sie blickte an ihm vorbei, sah in den großen Raum, der als Spielzimmer eingerichtet war. Zwei Billardtische, mehrere Kartentische, entlang der Wände Sofas und Sessel, davor niedrige Glastische. Überall saßen und standen die Gäste, auf den Tischen Päckchen mit Gras und Tabak, Koks und Tabletten, Gläser mit Champagner und Whisky. Sie hörte das Stakkato, mit dem eine Kreditkarte auf einen Tisch klopfte.

Sie sah Olli an einem der Tische, er winkte zu ihr rüber.

„Ist okay, Frank!“, rief er.

Aber Jana bedeutete ihm, zu ihr zu kommen. Dann ging sie zurück auf die Terrasse.

Zu Durroux sagte sie: „Von dir gar nichts, Junge.“

Olli kam ihr nach, sie sah den stieren Blick in seinen Augen.

„Ich dachte, du wolltest es mit dem Koks langsamer angehen lassen.“

„Na, wenn die hier so damit um sich werfen, sag ich auch nicht nein.“, antwortete er und grinste.

„Wer war denn der Blonde?“

„Frank Durroux. Arbeitet für Willi Winkler. Ist eigentlich ganz nett“, sagte er.

„Zu mir nicht“, sagte Jana.

„Ach komm, das war sicher nur Spaß. Der hat sich auch schon was reingezogen, wir feiern doch alle.“

„Kommst du jetzt mit mir?“, fragte sie.

„Nee, da drin ist es gerade super, bißchen später, okay?“

„Wenn du nur da drin bist, werde ich hier nicht alt“, sagte Jana.

Olli zog ein Gesicht.

„Es fängt doch gerade erst an. Ist doch wirklich ein tolles Fest. So was ist ja auch nicht jeden Tag. Meine Berliner Kumpels kommen vielleicht auch noch. Komm schon.“

„Wie du meinst. Ich bleibe jedenfalls nicht mehr lange.“, sagte sie. „Schläfst du dann bei mir?“

„Ja, Süße, mach ich, wird aber vielleicht spät.“ Sie küßten sich zum Abschied. Er zog sie dabei an sich. Aber sie spürte, daß er nicht bei ihr war.

Er steuerte wieder sein Spielzimmer an. Sie ging zurück in den Garten, schlenderte herum, atmete die Nachtluft, die nach Wald roch, wenn sie nicht gerade am Qualm all der Zigaretten und Joints vorbeiging, die um sie herum brannten. Sie schaute nach Leuten, die sie kannte, fand aber weder Michael Gerstmann noch die anderen.

Vielleicht war es Zeit zu gehen. Olli wollte sich ohnehin lieber ohne sie zudröhnen. Den kleinen Joint, den sie dabei gehabt hatte, um ihn mit Olli zu rauchen, würde sie nun eben zu Hause alleine rauchen. Und dazu noch ein Augustiner trinken.

Als sie zur Einfahrt kam, herrschte dort reges Treiben. Autos suchten Parkmöglichkeiten, Taxis hielten und ließen Gäste aussteigen, die dann die Auffahrt hochgingen.

Auch Frank Durroux stand auf der Straße bei einem schwarzen Dreier-BMW und unterhielt sich mit zwei Männern. Sie sah, wie er ein Päckchen annahm. Ihre Blicke kreuzten sich. Es gefiel ihm nicht, daß sie gerade jetzt hier vorbei kam. Sie ging an den dreien vorbei, ohne sie weiter zu beachten. Sie kannte auch die beiden anderen. Der eine war Charlie, der Dealer, der regelmäßig an Drehorten auftauchte und offenbar viele Leute kannte. Der andere hieß Kerndl und war sein Aufpasser. Wenn man ihn sah, hinterließ er einen bleibenden Eindruck. Ziemlich klein, aber muskulös, zerschlagenes Gesicht, Blumenkohlohren, Boxernase, links nur eine halbe Augenbraue.

Als sie auf ihren Wagen zuging, sah sie, daß im Fiat-Cabrio, neben dem sie geparkt hatte, jemand saß, der gerade den Motor anließ. Sie erkannte, daß es Arthur war.

