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Claudia R.

(Die weise Eule Parkinson)

Multitasking war gestern

Ich bin kein Dichter, eher ein Denker, das schicke ich mal voraus. Darum habe ich mir viele Gedanken darübergemacht, wie ich meine Erfahrungen mit der Krankheit Parkinson anschaulich beschreiben kann. Am besten fange ich vorne an:

Ich bin Claudia, 53 Jahre alt, bin Mutter von vier mehr oder weniger erwachsenen Kindern, von denen das Jüngste noch bei mir wohnt und habe seit 2012 die gesicherte Diagnose „Parkinson, akinetisch-rigider Typ“.

Akinetisch- rigide… das finde ich wenig schmeichelhaft, bedeutet es doch wenig beweglich und starr, was so gar nicht meinem Selbstbild als flexibler dynamischer Powerfrau entspricht, die Beruf, Haushalt, Mann, Kinder, Garten, Hunde, Hobbys usw. locker unter einen Hut kriegt. Damit nähern wir uns dem Titel „Multitasking war gestern“ und dem Beginn meiner Erkrankung.

Jahrelang habe ich immer versucht, allen Anforderungen des Lebens gerecht zu werden und besonders meinen eigenen hoch angesetzten Ansprüchen zu genügen, bis mein Körper und meine Seele nach dem Umzug von einer äußerst liebenswerten Großstadt im Ruhrgebiet auf ein kleines Dorf im Münsterland komplett streikten. Hier war alles anders, es fiel mir sehr schwer, Anschluss zu finden und anerkannt zu werden, dazu kam das Gefühl, mit meinen Aufgaben alleingelassen zu sein und nie fertig zu werden. Die erste Depression etwa ein Jahr nach dem Umzug im Jahr 2002 ließ sich nicht mehr abwenden. Depressionen haben meist vielschichtige Ursachen, aber im Nachhinein halte ich es für möglich, dass diese die nichtmotorischen Vorboten des Parkinson waren. In den folgenden Jahren habe ich langsam gelernt, Grenzen zu setzen, weniger perfektionistisch zu sein, Dinge zu tun, die mir Spaß machen und besser auf mich und meine Bedürfnisse zu achten - zumindest in der Theorie und weiten Teilen der Praxis.

Multitasking, das war oft noch an der Tagesordnung, fiel mir aber zunehmend schwerer und irgendwann fand ich es einfach unnötig und überflüssig. Wer hatte das nur erfunden und warum eigentlich? Egal, das Leben ging weiter, mit Höhen, Tiefen, tollen Erlebnissen, bösen Überraschungen und zeitweiligem Verlust des Geruchssinns, einer Schwäche im linken Arm und geringerer Belastbarkeit. Ich habe zu dem Zeitpunkt, etwa vier Jahre vor der Diagnosestellung, im Traum nicht daran gedacht, dass dies alles mit M. Parkinson zu tun hat. Außerdem ließ sich das alles noch ganz gut kompensieren.

Mit der Trennung von meinem Mann und allen damit verbundenen Schwierigkeiten verstärkte sich die Symptomatik, aber ich war zu sehr beschäftigt, zu sehr in Trauer, um dem weiter Beachtung zu schenken. Als ich einigermaßen mit der sich ständig ändernden Situation klar war und in etwa wusste, was zu tun ist, fing der Ursachensuchmarathon an.

Erste Station: Hausarzt. „Da machen wir mal einen Termin beim Neurologen!“

Zweite Station: Neurologe. „Tja…. ich weiß nicht so genau, es könnte Parkinson sein.“ —Wer, Ich? Never ever!

Dritte Station: Radiologe, Schädel-MRT. „Alles in Ordnung!“ Meine Tochter beim Anblick der MRT-Bilder: „Mama, hiermit ist erwiesen, dass du ein Gehirn im Kopf hast.“

Vierte Station: Orthopäde. „Mit Ihrer Schulter und dem Arm ist orthopädisch gesehen alles in Ordnung, gehen Sie doch mal zum Neurologen!“ —Machen Sie Witze? Daher komme ich gerade!

Fünfte Station: Der Psychotherapeut. „Vielleicht spielen da auch psychosomatische Ursachen eine Rolle…“

Danach hatte ich keine Lust mehr auf Ursachenforschung und spekulative Diagnostik und habe mir eine Arbeit gesucht, eine halbe Stelle bei einem ambulanten Pflegedienst. Die neue Arbeit hat mir anfangs unheimlich viel Spaß gemacht, allerdings hatte ich immer das Gefühl, nicht 20, sondern mindestens 60 Stunden gearbeitet zu haben und die Kollegen haben mir oft gesagt, ich müsse schneller werden. Wie, noch schneller?

