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LUC ABELIUS

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Luc wusste es wie von keinem anderen Menschen: Wenn sich Denise Ebentheuer einmal zu etwas entschlossen hatte, dann gab es nichts, was sie davon abhielt. Es war genau dieser Umstand, der ihn vor Jahren davon abgehalten hatte, sich diesem Mädchen zu erklären. Aber vielleicht hatte genau dieser Umstand einen so großen Anteil daran, dass er Denise nie wirklich vergessen hat. Dass es einmal diesen Glückstag geben würde, konnte keiner von beiden voraussehen.

Luc erschrak vor seinen eigenen Gedanken: Wie kannst du glauben, sie denkt wie du an einen Glückstag?

Noch saß sie ihm gegenüber, eine wundervolle Mischung aus Selbstsicherheit und Zerbrechlichkeit, wie er zu erkennen glaubte.

Während er an seinem Brot kaute, spürte er ihren Blick auf sich ruhen. Er ist nicht mehr wie früher, er hat gelernt, was Selbstvertrauen mit einem Menschen machen kann. Dennoch musste er vorsichtig sein. Nichts ist schädlicher für eine Freundschaft, als allzu klare Bekenntnisse.

Freundschaft?, dachte er. Meinst du wirklich Freundschaft?

Seine Gedanken klangen noch lange in der Stille nach, in die sie beide gefallen waren. Stille war nicht immer gut. Er mochte Leute nicht, die sich nichts zu sagen haben und nur hölzern beieinandersitzen. Andererseits hätte er Luftsprünge machen können, dass sie überhaupt mit zu ihm gekommen ist. Ohne ein Fünkchen Sympathie wäre sie längst in ihrer Reinhardtstraße, vermutlich in einem vornehmen Loft.

Wird er überhaupt in der Lage sein, zu tun, was seit Stunden in ihm brannte. Wird er mit ihr darüber reden können, was ihn vor Jahren strikt von ihr ferngehalten hatte? Sie hatte ein mehr als behütetes Leben. Und er…? Behütet schon, aber alles anderen als begütert.

Warum sollte er darüber nicht offen mit Denise reden, jetzt, wo sie beide ihr Leben selbst gestalteten, erstrecht, seit sie in dem Café so viele Erinnerungen an die gemeinsame Zeit getauscht haben.

Er merkte, dass Denise ihn beobachtete, dass sie jeden Wimpernschlag erkundete. Gerade schenkte sie ihm wieder dieses besondere Lächeln, und das machte ihm Mut.

»Du weißt, dass ich dich damals schon … gut fand«, begann er, was ihr Lächeln noch verstärkte. Diesem süßen Mund hatte das Leben noch nichts genommen. Einmal, ein einziges Mal, hatte er — flüchtig zwar —, seine Lippen auf diese zarte Knospe gedrückt. Das war es vermutlich, was ihm so lange im Gedächtnis geblieben war. Die unerfüllten Wünsche leben am längsten.

»Ich glaube, alle Jungs haben sich etwas ausgedacht, nur um dir…«

»Nein Luc, sag nicht sowas!«

Ihre Stimme konnte sagen, sie nimmt seine Worte nicht ernst, aber ihre Augen verrieten etwas von Freude, von Erwartung.

»Doch«, protestierte er. »Wenn du wüsstest, was ich alles angestellt habe…«

Ob eine wie Denise, die aus wohlhabendem Hause stammte, seine Sorgen überhaupt verstanden hätte? Seine Mutter konnte all das nicht leisten, was andere Mitschüler als ganz normal ansahen. Dennoch hatte sie ihm die höhere Schule ermöglicht, und er hat sie dabei bisweilen ganz passabel unterstützt.

»Ich kann es nur von mir sagen, aber ich weiß, dass die anderen … im Rahmen ihrer Möglichkeiten…«

»Ihrer Möglichkeiten? Untertreibst du nicht etwas?« Sie berührte ihn an der Schulter und ihr Blick war weich und liebevoll. »Ich würde es 'im Rahmen ihrer Überheblichkeiten' nennen.«

Wenn es etwas gab, was Luc Abelius nicht lieber gehört hätte, dann waren es solche Worte.