„Du mußt aufpassen, daß dein Elvis nicht wegfliegt, wenn das Dach offen ist“, sagte sie.

Er lächelte sie an.

„Der kann nicht wegfliegen, der ist zu schwer. Das ist der späte Elvis. Der dicke Elvis.“

„Ist das dein Talisman?“, fragte Jana.

„Genau, so was in der Art. Bringt Glück und vertreibt böse Geister.“

„Gibt es in dieser Gegend viele davon?“, fragte sie.

„Ja“, sagte er, „hier wohnen die Filmleute.“

Als sie im Wagen saß und Richtung München fuhr, fiel ihr ein, woran sie Durroux erinnerte. Er hatte das hagere, versteinerte Gesicht, an dem man die harten Kokser erkannte. Mit ausgebrannten, seelenlosen Augen. Aber in Durroux’ Blick lag noch etwas anderes, sie wußte nicht, was es war, nur, daß es ihr nicht gefiel.

Daß Olli dort geblieben war, war nicht das Problem, sondern warum er geblieben war. Sie machte sich keine Sorgen, daß er eine andere abschleppen könnte. Dabei gefiel er vielen Frauen. Jung, gutaussehend, locker, Typ Sonnyboy. Was an ihr nagte, war, daß er sich in letzter Zeit in genau den Typus verwandelte, den sie beim Film gerade nicht mochte. Und so war er vorher gerade nicht gewesen. Vor ein paar Monaten hätte er mit Durroux überhaupt nichts anfangen können. Jetzt ließ er sie wegen ihm alleine nach Hause fahren.

Sie hatte Olli bei einem Dreh in Berlin kennengelernt. Er hatte dort für eine gute Beleuchter-Crew gearbeitet. Als Beleuchter schleppte er den ganzen Tag im Rekordtempo die großen Scheinwerfer, die Brenner, die Stative und die Kabel. Sie waren immer früh am Set, bauten schnell auf, tagsüber schnell um, abends schnell ab. Wenn am Set nicht weitergedreht wurde, lag es nicht selten an dieser Abteilung, weil es eben dauerte, bis neu eingeleuchtet war. Harte Arbeit. Und die Beleuchter waren die, die wußten, wie man das Licht setzen mußte, damit es so aussah, wie der Regisseur und der Kameramann es wollten. Sie waren Lichtkünstler, wenigsten einige von ihnen, und die guten Oberbeleuchter waren sehr gefragt.

Sie mochte seinen harten Körper, seine unbeschwerte Art, seine Berliner Lockerheit. Aber Kokain machte schneller abhängig als Heroin und gab man dem nettesten Beleuchter, den man finden konnte, Koks, wurde sogar aus ihm schneller ein Arschloch, als man schauen konnte.

Sie kam am Haus der Kunst vorbei, dann überquerte sie die Ludwigstraße, auf der nur ein einsamer Radler unterwegs war. Dann bog sie in die Amalienstraße ein und kam zu der Baustelle, die zur Straße hin abgesperrt war. Niemand war zu sehen. Sie parkte und ging zum Rand der Baugrube. Eine Plane hatte sich etwas gelöst und gab die Sicht frei. Etwa fünf Meter unter ihr war die geschotterte Fläche, in der eine längliche Mulde zu sehen war. Sie fragte sich, was hier passiert sein mochte. Sie wußte nicht, daß hier ein Mensch verscharrt worden war, um mit Beton zugeschüttet zu werden, um in einem für hundert Jahre undurchdringlichen, steinernen Grab verhüllt zu werden, auf dem dann Menschen leben würden, die nicht wußten, daß unter ihnen ein namenloser Toter lag.

Plötzlich wurde Jana bewußt, daß sie unglaublich traurig war. Sie hätte heulen können. Wieder einmal entwickelte sich eine Beziehung, die vielversprechend begonnen hatte, nicht so, wie sie es sich gewünscht hätte.

Sie riß sich los von dem Blick nach unten, ins Dunkle, der sie sogartig fesselte und ging zu ihrem Wagen und fuhr heim.

Isargrauen

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