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Nur vier Wochen wie früher

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Entgegen meiner Befürchtung bleibt Peter heute über Nacht bei mir – bei uns, wie ich schmerzhaft spüre, worüber ich keinesfalls traurig bin. Den halben Abend verbringt er mit Lasse. Sie lachen viel. Ich höre die typischen Geräusche, wenn Vater und Sohn etwas miteinander ausfechten. Ich lege mich in die Badewanne. Die Wärme entspannt; sie nimmt meinen Schmerz für eine halbe Stunde.

Meinen Entschluss, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auszuziehen, habe ich nicht umgesetzt. Das ist nicht mehr nötig, seit Peter nur noch selten neben mir schläft. Wenn er überhaupt zum Schlafen nachhause kommt, dann sehr spät. Zumeist bleibt er dann auf der Liege im Arbeitszimmer. Für Lasse hat er immerhin eine plausible Erklärung gefunden, für mich braucht er keine zu finden.

Es ist eine sternenklare Nacht. Mein Medikament macht mich müde, aber die Umstände wühlen mich auf. Ich betrachte meinen Mann, der noch immer mein Mann ist. Diesen Anspruch würde ich laut in die Welt hinaus schreien wollen. Doch ich weiß genau, wie endlich jedes Dauern ist.

Der Lichtschein fällt durch die Gardine. Er liegt ruhig, beinahe friedlich zu meiner Seite geneigt. Seine dunklen Haare sind wie stets sorgfältig geschnitten, sein Gesicht ist glatt rasiert. Die Arme, die über der Decke liegen, zeugen von männlicher Kraft und vom Zupacken, wenngleich ich sie außerordentlich sanft und liebevoll kenne, es nur mitunter vergesse.

Ich denke an Jodies Worte von «ihrer» Zeit. Ich weigere mich, mir vorzustellen, wie er mit seinen Schenkeln ihren Körper dirigiert, wie seine Arme sie umschlingen und seine Hände ihre Lust beflügeln, so, wie sie noch vor Monaten meine Lust beflügelt haben. Warum ist mir seit langem nicht mehr nach Lust, eher nach Weinen? Diese verdammten Tränen. Wie stets in meinen letzten Wochen ruinieren sie jeden Versuch, klar über den Morgen nachzudenken. Dieser Morgen wird alles entscheiden. Peter wird mich fragen, er muss mich fragen. Er war immer auf Sicherheit bedacht. Er wird genau kalkulieren, was auf ihn zukommt, sofern er noch ein Fünkchen Anstand in sich spürt, was immerhin wahrscheinlich ist.

Das Fatale an meiner Lage: Ich rede mir ein, alles, was jetzt auf mich einstürmt, ist nur eine vorübergehende Misere, die irgendwann – vielleicht mit ein paar Blessuren – überstanden ist. Ich will nicht sehen, dass der Wendepunkt in meinem Leben zwei Kurven schlägt. Die eine hat mein Körper übernommen, die andere gibt Peter vor, Peter und seine verrückte Jodie.

Ich bin ihm gleichgültig. Weil das keine Einbildung ist, kann meine Strategie nur richtig sein…

Sieben Uhr. Ich bereite das Frühstück für Lasse und Peter. Alles geschieht wie in Trance. Ich gebe in Lasses Tasse Kaffee, obwohl ich weiß, wie sehr er ihn hasst und wie wenig vorteilhaft das Getränk für Heranwachsende ist. Ich entschuldige mich, aber Lasse schiebt lächelnd die Tasse auf meinen Platz, der nicht eingedeckt ist, weil ich keinen Appetit habe.

»Du musst nicht meinetwegen aufstehen, Mam΄.«

Ich lächle zurück, stelle mich morgenverwirrt und nehme einen Schluck aus der fehlgeleiteten Tasse, obwohl ich nur noch selten Kaffee trinke. Noch gab es das nur selten, dass einer allein aß, wenn die Familie nicht vollzählig am Tisch saß.

Sie wird nie mehr vollzählig sein. Nie mehr…

Wenn ich seit dem letzten Abend eine erwähnenswerte Gemütslage habe, dann ist es müde, angewiderte, verächtliche Verbitterung.

Als ich die Badezimmertür höre, richte ich meinen Körper gerade und streiche mein Haar aus dem Gesicht. Ich lächle Lasse noch einmal zu und flüstere: »Du kannst ruhig anfangen. Dein Vater macht sich heute besonders schön.«

Das ist unbeherrscht, zudem alles andere als eine heroische Art, meinen Sohn von den elterlichen Problemen fernzuhalten.