»Ich war so verdammt verliebt in dich… Ich glaube, du hättest dich totgelacht, wenn du auch nur geahnt hättest…«

»Erzähle Luc. Erzähle; bitte!«

»Ich weiß nicht. Es ist doch so banal…«

Er sah, wie sich ihre Züge strafften, als sie fragte: »Banal von Bedeutung für dich, oder banal, weil wir zu jung waren…«

»Jung oder nicht, wahre Gefühle bleiben doch ... oder? Geht es dir… ist es dir im Leben anders gegangen?«

Ohne Vorwarnung, ohne Posaunentöne war er da, der Moment, den er seit Stunden herbeigesehnt hatte. In seiner Brust hämmerte das Herz so kräftig, dass er es vor ihr gar nicht mehr verbergen konnte.

Sie nahm sein Gesicht in ihre schlanken Hände und küsste sehr rasch seine Wange. Er konnte nicht anders, als ihr nachzugeben. Erst schleppend, dann mit erstaunlicher Leichtigkeit erzählte er davon, was er ein Leben lang in sich vergraben hatte, weil er sich albern vorkam.

»Du weißt, wie es um meinen sozialen Status stand. Wenn man nicht mithalten kann mit dem, was als Standard erklärt wird, bekommt man Hemmungen. Ich habe versucht, meiner Mutter zu helfen. Taschengeld, wie ihr es bekommen habt, war für mich ein Fremdwort. Ich habe mein Geld selbst verdient. Mitunter durch keine angenehmen Arbeiten. In aller Herrgottsfrühe noch vor dem Unterricht die Zeitungen austragen oder …«

»Stimmt«, unterbrach sie ihn. »Meine Mom hat dich einmal morgens im Dunkeln gesehen und es erwähnt, aber ich habe geglaubt, sie hat sich geirrt, und ich habe es dann nicht weiter beachtet.«

»Deine Mutter? Sie muss doch gewusst haben, dass ich es auch war, der morgens eure Brötchen an die Tür hängte.«

»Nein«, protestierte Denise. »Das kann sie doch nicht…«

»Doch«, sagte er mit knappem Kopfschütteln, was ihr sagen sollte, er will darüber gar nicht reden. »Obwohl: Das Geld für den Dienst habe ich von deinem Vater bekommen… einmal im Monat.«

Ihr Blick senkte sich und ihre Stimme wurde noch weicher: »Es tut mir leid, Luc. Was wusste man schon voneinander… Was interessiert einen jungen Menschen heute, wie der Nebenmann lebt. «

»Das ist es nicht, was ich dir erzählen will. Ich meinte nichts als meine kindliche Naivität.«

Und dann erzählte Luc Abelius, wie er — er absolvierte gerade erst die elfte Klasse — an einem Sonntag-Morgen bei Eiseskälte durch das Gartentor zur Haustür lief, um die Brötchen-Tüte für die Familie von Dr. Ebentheuer an die Klinke zu hängen. Weil es Sonntag war und weil er von vielen Filmen wusste, wie es in feinen Familien vor sich geht, wenn zu Tisch gebeten wird, hatte er jedes der Brötchen geküsst. Eines davon musste Denise an ihre Lippen führen. Seit diesem Tage träumte er davon, sie einmal wirklich küssen zu dürfen. Stellvertretend küsste er fortan wenigstens immer die Tüte, bevor er sie an den Türknauf hängte.

Im gemütlichen Zimmer im dritten Stock der Ziegelstraße folgte ein Moment staunender Stille, dann brach der Bann. Denise lachte ihn nicht aus. Sie schüttelte nicht einmal den Kopf. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und öffnet ganz leicht ihre Lippen. Luc hatte das Gefühl, es entfaltete sich eine ungeduldige Knospe zur süßen Blüte, von deren Nektar er zum ersten Mal vorsichtig trinken konnte…

Eine verteufelte Ironie - Schicksal

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