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2.1.2 PoetikenPoetik des Siglo de OroSiglo de Oro

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Während des Mittelalters (la Edad Media) griffen PoetikPoetik und RhetorikRhetorik weitestgehend ineinander. Gerade in der universitären Ausbildung wurde die Dichtung der Unterweisung im richtigen Sprachgebrauch zugeordnet und innerhalb der sog. ‚sieben freien Künste‘ (lat. septem artes liberales) den Fächern Grammatik und RhetorikRhetorik unterstellt. Eine Verselbständigung erfolgte erst ab der RenaissanceRenaissance (Renacimiento) unter dem Einfluss der zuvor abgerissenen und nun wieder aufgegriffenen Aristoteles-Rezeption (erste lateinische Übersetzung durch den Italiener Lorenzo Valla, 1498). Dieser Neuansatz führte zu einer systematischeren Auseinandersetzung mit den dichterischen Formen, beispielsweise im 1592 erschienen Arte poética española des Juan Díaz Rengifo, der sein Werk in die drei Teile Poética, Métrica und ein Diccionario de rimas gliederte. Einen gemäßigten neo-aristotelischen Einfluss belegt etwa die Philosophia antigua poética des Alonso López Pinciano (1596). Mit ihr treten die ästhetisch-philosophischen Grundsatzüberlegungen gegenüber der handwerklichen Anleitung zum Anfertigen meisterlicher Verse, auf die sich noch der Arte poética konzentrierte, in den Vordergrund. In Francisco de Cascales Tablas poéticas (1617) schließlich wird die platonische Vorstellung von der göttlichen Inspiration des Dichters fassbar, wie sie bereits Horaz im Rahmen der antiken römischen PoetikenPoetik konzipiert hatte, ebenso eine Reflexion über die Funktion der unterschiedlichen GattungenGattungen und die Bezüge zwischen Literatur und den anderen Künsten.

Abb. 2.3

Die septem artes liberales (Miniatur von 1180)

HumanismusHumanismus: Erneuerung der Wissenschaften und der Künste aus dem Geist der Antike, eng verbunden mit der RenaissanceRenaissance Im Zentrum der PoetikenPoetik des Siglo de OroSiglo de Oro steht der Arte nuevo de hacer comediasComedia (1609) von Lope de Vega. Unter dezidierter Abwendung vom aristotelisch geprägten DramaDrama des HumanismusHumanismus orientierte Lope de Vega sich am Geschmack seines zeitgenössischen Theaterpublikums, dessen Bedürfnisse Vorrang gegenüber normpoetischen Bestimmungen erhielten. Daraus folgte ein deutlich flexiblerer Umgang mit den sog. drei Aristotelischen Einheitenaristotelische Einheiten: Die Einheit der Zeit sollte zwar innerhalb der Akte gewahrt werden, zwischen den Akten jedoch dürfen sich größere zeitliche Sprünge ereignen. Die Einheit der HandlungHandlung wird zumindest empfohlen. Neue Akzente setzen die Vermengung von Tragischem und Komischen, von edlem und niederem Stand sowie ein an der (natürlich: volkssprachlichen) schlichten Alltagssprache angelehnter Sprachstil (vgl. auch Einheit 6.1). Von den zahlreichen Gegenpositionen zu dieser „comedia nuevaComedia nueva“ seien hier nur die Tablas poéticas (1617) von Francisco Cascales und entsprechende Passagen in Cervantes’ Don Quijote genannt.