Lasse zögert einen Moment. Es ist vermutlich weniger wegen des Familien-Rituals, als vielmehr wegen meines Vokabulars. Wenn wir bisher mit Lasse über einen von uns gesprochen haben, dann wählten wir seit Jahren seine Worte. Lasse sagt seit seiner Kindergartenzeit Paps zu Peter, nie Vater.

Mir ist es ernst mit meiner Aufforderung, weil Lasse nicht zu spät zur Schule kommen soll. Ich will, dass er noch vor seinem Vater das Haus verlässt.

Als Peter schließlich kommt, erfüllt er den Raum mit seiner Präsenz, die ich seit Jahren für bewunderungswürdig hielt. Seit diesem Tag vor dem Club kann ich es nicht mehr.

Er streicht wie jeden Morgen seinem Sohn über das Haar, stupst mit der Faust sanft gegen seine Schulter und fragt ein paar Dinge, über die ein Vater Bescheid wissen sollte. Lasse scherzt mit ihm und Peter scherzt zurück. Wie locker die beiden miteinander sein können!

Das Mindestmaß seiner Zuwendung zu mir sind schwer zu erklärende Blicke. Ich sehe meinen Mann seit dieser Nacht aus einem anderen Winkel meines Herzens. Der herausfordernde Blick seiner Augen ist kaum wahrnehmbar — hoffentlich, denn Lasse soll um Himmels willen nichts von unserem Problem bemerken. Für mich geht es nur noch darum, den besten Moment zu finden, der es mir möglich macht, meine Selbstachtung nicht zu verlieren, dennoch das Vernünftigste aus der Sache zu machen. Peter an unseren Treueschwur zu erinnern, bis dass der Tod uns scheidet, ist nicht vernünftig. Von Treue ist schließlich nichts mehr da.

Als Lasse geht, ruft er noch einen Scherz zurück: »Und Paps, denke an die Playbackstellung!« Kichernd lässt er die Tür in den Rahmen fallen.

Mein Körper zuckt bei diesem Wort …stellung. Ich sehe Bilder vor mir, die ich mir niemals hätte vorstellen können. Ich höre Worte aus Jodies Mund, die niemals tiefen Gefühlen entspringen können. Mir rauscht das Blut in den Ohren. Dabei weiß ich, was Lasse meint. Ich weiß es doch!, ruft mein Gewissen. Für mich verbindet sich dieses Wort auf schmerzliche Art seit kurzem mit Peter und Jodie.

Die Playbackstellung ist nichts anderes, als das Hochstellen einer Seite der Tischtennisplatte, wenn Peter mit sich alleine spielt. Sofern er keinen Spielpartner hat und er den Club noch nicht verlassen kann, benutzt er diese Hilfestellung auch dort. Vielleicht will er in letzter Zeit den Club nicht gerne verlassen, solange Jodie, das Zugpferd, noch trainiert — wer weiß?

Abgesehen von diesem Vater-Sohn-Geplänkel bleibt der Morgen wie jeder andere. Ich erledige meine Handgriffe routiniert, Peter hilft mir wie stets, auch wenn wir uns dabei sprichwörtlich im Wege sind, heute mehr als irgendwann. Meine Handgriffe fallen hastig aus, grantig gar. Mich stört jede Bewegung von ihm.

Ich habe den Eindruck, mein Schweigen löst eine – zumindest leise – Irritation in ihm aus. Das ist mir egal. Ich komme noch früh genug zum Zuge; er will die Veränderung, nicht ich.

Bevor er geht, ist ihm anzusehen, dass er nicht glücklich ist, noch tun zu müssen, was nicht erledigt ist. Er bittet mich, dass wir uns noch einmal setzen, was ich lustlos akzeptiere.

»Du hast mir noch nicht geantwortet, Dana«, sagt er mit einem Blick zur Tür, ob Lasse wirklich gegangen ist. Ich mache mir seit Stunden Gedanken, ob ich ihm meine Bitte – meine Bedingung – so kompromisslos zumuten kann. Die halbe Nacht habe ich mit mir gerungen, bis ich zu dem Schluss gekommen bin: Es kann nicht nur – es muss sein. Er hätte es wissen müssen. Er kennt mich lange genug, wahrscheinlich besser, als ich mich selbst kenne. Er hätte vorhersehen müssen, dass ich nicht kampflos aufgebe, auch wenn gestern meine knappen Worte vom Gegenteil zeugten.

