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Leben wie einst im Mai?

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Unser Leben war über Jahre etwas mühselig geworden, dennoch ist es völlig geradlinig verlaufen. Die Gespräche hatten kaum noch mit uns zu tun, mehr mit den Mühen des Lebens und mit Lasse, dem wir all unsere Liebe schenkten, all unser Verständnis. Lasse sollte nicht aufwachsen wie manch ein junger Mensch in dieser Zeit: Nebenher, als notweniges Anhängsel von zwei vielbeschäftigten Karrieremenschen.

In den ersten Tagen, an denen Peter wieder richtig bei uns — mit uns — lebt, um sein Versprechen einzuhalten, beschränkt sich das Mindestmaß seiner Verständigung auf Kopfschütteln, Nicken oder beides zugleich. Mit Lasse kann er locker umgehen. Wenigstens das tut gut.

Nach diesen wenigen Tagen unglaublichen Schweigens türmt er sich unverhofft — scheinbar himmelhoch — vor mir auf und fragt, ob ihn der Eindruck täuscht, dass ich froh über seinen Entschluss bin. In seinem Blick leuchtet etwas wie Erkenntnis, um seinen Mund spielt ein boshafter, grantiger Zug. Starr steht er da, mahlt auf den Backenzähnen und wartet. Ich kann kein Wort leichtzüngig herauswürgen. Mich plagen seit Stunden Schmerzen, deren Wirkung in meiner Stimme nichts Gutes zur Folge hätte.

»Warum hast du dir keine Mühe mehr um unsere Liebe gemacht. Warum treibst du mich in diesen Ausweg. Ich will lieben. Ich will begehren. Alles, was ich von dir noch bekomme, ist Abwehr, bestenfalls Vertröstung auf einen besseren Augenblick, der dann lange auf sich warten lässt.«

Meine heisere Stimme senke ich zu einem Flüstern:

»Nur, weil ich meine Umwelt nicht an meinen Gefühlen teilhaben lasse, heißt es nicht, dass ich keine habe.«

»Deine Umwelt? Ich gehöre also zu deiner Umwelt?«

»Alles, was einen umgibt, ist Umwelt. Mehr, als mich zu umgeben, habe ich von dir nicht mehr gespürt.«

»Dann lag ich doch gar nicht so falsch. Ich frage mich schon lange, was ich dir noch bedeute. Auf keinen Fall mehr als deine Agentur, deine bunten Plakate. Sogar die haben mehr Erotik als in dir selbst steckt.«

Nicht zum ersten Mal kramt er verbal diese Plakate für eine Erotik-Messe zu seiner eigenen Rechtfertigung hervor. Meine Agentur hatte sie gestaltet. Nun benutzt er sie für eine Rechtfertigung, wie sie nur ein Mann zuwege bringt. Ohne Sex keine Liebe. Er scheint nicht besser zu sein, als manch ein Mann, der seine Frau, der Frauen im Allgemeinen, auf Animalisches reduziert. Heiße Stute. Betthäschen…Glucke!

»Es wäre auf jeden Fall anders zwischen uns, wenn ich spüren würde, dass du mich noch liebst … Liebst, Peter, nicht nur Lust auf meinen Körper hast. Wenn Jodie damit zufrieden ist, gönne ich ihr den vorübergehenden Spaß von Herzen. Sie wird eines Tages bitter enttäuscht sein. Oder du.«

»Ich weiß, dass du mir auf Schritt und Tritt misstraust. Ich weiß nicht warum, aber du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das…«

»Mir das vorzustellen, fällt in der Tat sehr schwer.«

Das sind die letzten Worte dieses Tages, dem wir beide noch einiges schuldig sind.

Peter fährt missmutig zum Dienst, zugleich versuchen ich mich für meinen Dienst wieder fit zu machen.

Dank des starken Kaffees fühle ich mich hellwach, wenn auch nicht besser. Ich weiß, dass es schädlich ist, so in den Tag zu gehen. Seit einiger Zeit — genau gesagt, seit ich bei Dr. Paulsen war — bedauere ich, nie im Leben gläubig gewesen zu sein. Jetzt ist die Zeit gekommen, die mir einst eine Ordensschwester prophezeit hat. Natürlich dachte ich, sie würde mich nie ereilen.

Den ganzen Weg bis zu meiner Agentur will der Gedanke an den Glauben einer Ungläubigen nicht aus meinem Kopf:

Warum um alles in der Welt hat man den Kraftquell des menschlichen Willens in den Himmel verlegt? Warum besinnt sich der Mensch nicht auf sich selbst, auf seinen starken Willen, auf Menschlichkeit? Warum geschieht vor den Augen Gottes so viel Unrecht?

Dieser Moment meiner unerklärlichen Sehnsucht nach übernatürlichem Einfluss, nach Beistand und Hilfe, hat etwas Beschämendes. Vielleicht geht mir zum Selbstschutz vor göttlichem Einfluss ein altes Proletarierlied über die Lippen: ... uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.

Ich verdränge wieder einmal erfolgreich, wie trügerisch Lebensweisheiten sein können, wenn die Seele leidet. Ich habe sogar vergessen, was ich früher als Elend empfunden habe und wie unvergleichlich schwer die Erlösung aus eigener Kraft fällt. Langsam wird mir klar, dass sich die Wochen, die noch vor mir liegen und die Bilder in meinem Kopf in nichts gleichen würden.

Nur noch einmal - bis zuletzt

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