Читать книгу Eine verteufelte Ironie - Schicksal - Maxi Hill - Страница 5

FREUNDE ?

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Im kleinen Café direkt an der Friedrichstraße gelegen, sah die Serviererin seit zwei Stunden ein Pärchen sitzen, das für nichts Augen zu haben schien, nur für sich.

Sie, naturblond mit modern geglättetem Haar, nackenlang und sehr gepflegt, ihre Haut rosig, makellos. Er dagegen dunkelhaarig, aber mit feurigen Augen im markanten Gesicht.

Hin und wieder warf die junge Kellnerin ihrer Kollegin am Tresen einen vielsagenden Blick zu, den nur Kellner verstehen. Es war nicht viel Betrieb an diesem späten Freitag-Nachmittag. Die meisten Leute rüsteten sich für den Abend, für diese Nacht, die zumeist die längste der Woche wurde. Gelangweilt schlenderte sie am Tisch der beiden vorbei, doch sie konnte vermutlich kein weiteres Geschäft mit den Turteltäubchen machen.

Er sprach jetzt, und die Blonde hörte zu.

»Du warst unübertroffen in deiner Überzeugungskraft, hast alle mit Argumenten zugetextet. Ist das immer noch so?«

Das Lächeln von Denise wurde unsicherer, das spürte Luc Abelius genau, obwohl er sie nicht wirklich kannte. In all den Jahren hatte er sehr oft an sie gedacht, weil er kein einziges Mädchen mehr so anziehend fand, wie Denise Ebentheuer. Unerreichbar für ihn, aber träumen durfte er schließlich.

»Und du warst eher unnahbar…«, sagte sie mit lauerndem Blick in seine unergründlichen Gedanken hinein.

»Nein«, protestierte er. »Ich war total verschüchtert. Wer konnte dir schon das Wasser reichen.«

»Wenn du wüstest, wie sehr ich mich … ich meine, über das Wasser aus deiner Hand einmal gefreut habe.«

»Das weißt du noch…?« Luc verschlug es die Sprache, aber Denise spielte ein bisschen mit ihrer Neugier. War ihr Treffen wirklich Zufall, oder steckte dahinter etwas Schicksalhaftes?

Sie saßen sich noch immer gegenüber, schauten sich an, jeder in seiner Hoffnung behaftet. Sie wussten nicht, dass diese Hoffnung so gut wie dieselbe war. Sie möchte ihn bitten, den Kontakt nicht wieder zu verlieren. Er möchte sie auf der Stelle entführen. Doch dann fragte er wieder so vorsichtig wie es nur ging, aber so hoffnungsvoll, wie er nie war:

»Ich wohne nicht weit… Gleich in der Ziegelstraße, Nähe Friedrichstadtpalast.«

Sie lächelte. »Ich weiß, wo die Ziegelstraße ist. Ich wohne ja selbst gleich um die Ecke.«

Der Regen war nach ihrer Auffassung so abrupt wieder vorbei, wie er begonnen hatte. Das war eine Täuschung. Sie hatten es in ihrer Wiedersehensfreude nicht bemerkt. Vereinzelt schien inzwischen die untergehende Sonne wieder durch die Wolkenfetzen, die gen Osten abzogen.

Länger wollten sie in dem Café nicht sitzen bleiben. Wie es den Anschein hatte, wartete man schon ungeduldig darauf, dass einer von ihnen »Bitte zahlen« sagte. Gerade wollte sie, da kam ihr Luc zuvor.

Als sie gingen und er ihr in den Mantel half, legte er seinen Arm um ihre Schulter, als wären sie ein Paar.

Es war noch längst nicht alles gesagt, was sie ihm zu gerne gesagt hätte. Es war noch nicht alles getauscht, was er mit ihr gerne getauscht hätte.

Draußen entschied sich Denise Ebenteuer, wider ihre sonstige Gewohnheit, mit zu Luc nach Hause zu gehen. Tapfer redete sie sich ein, dadurch behalte sie alle Gewalt über ihre Entscheidung. Sie könne gehen, sobald ihr etwas nicht behagt. Ein einziges Mal hatte sie einen ganz passablen Kollegen mit in ihre Wohnung genommen und hat es später zutiefst bereut. Aus der eigenen Wohnung jemanden zu verweisen, wenn eine Situation unbequem wird, war ungleich schwieriger.

Seine Wohnung war gar nicht so bescheiden, wie sie geglaubt hatte. Immerhin hatte er einen Haushalt mit allem Nötigen. Die kleine Küche trennte nur eine Glaswand vom Wohnbereich und die beiden Türen, die vom Flur abgingen, würden vermutlich zu Bad und Schlafzimmer führen. Ihren hellen Kurzmantel hängte er nicht an einen Haken, wie sie es von Männern gewöhnt war. Luc Abelius benutzte auch für seine eigene Jacke einen der hölzernen Kleiderbügel, von denen drei in der Farbe seiner Garderobenmöbel parat hingen.