Ich erinnere mich kurioserweise in dieser Sekunde an unsere Hochzeit. Ich im weißen Kleid mit einem kleinen Brautstrauß, er mit weißem Hemd und gestreiftem Binder unter dem dunklen Anzug. Verliererschlips – weil die Streifen von links oben nach rechts unten verliefen. Es gab kaum jemanden, der ihn nicht darauf ansprach. Er hat ihn nie wieder getragen. Ich glaube sogar, er hat ihn einmal zur Weiberfastnacht in die Aktenmappe gestopft und mit zum Dienst genommen, um ihn im Ernstfall rasch anzulegen, falls die Schlips schneidenden Närrinnen seine Abteilung nicht verschonten.

An diesem frostigen Morgen — mental frostig — scheint die warmherzige Erinnerung an den schönsten Tag meines Lebens ziemlich fern und doch wieder greifbar nah: Was damals begann, geht heute zu Ende. Einer wird der Verlierer sein.

Es gibt nur diesen kleinen Aufschub, diese kleine Bitte, die ein Mann ganz leicht erfüllen kann, wenn ihn als Lohn etwas Großes erwartet.

»Erinnerst du dich manchmal an unsere Hochzeit? « Ich lauere, er stutzt wortlos. »Wie du mich über die Schwelle getragen hast?« Nur still in Gedanken beende ich den Satz: Während der Flitterwochen und später noch jeden Abend zu Bett. Ich lächle dabei, so gut es mir gelingt.

»Ich weiß Dana. Das ändert nichts daran, dass uns das Leben mitunter Veränderungen abverlangt, auf die es uns nicht vorbereitet hat.«

»Ja. Dein Sohn steht gerade vor einer solchen Veränderung – der ersten großen Prüfung seines Lebens. Willst du so egoistisch sein? Alleine dein Auszug würde ihn völlig aus der Bahn werfen. Soll er die Prüfungen schmeißen? Ich verlange nicht von dir, Peter, dass du auf das Glück verzichten sollst, das du gefunden zu haben glaubst. Aber als Mutter darf ich von dir einen kleinen Kompromiss verlangen. Warte, bevor du endgültig gehst, bis Lasse das Abi in der Tasche hat und auf letzter Klassenfahrt ist. Ich werde dir keine Steine in den Weg rollen. Ich will nur, dass unsere gemeinsame Verantwortung noch greift. Wenigstens diese vier Wochen lang.«

Er lacht leise auf. Es klingt bitter, wenn nicht herablassend oder gar wütend.

»Was versprichst du dir von vier Wochen, Dana. Es wird nie mehr so sein wie früher.«

Nein, das wird es wahrlich nicht, jedoch mein Grund zu dieser Gewissheit und Peters Grund sind nicht dieselben.

»Hörst du mir nicht einmal mehr zu? Ich habe es dir gerade gesagt. Ich will nicht, dass Lasse im ersten entscheidenden Moment seines Lebens damit belastet wird, dass wir beide – du und ich – unser Leben nicht mehr im Griff haben. Wenn du je ein guter Vater warst…«

»Ist gut Dana. Ich war ein guter Vater und ich werde ein guter Vater bleiben. Was ich nicht bleiben kann, weißt du.«

Wie ich das hasse, wenn er so mit mir spricht. Ich richte meinen schlaffen Körper gerade und versuche sogar, ihm in die Augen zu schauen. Es ist wie stets: Bei diesem Blick in sein Gesicht, auf seinen Mund, der leicht vibriert, verschlucke ich mich beinahe am nächsten Wort.

»Wenn es dir gelingt, in diesen wenigen Wochen hier zuhause nicht von Jodie zu sprechen, wäre ich dir sehr dankbar.«

Peter schüttelt seinen Kopf, obgleich er klug genug ist, größerem Ärger aus dem Wege zu gehen, wenn das Ziel nicht mehr weit ist. Sein Gesicht verrät nicht viel, nur Verstimmung und Resignation, die ich nur mit sehr viel guten Willen auch als Vernunft ansehen könnte. Meine angespannten Nerven scheinen in nächster Sekunde zu reißen. Was ist dann?

Ich kann Peter nicht die Wahrheit sagen, obwohl ich weiß, dass er in diesem Falle ganz anders entscheiden würde. Ich brauche die Gewissheit, dass nichts mehr dazwischen kommt, dass er die nächsten Wochen mit uns lebt wie früher und dass Lasse seine Bindung zu seinem Vater nicht verliert.

