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Kapitel I — Dana Simons Tagebuch
ОглавлениеNach einer der vielen schlaflosen Nächte fasse ich den Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen. Das Leben ist mir seit einer gewissen Zeit unerträglich geworden. Nun ist zu meinem Dilemma, für das ich nicht kann, für das vermutlich niemand kann, etwas hinzugekommen, das ich selbst zu verantworten habe. Man kann sich das Leben schön denken, zumal man ein schönes hatte und genau weiß, wie es ist. Man kann jedoch seine Augen öffnen und genau hinschauen…
Was wäre jetzt, hätte ich nicht genau hingeschaut?
Seit langem kann ich nicht verstehen, weshalb mein zwanzigjähriges Leben mit Peter in großer Liebe und Wärme in kurzer Zeit abgekühlt ist. Freilich gebe ich mir die Schuld. Wenn ich etwas verabscheue, dann ist es Mitleid. Ich würde mich dafür hassen, wenn all die Zuneigung, all die Liebe und Wärme, die in Peter liegt, nur noch aus Mitleid oder Gewohnheit zu mir kämen. Auch andere Paare fallen mit den Jahren nicht mehr täglich übereinander her. Auch andere Männer sind beruflich hart gefordert, haben kaum Zeit für die Sorgen und Nöte ihrer Frauen und Kinder. Warum sollte es in meiner Ehe anders sein? Mir liegt nichts an Misstrauen, obwohl ich mir etwas mehr Verständnis wünsche. Mir liegt ebenso wenig an egoistischem Recht, obwohl mich die letzte Zeit gebeutelt hat. Überdies weiß ich nur zu gut, wie sehr gerade ich mich verändert habe.
Wäre dieser besondere Abend nicht gewesen, ich hätte bis heute an nichts Entscheidenderes gedacht, als an Peters Ehrgeiz für seinen Job bei der Stadtentwicklung, gleichermaßen an seine Liebe zum Sport. Selbstbetrug ist leichter zu ertragen als jede Gewissheit.
An diesem Abend kam er früher als erwartet nachhause. In meinem Herzen hüpfte die Erregung, glaubte ich doch, er hätte sich wegen unseres bevorstehenden Hochzeitstages für Mitternacht etwas Besonderes ausgedacht, wie es bisweilen üblich war in unserer guten Zeit. Wir feierten oft bei Nacht, weil die Tage ausgefüllt waren von Pflichten.
Schon von der Tür her rief er mir zu: »Schatz, ich muss gleich wieder weg… warte nicht auf mich.«
Er huschte ins Badezimmer, pfiff beim Duschen, rasierte sich sogar noch einmal und zog das neue Hemd unter den neuen roten Pullover. Beides hatte ich ihm unlängst aus der Boutique mitgebracht, weil er aus Bequemlichkeit nur noch per online einkauft, jedoch selten etwas umtauscht. Rot steht ihm besonders gut, macht ihn sexy. Zudem hebt es meine Stimmung, wenn ich ihn darin sehe. Um ehrlich zu sein, wenn ich ihn sehe, hebt sich meine Stimmung schon seit fünfundzwanzig Jahren. Das hätte sich vermutlich nicht geändert, wäre dieser Tag, wäre mein spontaner Entschluss nicht geboren.
So spontan war der Entschluss gar nicht, er wäre aber niemals geboren worden, hätte es zwei oder drei Tage zuvor nicht eine Episode geben, die mich das erste Mal an meinem Mann hat zweifeln lassen.
Ich hatte gekocht. Der Duft zog bereits durch das ganze Haus. Meine Männer scharwenzelten auffallend oft vor der Küche herum – ich bevorzuge die offene Küche, um nicht ständig das Gefühl zu haben, ausgesperrt zu sein.
Die beiden machten ihre Witze von der Überproduktion ihrer Verdauungssäfte und ob ich mit ihnen noch lange Waterboarding betreiben wolle. Ob ich nicht wüsste, dass es zu den geächteten Foltermethoden auf Guantanamo gehöre.
Ich war bei den letzten Handgriffen für ein luftiges Obst-Sahne-Dessert, das ich nur ihnen zuliebe bereitete. Ich selbst lehnte derart Kalorienzufuhr rundweg ab.
Lasse war plötzlich etwas eingefallen. Also zog er seinen Vater mit sich fort. Sie hatten nicht selten miteinander ein Problem zu lösen – wie Lasse es nannte.
Peters Smartphone ertönte. Er hatte es auf dem kleinen Bord liegenlassen, nachdem er zuvor mehrfach versucht hatte, jemanden zu erreichen. Ich konnte in diesem Moment den Schlagmixer nicht ausschalten, schaute nur mit einem Auge auf das Display. Neben einem Smily mit Kussmund stand »Jodie ruft an«.