Text 2.2

Abb. 2.4

Lope de Vega

Lope de Vega: El arte nuevo de hacer comediasComedia (1609) [C]uando he de escribir una comedia,/encierro los preceptos1 con seis llaves,/saco2 a Terencio y Plauto3 de mi estudio/para que no me den voces, que suele/dar gritos la verdad en libros mudos,/y escribo por el arte que inventaron/los que el vulgar aplauso pretendieron/porque, como las paga el vulgo4, es justo/hablarle en necio5 para darle gusto./Ya tiene la comedia verdadera/su fin propuesto como todo género/de poema o poesis, y este ha sido/imitar las acciones de los hombres/y pintar de aquel siglo las costumbres./[…]/Elíjase el sujeto y no se mire6/(perdonen los preceptos) si es de reyes,/[…]/Lo trágico y lo cómico mezclado,/y Terencio con Séneca, aunque sea/como otro Minotauro7 de Pasife8,/harán grave una parte, otra ridícula,/que aquesta variedad deleita mucho;/buen ejemplo nos da naturaleza,/que por tal variedad tiene belleza./Adviértase que sólo este sujeto/tenga una acción, mirando que la fábula/de ninguna manera sea episódica,/quiero decir inserta de otras cosas/que del primero intento se desvíen;/ni que de ella se pueda quitar miembro/que del contexto no derribe9 el todo./No hay que advertir que pase en el período/de un sol, aunque es consejo de Aristóteles,/porque ya le perdimos el respeto/cuando mezclamos la sentencia trágica/a la humildad de la bajeza10 cómica./Pase en el menos tiempo que ser pueda,/[…] El sujeto elegido escriba en prosa/y en tres actos de tiempo le reparta,/procurando, si puede, en cada uno/no interrumpir el término del día./[…]/Comience, pues, y con lenguaje casto11/no gaste pensamientos ni conceptos/en las cosas domésticas, que sólo/ha de imitar de dos o tres la plática12;/[…]/pues habla un hombre en diferente estilo/del que tiene vulgar cuando aconseja,/persuade o aparta13 alguna cosa./Dionos ejemplo Arístides retórico,/porque quiere que el cómico lenguaje/sea puro, claro, fácil, y aún añade14/que se tome del uso de la gente,/haciendo diferencia al que es político/porque serán entonces las dicciones/espléndidas, sonoras y adornadas15. (Lope de Vega: 2006, 133f., 140–145)

1 precepto Anleitungen zum Dichten, Regeln – 2 sacar schöpfen aus – 3 Terencio y Plauto antike Komödiendichter – 4 vulgo das gemeine Volk bzw. die Nicht-Spezialisten – 5 necio töricht – 6 mirar berücksichtigen – 7 Minotauro mythologisches Ungeheuer – 8 Pasife Mutter des Minotaurus – 9 derribar einstürzen – 10 bajeza Einfachheit, Niedrigkeit – 11 casto enthaltsam – 12 plática Gespräch – 13 apartar hier: erörtern – 14 añadir hinzufügen – 15 adornado, -a verziert, rhetorisch geschmückt

Aufgabe 2.3 ? Welche allgemeinen Empfehlungen zur Abfassung von comediasComedia gibt Lope de Vega im obigen Textauszug?

HermetismusHermetismus: an Unverständlichkeit reichende Komplexität der Sinnbezüge, die ein großes kulturelles, zumal literarisches Vorwissen voraussetzen Eine weitere literarische Auseinandersetzung des Siglo de OroSiglo de Oro wurde im Umfeld der hermetischenhermetisch LyrikLyrik zwischen den Befürwortern des elitären HermetismusHermetismus im Sinne von Luis de Góngora (1561–1627), des sog. culteranismoKultismus, und ihren Opponenten, den Vertretern des conceptismoKonzeptismus, ausgetragen. Als Beispiele seien für die zweite Richtung das Libro de la erudición poética (1611) von Luis Carrillo y Sotomayor, für die erste Richtung der Discurso poético (1623) des Juan de Jáuregui genannt. Der culteranismoKultismus (auch: gongorismo, cultismoKultismus) steht in diesem Zusammenhang für eine Dichtung, die mit Anspielungen auf antike und neuzeitliche Bildungsinhalte ein hohes Maß an Vorwissen, also einen kultivierten Leser (daher cultismoKultismus) voraussetzt. Das typische Spiel mit Formen und Referenzen führt dabei in der Regel zu komplexen Überlagerungen, die für unvorbereitete heutige Leser ohne eine kommentierte Ausgabe im Grunde nicht zu verstehen sind.

CultismoKultismus und conceptismoKonzeptismus Der conceptismoKonzeptismus wiederum setzt auf ein Spiel mit Gedanken und geistvollen, scharfsinnigen Formulierungen (conceptos). In diese Richtung weist nicht zuletzt die Agudeza y arte de ingenio (1648) von Baltasar Gracián, der den scharfsinnigen Witz (agudeza) – und damit dessen klar präzisierbare Sinnbezüge – als Kern des literarisch-ästhetischen Vergnügens ansieht. Allerdings bleibt festzuhalten, dass Anhänger beider Richtungen zwar teils heftige Anfeindungen ausgetauscht haben, es sich jedoch um zwei Strömungen des Siglo de OroSiglo de Oro handelt, die einander nicht in Form gefestigter ‚Schulen‘ gegenüberstanden, und zahlreiche literarische Texte sowohl kultistischeKultismus als auch konzeptistische Elemente und Verfahren aufweisen.