Vielleicht hat Peter das Gefühl, ich will bis in alle Ewigkeit als leuchtendes Beispiel ein ehrendes Gedenken erzwingen. Das ist es nicht. Ich schaue in sein Gesicht. Es ist nicht mehr das meines Liebsten, und die Stunden neben ihm sind keine Tage und Nächte mehr, nur noch erzwungene Notwendigkeit. Das macht es mir leicht.

»Ich will, dass du eines weißt. Ich beanspruche nichts aus unserer Ehe. Nicht das Haus, nicht das Auto oder irgendwelche materiellen Dinge. Ich knüpfe nur eine letzte Bedingung an mein Einverständnis, bevor ich dich gehen lasse. Lebe in diesen vier Wochen mit uns genauso, wie wir die glücklichen Jahre unserer Ehe gelebt haben. Wenn du das kannst, lasse ich dich gehen, ohne eine einzige weitere Bedingung.«

»Genau so?«

»Annähernd«, sage ich. »Das abendliche Zu-Bett-Tragen darfst du weglassen. Dazu wirst du wohl nicht mehr kräftig genug sein nach der Anstrengung mit Jodie.«

Ich spüre, dass er nicht die gleiche Distanz zu meiner Bitte gewinnen kann, wie ich sie seit dieser Nacht gewonnen habe. Im Gegensatz dazu steht seine Distanz zu mir, die er seit langem deutlich zeigt. Ich habe mich — leider oder gottlob — zu erfolgreich geweigert, den Unterschied zu sehen.

Er schweigt betroffen. Ich stehe auf, weil ich glaube, keine Sekunde länger neben ihm sitzen zu können. Draußen steht mein kleines Auto. Seit langem will Peter, dass ich ein ordentliches Modell fahre, eines mit einer besseren Knautschzone, wie er sagt. Hat er einmal daran gedacht, wie sehr er mein Gemüt deformiert? Warum hat, was man nicht sieht, keinen Wert? Liebe, Treue, Toleranz, Ehrlichkeit…

Ehrlich war er, leider nicht von innen heraus. Die meisten Menschen glauben, Ehrlichkeit ist nur eine Lesart von Dummheit.

Ich bemerke eine leise Unsicherheit in seinem Gesicht. Er will noch etwas erwidern, aber keine Sprache hat mehr als Worte. Noch er findet keine, die sich selbst rechtfertigen.

Er muss es wissen, dass er mir — dass er Lasse und mir — Unrecht tut. Wenn er sich jetzt entschuldigt, bricht alles wieder frisch auf, was ich nach langem Kampf für mich als endgültig annehmen konnte. Das ist nicht meine Absicht. Das wäre ebenso egoistisch, wie ich Peters Verhalten als egoistisch betrachtet habe – bis mir die entscheidende Idee gekommen ist.

»Ich weiß nicht, Dana, woher du diese — ich meine es ist Sturheit — nimmst. Ich weiß aber eines: Ich habe dich immer geachtet, daran hat sich nichts geändert. Sofern du es ehrlich meinst, achte ich dich umso mehr. Nur darum stimme ich deinen Bedingungen zu. Vier Wochen. Das ist fair. Über das Materielle dürfen wir trotzdem noch reden, auch wenn deine Agentur offenbar bestens läuft. Das hier ist unser gemeinsamer Besitz und den beanspruche ich nicht für mich allein. Soweit müsstest du mich kennen.«

»Vier Wochen, Peter«, sage ich in einem Ton, der alles beendet.

Minuten später sehe ich, wie er langen Schrittes die Auffahrt zur Garage nimmt. Ich berühre im selben Moment meine Wange an der Stelle, wo er mich flüchtig geküsst hat – vermutlich aus Dankbarkeit, dass ich ihm kein Theater mache. Oder weil er begriffen hat, was wir Lasse zumuten.

Es hat sich gut angefühlt, neben ihm zu liegen und keinen Groll zu spüren. Es hat sich gut angefühlt, wie er von Achtung sprach. Inzwischen kann ich keinen Groll mehr aufbringen. Jetzt wird es genauso sein, wie ich es als einzig gangbaren Weg nächtelang durchdacht habe. Erschreckend ist für mich einzig die Tatsache, wie schnell er mich wieder in seinen Bann gezogen hat, ohne nur eine einzige Geste, ein einziges Wort zu verschwenden.

Nur noch einmal - bis zuletzt

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