Peters raschen Schritte auf der Treppe, zurück von Lasses Reich, waren nicht ungewöhnlich. Er war ein zuverlässiger Mann. Er ließ nie jemanden lange warten. Vermutlich hatte er genau diesen Jemand bereits zu erreichen versucht. Hastig schnappte er sich das Handy und verließ den Raum. Erst im Flur meldete er sich, schloss sofort die Tür vom Arbeitszimmer hinter sich und blieb nur kurze Zeit weg. Dann stand er vor dem Küchentresen und druckste ein paar nichtssagende Worte heraus, die eher an eine Störung erinnerten, als daran, was dann geschah. Ich fragte ihn: »Wer ist das Mädchen?«
»Unser Zugpferd«, erwiderte er. »Ich hab dir von ihr erzählt.«
Ich wusste nicht einmal, wo Peter mit einem Zugpferd zu tun haben könnte – in der Firma oder im Club. Also sagte ich ehrlich: »Kann mich gar nicht erinnern.«
Ich füllte das fertige Dessert in die Schalen, setzte je eine frische Erdbeere obenauf, ehe ich begann, die Teller zu füllen. Lasse, der es nicht lassen konnte, dauernd mit seinen Fingern an etwas zu schlecken, wies ich an, die Servietten zu platzieren.
»Tut mir leid, ich muss nochmal…«
Mein wütender Blick auf Peter sprach offenbar Bände, jedoch auch Lasse blickte verdutzt – mehr allerdings auf mich.
»Hat das nicht Zeit bis nach dem Essen?«
»Tut mir echt leid, Dana…«
Dann klappte schon die Haustür.
»Das war definitiv keine gute Idee«, maulte Lasse
Ich war ebenso irritiert, dennoch ließ ich mir Zeit mit einer Antwort. Ich löste die Bänder meiner kleinen Schürze und setzte mich zu Lasse. Appetit hatten wir beide nicht mehr in dem Maße, die das gute Essen verdient hätte.
Kurz vor meinem geplanten Auszug aus dem Schafzimmer aber drei Tage später wiederholt sich etwas, was es früher in meiner Familie niemals gegeben hätte. Ich war nie ein Freund von grundlosem Misstrauen. Davon hatte ich einmal ein Quäntchen zu viel, was mich fast umgebracht hätte. Seither hüte ich mich vor voreiligen Schlüssen, wenngleich Schlussfolgerungen dazu da sind, um gezogen zu werden. An diesem Tag konnte ich nicht anders, als zu schlussfolgern. Zudem war Lasse nicht zuhause.
»Das trifft sich gut«, rief ich nach enttäuschtem Grübeln durch die geschlossene Badezimmertür. »Dann kann ich nochmal zur Agentur, wir haben da ein Computerproblem!«
Noch vor ihm verließ ich das Haus. Ich fuhr bis zur kleinen Einfahrt zu den Villen, die beidseitig von einer Hecke geschützt wurde. Er konnte nur in diese Richtung fahren, wenn er zu seiner Firma oder in seinen Club wollte. Inständig hoffte ich, Lasse käme nicht vorzeitig nachhause. Er würde sich wundern, warum seine Mutter im Auto hinter der Hecke versteckt auf etwas wartete. Jungen in diesem Alter haben feine Antennen für Veränderungen im Elternhaus. Bei Lasse müssten sie längst auf Empfang gestellt sein.
Ich empfand es als kränkend, dass Peter womöglich unseren Hochzeitstag total vergessen hatte. Andererseits kannte ich seine Abneigung, irgendwelche Daten in seinen Kopf hämmern zu müssen, die nur einmal im Jahr eine Bedeutung haben. »Dafür habe ich meine Frau«, sagte er bisweilen spöttisch. Dabei strich er mir liebevoll über das Haar oder gab mir dankbar einen Kuss. Es gab so viele kleine Marotten, die ich mit all meiner Liebe – mit den Jahren wuchs mein Großmut – als nebensächlich abtun konnte. Viel wichtiger waren mir von jeher seine menschliche Wärme, die übergroße Hingabe und die väterliche Herzlichkeit, die er Lasse schenkte, seit unser Sohn vor achtzehn Jahren geboren wurde und unser Leben, unsere Liebe, unsere Zweisamkeit auf den Kopf stellte.