Es war merkwürdig. Er war sehr zurückhaltend, zugleich sehr zuvorkommend und darauf bedacht, dass es ihr gutging. Sie könne sich in seinem Bad die Haare föhnen, sagte er aus lauter Höflichkeit. Vermutlich, weil sie im Café ihre Sorge nicht unterdrücken konnte, wie sie wohl aussah nach dem Regenguss.

Denise fühlte sich in der Wohnung fremd, aber in seiner Nähe merkwürdig geborgen. Artig blieb sie auf der Couch sitzen, solange Luc hinter der Glaswand verschwand. Das Gefühl, eine Dummheit zu machen, wollte sich gar nicht einstellen, was sie von Minute zu Minute mehr entspannte.

Luc kam schon nach kurzer Zeit zurück ins Zimmer. Er trug ein Tablett mit einer Flasche Wein und einem Teller irgendwelcher Häppchen, die er unmöglich in der kurzen Zeit angefertigt haben konnte. Nach all den Jahren stellte sie fest, dass er noch immer sehr sanfte Bewegungen hatte.

Verheiratet war er nicht, das glaubte sie ihm, aber irgendwer musste seine Wohnung in Schuss halten, und derselbe Mensch würde vermutlich auch diese Häppchen gezaubert haben.

Luc füllte mit sicherer Hand zwei Gläser mit jenem prickelnden Getränk, das sie heimlich schon als Jugendliche getrunken hatten, wenn es auf Klassenfahrten ging; zum Leidwesen ihrer Lehrer. Dass es ein großer Zufall war, genau diese Erinnerung in ihr zu wecken, davon konnte sie getrost ausgehen.

»Das Zeug haben wir schon damals…«, sagte sie, unterbrach sich wieder, aber er wusste vermutlich genau, was sie sagen wollte.

»Vielleicht habe ich es nur für das Mädchen in meinem Schrank, dem ich früher nicht das Wasser reichen konnte.« Lucs Blick streifte sie nur kurz. Er ist verlegen, vermutete sie.

Seine Stimme hatte sich seit damals kaum verändert. Es gab noch immer nichts Ungeschicktes an ihm, nichts Lautes oder Aufdringliches.

»Siehst du, wie schnell sich die Dinge ändern können?« Sie zeigte auf das Wässerchen in ihrem Glas und blinzelte ihm zu. Auch er lächelte. Dennoch sah er merkwürdig demütig aus, so, wie er schon immer auf sie gewirkt hatte, und das tat ihr jetzt weh. Womöglich hatte sie ihm seinen geplanten Abend mit einem Menschen gründlich verdorben.

Genau so sagte sie es ihm, vorsichtig im Ton, aber bestimmt in der Wortwahl. Seine Züge nahmen tatsächlich eine Veränderung. Denise beschloss für sich, nicht abrupt, aber nach ein paar Minuten aufzubrechen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich zwischen zwei Menschen gedrängt, aber wenn sie ehrlich mit sich selbst war, gab es noch nie in ihrem Leben einen Grund dafür.

Luc erhob sich und setzte sich auf der Couch neben sie. Nicht zu eng, das war ihr sehr angenehm. Anstatt zu tun, was alle Männer tun würden, reichte er ihr die Schale mit den Broten und nickte aufmunternd, als würde eine Mutter ihrem Kind gut zureden müssen, endlich etwas zu essen. Noch ehe sie etwas sagen konnte, bewegten sich seine Lippen und er senkte seinen Blick: »Das hast du nicht, Denise. Ich freue mich sogar. Für dich ist es vielleicht eine eher kindliche Art der Freude. Aber für mich…« Er schaute ihr fest ins Gesicht. »Es ist schön, endlich einmal Besuch zu bekommen, den man nicht lieber wieder gehen als kommen sieht. Und dass ausgerechnet du es bist … « Seine Stimme wurde ganz leise, ganz so, als sei er noch immer der schüchterne Schüler, der viel wusste aber wenig sagte. »Das ist wie ein Zauber. Es ist für mich, als bin ich zum ersten Mal zu Hause angekommen.«

Sie hätte ihm so gerne glauben wollen, aber die Umstände sprachen dagegen, schrien regelrecht dagegen an.

»Und wer macht dir… Ich meine, du hast doch das hier nicht…« Sie unterbrach ihre eigenen Worte, verbot sich, in seinen Angelegenheiten sprichwörtlich herumzustöbern.

Man kann einen Menschen, dem man innerlich zugetan ist, nicht verletzen. Niemand darf das.

»Ich habe es in weiser Voraussicht schon am Morgen gemacht. Nein, nein. Nicht wie es sich anhört. Ich wusste ja nicht, wen dieser Regen an mich heran spült. Es ist nur so…« Er zögerte mit dem Rest des Satzes, das machte die Sache nicht einfacher.