Nach fünf Monaten war ich völlig erschöpft und habe aufgegeben, im Anschluss wurde geprüft, ob für mich eine Umschulung möglich ist, was aber aus ärztlicher Sicht, nach einer fünfwöchigen psychosomatischen Reha und dem Gutachten der Rentenversicherung ausgeschlossen war. In der Reha manifestierte sich der Verdacht auf Parkinson, letzte Klarheit bekam ich bei einem stationären Aufenthalt in einer neurologischen Klinik in Münster.

Endlich war der kraftraubende Übeltäter entlarvt!!! Paradoxerweise war ich SO froh, Parkinson zu haben und in etwa zu wissen, womit ich zu tun hatte. Es hat lange gedauert, bis diese Information wirklich bei mir angekommen ist.

Mittlerweile, etwa fünf Jahre später, sehe ich Vieles gelassener.

Ich muss nicht mehr multitaskingfähig sein, nur noch beim Reha-Sport Koordinationsübungen machen.

Ich muss nicht mehr schnell sein oder noch schneller werden, meine Zeit gehört mir.

Ich muss meinen Körper und meine Seele nicht mehr hoffnungslos überfrachten, bis nichts mehr geht.

Ich muss nicht mehr arbeiten, mich profilieren, hohe Ziele erreichen, ich darf ich sein.

Ich weiß nicht, was noch auf mich zukommt, kann mir höchstens aufgrund medizinischer Fachliteratur und Erfahrungsberichten vorstellen, wie sich mein Leben mit Fortschreiten der Erkrankung verändern wird, aber das weiß ich heute noch nicht. Meine Ziele sind so gesteckt, dass ich sie erreichen kann, langfristige Planungen lohnen sich nicht wirklich und jeder Tag ist eine kleine (manchmal auch große) neue Herausforderung.

Manchmal fühle ich mich vom realen prallen Leben, irgendwo da draußen, abgeschnitten und habe Angst, etwas zu verpassen, unter meinen Möglichkeiten zu leben, spüre eine krasse Diskrepanz zwischen dem, was ich noch will, mir wünsche und vorhabe und meinen körperlichen und finanziellen Einschränkungen. Aber ich gebe nicht auf, probiere aus, habe Erfolg, falle hin, stehe auf, bleibe auch manchmal liegen und lasse den Parki gewinnen, um dann gut ausgeruht weiter zu gehen. Ohne Multitasking, versteht sich.

Mein Tagesablauf

Ganztägig: Schmerzen, Unbeweglichkeit, Schmerzen, Starre, Schmerzen.

Ganztägig: Der Versuch, Schmerzen, Unbeweglichkeit und Starre zu überwinden.

Zwischendurch: Medikamenteneinnahme nach Plan.

Draußen: Es ist Sommer. Der Himmel ist blau mit hübschen weißen Wölkchen, die Luft ist mild. Schwalben kreisen blitzschnell durch das Blau.

Diese Veranstaltung (Sommer) findet, wie alle anderen, ohne mich statt.

Ich frage mich: „Wo ist mein Humor geblieben und wann kommt er wieder?“

„Wann hat diese Qual ein Ende?“

Im Radio singt Robbie Williams: „You think that I’m strong, but you’re wrong, you’re wrong… “

Er weiß gar nicht, wie Recht er damit hat.

So sieht mein Parkinson aus

Er ist ein Meister der Verwandlung, der sich jahrelang angeschlichen und eingeschlichen hat und mein Leben, meine Gedanken, Handlungen und Gefühle, meine Beziehungen zu Mitmenschen komplett umgekrempelt und auf den Kopf gestellt hat. Er heißt Parki, ist ein hinterlistiger Typ, der massenweise Dopamin verschlingt und dabei ständig meine Wahrnehmung verändert: Bekommt er genug Dopamin, bin auch ich glücklich und zufrieden, unternehme ich viel oder nehme mir vor, etwas zu schaffen, streikt er nach einer gewissen Zeit, bis ich wieder alles in verschiedenen Grauabstufungen bis hin zu einem Tiefschwarz in den Morgenstunden sehe… Er ist ein treuer Gesell, ich kann mich auf seine Gegenwart hundertprozentig verlassen. Er ist eine tägliche Herausforderung, manchmal leicht einzuschätzen, manchmal unberechenbar.

Er sorgt dafür, dass ich in kaum einem Moment seine Anwesenheit ignorieren kann, ist spürbar bei jedem Schritt und jeder Bewegung. Ein Wunder, dass ich noch nicht paranoid bin.

P.S. Wäre ich mein behandelnder Neurologe, würde ich mich nach Lektüre dieser Zeilen zur medikamentösen Einstellung in eine gute neurologische Klinik einweisen.

Dopamin

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