Die Erinnerungen an unser Glück bremste für einen Moment das Rad in meinem Kopf: Womöglich sollte ich Peters Verhalten nicht als Kränkung verstehen. Womöglich war es nichts als eine kleine Oberflächlichkeit. Doch dann kam der Moment, wo ich wusste, ich würde für Wochen in einem Hamsterrad verbringen oder ich müsste entgegen meinem festen Willen die Schmach meiner bevorstehenden Hilflosigkeit ertragen. In den letzten Wochen war es mir mit einiger Mühe so leidlich gelungen, immer dann voll da zu sein, wenn ich es für erforderlich hielt. Heute verpasste ich beinahe den Moment dieser fast unmenschlichen Beherrschung.
Peter fuhr in eben diese Richtung, die ich vermutet hatte. Ich fuhr in angemessenem Abstand hinterher und stellte meinen Wagen in die Nebenstraße, die seinem Club gegenüberliegt. Er stieg nicht aus, wartete im Wagen. Womöglich hatte er mich längst bemerkt.
Ich schämte mich so sehr dafür, was ich zum ersten Mal in meinem zwei Jahrzehnte währenden Leben mit Peter an diesem Abend tat, dass Tränen meinen Blick trübten. Gerade wollte ich den Rückwärtsgang einlegen und umkehren, da sah ich diese blutjunge, sportliche Frau die Stufen herunter hüpfen. Mit erhobenen Armen lief sie auf Peter zu. Ein unbekannter Schmerz, der mich bisweilen quält, der mich jedoch vor Aufregung seit einer Stunde in Ruhe gelassen hatte, stach jetzt wie wild. Die beiden umarmten sich, küssten einander sogar und es schien, als habe das quirlige Ding meinen eher besonnenen Mann rundweg aufgedreht. Es gelang mir nicht sofort, die Frau genau zu betrachten. Ich starrte fassungslos nur auf ihn, auf jeden Muskel seines Körpers, auf jeden Zug in seinem wundervollen Gesicht. Die letzten Sonnenstrahlen ließen Peters Haar glänzen, der Pullover leuchtete wie ein Strauß roter Rosen. Es umgab meinen geliebten Mann eine Ausstrahlung, wie ich sie seit Jahren nicht mehr entdeckt hatte. Besonders weh tat mir seine männliche Ruhe, seine Gelassenheit, die er wie ein Schutzschild um die junge Frau legte, wie er es früher um mich und später um Lasse gelegt hatte.
Die Frau, die seine Arme umfingen, trug einen hautengen, schneeweißen Dress, knallig pinkfarbene Kniehosen, superweiche weiße Turnschuhe und eine pinkfarbene Sonnenbrille, die sie mit einer sinnlichen Geste aus dem Gesicht auf ihr blondes Haar geschoben hatte, bevor sie ihn stürmisch umarmte. Ihr Körper schien makellos, fest und sexy. Die sonnengebräunte Haut schimmerte im Abendlicht. Peter nahm ihre Sporttasche, ehe er ihr galant die Autotür aufhielt. Wann hat er das für mich zuletzt getan? Muss er das? Sagst du nicht immer, du bist eine emanzipierte Frau…?
Ich fühlte mich von einem Moment auf den anderen so klein, so unbedeutend wie eine graue Maus und so abstoßend in meinem Dilemma, dass ich nicht anders konnte, als ihn für diesen Anblick, der sich mir bot, zu hassen.
Die ganze Fahrt zurück sah ich diese Bilder vor mir. Bilder, vor denen ich besser die Augen verschlossen hätte. Das gelang mir nicht mehr. Geschlossene Augenlider drücken Tränen heraus, die keiner sehen sollte. Lasse am wenigsten. Ich musste dem Leben ins Gesicht blicken mit sehr offenen Augen…
Erst zuhause — besonders als Lasse mich mit tausend jugendlichen Problemen belegte, die ich fast mürrisch ertrug — erkannte ich, wer mich in diese Situation gebracht hatte. Ich allein, niemand sonst.
Nach Lasses Kopfschütteln verstand ich schließlich, wo meine Schuld lag. Kein Wunder, dass Peter nicht allabendlich bei mir hockte, gar Händchen hielt und mir jeden Wunsch von den Augen ablas. Andererseits - woher sollte ich die Kraft nehmen, noch die zu sein, die er einst für sich, für sein Leben, für seine Liebe auserwählt hatte. Ich war mürrisch und vermutlich ungerecht geworden. Dafür konnte ich Peter nicht verantwortlich machen.
In der folgenden Nacht konnte ich kein Auge zumachen. Ich redete mir ständig ein: Ich glaube nicht, dass er mit ihr schläft. Ich glaube nicht, dass sie ihm sein kann, was ich für ihn bin – was ich für ihn war. Diese Relativierung schnürte meine Kehle zu. Etwas drückte auf die Tränendrüsen, aber ich brauchte einen kleinen Strohhalm Hoffnung.