»Ja. Ich hätte jetzt einen Termin. Und weil ich nicht wusste, welche Bahn ich bekomme, habe ich eben vorgearbeitet.«

»Um Gottes willen, Luc, du sollst deinen Termin nicht verpassen… Nicht meinetwegen.«

»Keine Sorge, Denise. Der Termin ist längst vorbei. Auf dem Weg nach hier habe ich sogar Bescheid gegeben… Diese Männertreffs sind sowieso nichts für mich.«

Ein langer prüfender Blick in sein Gesicht sagte ihr, es könnte stimmen.

»Das tut mir leid…« Sie erschrak vor ihrer eignen Lüge, dabei wusste sie nur zu gut, dass ihre wiedererwachte Schwärmerei für Luc Abelius zu nichts Gutem führen kann. Wie schon früher würde sie gehen, sie wird ihr Leben weiterführen wie bisher, täglich nach Potsdam fahren und ihre Schüler in Literatur unterrichten.

»Muss es nicht«, hörte sie Luc sagen. »Mir tut es nicht leid und das ist ehrlich gemeint.« Er legte seinen Arm um ihre Schulter und drücke sie ganz sanft. »Es ist doch so schön, dich wiedergefunden zu haben.«

Mehr sagte er nicht, und er nutzte die Situation auch nicht aus, die ihre unverhoffte Nähe ihm bot und der sie sich nicht entzog. Gerade deswegen ging ihr ein einziges Wort von ihm so tief ins Herz. »Wiedergefunden…« Sie sollte die Dinge dieses unvorhersehbaren Tages nicht so wichtig nehmen, andrerseits hatte sie noch niemals bei dem Wort eines Mannes das Gefühl, es schneidet ihr die Luft ab. Ihr einziger Wunsch war, dass sie sich um Gottes willen nicht wieder in ihn verliebte. Leider spielten ihre Sinne da nicht mit. Immer wieder hörte sie das Wort, das sie so aus der Fassung gebracht hatte und das sie doch nicht oft genug in ihrem Kopf wiederholte: Wiedergefunden.

Jetzt konnte sie keine Macht der Welt bewegen zu denken, einem berechnenden Mannsbild auf den Leim gegangen zu sein. Wenn es je einen ehrlichen Mitschüler ohne Vorurteil und ohne Berechnung gegeben hat, dann war es Luc Abelius.

Als kleines Mädchen hatte sie sich oft den idealen Mann vorgestellt, ihren Prinzen auf dem weißen Ross. Und dann als Halbwüchsige sah sie Luc Abelius und wusste, es war ihr Ritter. Leider fand er nicht aus seiner Rüstung und ihr wurde klar, im wirklichen Leben existieren diese Prinzen nicht.

Es gab damals durchaus Momente, wo sie es bedauert hat, dass er nicht direkter war, nicht zudringlich, nicht einmal bittend. Luc war immer bescheiden, was sie als distanziert gedeutet hat. Wären ihr seine vielen guten Eigenschaften eher aufgegangen, als ausgerechnet in der Abitur-Phase, sie hätte ihn durchaus zu inspirieren gewusst. Damals hatte sie aufgegeben, weil sie sich keine Blöße geben wollte. Es gab ohnehin keine Chance für sie beide, sobald der Abi-Ball vorbei sein und sie zum Studium gehen würde. Daher hatte sie sich beizeiten darin geübt, sich mehr und mehr zurückzunehmen. Der schlimmste Moment war jener Tag, als sie endgültig der Schule adieu sagten.

Sie war dann alsbald mit ihren Eltern auf einer Reise zum Mittelmeer. Ohne zu ahnen, warum sie daran keine Freude hatte, verbot sie sich trotzig, der Schulzeit nachzutrauern. Von irgendetwas fühlte sie sich ausgegrenzt, ins Abseits getrieben, und im Gegensatz zu ihr, würde der Mensch ihrer heimlichen Wünsche sogar froh darüber sein.

Heute – und nach den beiden so zufriedenen Stunden im Café – war es tröstlich zu wissen, dass sie ab jetzt einen Freund in ihrer Nähe hatte, ohne seine Nähe strapazieren zu wollen. Andererseits war sie nicht hier, um zu resignieren, sich wortlos zurückzuziehen, nur weil er sich zurückhielt. Sie ist es. Sie kann sich zurückziehen, wann immer es ihr beliebt…

Vielleicht dachte Luc jetzt ebenso. Vielleicht wartete er nur darauf, dass sie sagte: Es war ein schöner Abend, Luc. Mach 's gut. Man sieht sich. Das kannte man ja, aber das konnte sie aus seinem Blick nicht deuten. Wenn sie ehrlich mit sich war, hatte sie schon oft daran gedacht, keinen wirklichen Freund zu haben, keinen jedenfalls, auf den sie zählen konnte. Sogar die Kollegen, die sie ganz passabel fand, taugten nicht als Freunde.

Eine verteufelte Ironie - Schicksal

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