Das 18. Jh. stand im Gegenzug dazu im Zeichen eines klassizistischenKlassizismus Geschmacksideals, das sich in der Bevorzugung von Klarheit, Einfachheit und Gleichmäßigkeit wieder an den antiken Vorbildern orientierte. Großen Einfluss übte zumal die verstärkte Rezeption der Dichtungen und PoetikenPoetik der französischen Hochklassik (letztes Drittel des 17. Jh.) aus. Damit einher ging die Besinnung auf die Bildung eines ‚guten Geschmacks‘ beim Publikum, der ebenso ästhetische wie moralische Bezüge umfasste. So wandten sich viele Autoren erneut der Aristotelischen PoetikPoetik und ihrer Forderung nach Wahrscheinlichkeit und stilistischer Angemessenheit zu, wie z.B. Ignacio de Luzán in der an den Leser gerichteten Vorrede zu seiner Poética (1737) nachdrücklich vermerkt.

Text 2.3

Ignacio de Luzán: Poética (1737) […] primeramente, te advierto que no desestimes como novedades las reglas y opiniones que en este tratado propongo; porque, aunque quizás te lo parecerán, por lo que tienen de diversas y contrarias a lo que el vulgo comúnmente ha juzgado y practidado hasta ahora, te aseguro que nada tienen menos que eso; pues ha dos mil años que estas mismas reglas (a lo menos en todo lo substancial y fundamental) ya estaban escritas por Aristóteles, y luego, sucesivamente, epilogadas1 por Horacio, comentadas por muchos sabios y eruditos varones2, divulgadas entre todas las naciones cultas y, generalmente, aprobadas y seguidas. (Ignacio de Luzán: 1974, 59)

1 epilogar hier: in der Nachfolge bearbeiten – 2 varón Mann

Aufgabe 2.4 ? Vergleichen Sie den Textauszug mit dem arte nuevo von Lope de Vega (Text 2.2) und begründen Sie die abweichende Stoßrichtung der Argumentation: Weshalb betont Luzán gerade die antike Herkunft der in seiner PoetikPoetik erläuterten Regeln?

Aufgabe 2.5 ? Inwiefern kann man grundsätzlich von einem besonders engen Bezug zwischen der Textsorte ‚RegelpoetikPoetik‘ und den klassizistischenKlassizismus und damit neo-aristotelischen Literaturvorstellungen ausgehen?

Die Romantik als Ende der RegelpoetikPoetik Während sich die klassizistischeKlassizismus Ausrichtung diverser PoetikenPoetik noch bis weit in das 19. Jh. erstreckte, kam es schon zu dessen Beginn zu einer Rezeption (v.a. deutschen) romantischen Gedankenguts in Spanien, die etwa Friedrich Schlegels Begeisterung für das Siglo de OroSiglo de Oro aufgriff, aus politischen Gründen aber unterbrochen wurde. In den 1830er Jahren zeichnete sich sodann eine programmatische Romantik ab, beispielsweise im Vorwort zu El moro expósito (1834) des Duque de Rivas. Wirkungsvolle theoretische Positionen finden sich im Weiteren etwa in Manuel Milá y Fontanals’ Schriften Arte poética (1844), Principios de estética (1856) und Principios de literatura general y española (1873), die den allmählichen Bedeutungsverlust poetologischerpoetologisch Bestimmungen für die Literatur dokumentieren. So wurde neben der Forderung nach einer Kombination von sublimen (erhabenen) und grotesken Elementen [bad img format] Bonus track: Ángel de Saavedra, Duque de Rivas: „Prólogo“ zu El moro expósito unter www.bachelor-wissen.de die Auffassung von der schöpferischen Inspiration des Dichter-GeniesGenie vertreten, die sich als Konzept von vornherein jeglicher handwerklich-erlernbarer Kunstfertigkeit widersetzte. Normierende Vorschriften oder eine auf Regelmäßigkeit und Gleichmäßigkeit stützende Ästhetik galten nunmehr als überholt.

Abb. 2.5

Friedrich Schlegel (Gemälde von Franz Gareis, 1901)

Spanische Literaturwissenschaft

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