Am Morgen rief ich in meiner Agentur an, man möge die allgemeinen Arbeiten erledigen, das neue Projekt würden wir am Nachmittag besprechen. Ich hätte eine dringende Familienangelegenheit, was ja nicht völlig gelogen war.
So hat es also angefangen —mein Dilemma.
Jetzt, Monate später, der alles entscheidende Tag.
Peter kommt vom Dienst, spät, aber er kommt. Er ist nicht bei ihr geblieben, wie vermutlich in einigen Nächten zuvor. Ein Sonderauftrag werde eine Nachtschicht erfordern. So oder ähnlich sagte er in diesen Fällen. Wenn er dann heim kam, verschwand er sofort im Bett.
Heute glänzte sein Gesicht vor Anstrengung, seine Augen spiegeln Verwunderung. Ich merke ihm an, wie irritiert er ist, dass ich ihm nicht mehr wie früher entgegenlaufe, ihn nicht umarme und mich freue, dass er endlich da ist. Das ist mir seit meiner Entdeckung nicht mehr gelungen. Es wird mir in Zukunft nie wieder gelingen. Inzwischen weiß ich mehr, als einer Ehefrau lieb sein kann
»Du warst bei Jodie«, fragt er ohne Umschweife.
»Nein«, sage ich ganz ruhig. Diesmal bin ich sogar im Recht.
»Lüg mich nicht an, Dana. Ich weiß…«
»Du weißt also? Du weißt? Wie du immer alles weißt. Wenn das eine von deinen korrekten Fragen war, dann habe ich zumindest korrekt geantwortet. Ich war nicht bei …Jodie!« Kaum bekomme ich diesen Namen über meine Lippen. Meine Stimme hat Mühe, nicht zu krächzen, aber die Kraft in mir reicht gottlob nicht aus, dass ich ihn anschreien könnte. »Ich habe sie im Café getroffen. Es ist mein gutes Recht zu wissen, woran ich bin. Du sagst mir ja nichts.«
Peter kommt einen Schritt auf mich zu. Ich rieche sein Aftershave, das mich noch immer betört, nicht weil es der geilste Duft ist, sondern weil es sein Duft ist. Nur in Gedanken sehe ich seine dunklen Augen, die früher mit großer Milde auf mich blickten. Heute werden sie vermutlich boshaft funkeln.
»Ich will die Scheidung, Dana«, sagt er ganz leise, als sei er sich selbst nicht so sicher, oder als müsste er es schnell und ohne Aufsehen hinter sich bringen.
Ich habe für einen Moment nicht den Eindruck, dass Peter zu mir spricht, eher, dass ich den Boden unter den Füßen verliere. Mein Herz geht wie rasend. Ich weiß, ich muss alles auf eine Karte setzen. Jetzt. Keinen Moment später.
»Verstehe«, sage ich wie ferngesteuert, trete ans Fenster und wende ihm den Rücken zu. Als ich die Fassung wiedererlange, wische ich mit dem Handrücken meinen kleinen Ärger aus dem Gesicht. Peter schaut mich an. Er kann nicht verstehen, warum ich seiner offenkundigen Absurdität keinerlei Beachtung schenke. Warum ich nicht tobe, wie sein scharfzüngelndes Flämmchen Jodie vermutlich toben würde. Nun, wo ich sie miteinander gesehen habe, wo ich sogar Jodies schamlose Schwärmerei über ihre wunderbare Zeit mit Peter kenne, kann ich ihn sogar verstehen…
Ihre Stimme war nicht bemerkenswert, lediglich der feine englische Akzent, ihre langen blonden Haare und ihr Sexappeal hatten mich stumm werden lassen. Im letzten Augenblick hatte ich mich zurückgezogen aus ihrer jugendlichen Aura, die mich mit Neid erfüllte.
Wie ein in die Enge getriebenes Tier verharre ich stumm. Ich habe mich auf einiges gefasst gemacht. Auf eine so klare Ansage von Peter indes nicht. Er muss mein Verhalten als Strategie verstehen – was es in Wahrheit auch ist. Leider nicht die Strategie einer abwartenden Ehefrau, die auf die nächste Chance hofft, ihren Mann zurückzuerobern. Von meiner wahren Lage soll Peter nichts erfahren — niemals. Er soll obendrein nicht ahnen, was in den Wochen und Monaten zuvor passiert ist. Bis hierher hat meine Kraft gereicht, nun wird sie für den Rest auch noch reichen. Das bin ich Lasse schuldig…